Verwaltungsrecht

Antrag auf Zuerkennung des Familienflüchtlingsschutzes

Aktenzeichen  W 1 K 16.32753

Datum:
28.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6598
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 13 Abs. 1, Abs. 2, § 26 Abs. 3 S. 1 Nr. 3, Abs. 5

 

Leitsatz

1. Ein Antrag auf Zuerkennung des Familienflüchtlingsschutzes ist von dem Asylantrag iSd § 13 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 AsylG mit umfasst, da das Institut des Familienflüchtlingsschutzes keinen gesonderten, vom Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG unabhängigen Status minderen Rechts verleiht, sondern vielmehr eine Identität der Rechtsstellung im Hinblick auf § 3 AsylG und § 26 AsylG besteht. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Umstand, dass der Asylbewerber kurzfristig alleine vom Iran nach Afghanistan abgeschoben wurde und die Familie deshalb später nicht mehr zusammengelebt hat, steht, dem gesetzlichen Zweck des § 26 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 AsylG entsprechend, der Zuerkennung des Familienflüchtlingsschutzes nicht entgegen, wenn die Familie zeitlich zuvor und zwar seit Beginn der Verfolgungshandlungen im Iran bestanden hat. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. Dezember 2016 wird aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 26 Abs. 5 Sätze 1, 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG. Der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes vom 22. Dezember 2016 ist daher, soweit er noch Gegenstand der Klage ist und der Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entgegensteht, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Kläger hat vorliegend einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als Familienschutzberechtigter, da seinem Sohn A … durch Bescheid der Beklagten vom 11. November 2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde. Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG werden die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist (1.), die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, indem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird (2.), die Eltern vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben ( 3.), die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist (4.) und die Eltern die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben (5.). Auf Familienangehörige im Sinne des § 26 Abs. 1-3 AsylG von international Schutzberechtigten sind die Abs. 1-4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft, § 26 Abs. 5 Sätze 1, 2 AsylG.
Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger vorliegend kumulativ vor. Die Zuerkennung des Familienflüchtlingsschutzes erfolgt auf Antrag hin. Ein solcher Antrag ist von dem Asylantrag im Sinne des § 13 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AsylG mit umfasst, da das Institut des Familienflüchtlingsschutzes keinen gesonderten, vom Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG unabhängigen Status minderen Rechts verleiht, sondern vielmehr eine Identität der Rechtsstellung im Hinblick auf § 3 AsylG und § 26 AsylG besteht (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Bd. 4, § 26 Rn. 9, 15, 42 m.w.N.). Insofern wird auch von dem gestellten Klageantrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowohl eine Zuerkennung aufgrund von § 3 AsylG umfasst als auch eine solche nach § 26 AsylG.
Bei dem am … geborenen A… handelt es sich um ein minderjähriges lediges Kind, dessen Vater der Kläger nach dessen glaubhaften Angaben ist. Für die Vaterschaft sprechen im Übrigen auch die insoweit übereinstimmenden Angaben der Kindsmutter, Frau T… vor dem Bundesamt sowie die Tatsache der gemeinsamen Flucht und das ununterbrochene Zusammenleben in Deutschland. Überdies hat der Kläger auch die Vaterschaft hinsichtlich des A… mit Zustimmung der Mutter mittels Urkunde vom 3. Januar 2017 beim Landratsamt Aschaffenburg anerkannt. Dem minderjährigen Kind A… wurde durch Bescheid des Bundesamtes vom 11. November 2016 die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuerkannt (eine Zuerkennung nach § 26 Abs. 2 AsylG liegt nicht vor). Diese Entscheidung ist am 2. Dezember 2016 bestandskräftig geworden (vgl. Bl. 154 der Behördenakte), § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 5 Sätze 1, 2 AsylG.
