Verwaltungsrecht

Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung mangels Eilbedürftigkeit abgelehnt

Aktenzeichen  M 1 SN 20.3658

Datum:
14.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24681
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
GG Art. 19 Abs. 4
BayAbgrG Art. 9 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Zwischenregelungen sind im baunachbarlichen Eilrechtsschutzverfahren unter unmittelbarem Rückgriff auf die Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG dann sachgerecht, wenn jedenfalls nicht auf den ersten Blick eine offensichtliche Aussichtslosigkeit des Begehrens des sich gegen ein Bauvorhaben wendenden Nachbarn feststellbar ist und außerdem befürchtet werden muss, dass bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über den Antrag vollendete Tatsachen geschaffen werden. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Zwischenentscheidung (Hängebeschluss) wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich mit seiner Hauptsacheklage (M 1 K 20.3474) gegen die der Beigeladenen erteilte Abgrabungsgenehmigung vom 18. Juni 2020 für die Errichtung einer Kiesgrube und die Wiederverfüllung als Aushubdeponie auf den Grundstücken FlNr. 2190/2, 2190 Gemarkung … in der Gestalt des Teilrücknahmebescheids vom … Juli 2020.
Mit Schriftsatz vom 12. August 2020 beantragte die Antragspartei die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom … Juni 2020 in Gestalt des Teilrücknahmebescheids vom … Juli 2020. Zugleich wurde beantragt, dem Antragsgegner im Wege einer Zwischenverfügung („Hängebeschluss“) die weitere Abgrabungstätigkeit zu untersagen. Zur Begründung dieses Antrags wurde unter Vorlage von Lichtbildern unter anderem ausgeführt, der Abtrag des Bodens sei bereits in der vorletzten Woche erfolgt. Aufgrund der starken Regenfälle hätten die Arbeiten sodann geruht, seien jedoch seit Freitag, dem 7. August 2020, wieder in vollem Gange. Die Abgrabung verstoße gegen den Schutz angrenzender Gewässer sowie gegen das Verschlechterungsverbot der Wasserrahmenrichtlinie. Ferner seien die Anforderungen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung aufgrund einer rechtswidrigen Kompensation nicht eingehalten. Auch wurde die Rodung einer geschützten Hecke erlaubt. Zudem stünden Ziele der Raumordnung der Abgrabung entgegen.
Dem Antragsgegner sowie der Beigeladenen wurde sodann Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 13. August 2020,
den Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung abzulehnen.
Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer Zwischenverfügung nicht erfüllt seien. Die Zwischenverfügung dürfe nicht losgelöst von einer Prognose über die Erfolgsaussichten der Hauptsache getroffen werden. Nicht jede Bautätigkeit berechtige den Erlass einer Zwischenverfügung. Aus dem Vorbingen des Antragstellers ergebe sich weder eine besondere Eilbedürftigkeit etwaiger Sicherungsmaßnahmen noch habe er Tatsachen vorgebracht, die auf eine fehlende Rechtmäßigkeit der Abgrabungsgenehmigung hindeuten würden. Die Schaffung vollendeter Tatsachen drohe nicht. Der Oberboden sei bereits in einer Tiefe von 1 m abgeschoben und die Abraumtätigkeit abgeschlossen. Die Kiesgrube sei eingerichtet und auf einen Zeitraum von anderthalb bis zwei Jahre ausgelegt. Eine nennenswerte Vertiefung des Eingriffs in Natur und Landschaft erfolge nicht, ehe eine Eilentscheidung ergehen könne. Wenn es dem Antragsteller also darum ginge, zu verhindern, dass durch den Beginn der Abgrabungstätigkeit in das Landschaftsbild eingegriffen werde oder artenschutzrechtliche Verbotstatbestände verwirklicht werden würden, so käme eine Zwischenentscheidung zu spät. Mit dem Abraumen der ursprünglichen Pferdekoppel sei deren ursprüngliches Erscheinungsbild bereits verloren gegangen. Auch eine Beseitigung von Feldgehölzen drohe im Augenblick nicht. Die Beigeladene habe mit der unteren Naturschutzbehörde vereinbart, dass zunächst kein Eingriff in die Feldgehölze erfolge. Auch für einen Eingriff in den Wasserhaushalt des angrenzenden Oberflächenwasserkörpers bestünden ausweislich der Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamtes vom 22. April 2020 sowie der hydraulischen Begutachtung des Ingenieurbüros IGEWA keinerlei Anhaltspunkte.
