Verwaltungsrecht

Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  5 ZB 19.50014

Datum:
18.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7330
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
GRCh Art. 4
BV Art. 91 Abs. 1
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Fehlt es an einem förmlichen Beweisantrag, kommt hinsichtlich der Sachaufklärungspflicht eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG in einer nach § 138 Nr. 3 VwGO beachtlichen Weise nur in Betracht, wenn das Gericht eine Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 3 K 17.50709 2019-03-08 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach bleibt ohne Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe bereits nicht in einer § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt wurden, jedenfalls aber nicht vorliegen.
a) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72).
Die von den Klägern für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob sie, insbesondere die Kläger zu 3 bis 7, „zu einer besonders vulnerablen Gruppe von Menschen zählen, für die eine Ausreise nach Rumänien und das Leben dort nicht zumutbar ist, da es gegen Art. 4 EU-Grundrechtscharta, Art. 3 EMRK verstoßen würde“, ist nicht grundsätzlich bedeutsam, sondern eine Frage des Einzelfalls. Dass alle Personen, die einem sog. vulnerablen Personenkreis angehören, Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Rumänien hätten, kann nicht angenommen werden. Für eine derartige Feststellung sind, sofern das wegen der allgemeinen Verhältnissen in Rumänien zu prüfen sein mag, die persönlichen Umstände der Betroffenen maßgeblich. Das Verwaltungsgericht hat diesen Einzelfall in seinem Urteil (UA S. 6) wie auch bereits im vorausgegangenen Beschluss vom 25. Juli 2017 nach § 80 Abs. 7 VwGO dahingehend gewürdigt, dass die Kläger nicht zu einem vulnerablen Personenkreis gehören, und darauf hingewiesen, dass daran auch die vom Klägervertreter vorgebrachten Urteile anderer Verwaltungsgerichte nicht änderten, da diese lediglich Einzelentscheidungen seien, die nicht verallgemeinert werden könnten.
Auch die von den Klägern weiter für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob der Kläger zu 1 bei einer Rückkehr nach Rumänien mit einer Bedrohungslage durch Schleuser zu rechnen hat, vor der er durch die rumänischen Behörden nicht geschützt werden kann, und deshalb mit einer Gefährdung seines Lebens zu rechnen hat, ist eine Frage des Einzelfalls und keiner grundsätzlichen Klärung zugänglich.
b) Die Berufung ist auch nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO wegen eines Verfahrensmangels – hier wegen der gerügten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach § 138 Nr. 3 VwGO – zuzulassen.
aa) Das rechtliche Gehör als „prozessuales Urrecht“ des Menschen sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Das rechtliche Gehör gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich geboten Mindeststandards, dass ein Kläger die Möglichkeit hat, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden. Ein Gehörsverstoß liegt deshalb nur vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238/241). Mit Kritik an der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör grundsätzlich nicht begründet werden (BVerfG, B.v. 19.7.1967 – 2 BvR 639/66 – BVerfGE 22, 267/273 = NJW 1967, 1955; BVerwG, B.v. 15.5.2014 – 9 B 14.14 – juris Rn. 8).
Die Kläger tragen hierzu vor, der Kläger zu 1 sei in Deutschland im Rahmen von Ermittlungsverfahren gegen Schlepper als Zeuge geladen worden und habe sowohl bei der Polizei als auch vor dem Gericht als Zeuge ausgesagt. Er habe Bilder von seinem Smartphone sowie teilweise Namen und Adressen an die Behörden weitergegeben. Aufgrund dieses Sachverhalts habe er vor einigen Wochen Drohnachrichten von Personen mit türkischen und rumänischen Handynummern erhalten. Dieser Sachverhalt sei bereits dem Verwaltungsgericht mitgeteilt worden und sei auch in der mündlichen Verhandlung zur Sprache gebracht, allerdings vom Gericht nicht zu Protokoll genommen worden; der Richter habe den Vortrag des Klägers zu 1 mit der Behauptung relativiert, das wisse er schon, das sei in der Akte.
Damit wird eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Kläger nicht im Sinne von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, ein entsprechender Vortrag befinde sich bereits „in der Akte“, treffen zu, weil der Klägervertreter bereits mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2018 eine entsprechende persönliche Erklärung der Kläger vorgelegt hatte. Zudem belegt die Äußerung, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag zur Kenntnis genommen hat. Dass sich hierzu keine Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts finden, ist kein Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, da nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden ist und der klägerische Vortrag vom 2. Oktober 2018 insoweit zu allgemein und unsubstantiiert ist, um daraus ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ableiten zu können. Die nunmehr im Berufungszulassungsverfahren vorgelegten diesbezüglichen Screenshots, die der Kläger zu 1 nach seinem Vortrag im Schriftsatz vom 4. April 2019 „vor einigen Wochen“ erhalten hat, lagen dem Verwaltungsgericht ausweislich der Gerichtsakte nicht vor.