Die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU hat auch bereits in dem Staat bestanden, in dem der Flüchtlingsschutzberechtigte politisch verfolgt wird, § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 Sätze 1, 2 AsylG. Die hier maßgebliche Verfolgung der Familie durch den Cousin der mit dem Kläger nach islamischem Recht verheirateten Frau nahm nach den glaubhaften Angaben des Klägers und seiner Frau T… im Iran seinen Ausgangspunkt und setzt sich darüber hinaus auch in Afghanistan fort, nachdem der Cousin dort lebt und wegen der Vereitelung der versprochenen Heirat weiter auf Rache sinnt. Der Sohn des Klägers wurde am 1. Dezember 2012 im Iran geboren, so dass zu diesem Zeitpunkt durch die Vaterschaft des Klägers eine Familie i.S.d. Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU entstanden ist. Da der Sohn des Klägers gemeinsam mit seinen Eltern bereits im Iran von dem Cousin verfolgt wurde, stellt der Iran hier bereits den Staat der Verfolgung dar; dort haben sich die maßgeblichen Vorverfolgungshandlungen zugetragen (wobei – wie bereits erwähnt – die Verfolgung durch den Cousin der Frau des Klägers in Afghanistan ebenfalls gedroht hat; andernfalls wäre dem Sohn des Klägers auch nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden). Dass die Familie in Afghanistan später nicht mehr zusammengelebt hat, da der Kläger kurzfristig alleine dorthin abgeschoben wurde, steht der Zuerkennung des Familienflüchtlingsschutzes für den Kläger nicht entgegen, da die Familie im vorliegenden Fall bereits zeitlich zuvor und zwar seit Beginn der Verfolgungshandlungen im Iran bestanden hat. Auch die Beklagte stellt im Bescheid vom 11. November 2016 gegenüber T… und A … hinsichtlich der Frau des Klägers maßgeblich auf das Verfolgungsgeschehen im Iran ab. Diese Einschätzung stimmt auch mit dem gesetzlichen Zweck des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG überein, wonach eine Nähe des Familienschutzberechtigten zum Verfolgungsgeschehen mit einer zumindest potentiellen eigenen Gefährdung vonnöten ist (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Bd. 4, § 26 Rn. 38 m.w.N.), was vorliegend unzweifelhaft der Fall ist. Schließlich besteht die Familie auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts weiter fort, wie der Kläger glaubhaft in der mündlichen Verhandlung versichert hat.
Überdies ist der Kläger gemeinsam mit seinem Sohn (sowie T…) in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, wo sie gemeinsam am 9. November 2015 einen Asylantrag gestellt haben (vgl. auch Hailbronner, Ausländerrecht, Bd. 4, § 26 Rn. 53c), so dass auch das Erfordernis des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 5 Sätze 1, 2 AsylG erfüllt ist. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Asylantrag nicht unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, nach der Einreise gestellt worden wäre.
Desweiteren ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Sohn des Klägers auch nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen. Zwar hat die Beklagte im hiesigen Verfahren mitgeteilt, dass für die Frau und den Sohn des Klägers gerade eine vorgezogene Regelüberprüfung stattfinde. Diesen ist jedoch bislang weder mitgeteilt worden, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht mehr vorlägen, noch sind darüber hinaus Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Entscheidung gegenüber dem Sohn (sowie der Frau des Klägers) zu widerrufen oder zurückzunehmen wären, § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 5 Sätze 1, 2 AsylG. Da ein Rücknahme- oder Widerrufsverfahren derzeit offensichtlich nicht eingeleitet ist, ist das Gericht überdies weder verpflichtet noch berechtigt, Gründe für den Widerruf bzw. die Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Stammberechtigten zu prüfen (vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2006 – 1 C 8/05 – juris).
Schließlich hat der Kläger auch gemeinsam mit der Kindsmutter T… die Personensorge für seinen Sohn A inne, wie sich nicht zuletzt aus der am 3. Januar 2017 beim Landratsamt Aschaffenburg erstellten Urkunde über die gemeinsame elterliche Sorge für A… ergibt, § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 5 Sätze 1, 2 AsylG.
Nach alledem war dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 26 Abs. 5 Sätze 1, 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG zuzuerkennen. Auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 26 Abs. 5 Sätze 1, 2 i.V.m. Abs. 2 AsylG bzw. des § 3 AsylG kommt es nach alledem nicht mehr an.
Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzuge-ben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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