Vorgelegt wurde unter anderem auch die Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamtes vom 22. April 2020.
Der Bevollmächtigte der Beigeladenen beantragt mit Schriftsatz vom 14. August 2020 ebenso,
den Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung abzulehnen.
Dies wird damit begründet, dass der Oberboden im Bauabschnitt 1 bis zu einer Entfernung von ca. 10 m von der westlichen Umgriffsgrenze der Genehmigung abgeschoben und bereits Material entnommen worden sei. Der Antragsteller müsse in der Antragsbegründung selbst die Aspekte darlegen, aus denen sich der Erfolg der Klage ergeben solle. Inwiefern irreversible Folgen zu befürchten seien, sei nicht ausgeführt worden. Es seien lediglich pauschal und unsubstantiiert Rechtsfehler behautet worden, jedoch nicht, inwiefern diese irreversible Folgen auslösen würden. Es ergebe sich aus den Ausführungen nicht, dass rechtswidrige irreversible Zustände entstehen könnten, wenn die Kiesgewinnung nicht bis zur Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag abgewartet werden würde. Bereits nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers sei nicht erkennbar, dass die verfahrensgegenständliche Gewinnung zu der von ihm behaupteten Möglichkeit eines Wasserabflusses führe. Dies sei zudem im Genehmigungsverfahren intensiv geprüft worden. Das Wasserwirtschaftsamt habe in seiner Stellungnahme vom 22. April 2020 selbst die Möglichkeit eines Wasserabflusses aus dem Bansee oder seinen Überschwemmungsgebieten verneint. Der Antragsteller gehe selbst davon aus, dass der Bansee einen Wasserspiegel von ca. 527 m ü. NN aufweise und die Genehmigung eine Gewinnung bis in eine Tiefe von ca. 522 m ü. NN zulasse, so dass die genehmigte Abbausohle ca. 5 m unter dem Banseewasserspiegel liege. Ein Wasserabfluss aus dem Bansee könne daher ausgeschlossen werden, solange die Abbausohle im Zuge der Gewinnung nicht tiefer liege als 5 m oberhalb des Wasserspiegels. Es sei ausgeschlossen, dass der Gewinnungsfortschritt diese Abbausohle erreichen könne, bevor das Gericht über den Eilantrag entscheide. Es werde zudem zugesagt, dass nicht vor dem 1. Oktober 2020 ein Unterschreiten einer Abbausohle von 527 m ü. NN erfolgen werde. Der Antragsteller behaupte zudem für keine der von ihm genannten FFH-Arten, dass eine erhebliche Beeinträchtigung zu befürchten sei. Da der Oberboden bereits vollständig abgeschoben sei, sei auch der Eingriff in Natur und Landschaft bereits vorgenommen worden. Die Gewinnung des Rohstoffes liege zudem im öffentlichen Interesse, da dieser für den Bau eines Kindergartens verwendet werde.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren M 1 SN 20.3658 und M 1 K 20.3474 verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zwischenentscheidung ist abzulehnen.
Eine gerichtliche Zwischenentscheidung ist dann geboten, wenn es gilt, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern und damit den Anspruch des Antragstellers auf tatsächlich wirksamen vorläufigen Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) zu sichern. Nach allgemeiner Auffassung muss eine solche vorläufige gerichtliche Anordnung ergehen, wenn bei einem nicht von vornherein aussichtslosen Eilrechtsschutzbegehren ein rasches Handeln zur Sicherung der Rechte des Antragstellers geboten ist, eine auch nur summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage in der Kürze der Zeit nicht möglich ist und dem Antragsteller durch ein weiteres Zuwarten irreparable Nachteile drohen würden (vgl. BVerfG, NVwZ 2014, S. 363; VGH Mannheim, B.v. 18.12.2015 – 3 S 2424/15; VGH Kassel, NVwZ 2017, S. 1144; OVG Greifswald, NVwZ-RR 2017, S. 904). Zwischenregelungen sind im baunachbarlichen Eilrechtsschutzverfahren unter unmittelbarem Rückgriff auf die Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG dann sachgerecht, wenn jedenfalls nicht auf den ersten Blick eine offensichtliche Aussichtslosigkeit des Begehrens des sich gegen ein Bauvorhaben wendenden Nachbarn feststellbar ist und außerdem befürchtet werden muss, dass bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über den Antrag vollendete Tatsachen geschaffen werden (so OVG Saarlouis, B.v. 26.8.2015 – 2 B 154/15). Diese Rechtsprechung ist auf Klagen bzw. Anträge von Umweltschutzvereinigungen aufgrund der vergleichbaren Sachlage übertragbar.