bb) Soweit die Kläger das Vorliegen eines Verfahrensmangels wegen eines Verstoßes des Verwaltungsgerichts gegen den Grundsatz der Amtsermittlung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO rügen, vermögen sie hiermit im Asylprozess nicht durchzudringen. Insoweit gilt für das asylrechtliche Zulassungsverfahren nicht § 124 VwGO, sondern der spezialgesetzliche § 78 AsylG, in dessen Absatz 3 die Gründe für eine Berufungszulassung abschließend geregelt sind. Hinsichtlich Verfahrensfehlern ist nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG eine Berufung dann zuzulassen, wenn ein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt. Eine Versagung des rechtlichen Gehörs i.S.d. § 138 Nr. 3 VwGO kann auch in der Verletzung von Verfahrensvorschriften liegen, die der Wahrung des rechtlichen Gehörs dienen. Das rechtliche Gehör ist jedoch nicht stets verletzt, wenn die es ausprägenden einfachrechtlichen Vorschriften nicht eingehalten sind (vgl. Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 138 Rn. 114; Kraft in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 138 Rn. 30). Es bedarf immer der weiteren Feststellung, dass zugleich der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt ist.
Bei einem behaupteten Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht bzw. den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) handelt es sich grundsätzlich nicht um einen Gehörsverstoß und damit um einen absoluten Revisionsgrund nach § 138 VwGO, der von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG erfasst wäre (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2019 – 13a ZB 19.30064 – juris Rn. 2; B.v. 15.5.2015 – 13a ZB 15.30074 – juris Rn. 7). Die in den einzelnen Prozessordnungen in unterschiedlichem Umfang vorgesehenen Hinweis-, Aufklärungs- und Erörterungspflichten, die über die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen hinausgehen, sich zu dem der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt äußern zu können, sind, auch wenn sie im einfachen Prozessrecht verankert sind, von der Schutzwirkung des Rechts auf Gehör nach Art. 91 Abs. 1 BV und Art. 103 Abs. 1 GG nicht umfasst (BayVerfGH, E.v. 29.1.2014 – Vf. 18-VI-12 – juris Rn. 35; E.v. 9.8.1991 – VF. 117-VI-90 – VerfGHE 44, 96/102).
Eine Gehörsverletzung im Sinn des § 138 Nr. 3 VwGO liegt insoweit bei Verstößen gegen prozessrechtliche Bestimmungen nur in besonderen Fällen vor. So ist anerkannt, dass die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisantrages einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG und damit einen absoluten Revisionsgrund im Sinne von § 138 Nr. 3 VwGO darstellen kann; dies ist aber nur der Fall, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 8.4.2004 – 2 BvR 743/03 – juris; BVerwG, B.v. 12.3.2004 – 6 B 2.04 – juris, jeweils m.w.N.; NdsOVG, B.v. 3.4.2019 – 11 LA 12/18 – juris Rn. 18; B.v. 16.12.2004 – 8 LA 262/04 – juris Rn. 4). Fehlt es an einem förmlichen Beweisantrag, kommt hinsichtlich der Sachaufklärungspflicht eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG in einer nach § 138 Nr. 3 VwGO beachtlichen Weise nur in Betracht, wenn das Gericht eine Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 7 a.E.).
Insoweit erfordert die Geltendmachung einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) eine substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, durch einen Beweisantrag hingewirkt worden ist und die Ablehnung der Beweiserhebung im Prozessrecht keine Stütze findet, oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen bei einer bloßen Beweisanregung hätten aufdrängen müssen (vgl. zum Ganzen BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 19 f.; B.v.15.2.2013 – 8 B 58.12 – ZOV 2013, 40; v.12.7.2018 – 7 B 15.17 – juris Rn. 23 jeweils zum Revisionszulassungsverfahren gemäß § 132 Nr. 3 VwGO, wobei das Bundesverwaltungsgericht nicht auf die absoluten Revisionszulassungsgründe des § 138 VwGO beschränkt ist). Ohne ein solches Hinwirken auf eine Beweisaufnahme durch einen förmlichen Beweisantrag oder eine Beweisanregung kann unabhängig von einem etwaigen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG bzw. Art. 91 Abs. 1 BV von vornherein nicht verletzt sein.
Diesen Anforderungen genügt die Zulassungsbegründung der Kläger ersichtlich nicht. Denn daraus ergibt sich schon nicht, dass die Kläger durch einen Beweisantrag oder eine hinreichend bestimmte Beweisanregung auf eine Beweiserhebung hingewirkt hätten. Sie legen (daher) auch nicht dar, welcher Beweisanregung das Verwaltungsgericht nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
3. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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