Verwaltungsrecht

Anspruch auf Ausbildungsduldung, Übergangsvorschrift, Beantragung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nach Antrag auf Ausbildungsduldung

Aktenzeichen  B 6 E 20.786

Datum:
9.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 47666
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 c
AufenthG § 104 Abs. 17

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt …, wird abgelehnt.
2. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen, bis eine rechtskräftige Entscheidung im Hauptsacheverfahren B 6 K 20.787 ergangen ist.
3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Der Streitwert wird auf 1250 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, dem Antragsteller die Durchführung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu untersagen.
Die Antragstellerin, geb. am …, ist ukrainische Staatsangehörige und nach eigenen Angaben am 02.03.2015 illegal in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Der am 20.05.2015 gestellte Asylantrag wurde am 13.03.2017 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgelehnt. Die hiergegen am 20.03.2017 erhobene Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth wurde am 24.02.2020 abgewiesen. Der dagegen am 26.03.2020 gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung wurde durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 02.04.2020 abgelehnt.
Ihren Reisepass hat die Antragstellerin am 21.02.2018 dem Antragsgegner ausgehändigt.
Am 28.04.2020 wurden durch den Bevollmächtigten der Antragstellerin Anträge auf Erteilung von Duldungen für sie und ihren Ehemann gestellt. Diese wurden am 20.05.2020 durch den Antragsgegner erteilt und waren bis 14.08.2020 befristet.
Am 19.06.2020 und 22.06.2020 erhielt die Antragstellerin vom Antragsgegner ein Statusänderungsschreiben in welchem sie auf ihre grundsätzlich bestehende Ausreisepflicht hingewiesen, zur freiwilligen Ausreise aufgefordert und zum Ausreisegespräch am 09.07.2020 aufgefordert wurde.
Am 01.07.2020 stellte der Bevollmächtigte der Antragstellerin einen Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung zur schulischen Ausbildung zur staatlich geprüften Assistentin für Ernährung und Versorgung unter Vorlage einer Aufnahmebestätigung des Beruflichen Schulzentrums … Am 06.07.2020 wurde die Antragstellerin durch den Antragsgegner schriftlich zur geplanten Ablehnung ihres Antrags auf Ausbildungsduldung angehört, da sie noch nicht seit drei Monaten im Besitz einer Duldung sei. Weiterhin wurde durch den Antragsgegner im Schreiben vom 06.07.2020 darauf hingewiesen, dass der Flugreiseverkehr in die Ukraine zum 16.06.2020 wieder aufgenommen worden sei und damit eine freiwillige Ausreise sowie die Durchführung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen grundsätzlich wieder möglich seien.
Am 20.07.2020 stellte der Antragsgegner einen Antrag auf Luftabschiebung für die Antragstellerin und ihren Ehemann.
Am 21.07.2020 erhielt die Antragstellerin ein Schreiben des Antragsgegners in welchem ausgeführt wird, dass sie einen Anspruch auf Ausbildungsduldung habe, da die Übergangsvorschrift des § 104 Abs. 17 AufenthG auf die Antragstellerin Anwendung fände und daher der gesetzliche Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht greife. Ferner wurde in diesem Schreiben durch den Antragsgegner darauf hingewiesen, dass sich aus einem Anspruch auf Ausbildungsduldung für die Antragstellerin kein Bleiberecht für ihren Ehemann ableiten lasse. Daher solle mitgeteilt werden, ob vor diesem Hintergrund an dem Antrag auf Ausbildungsduldung festgehalten werde oder die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise genutzt werde.
Mit Anhörungsschreiben vom 23.07.2020 und 13.08.2020 wurde die Antragstellerin zur beabsichtigten Ablehnung ihres Antrags auf Ausbildungsduldung angehört, da der gesetzliche Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG vorläge. Hierauf äußerte der Bevollmächtigte der Antragstellerin nur, dass die Rechtsauffassung des Antragsgegners contra legem sei, da der Zeitpunkt der Beantragung der Ausbildungsduldung vor dem Antrag auf Luftabschiebung stehe.
Mit Bescheid von 27.08.2020 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung vom 01.07.2020 ab Zur Begründung wurde ausgeführt, die Antragstellerin sei seit dem 03.05.2020 vollziehbar ausreisepflichtig und verfüge nicht über einen Duldungsanspruch gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, da die Abschiebung in die Ukraine nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich sei. Daher seien bereits die Grunderteilungsvoraussetzungen für eine Ausbildungsduldung nicht erfüllt. Weiter lägen Ausschlussgründe gemäß § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. c AufenthG vor, da bereits im Zeitpunkt der Antragstellung konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung, die in einem hinreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Aufenthaltsbeendigung stehen, bevor gestanden hätten.
