Verwaltungsrecht

Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  M 28 K 16.36048

Datum:
16.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30598
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a, § 3b Abs. 1 Nr. 2, § 3c Nr. 1, § 3e
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7
GG Art. 16a

 

Leitsatz

1. Eine aktiv und offen gelebte Konversion von Muslimen zu einer anderen Religion wird bei deren Bekanntwerden als Abfall vom islamischen Glauben aufgefasst und kann deshalb zu gravierenden Verfolgungsmaßnahmen bis hin zu einer Anklage wegen Apostasie oder eines Sicherheitsdelikts und Sanktionen bis hin zur Todesstrafe führen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Einzelfall kann muslimischen Konvertiten zur Religion Al-e Haqq, die ihren Glauben aktiv und öffentlich leben, landesweit staatlicherseits asylerhebliche Verfolgung drohen.  (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 7. Dezember 2016 wird in den Nrn. 1. und 3. bis 6 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist im Hauptantrag begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG. Der Bescheid vom 7. Dezember 2016 war deshalb in Ziffern 1. und 3. bis 6. aufzuheben (hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG in Ziffer 2. des Bescheids vom 7. Dezember 2016 ist dieser mangels Verpflichtungsantrag bestandskräftig geworden; ohnehin wäre eine Klage insoweit allein deshalb ohne Erfolg geblieben, weil der Kläger nach eigenem Vortrag u.a. Griechenland, Kroatien, Slowenien und Österreich und damit über sichere Drittstaaten nach Deutschland gelangt ist, Art. 16 a Abs. 2 GG i.V.m. § 26 a Abs. 1 und 2 AsylG). Da die Klage bereits im Hauptantrag Erfolg hatte, war über die Hilfsanträge nicht mehr zu entscheiden.
Der Kläger hat Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§§ 3 ff. AsylG), weil er sich zur Überzeugung des Gerichts aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion Ahl-e Happ (auch Yaresan genannt) außerhalb seines Heimatlandes Iran befindet und ihm im Iran auch kein interner Schutz zur Verfügung steht. Gemessen an den vorliegenden Erkenntnismitteln kann im Iran im konkreten Einzelfall muslimischen Konvertiten zur Religion Ahl-e Haqq, die ihren neuen Glauben aktiv und öffentlich leben, landesweit staatlicherseits asylerhebliche Verfolgung drohen (sogleich 1.). Im Fall des Klägers ist auch davon auszugehen, dass dieser tatsächlich und aufgrund einer identitätsprägenden inneren Glaubensüberzeugung zur Religion Ahl-e Haqq konvertiert ist und seinen neuen Glauben im Iran aktiv und offen leben will, mithin in seinem Einzelfall eine begründete Furcht vor einer Verfolgung besteht (sogleich 2.). Unbeschadet dieses Ergebnisses kommt noch hinzu, dass der Kläger vorverfolgt aus dem Iran ausgereist war, was die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr in den Iran überobligatorisch weiter erhöht (sogleich 3.). Inwieweit dem Kläger auch allein wegen seiner Tätigkeit für die Bewegung Erfan-e Halgeh im Iran eine asylerhebliche Verfolgung drohte, kann bei diesem Ergebnis dahingestellt bleiben.
1. Gemessen an den ins Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln (Berichte des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 9. Dezember 2015, S. 15 f., sowie vom 8. Dezember 2016, S. 10; Ministry of Immigration and Integration, The Danish Immigration Service, Iran: The Yaresan, vom 6. April 2017; Gutachten zu Ahl-e Haqq des Dr. Thielemann, Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa, vom 9. August 2013; Accord, Anfragebeantwortung zum Iran: 1) Diskriminierung und Übergriffe gegen die religiöse Minderheit der Yaresan oder Ahl-e Haq; 2) Konzepte der Seelenwanderung und Epochenlehre der Yaresan, vom 3. August 2012) kann im Iran im konkreten Einzelfall muslimischen Konvertiten zur Religion Ahl-e Haqq (auch Yaresan genannt), die ihren neuen Glauben aktiv und öffentlich leben, landesweit staatlicherseits asylerhebliche Verfolgung (§§ 3 ff. AsylG) drohen.
Bei den Ahl-e Haqq handelt es sich um eine religiöse Minderheit, die im Iran vor allem in der Provinz K. beheimatet ist. Diese Minderheit, deren Größe auf zwischen einer und vier Millionen Menschen geschätzt wird, wird vom iranischen Staat insoweit allgemein diskriminiert, als jedenfalls die traditionalistischen Ahl-e Haqq staatlicherseits zu einer Anpassung an den Islam gedrängt werden und diese zur Vermeidung einer Diskriminierung ihre religiöse Identität und ihren Glauben oftmals für sich behalten und sich in der Öffentlichkeit wie Muslime verhalten müssen. Im Einzelfall werden vor allem öffentlich aktive und profilierte Angehörige der Ahl-e Haqq staatlicherseits unter Druck gesetzt, verhört oder festgenommen (zum Ganzen: Ministry of Immigration and Integration, The Danish Immigration Service, Iran: The Yaresan, vom 6. April 2017, S. 4 – 9).
Wie in Bezug auf andere Religionen (wie z.B. das Christentum oder die Bahai) auch ist es Muslimen im Iran strikt verboten, zum Glauben der Ahl-e Haqq überzutreten und diesen aktiv und offen zu praktizieren. Eine solche aktiv und offen gelebte Konversion von Muslimen zu einer anderen Religion wird bei deren Bekanntwerden als Abfall vom islamischen Glauben aufgefasst und kann deshalb zu gravierenden Verfolgungsmaßnahmen bis hin zu einer Anklage wegen Apostasie oder eines Sicherheitsdelikts und Sanktionen bis hin zur Todesstrafe führen (Berichte des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 9. Dezember 2015, S. 15 f., sowie vom 8. Dezember 2016, S. 10; Ministry of Immigration and Integration, The Danish Immigration Service, Iran: The Yaresan, vom 6. April 2017, S. 10, wobei zu letzterem Erkenntnismittel anzumerken ist, dass die von Ahl-e Haqq auf Wunsch des muslimischen Apostaten grundsätzlich akzeptierte Konversion wegen der deshalb drohenden gravierenden Konsequenzen eine Ausnahme sein mag, jedoch – wie der vorliegende Fall zeigt – keineswegs ausgeschlossen ist).
Bei den mithin aktiv und offen zu Ahl-e Haqq konvertierten Muslimen drohenden staatlichen Strafverfolgungsmaßnahmen handelt es sich zweifellos um eine Verfolgung in Gestalt asylerhebliche Verfolgungshandlungen (§ 3a AsylG), die an den Verfolgungsgrund „Religion“ (§ 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG) anknüpfen, vom Staat als Akteur (§ 3c Nr. 1 AsylG) ausgehen und hinsichtlich der angesichts der landesweit drohenden staatlichen Verfolgung kein interner Schutz (§ 3e AsylG) zur Verfügung steht.
2. Im konkreten Einzelfall des Klägers ist zur Überzeugung des Gerichts bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände davon auszugehen, dass dieser tatsächlich vom Islam zur Religion Ahl-e Haqq konvertiert ist und seinen neuen Glauben im Iran auch aktiv und offen leben will, mithin in seinem Einzelfall eine begründete Furcht vor einer Verfolgung besteht. Der Übertritt des Klägers zu Ahl-e Haqq und seine Betätigung dieses Glaubens beruht zur Überzeugung des Gerichts auf dessen ernsthafter und dauerhafter identitätsprägender innerer Glaubensüberzeugung.
Vergleichbar zu der von iranischen Asylbewerbern häufig vorgetragen Konversion zum Christentum (siehe dazu: BVerwG, B. v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – juris Rn. 9 ff. m.w.N.; BayVGH, B. v. 7.11.2016 – 14 ZB 16.30380 – juris Rn. 7 ff., 12, B. v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris Rn. 5 ff. m.w.N.; OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 10.2.2017 – 13 A 2648/16.A – juris Rn. 11 f., B. v. 27.4.2015 – 13 A 440/15.A – juris Rn. 10 ff. m.w.N., B. v. 24.5.2013 – 5 A 1062/12.A – juris Rn. 8 ff. m.w.N.; U. v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 37 ff. m.w.N; OVG Lüneburg, B. v. 16.9.2014 – 13 LA 93/14 – juris Rn. 4 ff. m.w.N.; VGH BW, B. v. 23.4.2014 – A 3 S 269/14 – juris Rn. 6 m.w.N.) setzt die Annahme einer Verfolgungsgefährdung wegen der Konversion eines Muslimen zu Ahl-e Haqq voraus, dass die vorgetragene Hinwendung des Asylsuchenden zu der angenommenen Religion zur vollen Überzeugung des Gerichts auf einer inneren Glaubensüberzeugung beruht, mithin eine ernsthafte, dauerhafte und nicht lediglich auf Opportunitätserwägungen oder asyltaktischen Gründen beruhende Hinwendung zu Ahl-e Haqq vorliegt und der neue Glaube die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt. Hierzu gehört auch, aber nicht nur, dass dem Konvertiten die wesentlichen Grundelemente seiner neuen Religion vertraut sind, wobei seine Persönlichkeit und seine intellektuellen Fähigkeiten zu berücksichtigten sind. Wie bei der christlichen Taufe auch genügt allein der formale Übertritt zu Ahl-e Haqq nicht. Eine beachtliche Verfolgungsgefährdung lässt sich ferner auch nicht allein daraus ableiten, dass sich der Asylsuchende in Deutschland religiös betätigt hat, selbst wenn dies öffentlich (z.B. im Internet) bekannt geworden ist. Das Gericht muss vielmehr die volle Überzeugung gewinnen, dass der Asylsuchende die religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfindet. Es muss davon ausgehen können, dass der Asylsuchende seinen neuen Glauben in einer Weise verinnerlicht hat, dass es ihm ein tief empfundenes Bedürfnis ist, diesen Glauben auch im Fall der Rückkehr in das Herkunftsland ungehindert leben zu können. Hingegen ist nicht zu erwarten, dass ein Asylsuchender nach der Rückkehr in sein Herkunftsland eine Religion aktiv lebt, die er nur vorgeblich, oberflächlich oder aus asyltaktischen Gründen angenommen hat.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist im Fall des Klägers bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung, zur Überzeugung des Gerichts davonauszugehen, dass dieser tatsächlich schon im Iran zu Ahl-e Haqq konvertiert wr, diese Konversion auf einer identitätsprägenden inneren Glaubensüberzeugung beruhte und er seinen neuen Glauben im Iran tatsächlich aktiv und offen leben will. Im Einzelnen:
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht nachvollziehbar und glaubwürdig erläutern können, wie es dazu gekommen war, dass er sich bereits im Iran der Religion Ahl-e Haqq zugewandt hatte: Danach hat sich der erste Kontakt über das bei den Ahl-e Haqq verbreitete Musikinstrument Tambur ergeben (SP S. 20). In Übereinstimmung dazu hatte der Kläger bereits beim Bundesamt vorgetragen, er sei dadurch zu Ahl-e Haqq gekommen, dass er das gleiche Musikinstrument wie der Gelehrte Seyed Khalil Alinejad gespielt habe (Bl. 3 BA). Vor allem hat der Kläger dann auch zumindest im Ansatz deutlich machen können, aufgrund welcher Beweggründe er bei Ahl-e Haqq geblieben ist, nämlich nicht nur, weil er sich dort wie bei seiner „wirklichen Familie und „zu Hause“ gefühlt hatte, sondern auch weil ihn beeindruckt hatte, dass die Ahl-e Haqq ihren Überzeugungen folgen und er selbst genauso freidenkend über seinen Weg entscheiden wollte (SP S. 20 f., vgl. a. SP S. 9).
Dem Kläger kann auch geglaubt werden, dass er tatsächlich bereits im Iran Mitglied der Ahl-e Haqq geworden war. Ein derartiger Übertritt zu den Ahl-e Haqq ist gemessen an den Erkenntnismitteln (Ministry of Immigration and Integration, The Danish Immigration Service, Iran: The Yaresan, vom 6. April 2017, S. 10) selbst bei den traditionellen Gruppen, wenn auch nur ausnahmsweise, so aber doch auf Wunsch des Betroffenen grundsätzlich möglich. Der Kläger hat hierzu plausibel und lebensnah vorgetragen, dass er zunächst einige religiöse Lehren, einige Instrumente und Gebete erlernen musste. Danach musste er einen Meister finden, der den Übertritt zu Ahl-e Haqq akzeptiert. Erst 1384/1385 (2007/2008) sei er als Mitglied der Ahl-e Haqq akzeptiert worden (SP S. 21). Im weiteren Verlauf hat der Kläger dann auch den Ablauf und die Bedeutung der Feierlichkeit, wenn jemand Mitglied wird, substantiiert darlegen können (SP S. 22). Auf Vorhalt konnte der Kläger den scheinbaren Widerspruch zu seiner Angabe beim Bundesamt, der formale Übertritt habe noch nicht stattgefunden (Bl. 3 BA), schließlich dahingehend auflösen, dass damit gemeint gewesen sei, dass er selbst zwar Mitglied, aber noch kein Meister geworden sei (SP S. 21), was wiederum mit seinen weiteren Angaben zu seinem Meister in Deutschland (vgl. SP S. 24 f.) im Einklang steht.
Der Kläger konnte auch substantiiert darlegen, dass und wie er seinen neuen Glauben bereits im Iran ausgeübt hatte: So erwähnte er etwa seine Teilnahme an dem dreitägigen Fasten im Monat Aban (SP S. 21). Die Existenz dieses Festes ergibt sich auch aus den Erkenntnismitteln (Gutachten zu Ahl-e Haqq des Dr. Thielemann, a.a.O., S. 2, Bl. 126 BA). Ebenso in Übereinstimmung mit den Erkenntnismitteln (Gutachten zu Ahl-e Haqq des Dr. T., a.a.O., S. 2, Bl. 126) berichtete der Kläger darüber hinaus von seiner Teilnahme an Zusammenkünften u.a. mit Musikbegleitung im Umfang von bis zu zehn Mal pro Jahr sowie von dem sog. Hahnenopfer (SP S. 21 f.). Nachweisen konnte der Kläger durch die zunächst als Kopie und in der mündlichen Verhandlung dann im Original vorgelegten Fotos, dass er mindestens zweimal an der Gedenkfeier in K. für den getöteten Gelehrten der Ahl-e Haqq Seyed Khalil Alinejad am 27. Aban (18. November) teilgenommen hatte. Diese Fotos zeigen unzweifelhaft, dass der Kläger an diesen Veranstaltungen, die genauso unzweifelhaft mit Seyed Khalil Alinijad in Zusammenhang standen, teilgenommen hatte. Der Kläger konnte auf Vorhalt auch plausibel erklären, wie er in Besitz dieser Fotos gelangt war. Ferner konnte er auf weiteren Vorhalt überzeugend darlegen, dass seine unterschiedliche Bekleidung auf diesen Fotos damit erklärt werden kann, dass diese – entgegen der wohl irrtümlichen Darstellung des Asylhelfers in den mit Schreiben vom 2. November 2016 vorgelegten Unterlagen – aus verschiedenen Jahren stammen (zum Ganzen SP S. 9 f.). Auch diverse weitere, vom Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Fotos, welche den Kläger im Kreis von anderen Gläubigen der Ahl-e Haqq-Religion zeigen, streiten für eine Teilnahme des Klägers an Veranstaltungen der Ahl-e Haqq. Schließlich konnte der Kläger auch stimmig darlegen, dass und wie er in Deutschland seinen Ahl-e Haqq-Glauben in seinem privaten Leben betätigt (SP S. 24 f.). Für die Glaubwürdigkeit seiner Angaben spricht, dass er von sich aus eingeräumt hat, in Deutschland nicht mehr an offiziellen Veranstaltungen der Ahl-e Haqq teilgenommen zu haben (SP S. 22). Er hat auf Vorhalt auch überzeugend darlegen können, dass dies nicht etwa aus mangelndem Interesse geschehen ist, sondern mit einer zu geringen Zahl von Ahl-e Haqq-Anhängern in Süddeutschland bzw. zu hohen Fahrtkosten zu seinem Meister in Kiel zusammenhängt (SP S. 23 f.). Substantiiert und glaubwürdig konnte er auch angeben, dass und wie er mit seinem Meister in Deutschland in Kontakt steht (SP S. 24 f.), und wo in Deutschland es Gebetsstätten der Ahl-e Haqq gibt (SP S. 23 f.), was sein fortbestehendes Interesse für seinen neuen Glauben zusätzlich belegt.
Auf eine identitätsprägende innere Glaubensüberzeugung weist auch das Wissen des Klägers über den Glauben der Ahl-e Haqq hin: So nannte er etwa korrekt die auch in den Erkenntnismitteln (Accord, a.a.O., S. 3, Bl. 123 BA) erwähnten vier wichtigen Prinzipien der Ahl-e Haqq (SP S. 22). Verständig erläutern konnte der Kläger ferner das gemäß den Erkenntnismitteln (Accord, a.a.O., S. 3, Bl. 123 BA; Gutachten zu Ahl-e Haqq des Dr. T., a.a.O., S. 2, Bl. 126) bestehende Konzept der Seelenwanderung (SP S. 22 f.). Auskunft geben konnte er außerdem zur Art und Weise des Betens der Ahl-e Haqq und zu Sultan Sohak (SP S. 23; vgl. zur Person des Sultan Sohak und seiner Bedeutung für die Ahl-e Haqq das Gutachten des Dr. T., a.a.O., S. 2, Bl. 126).
Der Annahme einer identitätsprägenden inneren Glaubensüberzeugung hinsichtlich Ahl-e Haqq steht nicht entgegen, dass der Kläger sich zudem auch der Bewegung Erfan-e Halgeh zugehörig fühlt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass es für ihn bei Erfan-e Halgeh um Mystik gehe, die keinen Konflikt mit irgendeiner Religion habe, an den Kursen im Iran hätten deshalb auch z.B. Bahais oder Atheisten teilgenommen (SP S. 2 f.). Diese klägerische Einlassung steht im Einklang mit den ins Verfahren einbezogenen Erkenntnismitteln, wonach Erfan-e Halgheh die mystischen Konzepte in Bezug auf alle Menschen untersuche, daher könne jede und jeder unabhängig von Rasse, Nationalität, Religion und persönlichem Glauben die Theorien von Erfan-e Halgeh empfangen, die Anhänger sähen Erfan-e Halgheh nicht als Widerspruch zu traditionellen Glaubensrichtungen (Schnellrecherche der Schweizerische Flüchtlingshilfe-Länderanalyse vom 12. Dezember 2016 zu Iran, Verfolgung von Mitgliedern der Gruppe Erfan-e Halgeh (Interuniversalismus), S. 2).
Das Gericht glaubt dem Kläger schließlich auch, dass er seinen Ahl-e Haqq-Glauben im Falle einer Rückkehr in den Iran (erneut) aktiv und offen leben wollte: Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung bekundet, dass er versuchen würde, an allen Veranstaltungen teilzunehmen und sein Leben danach zu gestalten, sowie dass er nicht bereit wäre, seinen Ahl-e Haqq-Glauben im Iran nur heimlich zu leben. Dies ist auch glaubwürdig: Zum einen ist das Gericht aufgrund der o.g. Gesichtspunkte davon überzeugt, dass sich der Kläger tatsächlich aufgrund einer dauerhaften und ernsthaften inneren Überzeugung zur Religion Ahl-e Haqq bekennt. Zum anderen hat der Kläger nicht nur behauptet, sondern insbesondere durch die Vorlage von Fotos auch nachgewiesen, dass er seinen Ahl-e Haqq-Glauben im Iran vor seiner Ausreise bereits aktiv und offen gelebt hatte. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass und warum dies im Falle einer etwaigen Rückkehr des Klägers nach Iran nunmehr anders sein sollte.
Mithin ist bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass die Konversion des Klägers zu Ahl-e Haqq auf einer ernsthaften und dauerhaften, inneren Glaubensüberzeugung beruht, welche die religiöse Identität des Klägers prägt. Der Kläger hat zur Überzeugung des Gerichts seinen Ahl-e Haqq-Glauben in einer Weise verinnerlicht, dass es ihm ein tief empfundenes Bedürfnis ist, diesen Glauben auch im Fall der Rückkehr in das Herkunftsland Iran aktiv und offen leben zu können. Schon allein deshalb ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft (§§ 3 ff. AsylG) zuzuerkennen.
3. Unbeschadet dieses Ergebnisses – Flüchtlingseigenschaft ist allein wegen der Konversion zu Ahl-e Haqq zuzuerkennen – kommt noch hinzu, dass der Kläger zur Überzeugung des Gerichts vorverfolgt aus dem Iran ausgereist war, was die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr in den Iran überobligatorisch weiter erhöht. Hierbei ist entscheidend zu berücksichtigten, dass dem vorverfolgten Kläger die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) zu Gute kommt. Danach ist u.a. die Tatsache, dass ein Antragsteller – wie hier der Kläger – bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist. Stichhaltige Gründe, die dagegen sprächen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in den Iran erneut von solcher Verfolgung bedroht wäre, sind nicht ersichtlich. Zu dieser Vorverfolgung ist im Einzelnen noch auszuführen:
Das Gericht glaubt dem Kläger nach jeweils ausführlicher Befragung in der mündlichen Verhandlung, dass er sich tatsächlich auch der mystischen Bewegung Erfan-e Halgeh zugewandt hatte, die iranischen Sicherheitsbehörden ihn deshalb am 27. Aban 1394 (18. November 2015), als er auf der Gedenkveranstaltung für Seyed Khalil Alinejad in K. weilte, zu Hause aufsuchen wollten, das Haus durchsuchten und diverse Unterlagen beschlagnahmten, die Sicherheitsbehörden spätestens dadurch auch von der Konversion des Klägers zu Ahl-e Haqq und dem damit verbundenen Abfall vom Islam erfahren hatten und u.a. deshalb Strafverfolgungsmaßnahmen gegen den Kläger ergriffen, ihn insbesondere ihn für den 25. Esfand 1394 (15. März 2016) vorluden: Die Hinwendung des Klägers zur Bewegung Erfan-e Halgeh ist nachgewiesen durch Vorlage der zwei Abschlussbriefe sowie des Mitgliedsausweises. Diese lagen in der mündlichen Verhandlung im Original vor, wurden von der Dolmetscherin teilweise übersetzt und vom Kläger plausibel erläutert (SP S. 16 