Verwaltungsrecht

Anspruch auf weitere Teilnahme an der Referendarausbildung im Rahmen einer „Hospitation“

Aktenzeichen  M 5 E 18.807

Datum:
9.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 4798
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 35 S. 1

 

Leitsatz

Einem Lehramtsbewerber darf die weitere Teilnahme an der Referendarausbildung im Rahmen einer „Hospitation“ wegen Zweifeln an dessen Verfassungstreue nicht untersagt werden, wenn ihm ein Anspruch auf Absolvieren der Ausbildung im Angestelltenverhältnis zur Seite steht. (Rn. 14)

Tenor

Mit Bescheid vom 12. Februar 2018 lehnte die Regierung von Oberbayern den Antrag des Klägers auf Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Mittelschulen und Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf mit Ernennung zum Lehramtsanwärter ab. Der Antragsteller biete nicht die Gewähr dafür, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten. Er sei von 2012 bis 1. April 2017 Mitglied der Organisation DIE LINKE.SDS – dort ca. sechs Monate im Bundesvorstand – und Linksjugend (`solid) gewesen und habe sich nicht hinreichend von diesen Aktivitäten distanziert. Um das Ausbildungsziel bis zur abschließenden Prüfung seiner Verfassungstreue nicht zu gefährden, habe der Antragsteller seit 11. September 2017 freiwillig ohne Anspruch auf Anwärterbezüge im Unterricht hospitiert und an den Seminarveranstaltungen teilgenommen. Es wurde darauf hingewiesen, dass bis zur Bestandskraft des Bescheids die „Hospitation“ im bisherigen Rahmen erfolgen könne, sofern der Antragsteller das wünsche.
Mit Schreiben vom 20. Februar 2018 wies die Regierung von Oberbayern den Antragsteller darauf hin, dass die „Hospitation“ bis zum Ablauf des 28. Februar 2018 erfolgen könne.
Der Antrag, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten die Hospitation zunächst bis zum Ende des Schuljahres 2017/18 vorläufig weiterhin zuzulassen, war erfolgreich.

Gründe

Der zulässige Antrag ist begründet.
1. Vorliegend ist der Verwaltungsrechtsweg zulässig. Denn es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art (§ 40 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das Schreiben der Regierung von Oberbayern vom 20. Februar 2018 stellt die Entscheidung einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts dar. Denn die Teilnahme an den Veranstaltungen des Vorbereitungsdiensts auf Duldungsbzw. Kulanzbasis („Hospitation“) ist insbesondere keine privatrechtliche Maßnahme, sondern eine ausdrücklich durch eine Behörde ergangene Entscheidung in dem Bewusstsein, dass sie die insoweit das staatliche Ausbildungsmonopol für Lehrer inne hat.
2. Ein Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist statthaft. Denn das Schreiben vom 20. Februar 2018 stellt keinen Verwaltungsakt im Sinn des Art. 35 Satz 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) dar. Es beinhaltet materiell keine nach außen gerichtete Regelung. Denn die Regierung beabsichtigte damit lediglich das Ende einer nicht weiter statusmäßig bestimmten Kulanzmaßnahme. Es soll vielmehr eine Änderung der bisherigen freiwilligen Teilnahme am Vorbereitungsdienst handeln. Diese ist nicht im verfügenden Teil des Bescheids vom 12. Februar 2018 genannt sowie als Hinweis umschrieben und ansonsten nur in einem Schreiben der Regierung an das zuständige Staatsministerium vom 5. Februar 2018 erwähnt. Auch formal ist das Schreiben nicht als Verwaltungsakt abgefasst. Insbesondere fehlt eine klare, abgrenzbare Regelung wie auch eine Rechtsbehelfsbelehrung:.
3. Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, das heißt ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, das heißt die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Der Antragsteller hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen.
4. Dem Antrag fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis.
Der Gedanke, dass es sich bei der Zulassung zur Teilnahme an den Veranstaltungen des Vorbereitungsdienstes für Lehramtsanwärter („Hospitation“) nur um ein rechtlich ungeregeltes, kulanzweises Verwaltungshandeln handelt, hinsichtlich dessen Aufrechterhaltung kein Rechtsanspruch bestehen könnte, kann dem Rechtsschutzbedürfnis nicht entgegengehalten werden. Denn faktisch konnte der Antragsteller seinen Vorbereitungsdienst von der Tätigkeit her beginnen. Das war von der Regierung ausdrücklich auch zur Vermeidung von Härten bis zur abschließenden Prüfung der Verfassungstreue beabsichtigt. Das war auch mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt und erforderlich. Ansonsten würde der Bewerber, der die Lehrbefähigung für das Lehramt (hier: an Mittelschulen) erwerben will, von der Berufsausbildung ausgeschlossen. Entsprechend kann er mit Blick auf den Gehalt des Grundrechts eine Fortsetzung der Kulanzregelung beanspruchen und auch gerichtlich geltend machen.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei einer staatlichen Monopolausbildung – wie hier der Ausbildung von Lehramtsanwärtern – Bewerber, die nach Ansicht des Dienstherrn nicht die Gewähr für das jederzeitige Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung bieten, einen Anspruch auf Ableistung des Vorbereitungsdienstes außerhalb des Beamtenverhältnisses haben, auch wenn das nicht ausdrücklich geregelt ist (BAG, U.v. 1.10.1986 – 7 AZR 383/85 – BAGE 53, 137, juris Rn. 26 ff. m.w.N.). Ein Verweis darauf, dass der Antragsteller anstatt die „Hospitation“ fortzusetzen, den Vorbereitungsdienst im Angestelltenverhältnis absolvieren könne, kann dem Rechtsschutzbegehren nicht entgegen gehalten werden. Die Fortsetzung der Ausbildung im Angestelltenverhältnis ist – soweit ersichtlich – dem Antragsteller nicht angeboten worden.
Wenn dem Antragsteller faktisch die Aufnahme seiner Ausbildung erlaubt wurde, darf er nicht nach Ableistung eines erheblichen Teils – hier mit sechs Monaten etwa ein Viertel der Gesamtdauer von 24 Monaten – aus der begonnenen Ausbildung „herausgerissen“ werden. Das gilt jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass der Bewerber seine schulpraktische Tätigkeit im Vorbereitungsdienst dazu missbrauchen könnte, die Schüler gegen die Verfassung zu beeinflussen (BAG, a.a.O., Rn. 41).
4. Ein Anordnungsgrund – das Bedürfnis für eine eilige Entscheidung des Gerichts – folgt aus dem Umstand, dass der Antragsteller bei einer Beendigung der „Hospitation“ seine Ausbildung nicht fortsetzen könnte und der bislang abgeleistete Ausbildungsabschnitt wertlos würde.
5. Dem Antragsteller steht auch ein Anordnungsanspruch zu Seite.
Wie bereits oben dargelegt, besteht auf verfassungsrechtlicher Grundlage (Art. 33 Abs. 2, 12 Abs. 1 GG) ein Anspruch auf Ableistung des Vorbereitungsdienstes auch ohne Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf. Die verfassungsrechtlich gebotene Bereitstellung eines gleichwertigen, nicht diskriminierenden Vorbereitungsdienstes außerhalb des Beamtenverhältnisses erfordert keine gesetzliche Grundlage. Daher kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass der Vorbereitungsdienst im Beamtenverhältnis auf Widerruf abgeleistet wird (§ 1 Abs. 2 Satz 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 der Zulassungs- und Ausbildungsordnung für das Lehramt an Grundschulen und das Lehramt an Mittelschulen/ZALGM in der Fassung der Bekanntmachung vom 29.9. 1992, zuletzt geändert durch Verordnung vom 22.7.2014) und der Abschluss eines privatrechtlichen Ausbildungsvertrags in der einschlägigen Ausbildungsordnung nicht vorgesehen ist (BAG, a.a.O., Rn. 36 ff.).
Es liegen auch keine Anhaltspukte dafür vor, dass der Antragsteller seine schulpraktische Tätigkeit im Vorbereitungsdienst dazu missbrauchen könnte, die Schüler gegen die Verfassung zu beeinflussen (BAG, a.a.O., Rn. 41). Im Gespräch am. 11. Januar 2018 hat er vielmehr ausdrücklich angegeben, dass er im Unterricht seine politische Einstellung nicht einbringen und sich streng an den Lehrplan halten würde. Im Rahmen der bisher erfolgten „Hospitation“ ist auch nichts Gegenteiliges bekannt geworden. Das wird durch die den Antragsteller betreuende Seminarrektorin im Schreiben vom 22. Februar 2018 unterstrichen.
Die Möglichkeit zur Ableistung des Vorbereitungsdienstes im Angestelltenverhältnis muss nicht erst dann gegeben sein, wenn feststeht oder sich der Lehramtsbewerber mit der Bewertung des Dienstherrn abfindet, dass dem Bewerber die für die Berufung in ein Beamtenverhältnis erforderliche Verfassungstreue fehlt. Das hat aufgrund des Gewichts der Art. 33 Abs. 2, 12 Abs. 1 GG auch bereits dann zu gelten, wenn der Dienstherr die Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf wegen entsprechender Zweifel am jederzeitigen Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt und diese Entscheidung umstritten ist.
Wenn der Antragsteller bis zur Klärung der Frage, ob er einen Anspruch auf Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf hat, die Ableistung des Vorbereitungsdienstes in einem Angestelltenverhältnis beanspruchen könnte, dann ist ihm jedenfalls die im Rahmen der „Hospitation“ eingeräumte Möglichkeit, die Ausbildung faktisch zu beginnen, ebenfalls weiter zu ermöglichen. Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsteller (wie im Schriftsatz der Regierung vom 1. März 2018 ausgeführt) die verpflichtenden Aufgaben eines Lehramtsanwärters freiwillig und nur in eingeschränktem Umfang wahrnimmt. Denn es soll ihm – nach der Intention der Regierung – die Verfolgung des Ausbildungsziels ermöglicht werden. Damit handelt es sich um einen Teil des Anspruchs, der von dem dargestellten Angestelltenverhältnis umfasst wäre. Kann der Bewerber die Ableistung des Vorbereitungsdienstes im Angestelltenverhältnis beanspruchen, dann stehen ihm auch isolierte Teile dieses Verhältnisses zu, die durch die Ausbildungsbehörde im Rahmen einer Duldungs- oder Kulanzregelung ermöglicht wurden. Das gilt insbesondere dann, wenn diese Teile zunächst durch die Ausbildungsbehörde ausdrücklich und über einen längeren Zeitraum bewusst zugelassen und später wieder aufgehoben werden.
6. Angesichts der überragenden Bedeutung des Gehalts des Art. 12 Abs. 1 GG für den Bewerber um eine Ausbildung, die nur der Staat gewährleistet, fällt auch eine Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus. Denn die vom Antragsteller begonnene Ausbildung durch faktisches Beginnen des Vorbereitungsdienstes muss er auch weiterführen können. Ansonsten würde er nach Ableistung eines erheblichen Teils – hier mit sechs Monaten etwa ein Viertel der Gesamtdauer von 24 Monaten – aus der begonnenen Ausbildung „herausgerissen“ und seine bislang abgeleistete Ausbildung weitgehend wertlos.


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