Mit Schriftsatz vom 31.08.2020 zeigten sich die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin an und beantragten im Klageverfahren, den Bescheid des Beklagten vom 27.08.2020 aufzuheben, den Beklagten zu verpflichten der Klägerin eine Ausbildungsduldung für die schulische Ausbildung zur staatlich geprüften Assistentin für Ernährung und Versorgung beim Beruflichen Schulzentrum … zu erteilen, hilfsweise in dieser Angelegenheit eine neue Entscheidung zu treffen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, sowie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Unterfertigten zu bewilligen (B 6 K 20.787).
Zudem wurde beantragt,
der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, von Abschiebemaßnahmen abzusehen, bis eine rechtskräftige Entscheidung im Hauptsacheverfahren ergangen ist.
Außerdem wurde beantragt,
für Klage und Antrag Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Unterfertigten zuzubilligen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, in dem Schreiben des Antragsgegners vom 21.07.2020 sei eine entsprechende Zusage zu sehen, es sei daraus in keiner Weise zu ersehen, dass Abschiebemaßnahmen in die Wege geleitet bzw. erwogen worden seien. Da die Antragstellerin einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung habe, sei ein Anordnungsanspruch gegeben. Auch ein Anordnungsgrund liege vor, da im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt wurde, dass die Antragstellerin für eine entsprechende Luftabschiebung in die Ukraine vorgesehen sei.
Hinsichtlich des Prozesskostenhilfeantrags wurde im Schreiben vom 31.08.2020 angekündigt, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit Anlagen nach Bekanntgabe des gerichtlichen Aktenzeichens unaufgefordert nachzureichen.
Mit Fax vom 02.09.2020 bestätigte der Antragsgegner, nach gerichtlicher Aufforderung, dass bis zur richterlichen Entscheidung über den Antrag gemäß § 123 VwGO betreffend der Antragstellerin auf den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen verzichtet wird.
Ebenfalls mit Fax vom 02.09.2020 nahm der Antragsgegner zum Antrag Stellung und führte aus, dass der Antrag abzuweisen sei, da die Antragstellerin nicht über einen Anspruch auf Ausbildungsduldung verfüge. Die Antragstellerin verfüge nicht über einen Anspruch nach § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, da diese zum jetzigen Zeitpunkt nicht über einen Duldungsanspruch verfüge und damit die Grunderteilungsvoraussetzungen einer Ausbildungsduldung nicht vorlägen. Daher sei die Antragstellerin mit Antrag vom 20.07.2020 für die nächstmögliche Luftabschiebung in die Ukraine angemeldet. Weiterhin stünde dem Anspruch auf Ausbildungsduldung der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. c AufenthG entgegen, da am 20.07.2020 ein Antrag auf Luftabschiebung gestellt worden sei. Es sei unerheblich, dass der Schubtermin noch nicht terminiert wurde und der Antrag auf Luftabschiebung erst nach dem Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer Ausbildungsduldung gestellt worden sei. Der Antragsgegner habe der Antragstellerin nach Eintritt ihrer vollziehbaren Ausreisepflicht lediglich aufgrund der fehlenden Flugverbindung infolge der Coronapandemie eine Duldung erteilt. Bereits mit Statusänderungsschreiben vom 19.06.2020 sowie im Rahmen des Ausreisegesprächs am 09.07.2020 sei die Antragstellerin über ihren aktuellen ausländerrechtlichen Status und die fehlende Bleibeperspektive belehrt worden. Nachdem vor Eingang des Antrags auf Ausbildungsduldung kein schützenswertes Vertrauen auf einen längerfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet geschaffen worden sei, gestehe es der Wortlaut des § 60c AufenthG dem Antragsgegner zu, den Sachverhalt nach Eingang des Antrags zu ermitteln und insbesondere die für die Erteilung einer Ausbildungsduldung maßgebliche Frage zu klären, ob die Antragstellerin wegen eines gegenwärtigen und nicht nur für absehbare Zeit bestehenden Ausreisehindernisses eine individuelle positive Bleibeperspektive besitze.
Mit Fax vom 03.09.2020 wurde durch den Antragsgegner ergänzend zur Stellungnahme vom 02.09.2020 mitgeteilt, dass unter Berücksichtigung der Übergangsvorschrift des § 104 Abs. 17 AufenthG, der § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG in Bezug auf den Besitz einer Duldung keine Anwendung fände und es daher unschädlich sei, dass die Antragstellerin nicht über einen Duldungsanspruch verfüge. Es werde daher diesbezüglich nicht mehr an der Rechtsauffassung des Bescheids vom 27.08.2020 festgehalten. Nachdem im Zeitpunkt der Beantragung der Ausbildungsduldung jedoch konkrete Maßnahmen, die in einem hinreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Aufenthaltsbeendigung stehen, bevorgestanden hätten, bestünde weiterhin kein Anspruch auf Erteilung der Ausbildungsduldung.
Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin wurden bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht nachgereicht.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die elektronisch übermittelten Ausländerakten, die Gerichtsakten (auch im Verfahren B 6 K 20.787) und die Asylakten Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da er im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht bewilligungsreif ist.
Gemäß § 166 VwGO, §§ 114 ff ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Maßgeblich für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrages. Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme ein (§ 166 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) (BayVGH, B.v.10.02.2016 – 10 C 15.849 – juris Rn.3; st. Rspr.). Die Prozesskostenhilfeunterlagen sind erst dann vollständig vorgelegt, wenn bei Gericht neben dem Antrag auch die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und entsprechende Belege eingereicht wurden (§ 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Zwar wurde der Antrag auf Prozesskostenhilfe am 31.08.2020 gestellt. Trotz entsprechender Ankündigung in ebendiesem Schreiben, dass die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit Anlagen nach Bekanntgabe des gerichtlichen Aktenzeichens unaufgefordert nachgereicht werde, wurde die vom Gesetz geforderte persönliche Erklärung nebst Belegen bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag nicht beigebracht.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg. Es besteht ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund. Beides wurde von der Antragstellerin glaubhaft gemacht.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß
§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Das zu sichernde Recht bzw. das streitige Rechtsverhältnis, der Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit vorläufigen Rechtsschutzes, der Anordnungsgrund, sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn der Antragsteller mit Erfolg geltend macht, dass ihm ein entsprechender Rechtsanspruch zusteht und deshalb im Hauptsacheverfahren überwiegende Erfolgsaussichten bestehen (Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 129, 125).
Über den Erfolg des Antrages ist aufgrund der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung zu entscheiden. Dabei ist abzustellen auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
2.1 Die Antragstellerin hat die Tatsachen für den Anordnungsanspruch auf eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen eines rechtlichen Abschiebungshindernisses in Form eines noch im Inland durchzusetzenden Anspruchs auf Erteilung einer Ausbildungsduldung gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO hinreichend glaubhaft gemacht. Die Abschiebung ist vorübergehend auszusetzen, wenn sie rechtlich unmöglich ist, also auch wenn sie einen Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer Ausbildungsduldung vereiteln oder unverhältnismäßig erschweren würde.
Nach der gebotenen summarischen Prüfung ist nach Überzeugung der Kammer davon auszugehen, dass die Antragstellerin in der Hauptsache einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG hat. Gemäß § 60c AufenthG in der ab 01.03.2020 geltenden Fassung ist eine Duldung im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen, wenn der Ausländer gem. § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG ist und eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf aufnimmt.
2.1.1 Die Antragstellerin erfüllt sowohl den persönlichen als auch den sachlichen Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Die Antragstellerin ist seit dem 03.04.2020 vollziehbar ausreisepflichtig und strebt eine in § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG genannte Berufsausbildung an. Bei der schulischen Ausbildung zur staatlich geprüften Assistentin für Ernährung und Versorgung handelt es sich allen Anhaltspunkten nach um eine qualifizierte Berufsausbildung gemäß § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 12a AufenthG, da eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist und es sich um einen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf handelt.
Es kann dahinstehen, ob der persönliche Anwendungsbereich bereits dadurch erfüllt ist, dass die Antragstellerin am 20.05.2020 eine Duldung erhalten hat, welche bis zum 14.08.2020 befristet war und damit zumindest im Zeitpunkt der Antragstellung auch eine Duldung gem. § 60a Abs. 2 AufenthG vorlag, da die Übergangsvorschrift des § 104 Abs. 17 AufenthG zugunsten der Antragstellerin wirkt. Aufgrund dieser Übergangsvorschrift in § 104 Abs. 17 AufenthG gilt § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG in Bezug auf den Besitz einer Duldung nicht, wenn die Einreise in das Bundesgebiet bis zum 31.Dezember 2016 erfolgt ist und die Berufsausbildung vor dem 02.Oktober 2020 begonnen wird. Die Antragstellerin reiste nach eigenen Angaben am 02.03.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 20.05.2015 ihren Asylantrag und damit jedenfalls vor dem 30.12.2016. Die angestrebte Ausbildung zur staatlich geprüften Assistentin für Ernährung und Versorgung soll am 08.09.2020 und damit vor dem 02.10.2020 beginnen.
2.1.2 Es liegen keine Gründe vor, welche die Erteilung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60c Abs. 2 AufenthG ausschließen.
Der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG findet auf die Antragstellerin aufgrund der Übergangsvorschrift in § 104 Abs. 17 AufenthG keine Anwendung. Danach entfällt das Erfordernis der dreimonatigen Vorduldung, weil die Antragstellerin vor dem 31. Dezember 2016 ins Bundesgebiet eingereist ist, und die Berufsausbildung vor dem 02. Oktober 2020 begonnen wird.
Im Zeitpunkt der Antragstellung auf Erteilung der Ausbildungsduldung standen auch keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Sinne der Vorschrift bevor, so dass auch der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG keine Anwendung findet. Gemäß § 60c Abs. 2 Nr. 5 Halbs. 1 AufenthG wird eine Ausbildungsduldung nicht erteilt, wenn „zum Zeitpunkt der Antragstellung konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung, die in einem hinreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Aufenthaltsbeendigung stehen, bevorstehen“; in Halbsatz 2 sind konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung (a) ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit, b) Antrag zur Förderung der freiwilligen Ausreise, c) Buchung von Transportmitteln für die Abschiebung, d) vergleichbar konkrete Vorbereitungsmaßnahmen zur Abschiebung, die nicht von vorneherein erfolglos sind, und e) Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Dublin-Staates) genannt. Diese Vorschrift „überführt die Regelungen zur Erteilung der Ausbildungsduldung, die bislang in § 60a Abs. 2 Satz 4 bis 12 AufenthG enthalten waren, wegen ihres Umfangs und ihrer praktischen Bedeutung in eine eigene Norm. Diese Neufassung wurde neu strukturiert und enthält Ergänzungen und Klarstellungen, die u.a. eine einheitliche Anwendung in den Ländern sicherstellen sollen“ (Bundestag-Drucksache 19/8286, S. 14). Vor diesem Hintergrund kann die bis zum 01.01.2020 ergangene Rechtsprechung nicht mehr uneingeschränkt herangezogen werden. (vgl. Fehrenbacher in HTK-AuslR, § 60c AufenthG, zu Abs. 2, Rn.36, vgl. auch BayVGH, B.v. 28.02.2020 – 10 C 20.32 – juris Rn. 17, zur Frage der Übertragbarkeit bisheriger Rechtsprechung: „Im Übrigen erscheint dem Senat auch zweifelhaft, ob sich die bisherige Rechtsprechung zur alten Rechtslage, dass eine konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung bereits bei der Stellung eines Antrags auf Beschaffung eines Passersatzpapiers vorliegt (BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 10 CE 18.2159 – juris Rn. 12), nach der gesetzlichen Neuregelung uneingeschränkt aufrechterhalten lässt“.)
Ausweislich des Wortlauts ist maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen von konkret bevorstehenden Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung der Zeitpunkt der Antragstellung auf Erteilung einer Ausbildungsduldung (BT-Drs. 19/8286, S. 15; Fehrenbacher in HTK-AuslR. § 60c AufenthG, zu Abs. 2, Rn.36). Nach dem nunmehr eindeutigen Wortlaut des § 60c AufenthG kommt es lediglich auf das Vorliegen der abschließend mit den Buchstaben a bis e genannten konkreten Maßnahmen im Zeitpunkt der Antragstellung an, die konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung im Rahmen dieser Regelung darstellen (BT-Drs. 19/8286, S. 15). Liegen im Zeitpunkt der Antragstellung alle positiven und negativen Anspruchsvoraussetzungen des § 60c Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG vor, so kann die danach erfolgte Einleitung von Abschiebevorbereitungsmaßnahmen den Anspruch auf Ausbildungsduldung nicht mehr zu Fall bringen (vgl. BeckOK MigR/Röder, 5. Edition, Stand 1.7.2020, AufenthG § 60c Rn. 87.)
