Verwaltungsrecht

Antrag auf „Aufstockung“ hinsichtlich der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  23 ZB 17.31008

Datum:
5.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7191
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3, § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2 a
RL 2011/95/EU Art. 15, Art. 24 Abs. 2
Dublin III-VO Art. 49

 

Leitsatz

1. Einem subsidiär Schutzberechtigten, der im Anerkennungsstaat ein Aufenthaltsrecht hat, ist es zumutbar, dort das Aufstockungsbegehren hinschtlich des weitergehenden Antrags auf Flüchtlingsanerkennung fortzusetzen. (Rn. 9) (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. In der Rechtsprechung des BVerwG und des EuGH ist nunmehr geklärt, dass § 29 Abs. 1 Nr. 2 iVm § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht nur für Asylanträge ab dem 20. Juli 2015, sondern darüber hinaus auch auf davor gestellte Asylanträge rückwirkend zur Anwendung kommt, soweit der in Deutschland gestellte Asylantrag und auch das Wiederaufnahmegesuch nicht vor dem 1. Januar 2014 gestellt wurden (vgl. BVerwG BeckRS 2017, 111628; EuGH BeckRS 2019, 3603). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 16.31273 2017-03-29 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der auf den Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3 m.w.N.). Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 15 ZB 17.31475 – juris Rn. 7 m.w.N; B.v. 24.4.2018 – 8 ZB 18.30874 – juris Rn. 4; B.v. 17.1.2019 – 15 ZB 19.30187 – juris Rn. 9).
Diesen Anforderungen genügt die Begründung des Zulassungsantrags nicht.
Das Verwaltungsgericht stellte zur Begründung der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig entscheidungstragend darauf ab, dass dem Kläger bereits in Italien subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
Die vom Kläger als grundsätzlich angesehene Frage,
„ob ein Antragsteller, dem in einem anderen Mitgliedstaat subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, kein Recht auf Prüfung weitergehenden Schutzes in der Bundesrepublik zusteht, zumal er diesen Schutz auch in dem Mitgliedstaat, der den subsidiären Schutz zuerkannt hat, nicht erreichen kann“, 7 rechtfertigt keine Berufungszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.
a) Soweit der Kläger sich darauf beruft, dass es sich bei dem neuerlichen, in der Bundesrepublik am 11. August 2015 gestellten Antrag um einen Zweitantrag handle, da er nunmehr auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gerichtet gewesen sei, den er in Italien nicht mehr erreichen könne, erfolgt mit dieser Argumentation keine dem Darlegungsgebot des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügende Auseinandersetzung mit der von der angegriffenen Ausgangsentscheidung angenommenen Möglichkeit der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. In der Sache rügt der Kläger mit der von ihm gestellten Frage und den hierzu vorgebrachten, nicht näher begründeten Ausführungen die schlichte Fehlerhaftigkeit des Urteils, was für die Geltendmachung eines Zulassungsgrundes nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht genügt (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2019 – 15 ZB 19.30175 – juris Rn. 4 m.w.N.).
b) Darüber hinaus wird die vom Kläger aufgeworfene Frage speziell für ab dem 20. Juli 2015 gestellte sog. „Aufstockungs-Anträge“ durch den klaren Gesetzeswortlaut des § 29 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG beantwortet.
Denn der eindeutige Wortlaut des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG („internationalen Schutz im Sinnes des § 1 Abs. 1 Nr. 2“) umfasst ausdrücklich sowohl die Flüchtlingsanerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention als auch den internationalen subsidiären Schutz nach Art. 15 Richtlinie 2011/95/EU im Sinn des Gemeinschaftsrechts (vgl. Preisner in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 21. Auflage 2018, § 1 AsylG Rn. 8; Keßler in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 1 AsylVfG Rn. 3). Da der subsidiär Schutzberechtigte im Anerkennungsstaat gemäß Art. 24 Abs. 2 Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU ein Aufenthaltsrecht hat, ist es auch zumutbar, dort das Aufstockungsbegehren, d.h. den weitergehenden Antrag auf Flüchtlingsanerkennung fortzusetzen (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 29 AsylG Rn. 10; Günther in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 21. Auflage 2019, § 29 AsylG Rn. 76).
Gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Hiermit wird Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes – Asylverfahrensrichtlinie – (Richtlinie 2013/32/EU) umgesetzt, welcher in seinem Absatz 2 abschließend regelt, unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten einen Asylantrag als unzulässig betrachten dürfen (OVG NRW, U.v. 24.08.2016 – 13 A 63/16.A – juris Rn. 30). Dies ist nach Art. 33 Abs. 2 lit a) Asylverfahrensrichtlinie u. a. dann der Fall, wenn – wie hier – ein anderer Mitgliedstaat bereits internationalen Schutz gewährt hat. Dies ist hier der Fall. Ausweislich des Schreibens des italienischen Innenministeriums vom 23. Oktober 2015 wurde dem Kläger dort subsidiärer Schutz und ein entsprechendes Aufenthaltsrecht („international protection in Italy and a permit of stay for subsidiary protection“) und damit internationaler Schutz im Sinn des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 erfasst das Asylgesetz neben der politischen Verfolgung im Sinn des Grundgesetztes, für die es das förmliche Verfahren abschließend regelt, alle Personen, denen im Sinn dieser Richtlinie internationaler Schutz zukommt, nämlich einerseits einen durch § 3 AsylG umrissenen Kreis von Ausländern mit Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention und andererseits – nunmehr auch – solche, denen subsidiärer Schutz zu gewähren ist, weil ihnen ernsthafter lebensbedrohender Schaden droht (vgl. Preisner in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 21. Auflage 2018, § 29 AsylG Rn. 10; Keßler in Hofmann, Ausländerrecht; 2. Auflage 2016, § 29 AsylVfG Rn. 3).
c) Im Übrigen ist zwischenzeitlich in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Gerichtshofs der Europäischen Union nunmehr geklärt, dass § 29 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht nur für Asylanträge ab dem 20. Juli 2015, sondern darüber hinaus auch auf davor gestellte Asylanträge rückwirkend zur Anwendung kommt, soweit der in Deutschland gestellte Asylantrag und auch das Wiederaufnahmegesuch nicht vor dem 1. Januar 2014 gestellt wurden (vgl. BVerwG, B.v. 23.7.2017 – 1 C 20.16 und 1 C 17.16 – juris; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Rs. C – 297/17, C – 318/17, C – 319/17 und C – 438/17).
Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 19. März 2019 entschieden, dass es einem Mitgliedstaat gestattet ist, eine unmittelbare Anwendung der nationalen Bestimmungen zur Umsetzung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU auf noch nicht bestandskräftig beschiedene Asylanträge vorzusehen, die vor dem 20. Juli 2015 und vor dem Inkrafttreten der nationalen Bestimmungen gestellt worden sind (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 a.a.O. – Rn. 74). Ausgenommen davon sind lediglich Asylanträge, die noch vollständig in den Geltungsbereich der Dublin-II-Verordnung fallen, also Anträge, bei denen sowohl der in Deutschland gestellte Asylantrag als auch das Wiederaufnahmegesuch vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, so dass der Asylantrag nach Art. 49 der Dublin-III-Verordnung noch vollständig in den Geltungsbereich der Dublin-II-Verordnung fällt (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 a.a.O. – Rn. 70 – 73).
Im vorliegenden Fall hat der Kläger seinen Asylantrag in Deutschland am 11. August 2015 und somit nach dem 25. Juli 2015 sowie nach dem 1. Januar 2014 gestellt, so dass sein Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abzulehnen ist, auch wenn dem Kläger von einem anderen Mitgliedstaat (hier: Italien) keine Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, sondern nur subsidiärer Schutz gewährt worden ist. Ein Anspruch des Klägers, seinen Antrag auf „Aufstockung“ hinsichtlich der Flüchtlingseigenschaft in Deutschland prüfen lassen, kommt somit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht. Einen neuerlichen oder weitergehenden Klärungsbedarf legt der Kläger nicht dar.
2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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