Verwaltungsrecht

Antrag wegen Nichtbestehen der Abiturprüfung

Aktenzeichen  Au 3 E 20.689

Datum:
22.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 25210
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1
GSO § 46, § 48 Abs. 2 S. 2, § 50 Abs. 3 S. 5, § 51 Abs. 2 S. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen das Nichtbestehen der Abiturprüfung.
Die Antragstellerin unterzog sich im Jahr 2019 am Ende des Ausbildungsabschnitts III/2 am … der Abiturprüfung. Dabei erzielte sie bei den schriftlichen Abiturprüfungen im Fach Mathematik zwei Punkte und im Fach Geschichte drei Punkte. In diesen Fächern meldete sie sich daher zur mündlichen Zusatzprüfung an. Die allein streitgegenständliche Zusatzprüfung in Geschichte fand am 6. Juni 2019 statt. In der Abiturprüfung erzielte sie unter Berücksichtigung der Zusatzprüfungen in Deutsch 32 Punkte, in Mathematik 16 Punkte, in Geschichte 15 Punkte, in Französisch 8 Punkte und in Musik 32 Punkte. Am 28. Juni 2019 erteilte die Schule der Antragstellerin ein Zeugnis über den Ausbildungsabschnitt III/2, in dem ausgeführt ist, sie habe sich der Abiturprüfung ohne Erfolg unterzogen.
Die Niederschrift über die mündliche Zusatzprüfung wurde von … als Prüfer sowie … als Schriftführerin unterzeichnet. Als Ergebnis wurden fünf Punkte angegeben, ohne dass zwischen der Bewertung des Prüfers und der Schriftführerin differenziert wurde. Als Prüfungszeit wurde 12:50 Uhr bis 13:10 Uhr notiert. Eine weitere Angabe zur Aufteilung der Prüfungszeit auf die einzelnen Prüfungsteile erfolgte nicht. Das Protokoll ist untergliedert in den Prüfungsteil zum Prüfungsschwerpunkt aus dem Ausbildungsabschnitt III/2 (Prüfungsteil I) und dem Gespräch zu Inhalten aus den Ausbildungsabschnitten II/1 und III/1 (Prüfungsteil II).
Am 18. Juni 2019 legte die Antragstellerin gegen das „im Anschluss an die mündliche (Ergänzungs-)prüfung vom 6. Juni 2019 eröffnete Ergebnis über das Nichtbestehen der Abiturprüfung“ Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, dass die Prüfungsteile nicht getrennt bewertet und der Schwerpunktbereich in der Gesamtbewertung nicht stärker gewichtet worden sei. Nach dem Protokoll der mündlichen Prüfung scheine es, als habe allein Herr … die Leistung bewertet. Frau … sei nämlich nur als Schriftführerin angeführt. Zudem weise das Protokoll keine von ihr eigenständig vergebene Note aus. Aussagen zum Prüfungsschwerpunkt III/2 wie „zu knapp“ seien nicht nachvollziehbar, weil der Prüfer der Antragstellerin bestätigend zugenickt habe und rasant zur nächsten Frage gesprungen sei. Zuletzt habe Herr … die Antragstellerin im vorangegangenen Schuljahr nicht unterrichtet. Die Antragstellerin habe so teilweise gar nicht gewusst was sie in der Prüfung erwarte. Zur Gewährleistung der Chancengleichheit hätte als Zweitprüfer eine Lehrkraft herangezogen werden müssen, die die Antragstellerin in den vergangenen Schuljahren auch unterrichtet habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. September 2019, zugestellt am 23. September 2019, wies die Lehrerkonferenz des … den Widerspruch unter Bezugnahme auf eine gemeinsame Stellungnahme der Prüfer vom 10. September 2019 zurück. Begründet wurde dies damit, dass § 50 Abs. 3 Satz 5 GSO keine Zeitangaben über die Gesamtzeit hinaus verlange. Auch eine getrennte Bewertung der Prüfungsabschnitte bzw. eine unterschiedliche Gewichtung seien weder in § 50 Abs. 3 Satz 5 GSO noch in der Anlage 9 zur GSO vorgesehen. Die GSO sehe weiterhin keine nach Prüfern ausdrücklich getrennte Bewertung vor. Eine Einigung über die Bewertung der Leistung sei durch die beiden Prüfer gemeinsam im unmittelbaren Gespräch nach der Prüfung zustande gekommen, sodass eine gesonderte Punktzahl nicht vermerkt werden könne. Aus einem etwaigen Nicken könne keine Leistungsbewertung abgeleitet werden. Die Bemerkung „zu knapp“ beziehe sich auf inhaltlich Fehlendes in der Antwort des Prüflings. Der Prüfer … habe der Antragstellerin eine alle Semester umfassende Themenbereichsliste übergeben und erläutert. Er habe darauf hingewiesen, dass Grundlage für die Prüfung der Lehrplan sei und sich die an der Schule verwendeten Lehrbücher zur Vorbereitung eignen würden. Ein Wechsel einer Lehrkraft in einem Fach der Oberstufe komme häufig vor und könne bei der Wahl des Zweitprüfers nur bedingt berücksichtigt werden.