Intention des Gesetzgebers war es, bereits begonnenen Abschiebemaßnahmen den Vorrang einzuräumen und diese nicht dadurch ins Leere laufen zu lassen, dass sodann eine Ausbildungsduldung erteilt werden muss. Gerade nicht gewollt ist jedoch, dass die Behörde den Antrag auf die Ausbildungsduldung überhaupt erst zum Anlass nimmt um aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu prüfen und einzuleiten. Damit würde der gesetzlich als Anspruch ausgestaltete § 60c AufenthG zu einer „Ermessensnorm“, da es letztlich im Belieben der Behörde stünde, in welchen Fällen sie aufenthaltsbeendende Maßnahmen einleitet und damit den Anspruch verhindert und in welchen sie davon absieht. Auf diese Weise würde das klare gesetzgeberische Ziel, eine einheitliche Rechtsanwendung in den Ländern zu gewährleisten gerade konterkariert. Mit der abschließenden Benennung der Maßnahmen sollte jedoch gerade Klarheit mit dem Ziel einer bundesweiten einheitlichen Anwendung geschaffen werden, nachdem sich „hinsichtlich dieses Tatbestandsmerkmals in den Ländern unterschiedliche Verständnisse etabliert haben“ (BT-Drs. 19/8286, S. 15).
Vorliegend kommt nur der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 5 c) AufenthG in Betracht. Demnach läge ein Ausschlussgrund vor, wenn bereits im Zeitpunkt der Antragstellung die Buchung von Transportmitteln für die Abschiebung eingeleitet worden wäre.
Im vorliegenden Fall standen damit zum Zeitpunkt der Antragstellung am 01.07.2020 noch keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bevor. Der Antrag auf Luftabschiebung wurde erstmals am 20.07.2020 und damit nach der Antragstellung gestellt.
Der Antrag auf Ausbildungsduldung war auch bereits im Zeitpunkt der Antragstellung entscheidungsreif gemäß § 60 Abs. 3 Satz 3 AufenthG. Mit dem schriftlichen Antrag auf Ausbildungsduldung wurde durch den Bevollmächtigten der Antragstellerin gleichzeitig die Aufnahmebestätigung des Beruflichen Schulzentrums vorgelegt. Der Antrag auf Ausbildungsduldung wurde unbedingt gestellt und es lässt sich aus der Antragstellung nicht entnehmen, dass diese nur für den Fall erteilt werden sollte, dass auch der Ehemann der Antragstellerin im Bundesgebiet verbleiben darf. Da alle erforderlichen Unterlagen vorlagen, war der Antragsgegner bereits am 01.07.2020 in der Lage über den Antrag zu entscheiden. Die Aufforderung vom 21.07.2020 mitzuteilen, ob weiterhin am Antrag festgehalten werden würde, wenn der Ehemann der Antragstellerin das Bundesgebiet verlassen muss, ändert hieran nichts.
Ob der Antragsgegner vor Antragstellung bei dem Ausländer ein schützenswertes Vertrauen erzeugt hat oder nicht, ist für das Vorliegen eines Anspruchs auf Ausbildungsduldung nicht entscheidend. Hierbei handelt es sich nicht um eine Tatbestandsvoraussetzung des § 60c AufenthG.
Auch das Statusänderungsschreiben vom 19.06.2020, in welchem die Antragstellerin auf ihre grundsätzliche Ausreisepflicht und die Möglichkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen hingewiesen wurde, stellt keine konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung im Sinne des § 60c Abs. Nr. 5 AufenthG dar und hindert einen Anspruch auf Ausbildungsduldung daher nicht.
Selbst wenn der Antragsgegner darauf abstellt, die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen stünden in zeitlichen Zusammenhang zum Wegfall des Ausreisehindernisses, so kann diesem Argument nicht gefolgt werden. Nach Angaben des Antragsgegners waren Flugreisen in die Ukraine bereits ab dem 16.06.2020 wieder möglich. Der Antrag auf Luftabschiebung wurde jedoch erst über einen Monat später am 20.07.2020 gestellt.
2.2 Ein Anordnungsgrund wurde durch die Antragstellerin glaubhaft gemacht. Da der Antragsgegner die Antragstellerin bereits zur Luftabschiebung angemeldet hat und seit 16.06.2020 auch wieder Flüge in die Ukraine möglich sind, ist die Dringlichkeit der Entscheidung gegeben. Durch eine erfolgte Abschiebung in die Ukraine würde der Anspruch in der Hauptsache auf Erteilung einer Ausbildungsduldung vereitelt bzw. wesentlich erschwert werden.
3. Dem Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der Antragsgegner als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens trägt, stattgegeben.
4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Da vorliegend nur über das Absehen von Abschiebemaßnahmen und nicht über eine vorläufige Ausbildungsduldung zu entscheiden war, ist der hälftige Auffangwert anzusetzen (vgl. Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit „Abschiebung“). Der Streitwert ist gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf die Hälfte zu reduzieren.


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