Aktenzeichen M 18 E 15.5489
VwGO VwGO § 88, § 123
Leitsatz
Eine qualifizierte Inaugenscheinnahme im Rahmen des § 42f Abs. 1 S. 1 SGB VIII beschränkt sich nicht auf die Beurteilung des äußeren Erscheinungsbildes, inhaltlicher Angaben und des Verhaltens. Die Maßnahme ist vielmehr unter Berücksichtigung sämtlicher zur Verfügung stehender Erkenntnismittel, wie die Anhörung Beteiligter, Zeugen und Sachverständiger, die Beiziehung von Dokumenten und die Einholung von Auskünften zu verstehen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Antragsgegnerin wird einstweilen verpflichtet, den Antragsteller vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger und im Jahr 1999 geboren.
Am 13. November 2015 führten Mitarbeiter der Antragsgegnerin ein Alterseinschätzungsgespräch mit dem Antragsteller. Nach einem internen Vermerk der Antragsgegnerin vom 16. Dezember 2015 war der Antragsteller zu diesem Gespräch zusammen mit seinem in … lebenden Bruder … erschienen, der nur zu Beginn und am Ende des Gesprächs anwesend gewesen sei. Der Inhalt des Inobhutnahmegesprächs ist formularmäßig in Stichpunkten festgehalten. Hier findet sich auch ein Hinweis auf den in … lebenden Bruder. Für die Prüfung der Voraussetzungen für eine Inobhutnahme wurde eine Checkliste verwendet, die stichpunktartig ausgefüllt wurde. Diese Stichpunkte sind nur in der Kategorie „Äußere Merkmale der befragten Person“, nicht aber auch in der in der Checkliste ebenfalls vorgesehenen Kategorie „Hinweise, Widersprüche, Umstände, die bei der Befragung offenbar wurden“ zu finden. Als Gesamteindruck ist angegeben: „Wirkt vom äußeren Erscheinungsbild eher erwachsen, Angaben erscheinen plausibel“. Nach einem Formblatt (Festsetzung des Alters auf Grundlage des Erstgesprächs) wurde von der Antragsgegnerin das Geburtsdatum des Antragstellers auf den … 1997 festgesetzt. Auf dem Formblatt ist vermerkt, das Original sei an den jungen Menschen ausgehändigt worden. Die beim Behördenvorgang befindliche Kopie weist zusätzlich den handschriftlichen Vermerk „volljährig“ auf.
Nach dem internen Vermerk vom 16. Dezember 2015 hat der Antragsteller am 13. November 2015 einen Bescheid über die Ablehnung der Inobhutnahme erhalten, wogegen er am 7. Dezember 2015 Widerspruch erhoben hat. Bei den vorgelegten Behördenakten findet sich weder ein Bescheidentwurf noch ein Widerspruchsschreiben.
Mit Schreiben vom 7. Dezember 2015 erhob der Antragsteller Klage mit dem Ziel der Verpflichtung der Antragsgegnerin zu seiner Inobhutnahme (M 18 K 15.5488). Weiter beantragt der Antragsteller,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller bis zur endgültigen Klärung seines Alters in Obhut zu nehmen und in einer geeignet Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung bzw. in der Wohnung seines älteren Bruders unterzubringen.
Vorgelegt wurden als eidesstaatliche Erklärung überschriebene Stellungnahmen des Bruders … sowie eines weiteren in … lebenden Bruders, …, jeweils vom 7. Dezember 2015. Beide Brüder gaben an, sicher zu sein, dass der Antragsteller aktuell 16,5 Jahre alt sei. Zur Antragsbegründung wird im Übrigen ausgeführt, die Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten zur Altersfeststellung stehe noch aus, so dass eine Inobhutnahme anzuordnen sei.
Die interne Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 16. Dezember 2015 führt im Wesentlichen aus, aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes, der inhaltlichen Angaben sowie des gezeigten Verhaltens handle es sich beim Antragsteller zweifelsfrei um eine volljährige Person. Aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes sei geschlossen worden, dass es sich um einen volljährigen Mann handle. Die Angaben des Antragstellers zu seiner Familie seien zunächst zwar einigermaßen plausibel erschienen, nach einem Alterseinschätzungsgespräch mit einem Cousin des Antragstellers habe es jedoch Widersprüche gegeben. Der Antragsteller habe während des Gesprächs keine jugendlichen Verhaltensweisen gezeigt. Unter Berücksichtigung aller Aspekte (äußeres Erscheinungsbild, inhaltliche Angaben und Verhalten) sei davon auszugehen, dass es sich bei dem Antragsteller um eine volljährige Person handle.
Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2015 beantragte die Antragsgegnerin,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag sei schon unzulässig. Das Begehren des Antragstellers sei dahingehend auszulegen, dass er eine vorläufige Inobhutnahme begehre. Aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung der §§ 42a ff. SGB VIII werde deutlich, dass eine Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII durch das Zuweisungsjugendamt erst nach Erfolg der vorläufigen Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII durch das Aufgriffsjugendamt stattfinden könne. Auch der Antrag auf vorläufige Inobhutnahme sei aber unzulässig, da ihm das Rechtschutzbedürfnis fehle. Dem Antragsteller habe die Möglichkeit offen gestanden, nach § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII einen Antrag auf ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu stellen. Warum der Antragsteller die explizit vorgesehene Möglichkeit, eine ärztliche Untersuchung zu beantragen und damit zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen, verstreichen habe lassen, erschließe sich nicht. Der Antrag sei auch unbegründet, da der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch aus § 42a SGB VIII auf eine vorläufige Inobhutnahme habe. Die dafür erforderliche Minderjährigkeit des Antragstellers fehle, da die Antragsgegnerin die Volljährigkeit des Antragstellers in einem Altersfeststellungsverfahren im Sinne des § 42f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bestimmt habe. Das zugrundeliegende Gespräch sei von drei in Fragen der Feststellung des Lebensalters einer Person sehr erfahrenen Mitarbeitern durchgeführt worden. Die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung gemäß § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII sei vorliegend nicht zulässig gewesen, da eine solche nur in Zweifelsfällen zu erfolgen habe. Ein Zweifelsfall habe jedoch nicht vorgelegen, da die qualifizierte Inaugenscheinnahme eindeutig ergeben habe, dass der Antragsteller nicht minderjährig sei. Bei der Frage, ob ein Zweifelsfall vorliege, handle es sich um einen gerichtlich nur eingeschränkt auf Beurteilungsfehler überprüfbaren Beurteilungsspielraum. Diesen habe die Antragsgegnerin fehlerfrei ausgefüllt. Der Antragsteller habe auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Schließlich würde eine vorläufige Inobhutnahme im Rahmen des Antrags nach § 123 VwGO eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten.
Mit Schreiben vom 23. Dezember 2015 legte der Trägerkreis … e.V. eine Stellungnahme zur Person des Antragstellers vor. Auf den Inhalt dieser Stellungnahme wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstwilligen Anordnung ist zulässig.
1.1 Der Antragsgegnerin ist insoweit zuzustimmen, als sie vorbringt, dass das Begehren des Antragstellers entsprechend § 88 VwGO dahingehend auszulegen ist, dass er mit der einstweiligen Anordnung eine vorläufige Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII erreichen will, da ein Anspruch auf eine (endgültige) Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII offensichtlich ausscheidet.
Letzteres ergibt sich aus der zum 1. November 2015 neu eingeführten gesetzlichen Regelung des § 42a SGB VIII über die vorläufige Inobhutnahme. Zuständig für eine solche vorläufige Inobhutnahme ist das Jugendamt am Ort des sog. „Aufgriffs“ des Kindes oder Jugendlichen (vgl. BT-Drs. 18/5921 S. 23). Während der vorläufigen Inobhutnahme hat das Aufgriffsjugendamt die Einschätzung nach § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB VIII vorzunehmen. Nach § 42a Abs. 2 Satz 2 SGB VIII entscheidet dann das Aufgriffsjugendamt aufgrund des Ergebnisses dieser Einschätzung über die Anmeldung des Kindes oder des Jugendlichen zur Verteilung oder den Ausschluss der Verteilung. Nach § 42a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII umfasst in den Fällen, in denen das Kind oder der Jugendliche im Rahmen eines Verteilungsverfahrens untergebracht werden soll, die vorläufige Inobhutnahme auch die Pflicht, dem für die Inobhutnahme nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII zuständigen Jugendamt unverzüglich die persönlichen Daten zu übermitteln, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 42 SGB VIII erforderlich sind. Nach § 42a Abs. 6 SGB VIII endet die vorläufige Inobhutnahme u. a. mit der Übergabe des Kindes oder des Jugendlichen an das aufgrund der Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde nach § 88a Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zuständige Jugendamt oder mit der Anzeige nach § 42a Abs. 4 Satz 3 SGB VIII über den Ausschluss des Verteilungsverfahrens nach § 42b Abs. 4 SGB VIII.