Mit ihrer am 23. Oktober 2019 erhobenen Klage, die unter dem Aktenzeichen Au 3 K 19.1758 geführt wird, verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Über diese Klage ist noch nicht entschieden.
Mit Schreiben vom 17. April 2020 stellte sie zudem einen Antrag nach § 123 VwGO beim Verwaltungsgericht Augsburg. Die Einhaltung der Bestimmungen der GSO müssten von der Schule bewiesen werden. Derzeit sei nicht belegt, dass sich die gesamte Prüfungszeit von 20 Minuten gemäß § 50 Abs. 3 Satz 5 GSO gleichmäßig auf die beiden Prüfungsteile verteilt habe. Vor allem sei die Einhaltung des in der Gymnasialschulordnung vorgesehenen Bewertungsverfahrens nicht erwiesen. Aus der Stellungnahme vom 10. September 2019 ergebe sich vielmehr ein Verstoß gegen das aus § 51 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 51 Abs. 2 Satz 2 GSO folgende Gebot der selbstständigen und unabhängigen Bewertung der Prüfungsleistung durch die bestellten Prüfer. Insbesondere dürfe ein Einigungsgespräch erst dann stattfinden, wenn beide Prüfer die Leistung zuvor selbstständig und unabhängig voneinander bewertet hätten. Dieser Bewertungsverfahrensfehler könne nur dadurch kompensiert werden, dass der Antragstellerin die Möglichkeit eingeräumt werde, die mündliche Ergänzungsprüfung zu wiederholen. Eine Neubewertung scheide unabhängig vom eingetretenen Zeitablauf aus, weil wegen des Bewertungsverfahrensfehlers von der Befangenheit der Prüfer ausgegangen werden müsse.
Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin vorläufig zur Wiederholung der mündlichen Ergänzungsprüfung im Fach Geschichte zuzulassen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung trägt er vor, dass § 51 Abs. 3 GSO ausdrücklich nicht auf § 51 Abs. 2 Satz 1 verweise. Die Notenvergabe sei durch eine Bewertung beider Prüfer im unmittelbaren Gespräch nach der Prüfung erfolgt. Ein Bewertungsverfahrensfehler liege daher nicht vor. Auch das Überdenkungsverfahren sei dementsprechend korrekt durchgeführt worden. Zudem könne dem Prüfungsprotokoll aufgrund des Umfangs entnommen werden, dass die Prüfungszeit von 20 Minuten gleichmäßig auf beide Prüfungsteile verteilt worden sei. Eine exakte zeitliche Zuordnung verlange die GSO nicht.
In zwei E-Mails vom 8. Mai 2020 und 11. Mai 2020 erklärte der Antragsgegner, dass im Abitur 2019 sämtliche mündliche Prüfungen im Fach Geschichte von jeweils mit zwei Personen besetzten Unterausschüssen durchgeführt worden seien.
II.
Der zulässige Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist nicht begründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern.
Erforderlich ist, dass die Antragstellerin die Eilbedürftigkeit (den Anordnungsgrund) und ihr subjektiv-öffentliches Recht (den Anordnungsanspruch) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Die Antragstellerin hat das Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
1. Gegenstand der Entscheidung ist der das Prüfungsverfahren abschließende Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2019. Es kann dahinstehen, ob bereits die mündlich eröffnete Feststellung des Nichtbestehens der Abiturprüfung am 6. Juni 2019 als Verwaltungsakt anzusehen ist oder lediglich als unverbindliche Mitteilung. Jedenfalls das Zeugnis über den Ausbildungsabschnitt III/2 mit dem Vermerk, dass sich die Antragstellerin ohne Erfolg der Abiturprüfung entzogen hat, stellt einen solchen verfahrensabschließenden Bescheid dar. Ein Zeugnis, aus dem sich die in der Abiturprüfung erzielten Ergebnisse ergeben würden, ist nach § 55 Abs. 5 Satz 2 der Schulordnung für die Gymnasien in Bayern (Gymnasialschulordnung – GSO) dagegen nicht zu erteilen. Insofern kann sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie keinen weiteren Prüfungsbescheid erhalten habe.
Ungeachtet dessen erfordert die gerichtliche Überprüfung der Entscheidung über das Nichtbestehen der Abiturprüfung eine Feststellung, auf welchen in der Prüfung erzielten Ergebnissen diese Entscheidung beruht. Sind hierfür mehrere Ergebnisse der Prüfung ursächlich, die zusammengenommen das Nichtbestehen tragen, so hat es der Prüfling in der Hand, die Bewertung nur eines einzelnen Ergebnisses zu rügen, wenn dies geeignet erscheint, um das Nichtbestehen in Frage zu stellen. Das Gericht ist, wenn das Vorbringen des Prüflings hierzu keinen Anlass bietet, nicht gehalten, auch weitere Elemente der Prüfung nachzuprüfen (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1994 – 6 C 5.93 – DVBl. 1994, 1356; B.v. 25.3.2003 – 6 B 8.03 – DVBl. 2003, 871, 872).
2. Zu überprüfen ist nur das Ergebnis der mündlichen Zusatzprüfung in Geschichte.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der allgemeinen Hochschulreife sind in § 54 Abs. 1 GSO festgelegt. Nach dem Notenbogen für die Ausbildungsabschnitte II/1, II/2, III/1 und III/2 erfüllte die Antragstellerin alle Voraussetzungen bis auf jene in § 54 Abs. 1 Nr. 5 GSO. Danach müssen in mindestens drei der fünf Abiturfächer, darunter eines der Fächer Deutsch, Mathematik und fortgeführter Fremdsprache, in den nach § 52 GSO ermittelten Prüfungsergebnissen mindestens 20 Punkte und zudem in einem weiteren Abiturprüfungsfach aus den Fächern Deutsch, Mathematik und fortgeführte Fremdsprache mindestens 16 Punkte erreicht werden. Die Antragstellerin erhielt lediglich in Deutsch und Musik über 20 Punkte. In Mathematik erhielt sie nur 16 Punkte. Damit hat sie die Abiturprüfung nicht bestanden.
Die Prüfung in Geschichte wurde nach § 48 Abs. 2 Satz 2 GSO in schriftlicher Form durchgeführt. In den schriftlichen Prüfungsfächern wird gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 GSO auf Antrag der Schülerin oder auf Anordnung des Prüfungsausschusses eine mündliche Zusatzprüfung durchgeführt. Einen entsprechenden Antrag hat die Antragstellerin gestellt. Im Fall einer derartigen Zusatzprüfung werden die beiden Prüfungsteile im Verhältnis 2 : 1 gewertet (§ 52 Abs. 1 Satz 2 GSO). Hätte die Antragstellerin in der mündlichen Zusatzprüfung zehn Punkte erzielt, so hätte sie nach der Formel in Anlage 9 der Gymnasialschulordnung die erforderlichen 20 Punkte erreicht ((P=(2×3+10):3×4=21)).
Die Leistungsbewertung in der schriftlichen Prüfung wurde von Seiten der Antragstellerin nicht gerügt.
3. Das Verfahren der mündlichen Zusatzprüfung in Geschichte ist nicht zu beanstanden.
a) Die Prüfungszeit muss nicht exakt gleichmäßig auf beide Prüfungsteile aufgeteilt werden. § 50 Abs. 3 Satz 5 GSO bestimmt vielmehr ausdrücklich, dass die beiden Prüfungsteile je „etwa“ zehn Minuten dauern müssten. Erst wenn die Dauer eines Prüfungsteils erheblich längere Zeit in Anspruch nehmen würde und damit die Gewichtung der Prüfungsteile auch unter Berücksichtigung des gesetzlich vorgesehenen Spielraums wesentlich außer Verhältnis geriete, käme ein Verfahrensfehler in Betracht. Angesichts des Umfangs des Protokolls ist jedoch nicht davon auszugehen, dass bei der mündlichen Zusatzprüfung im Fach Geschichte in diesem Sinn erheblich von den zeitlichen Vorgaben abgewichen worden wäre.
b) Die Gymnasialschulordnung sieht keine getrennte und unterschiedlich gewichtete Bewertung der Prüfungsteile der mündlichen Zusatzprüfung vor. § 50 Abs. 3 Satz 5 GSO untergliedert die Prüfung lediglich in zwei Prüfungsteile. Schon nach dem Wortlaut handelt es sich bei den einzelnen Abschnitten daher nicht um jeweils gesondert zu bewertende Prüfungsleistungen, sondern um Bestandteile einer einheitlichen Prüfung (vgl. § 50 Abs. 1 Satz 2 GSO). Dies wird auch in § 51 Abs. 3 Satz 2 GSO deutlich. Danach ist die Gesprächsfähigkeit und damit ein Umstand, der nur aufgrund eines Gesamteindrucks der Prüfung insgesamt bewertet werden kann, angemessen zu berücksichtigen.