Eine Entscheidung in der Sache ist der Kammer aufgrund der fehlenden Behördenakten derzeit noch nicht möglich. Ist es nicht möglich, die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wenigstens summarisch zu beurteilen, so sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten (vgl. z. B. BVerwG, B. v. 16.9.2014 – 7 VR 1/14 -Rn. 10 m. w. N.; BayVGH, B.v. 28.1.2015 – 22 C 15.197).
Vorliegend ist ausweislich der glaubhaften Angaben des Antragsgegners sowie der Beigeladenen die Abschiebung des Oberbodens in einer Tiefe von 1 m bereits abschließend durchgeführt worden. Die Beigeladene hat bereits mit dem Kiesabbau, der sich über eineinhalb bis zwei Jahre erstrecken wird, begonnen. Die maßgebliche Abraumung und Veränderung von Natur und Landschaft ist somit bereits erfolgt. Der Antragsteller hat sich nach Auffassung des Gerichts nicht substantiiert damit auseinandergesetzt, ob das Abwarten bis zu einer zeitnahen Entscheidung des Gerichts über das Eilverfahren eine weitergehende erhebliche Verletzung naturschutzrechtlicher Regelungen zur Folge hätte. Soweit der Antragsteller eine Verletzung der angrenzenden geschützten Gewässer vorträgt, hält das Gericht es im Hinblick auf die vom Antragsgegner vorgelegte Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamtes vom 22. April 2020, dem diesbezüglich als Fachbehörde eine sog. Einschätzungsprärogative zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2017 – 22 ZB 17.152), für zumutbar, eine abschließende Entscheidung im Eilverfahren abzuwarten. Nach dem glaubhaften Vortrag des Antragsgegners erfolgt in der gegenwärtigen Phase der Abbautätigkeit keine nennenswerte Vertiefung des Eingriffs in Natur und Boden. Zwar liegt ausweislich der Stellungnahme der ermittelte höchste Grundwasserstand im Abbaubereich zwischen 6 m und 7 m unterhalb der Seespiegelhöhen. Jedoch würden die vorgelegten Schnitte zeigen, dass die Bohrung, die dem See am nächsten ist, keine horizontalen Sicherwege aufweisen würden, da auf Höhe des Seespiegels eine dichte Schlufflage gefolgt von einer mitteldichten schluffigen Feinsandschicht vorliege. Der Kiesabbau wird bis zu einer Entscheidung im Eilverfahren nicht in diese Tiefen vordringen, so dass ein Abwarten zumutbar erscheint. Die Beigeladene hat zudem schriftsätzlich zugesagt, dass nicht vor dem 1. Oktober 2020 ein Unterschreiten einer Abbausohle von 527 m ü. NN erfolgen werde. Geeignete Vermeidungsmaßnahmen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände wurden ausweislich der Stellungnahme des Antragsgegners bereits im Vorfeld, wie von der unteren Naturschutzbehörde gefordert, umgesetzt. Es sind aufgrund des Vortrags des Antragstellers auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass irreversible Zustände durch die Abholzung von Feldgehölzen entstehen würden. Auch diesbezüglich ist glaubhaft zugesichert worden, dass in die Feldgehölze zunächst nicht eingegriffen werde. Die Entstehung von Staubimmissionen rechtfertigt nicht den Erlass eines Hängebeschlusses, da dadurch keine irreversiblen Zustände entstehen. Die Eilbedürftigkeit für den Erlass einer Zwischenentscheidung wurde nach Auffassung des Gerichts somit nicht ausreichend dargelegt. Demgegenüber steht das wirtschaftliche Interesse der Beigeladenen, von der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abgrabungsgenehmigung Gebrauch zu machen (vgl. Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayAbgrG). Eine Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen sowie der Folgen einer Stattgabe des Antrags auf Erlass einer Untersagung der weiteren Abgrabung führt im Ergebnis dazu, dass der Antrag abzulehnen war. Ein rasches Handeln zur Sicherung der Rechte des Antragstellers und somit ein Bedürfnis für den Erlass eines Zwischenverfügung ist nach Auffassung des Gerichts nicht geboten. Ein Abwarten der abschließenden Entscheidung über das Eilverfahren ist vorliegend zumutbar.
Einer Kostenentscheidung und einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen des vorläufigen Charakters dieses Beschlusses nicht (vgl. BayVGH, B.v. 14.12.2018 – 4 CE 18.2578.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben