Verwaltungsrecht

Anspruch auf Zuteilung einer Sozialwohnung

Aktenzeichen  M 12 E 16.2998

Datum:
12.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123
BayWoBindG BayWoBindG Art. 5

 

Leitsatz

Die zuständige Behörde hat für Sozialwohnungen gegenüber dem Verfügungsberechtigten ein Benennungsrecht. Dies ermächtigt sie, vor der Benennung eine verbindliche Vorentscheidung über die Voraussetzungen der Wohnberechtigung und den Grad der sozialen Dringlichkeit durch Aufnahme in eine nach Dringlichkeitsstufen differenzierte Vormerkkartei durch Verwaltungsakt zu treffen (sog. Vormerkbescheid). (redaktioneller Leitsatz)
Ein Anordnungsanspruch auf Erteilung von Wohnungsangeboten entsprechend der mit dem Vormerkbescheid getroffenen Dringlichkeitseinstufung ist nur glaubhaft gemacht, wenn tatsächlich eine bedarfsgerechte Wohnung frei und kein anderer Bewerber vorzuziehen ist. Eine bevorzugte Benennung verstößt gegen Art. 3 GG. (redaktioneller Leitsatz)
Eine unmittelbare hoheitliche Zuweisung einer Sozialwohnung ist nicht möglich. Vielmehr hat die zuständige Stelle dem Verfügungsberechtigten mindestens fünf Wohnungssuchende zur Auswahl zu benennen; ihm bleibt die Entscheidung über den Abschluss eines Mietvertrages vorbehalten. Das Verfahren ist nicht geeignet, eine akut drohende Obdachlosigkeit zu vermeiden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der am … geborene Antragsteller wohnte in einer Notunterkunft für Wohnungslose am … in München. Dort ist er derzeit auch noch gemeldet.
Aufgrund seines Antrags vom … September 2015 wurde der Antragsteller mit Bescheid vom 25. September 2015 für eine Sozialwohnung vorgemerkt. Als angemessene Wohnungsgröße wurde ein Wohnraum mit einer Fläche ab 10 qm festgesetzt. Die Dringlichkeit wurde mit 114 Punkten (96 Grundpunkten aufgrund des im Vergleich mit weiteren Wohnungssuchenden besonders hohen sozialen Gewichts der Wohnungssuche und 18 Anwesenheitspunkten) in Rangstufe I festgesetzt.
Gegen den Bescheid erhob der Antragsteller Klage beim Bayrischen Verwaltungsgericht. Das Verfahren (Az.: M 12 K 15.4383) wurde nach Klagerücknahme eingestellt.
Am … Juni 2016 hat der Antragsteller zur Niederschrift des Gerichts beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, dem Antragsteller umgehend entsprechend dem Vormerkungsbescheid vom 25. September 2015, Vorgangsnummer: …, Wohnungsvorschläge zu erteilen.
Zur Begründung brachte der Antragsteller im Wesentlichen vor, dass er durch den Bescheid vom 25. September 2015 mit einer Dringlichkeit von 114 Punkten in Rangstufe I für eine Sozialwohnung vorgemerkt sei. Trotz dieser Vormerkung habe er bis heute keine Wohnungsvorschläge erhalten. Er sei nun obdachlos geworden, da keine weitere Kostenübernahme für sein Einzelzimmer in der Unterkunft … erfolgt sei, obwohl er rechtzeitig am 28. April 2015 die notwendigen ärztlichen Atteste als Berechtigungsnachweise per Telefax übermittelt habe. Er benötige deshalb dringend Wohnungsvorschläge, um kurzfristig eine Wohnung zu erhalten und die Obdachlosigkeit abzuwenden.
Der Antragsteller legt ein Attest des Arztes Dr. … vom 19. April 2016 vor. Laut diesem leidet der Antragsteller unter einer reaktiven depressiven Störung und einem Abhängigkeitssyndrom bei Alkoholgebrauch. Da es sich bei den Mitbewohnern der Pension ebenfalls um Menschen mit Abhängigkeit von Suchstoffen handele, sei aus nervenärztlicher Sicht dringend ein Umzug in eine Einzelwohnung notwendig. Nur so sei eine anhaltende Abstinenz und Verbesserung der psychischen Erkrankung zu erwarten. Aufgrund der Psoriasis sei dringend eine Wohnung mit eigener Toilette notwendig. Zur Verhinderung einer zunehmenden Verschlechterung der psychischen Erkrankung werde dringend um die Zuweisung einer 1-Zimmer-Sozialwohnung gebeten.
Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 26. Juli 2016 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Antragsteller es bis dato entgegen seiner Verpflichtung versäumt habe, bei der Antragsgegnerin vorzusprechen und die Änderungen in seinen Wohnungsverhältnissen mitzuteilen bzw. einen Änderungsantrag zu stellen. Der Antragsgegnerin sei völlig unbekannt, wo sich der Antragssteller derzeit aufhalte. Die nach eigenen Angaben vorhandene Obdachlosigkeit entspreche nicht den aktuellen Meldedaten des Antragstellers, die nach wie vor als Meldeanschrift den … ausweisen und eine Ab- bzw. Ummeldung bis dato nicht erfolgt sei. Für eine den aktuellen Verhältnissen des Antragsstellers entsprechende Registrierung sei es erforderlich, dass dieser mit seinen aktuellen Nachweisen bei der Antragsgegnerin vorspreche und einen Änderungsantrag stelle. Erst nach Klärung der tatsächlichen Verhältnisse könne seitens der Antragsgegnerin ein aktueller Registrierungsbescheid ergehen. Sofern der Antragsteller aufgrund seiner Obdachlosigkeit dringend einer Unterkunft bedürfe, sei er aufgefordert, beim Fachbereich Wohnen der zentralen Wohnungslosenhilfe der Antragsgegnerin vorzusprechen. Zur Vermeidung der Obdachlosigkeit könne dem Antragsteller zumindest eine Notunterkunft zur Verfügung gestellt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO- kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO hat keinen Erfolg. Zum einen würde mit der begehrten Anordnung die Hauptsache vorweggenommen werden. Zum anderen besteht nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage kein Anordnungsanspruch auf Unterbreitung von Wohnungsvorschlägen bzw. auf Zuweisung einer geförderten Wohnung.
