Aktenzeichen 2 C 37/17, 2 C 37/17 (2 C 36/16)
§ 137 Abs 2 VwGO
§ 152a VwGO
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 18. Juni 2015, Az: OVG 6 B 32.15, Urteilvorgehend VG Cottbus, 28. Februar 2013, Az: 5 K 914/11, Urteil
Gründe
1
1. Die innerhalb der gesetzlichen Frist nach § 152a Abs. 2 Satz 1 VwGO erhobene Anhörungsrüge ist zulässig, sodass es der vom Kläger beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO nicht bedarf. Die Anhörungsrüge ist aber unbegründet.
2
Mit dem Revisionsurteil vom 20. Juli 2017 – 2 C 36.16 – hat der Senat das angefochtene Berufungsurteil aufgehoben und die Sache, soweit sie vom Senat nicht selbst entschieden werden konnte (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO), an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Die Annahmen des Oberverwaltungsgerichts, der unionsrechtliche Haftungsanspruch wegen Zuvielarbeit setze keine erstmalige Geltendmachung durch den Betroffenen voraus und verlange nicht den Nachweis der über die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden hinaus konkret geleisteten Dienststunden, verletzen revisibles Recht.
3
Mit der Anhörungsrüge gemäß § 152a VwGO macht der Kläger geltend, das Revisionsurteil verletze seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Soweit sich der Kläger dabei inhaltlich gegen die Richtigkeit der Entscheidung des Senats wendet, hat sie eine solche Gehörsverletzung jedoch bereits nicht dargelegt (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 6 und Abs. 4 Satz 1 VwGO). Im Übrigen ist die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs unbegründet.
4
Die Anhörungsrüge beschränkt sich im Wesentlichen darauf zu beanstanden, dass der Senat sich die bereits im Revisionsverfahren von dem Kläger vorgetragene Rechtsauffassung nicht zu Eigen gemacht hat. Spezifische Beanstandungen, die eine Verletzung rechtlichen Gehörs im geschilderten Sinne stützen könnten, werden entweder nicht hinreichend dargelegt oder ergeben sich daraus nicht.
5
Mit der Anhörungsrüge gemäß § 152a VwGO trägt der Kläger vor, das Revisionsurteil vom 20. Juli 2017 verletze seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, indem es gegen den Grundsatz der Amtsermittlung, die gerichtlichen Hinweis- und Dokumentationspflichten, das Prinzip des gesetzlichen Richters, den Grundsatz des fairen Verfahrens und das Willkürverbot verstoße. Der Senat habe sich nicht mit seinem Vorbringen auseinandergesetzt, wie es sich aus den Behörden- und Gerichtsakten der Vorinstanzen und aus den im Revisionsverfahren vorgelegten Schriftsätzen ergebe. Der Kläger habe für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum vom Jahr 2007 bis zum Jahr 2011 sowohl Ansprüche aus Zuvielarbeit als auch solche aus behördlich genehmigter Mehrarbeit verfolgt. Dies sei in den angefochtenen Bescheiden und in den vorinstanzlichen Urteilen dokumentiert, vom Senat aber verkannt worden. Der Kläger habe die entscheidungserheblichen Tatsachen vorgetragen.
6
Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO, deren Verletzung nach § 152a VwGO gerügt werden kann, vermittelt den Prozessbeteiligten einen Anspruch darauf, sich zum Sachverhalt sowie zur Rechtslage zu äußern sowie Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Dabei obliegt es den Gerichten, von sich aus den Beteiligten alles für das Verfahren Wesentliche mitzuteilen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Oktober 1973 – 2 BvR 482/72 – BVerfGE 36, 85 ). Andererseits normiert Art. 103 Abs. 1 GG keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts, insbesondere nicht im Blick auf dessen Rechtsansichten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 1984 – 1 BvR 967/83 – BVerfGE 67, 90 , Kammerbeschluss vom 1. August 2017 – 2 BvR 3068/14 – NJW 2017, 3218 Rn. 49 f.).
7
Gemäß § 137 Abs. 2 VwGO umfasst die revisionsgerichtliche Prüfung eines angefochtenen Urteils allein die Verletzung revisiblen Rechts auf der Grundlage der “im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen”, soweit nicht hinsichtlich dieser Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht werden. Die vom Kläger in der Begründung der Anhörungsrüge eingehend dargestellten Ausführungen zum Sachverhalt und zur Rechtslage im behördlichen und gerichtlichen Verfahren vor dem Ergehen des Berufungsurteils indes sind revisionsrechtlich ohne Belang. Im hier allein maßgeblich angefochtenen Berufungsurteil fehlt es an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Ausgleich von Mehrarbeit. Das Berufungsgericht hat über eine etwaige Mehrarbeit des Klägers nicht entschieden, sondern allein über Ausgleichsansprüche aus Zuvielarbeit geurteilt (zur begrifflichen Abgrenzung von Zuvielarbeit zu Mehrarbeit vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Juli 2017 – 2 C 36.16 – juris Rn. 66). Deshalb ist dem Senat von vornherein eine Entscheidung über etwaige Ansprüche des Klägers aus Mehrarbeit verwehrt gewesen.
8
Im Übrigen hat der Senat das Vorbringen des Klägers zur Mehrarbeit zur Kenntnis genommen und gewürdigt, wenn er im Revisionsurteil wörtlich ausführt (BVerwG, Urteil vom 20. Juli 2017 – 2 C 36.16 – juris Rn. 68):
“10. Nach den für den Senat revisionsrechtlich bindenden Feststellungen des Berufungsurteils ist dem Kläger allein Geldausgleich für von ihm unionsrechtswidrig geleistete Zuvielarbeit zugesprochen worden. Mehrarbeitsvergütung gemäß § 76 Abs. 2 S. 3 LBG BB ist dem Kläger hingegen nicht gewährt worden (vgl. zur Abgrenzung von Zuviel- und Mehrarbeiten oben und II 9.). Bereits im zweiten Eingangssatz des Tatbestands des Berufungsurteils heißt es, dass der Kläger zuletzt einen Geldausgleich für geleistete Zuvielarbeit begehrt. In den Entscheidungsgründen wird im Obersatz der Begründetheitsprüfung ausgeführt, dass dem Kläger ein Anspruch auf den ihm vom Verwaltungsgericht zugesprochenen Geldausgleich für rechtswidrig geleistete Zuvielarbeit zusteht. Auch in der Folge der Ausführungen des Berufungsurteils (vgl. etwa UA S. 8 und 14) wird von Zuvielarbeit und auszugleichender Zuvielarbeit gesprochen. Einzuräumen ist dem Kläger zwar, dass das Berufungsgericht neben dem Begriff der Zuvielarbeit wohl synonym auch den Begriff der ‘freiwilligen Mehrarbeit’ verwendet, etwa bei der Auslegung von Art. 22 RL 2003/88/EG (UA S. 10). Eine Entscheidung über etwa im Fall des Klägers angeordnete Mehrarbeit der Beklagten nach § 76 Abs. 2 LBG BB hat das Berufungsgericht im hier angefochtenen Urteil aber nicht getroffen. Denn es hat weder die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür mitgeteilt noch hat es sich in den Entscheidungsgründen zu einem etwaigen Anspruch auf Mehrarbeit gemäß § 76 Abs. 2 LBG BB verhalten. Angesichts des im Tatbestand des Berufungsurteils sinngemäß wiedergegebenen Klägerantrags – ‘die Beklagte zu verurteilen, für die vom Kläger im Zeitraum vom 1. Oktober 2007 bis 31. Dezember 2011 geleistete Mehrarbeit über die 48. wöchentliche Dienststunde hinaus an den Kläger 16 147,20 € zu zahlen’, wird das Oberverwaltungsgericht im zurückverwiesenen Verfahren zu prüfen haben, ob dem Kläger ggf. Vergütungsansprüche wegen geleisteter Mehrarbeit zustehen. Mit dem vorliegenden Urteil verneint der Senat abschließend allein vom Kläger geltend gemachte und vom Berufungsgericht ausgeurteilte Ansprüche aus Zuvielarbeit im Zeitraum vom 1. Oktober 2007 bis zum 31. Dezember 2010.”