ff.). Inhalt und Gestaltung der Abschlussbriefe stimmen überein mit der Beschreibung derartiger Dokumente in der Stellungnahme des Auswärtigen Amts vom 18. März 2015, S. 3, welches mit gerichtlichem Schreiben vom 14. Februar 2018 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden war. Der Kläger konnte auch nachvollziehbar darlegen, warum er sich der mystischen Bewegung Erfan-e Halgeh zugewandt hatte (SP S. 16). Ferner verfügte er auch über Wissen über die Lehre Erfan-e Halgeh (SP S. 19). Unter 2. näher ausgeführt wurde bereits, dass und warum die Konversion zu Ahl-e Haqq nicht im Gegensatz zu einer Hinwendung zu Erfan-e Halgeh steht. Es ist gemessen an den in das Verfahren einbezogene Erkenntnismittel (v.a. Schnellrecherche der Schweizerische Flüchtlingshilfe-Länderanalyse vom 12. Dezember 2016, a.a.O., S. 4 ff.) auch plausibel, dass der Kläger als Anhänger von Erfan-e Halgeh in das Visier der staatlichen Sicherheitsorgane geraten war. Ob der Kläger dabei tatsächlich als Lehrer/Dozent eine so herausgehobene Stellung bei Erfan-e Halgeh hatte, dass mit einer asylerheblichen Verfolgung gerechnet werden musste (vgl. dazu VG Würzburg, U. v. 13.11.2017 – W 8 K 17.31790 – juris Rn. 21 ff.), kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, da es ja gemessen an der glaubwürdigen Einlassung des Klägers Ende 2015 tatsächlich zu Verfolgungsmaßnahmen gegen ihn gekommen war. Insbesondere glaubt das Gericht dem Kläger, dass die iranischen Sicherheitsbehörden ihn am 27. Aban 1394 (18. November 2015), als er auf der Gedenkveranstaltung für Seyed Khalil Alinejad in K. weilte, zu Hause aufsuchen wollten, das Haus durchsuchten und diverse Unterlagen beschlagnahmten. Die diesbezügliche Einlassung des Klägers ist schlüssig (SP S. 4, S. 6, Bl. 3 BA), dies betrifft auch die Frage des Anlasses für diese Maßnahme der Sicherheitsorgane (SP S. 6 f., S. 12). Der Kläger konnte auch plausibel erklären, wieso er trotz der von ihm vorgetragenen Beschlagnahme von Unterlagen im späteren behördlichen und gerichtlichen Asylverfahren in Deutschland diverse Unterlagen vorlegen konnte (SP S. 9 – Fotos; SP S. 12 f., Bl. 60 ff., 97 ff. BA – Unterlagen über Erfan-e Halgeh). Auch die Einlassung des Klägers, wie er sich verhalten hatte, nachdem er von dieser Maßnahme der Sicherheitsbehörden erfahren hatte (SP S. 10 f., S. 14 f.) ist lebensnah und plausibel. Schließlich glaubt das Gericht dem Kläger auch, dass er von den iranischen Sicherheitsbehörden mit Schreiben vom 25. Esfand 1394 (15. März 2016) vorgeladen worden war. Der Kläger konnte das Original dieser Vorladung in der mündlichen Verhandlung vorlegen und hat auch plausibel erklärt, wie er an diese gelangt war (SP S. 13). Nachvollziehbar hat der Kläger auf Vorhalt auch dargelegt, dass die unplausible Darstellung im Schreiben des Asylhelfers vom 2. November 2016 und in der Klagebegründung, die Vorladung sei bereits bei der Durchsuchung ausgehändigt worden, auf einem Irrtum beruhen dürfte (SP S. 14). Da der Kläger weder bei der Durchsuchung noch bei der Aushändigung der Vorladung selbst zugegen war, ihm die Vorladung vielmehr von seiner Familie erst nach Deutschland geschickt werden musste, ist ein solcher Irrtum auch plausibel.
Nach alldem war über die Klage wie tenoriert zu entscheiden, insbesondere dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft (§§ 3 ff. AsylG) zuzuerkennen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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