Die … gehört zu den Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf gemäß Art. 5 Bayer. Wohnungsbindungsgesetz (BayWoBindG). Die Antragsgegnerin hat als zuständige Stelle in Bezug auf Sozialwohnungen nach Art. 5 Satz 2 BayWoBindG gegenüber den Verfügungsberechtigten ein Benennungsrecht. Das Benennungsrecht ermächtigt die zuständige Behörde aus Gründen der Praktikabilität auch, vor der eigentlichen Benennung eine rechtlich verbindliche Vorentscheidung über die Voraussetzungen der Wohnberechtigung und über den Grad der sozialen Dringlichkeit zu treffen. Diese Vorentscheidung erfolgt durch Aufnahme in eine nach Dringlichkeitsstufen und Punkten differenzierende Vormerkkartei, wobei es sich um einen im Ermessen der Behörde stehenden Verwaltungsakt handelt (BayVGH v. 23.9.1987, DWW 1988, 55). Ein solcher Vormerkbescheid ist hier mit Datum vom 25. September 2015 ergangen. Er ist auch bestandskräftig geworden.
Als Folge dieser Dringlichkeitseinstufung ist die Antragsgegnerin verpflichtet, Wohnungsangebote in der damit erstellten Reihenfolge der Dringlichkeit zu erteilen. Die Benennung hängt von der Zahl der tatsächlich freiwerdenden Wohnungen ab, die dem festgestellten Wohnbedarf entsprechen, von der Anzahl vorgemerkter Bewerber mit entsprechendem Wohnbedarf sowie der Dringlichkeit und Dauer der Bewerbung. Ein Anordnungsanspruch wäre nur dann glaubhaft gemacht, wenn tatsächlich eine bedarfsgerechte Wohnung frei wäre und keine anderen Bewerber dem Antragsteller vorgingen. Hierfür fehlt jeder tatsächliche Anhaltspunkt. Im Datensatz, der sich bei den Akten befindet, findet sich kein Sperrvermerk, sondern als Hinweis zum Sachstand: „Bereit für Vergabe“. Zudem ist es im Datensatz bereits zu einer Änderung der Anwesenheitspunkte von 18 Punkten auf 29 Punkte aufgrund Anpassung zum 15. April 2016 gekommen. Die Antragsgegnerin hat im Verfahren dargelegt, den Antragsteller in Zukunft seiner Dringlichkeit entsprechend zu berücksichtigen. Es ist daher nicht ersichtlich, dass der Antragsteller seitens des Antragsgegnerin vom Benennungsverfahren entsprechend seiner Dringlichkeit ausgeschlossen wird. Eine bevorzugte Benennung des Antragstellers würde zudem gegen Art. 3 GG verstoßen. Ein Anspruch des Antragstellers auf sofortige Erteilung von Wohnungsvorschlägen besteht somit nicht.
Soweit der Antrag dahingehend ausgelegt werden könnte, dass der Antragsteller die Zurverfügungstellung bzw. Zuweisung einer Sozialwohnung begehrt, ist er zulässig, aber unbegründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf unmittelbare Zuteilung einer Sozialwohnung. Gemäß Art. 5 Satz 2 BayWoBindG hat die zuständige Stelle den Verfügungsberechtigten mindestens fünf wohnberechtigte Wohnungssuchende zur Auswahl zu benennen. Die Entscheidung über den Abschluss eines Mietvertrages mit den Wohnungssuchenden bleibt jedoch den Verfügungsberechtigten vorbehalten. Eine hoheitliche Zuweisung einer Sozialwohnung durch die Antragsgegnerin ist nicht möglich (BayVGH v. 21.8.1990 – 7 CE 90.1139).
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Registrierung für eine öffentlich geförderte Wohnung in den wenigsten Fällen dazu geeignet sein wird, akut drohende Obdachlosigkeit zu vermeiden. Denn zum einen hängt die Benennung im Rahmen eines Auswahlvorschlags nach der Registrierung von der Zahl der tatsächlich freiwerdenden Wohnungen, die dem festgestellten Wohnbedarf entsprechen, von der Anzahl vorgemerkter Bewerber mit entsprechendem Wohnbedarf sowie der Dringlichkeit und Dauer der Bewerbung ab. Zum anderen ist für den Abschluss eines Mietvertrages Voraussetzung, dass der Vermieter den Antragsteller aus dem Auswahlvorschlag als Mieterin auch auswählt. Der Mangel an öffentlich geförderten Wohnungen und die Vielzahl vorgemerkter Bewerber ist gerichtsbekannt, so dass die Vermittlung einer neuen öffentlich geförderten Wohnung einige Zeit in Anspruch nehmen kann. Bei akut drohender Obdachlosigkeit sollte sich der Antragsteller daher an die zentrale Wohnungslosenhilfe der Antragsgegnerin wenden.
Der Antrag war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO).


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