9
Soweit mit der Anhörungsrüge darüber hinaus geltend gemacht wird, der Senat habe das rechtliche Gehör verletzt, weil er für den Kläger auch hinsichtlich der Frage der Ausgleichsansprüche wegen Zuvielarbeit überraschend entschieden habe, ist sie ebenfalls zurückzuweisen. Es kommt zwar im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags gleich, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 – 1 BvR 1383/90 – BVerfGE 84, 188 ). Hier verkennt der Kläger indes abermals, dass das Revisionsgericht lediglich zu einer anderen als der von ihm vertretenen Rechtsauffassung gelangt ist und deshalb die Klage teilweise abgewiesen hat. Darin liegt kein Gehörsverstoß.
10
Die vom Kläger in der Sache angegriffene Senatsrechtsprechung zur Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen wegen Zuvielarbeit kann ihn zudem schon deshalb nicht überrascht haben, weil der Senat bereits lange vor Zulassung der Revision im vorliegenden Verfahren – 2 C 36.16 – (Beschluss vom 27. September 2015 – 2 B 84.15 -) durch Urteil vom 26. Juli 2012 – 2 C 29.11 – (BVerwGE 143, 381 Rn. 26 f. ) entschieden hat, dass Ausgleichsansprüche für unionsrechtswidrige Zuvielarbeit auf die ab dem Folgemonat der erstmaligen Geltendmachung geleisteten Zuvielarbeit begrenzt sind. Der Senat hat diese Rechtsprechung in der Folgezeit fortentwickelt (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. September 2015 – 2 C 26.14 – Buchholz 232.0 § 87 BBG 2009 Nr. 1 Rn. 26 f. , vom 17. November 2016 – 2 C 23.15 – BVerwGE 156, 262 Rn. 29 und vom 6. April 2017 – 2 C 11.16 – NVwZ 2017, 1627 Rn. 39 ). Auf diese Rechtsprechung hat der Senatsvorsitzende zudem während der mündlichen Verhandlung des Revisionsverfahrens am 20. Juli 2017 hingewiesen. Aufgrund all dessen musste jeder Verfahrensbeteiligte in seine rechtlichen Überlegungen einbeziehen, dass der streitgegenständliche Anspruch wegen Zuvielarbeit (teilweise) an diesem Erfordernis scheitern könnte.
11
2. Schließlich ändert auch die vom Kläger hilfsweise erhobene Gegenvorstellung nichts an dem Ergebnis. Es kann dahinstehen, ob die Gegenvorstellung, soweit sich der Kläger damit gegen die teilweise Abweisung und Zurückverweisung seiner Klage durch das angegriffene Revisionsurteil wendet, deshalb unzulässig ist, weil der Gesetzgeber mit der Schaffung der Anhörungsrüge nach § 152a VwGO zum Ausdruck gebracht hat, dass daneben die nicht geregelte Gegenvorstellung nicht mehr zuzulassen ist (BVerwG, Beschlüsse vom 20. Februar 2017 – 5 B 56.16 – juris Rn. 2 und vom 25. August 2014 – 5 B 24.14 – juris Rn. 2 m.w.N.) oder sie jedenfalls deshalb nicht statthaft und damit unzulässig ist, weil die Gegenvorstellung die gleiche Zielrichtung wie die Anhörungsrüge verfolgt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Januar 2017 – 5 B 77.16 – juris Rn. 9 m.w.N.). Denn die Gegenvorstellung hat jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil der Vortrag des Klägers aus den obigen Gründen keinen Anlass zur Korrektur und Aufhebung des angegriffenen Revisionsurteils gibt.
12
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.