Die vorgenannten Regelungen begründen ein chronologisch gestuftes System, dass zunächst nur eine vorläufige Inobhutnahme zulässt. Eine (endgültige) Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII durch das Aufgriffsjugendamt ist damit erst dann möglich, sobald das Kind oder der Jugendliche von der Verteilung ausgeschlossen ist. Wird das Kind oder der Jugendliche hingegen zur Verteilung angemeldet, kommt eine (endgültige) Inobhutnahme erst durch das Zuweisungsjugendamt in Betracht (vgl. auch BT-Drs. 18/5921 S. 24, bezüglich der Verpflichtung des Zuweisungsjugendamts unverzüglich nach der Verteilung).
1.2 Dem so verstandenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Inobhutnahme des Antragstellers fehlt nicht das Rechtschutzbedürfnis. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist insoweit ein vorheriger Antrag des Betroffenen auf eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung nach § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII nicht erforderlich.
Nach § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII hat das Jugendamt auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder von Amts wegen in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift setzt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung einen Antrag des Betroffenen nicht zwingend voraus, sondern verpflichtet auch das Jugendamt zur Veranlassung einer solchen Maßnahme. Der Antrag des Betroffenen und die Veranlassung durch das Jugendamt von Amts wegen stehen also gleichwertig nebeneinander und sind jeweils nur an die gleiche Tatbestandsvoraussetzung – das Vorliegen eines Zweifelfalls – geknüpft.
2. Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass der Antragssteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft machen können.
2. 1. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Nach § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen vorläufig in Obhut zunehmen, sobald dessen unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird. Nach §§ 42a Abs. 1 Satz 2, 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII umfasst die Inobhutnahme die Befugnis, ein Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen.
Anspruchsberechtigt nach den vorgenannten Normen sind ausschließlich Kinder und Jugendliche. Eine Inobhutnahme Volljähriger wäre rechtswidrig (vgl. BayVGH vom 23.9.2014 Az. 12 CE 14.1833 und 12 CE 14.1865 – juris, Rn. 21). Nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII ist im Sinn des SGB VIII Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist.
Nach § 42f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hat das Jugendamt im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme der ausländischen Person gemäß § 42a SGB VIII deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen. Nach § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII hat das Jugendamt auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder von Amts wegen in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen.
Vorliegend hat die Antragsgegnerin sich im Rahmen des § 42f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII für die Durchführung einer qualifizierten Inaugenscheinnahme entschieden. Diese wurde indessen nicht vollständig durchgeführt, so dass die Antragsgegnerin nicht rechtsfehlerfrei über das Vorliegen eines Zweifelsfalls im Sinn von § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII entscheiden konnten.
Nach der Intention des Gesetzgebers (BT-Drs. 18/6392 S. 20) würdigt eine qualifizierte Inaugenscheinnahme den Gesamteindruck, der neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand umfasst. Daneben kann zu einer qualifizierten Inaugenscheinnahme im Sinn der Vorschrift auch gehören, Auskünfte jeder Art einzuholen, Beteiligte anzuhören, Zeugen und Sachverständige zu vernehmen oder die schriftliche oder elektronische Äußerung der Beteiligten, Sachverständigen und Zeugen einzuholen sowie Dokumente, Urkunden und Akten beizuziehen.
Eine qualifizierte Inaugenscheinnahme beschränkt sich also nicht auf die Beurteilung des äußeren Erscheinungsbildes, der inhaltlichen Angaben und des Verhaltens. Die Maßnahme ist vielmehr umfassend, also unter Berücksichtigung sämtlicher zur Verfügung stehender Erkenntnismittel zu verstehen. Diesen Vorgaben ist die Antragsgegnerin vorliegend nicht gerecht geworden.
Aus dem internen Aktenvermerk vom 16. Dezember 2015 ergibt sich, dass der Antragsteller zusammen mit seinem Bruder zum Alterseinschätzungsgespräch erschienen war; dieser in … lebende Bruder ist auch in der Dokumentation zur Befragung des Antragstellers genannt. Es wäre daher geboten gewesen, den ohnehin anwesenden Bruder des Antragstellers zu dessen Alter zu befragen. In dem die Antragsgegnerin dies unterlassen hat, hat sie es versäumt, eine umfassende qualifizierte Inaugenscheinnahme durchzuführen.
§ 42f SGB VIII legt in seinen Absätzen 1 und 2 ein gestuftes System zur Altersbestimmung fest. Danach ist zunächst – von der vorliegend nicht relevanten Einsichtnahme in Ausweispapiere abgesehen – eine qualifizierte Inaugenscheinsnahme durchzuführen. In Zweifelfällen – wenn also nach der qualifizierten Inaugenscheinnahme noch Zweifel bestehen – ist dann als zweiter Schritt eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen, wobei dem Jugendamt kein Ermessen eingeräumt ist, wie der Wortlaut („hat“) der Vorschrift zeigt. Um ordnungsgemäß beurteilen zu können, ob die qualifizierte Inaugenscheinnahme noch Zweifel offen lässt, ist es aber erforderlich, dass diese qualifizierte Inaugenscheinnahme umfassend und vollständig durchgeführt wurde. Daran fehlt es vorliegend, da im Rahmen der qualifizierten Inaugenscheinnahme nicht sämtliche zur Verfügung stehende Erkenntnismittel – wie ausgeführt – ausgeschöpft wurden.
Die nicht ordnungsgemäß durchgeführte Alterseinschätzung genügt, um einen Anordnungsanspruch auf Inobhutnahme glaubhaft machen zu können.
Lässt sich eine verlässliche Klärung des Alters nicht zugleich herbeiführen, so hat das Jugendamt im Zweifel, wenn das Vorliegen von Minderjährigkeit nicht sicher ausgeschlossen werden kann, eine Inobhutnahme gleichwohl anzuordnen, bis das tatsächliche Alter des Betroffenen festgestellt ist (vgl. BayVGH vom 23.9.2014 a. a. O., Rn. 23). Nichts anderes kann gelten, wenn ein gesetzlich vorgegebenes Alterseinschätzungsverfahren unvollständig durchgeführt wurde.
Für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs kommt es vorliegend nicht mehr darauf an, ob ein Zweifelsfall im Sinn des § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII gegeben ist. Daher ist nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Auffassung der Antragsgegnerin, diese Frage sei nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar, weder im Wortlaut des Gesetzes noch in dessen amtlicher Begründung eine Stütze findet. Ohne dass dies in einem Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes abschließend zu klären wäre, handelt es sich bei dem Tatbestandsmerkmal des Zweifelfalls um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der voller gerichtlicher Überprüfung unterliegt.
2. 2 Der Antragsteller konnte auch den erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft machen.
Der Antragsteller kann nicht darauf verwiesen werden, bis zur ordnungsgemäß durchgeführten Alterseinschätzung einstweilen in einer Asylbewerberunterkunft für Erwachsene zu verbleiben, da eine Unterbringung dort und eine solche in einer Jugendhilfeeinrichtung oder in einer Pflegefamilie nicht annähernd gleichwertig sind (BayVGH vom 23.9.2014 a. a. O. Rn. 27).
2. 3 Es liegt auch keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vor.
Eine die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmende einstweilige Anordnung kann nur ausnahmsweise getroffen werden, wenn der Antragsteller eine Entscheidung in der Hauptsache nicht rechtzeitig erwirken kann und sein Begehren schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes anzustellenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten bei Anlegung eines strengen Maßstabs erkennbar Erfolg haben muss (BVerwG vom 13.8.1999 Az. 2 VR 1/99-juris, Ls. 1; BayVGH vom 28.4.2014 Az. 3 CE 13.2600-juris, Rn. 32). Einem auf Vorwegnahme der Hauptsache gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist aber dann stattzugeben, wenn das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache für den Antragsteller unzumutbar wäre (BVerwG vom 21.1.1999 Az. 11 VR 8/98-juris, Rn. 5, m.w.N). Letzteres ist in auf einstweilige Inobhutnahme gerichteten Verfahren anzunehmen (vgl. BayVGH vom 23.9.2014 a. a. O. Rn. 28).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.