Auch aus dem Wortlaut „Prüfungsschwerpunkt“ ergibt sich nichts Anderes. Eine Gewichtung erhält dieser Teil allein dadurch, dass dort nach Ziff. 2 der Anlage 9 der GSO nur der Lerninhalt eines Ausbildungsabschnitts behandelt wird, während im anderen Prüfungsteil in derselben Zeit die Lerninhalte aus zwei Ausbildungsabschnitten abzuhandeln sind.
c) Einer gesonderten Festsetzung von Punkten durch die Prüfer bedurfte es nicht. Auch ein Verstoß gegen das aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Gebot der selbstständigen und unabhängigen Bewertung der Prüfungsleistung durch die bestellten Prüfer ist bei summarischer Prüfung nicht erkennbar.
aa) Die Bewertung der mündlichen Prüfung oblag nach § 51 Abs. 3 Satz 1 dem nach § 46 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GSO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 Satz 2 GSO zuständigen Unterausschuss als Kollegialorgan. Die Mitglieder des zuständigen Ausschusses haben zunächst eine Einigung zu versuchen (so noch ausdrücklich § 82 Abs. 3 Satz 2 GSO in der vom 1. August 2007 bis zum 31. Juli 2008 gültigen Fassung). Erst wenn eine solche Einigung nicht zustande kommt, wird die Punktzahl nach § 51 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 51 Abs. 3 Satz 2 GSO vom Vorsitzenden des Prüfungsausschusses oder einem von ihm bestimmten Prüfer festgesetzt. Zu Recht weist der Antragsgegner in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der für mündliche Prüfungen einschlägige § 51 Abs. 3 GSO gerade nicht auf § 51 Abs. 2 Satz 1 GSO verweist. Eine gesonderte Bewertung im Sinn von § 51 Abs. 2 Satz 1 GSO würde vorliegend auch keinen Sinn machen, weil mündliche Prüfungen im Gegensatz zu schriftlichen Klausuren nicht nacheinander durch zwei Prüfer als Berichterstatter bewertet werden, sondern durch den Fach- oder Unterausschuss als Kollektiv. Bei der Bewertung der mündlichen Prüfung haben die Mitglieder des zuständigen Ausschusses daher nicht zunächst die Leistung gesondert mit einer jeweils eigenen Punktzahl zu bewerten. Vielmehr ist es in der Gymnasialschulordnung selbst angelegt und vorgegeben, dass die Prüfer die Bewertung – wie hier – gemeinsam in einem Einigungsgespräch als Kollektiv zu entwickeln haben.
bb) Dieses Verfahren ist auch mit höherrangigem Recht vereinbar. Insbesondere ist bei summarischer Prüfung ein Verstoß gegen die Verpflichtung der Prüfer zu einer eigenverantwortlichen und unabhängigen Bewertung nicht zu erkennen. Aus Art. 12 Abs. 1 GG folgt, dass jeder eigenständig tätige Prüfer die Leistung persönlich, unmittelbar und vollständig zur Kenntnis nehmen und eine selbstständige und eigenverantwortliche Bewertungsentscheidung treffen muss (BVerwG, B.v. 9.10.2012 – 6 B 39.12 – NVwZ-RR 2013, 44, 45 f. Rn. 7; BVerwG, B.v. 19.5.2019 – 6 B 1.16 – BeckRS Rn. 12). Ein „Anschließen“ an die Bewertung eines Mitprüfers ohne nähere (schriftliche) Begründung ist jedoch zulässig, wenn dies das Ergebnis eines eigenständigen und unabhängigen Bewertungsvorgangs darstellt (OVG Magdeburg, U.v. 22.7.2009 – 3 L 133/07 – BeckRS). Bei einer mündlichen Prüfung durch eine Prüfungskommission ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass die abschließende Beurteilung und Notenfestsetzung durch die Prüfer nicht sukzessive erfolgt, sondern gleichzeitig in einem Beratungsgespräch. Erforderlich, aber auch ausreichend ist daher, dass die Mitglieder bei der Beratung über das Prüfungsergebnis anwesend sind, sich an der abschließenden Bewertung der Prüfungsleistung beteiligen und dort ein Austausch der Argumente und ein Abwägen stattfindet (Fischer in: Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018 Rn. 559).
Nach der im Widerspruchsverfahren gemeinsam abgegebenen Stellungnahme haben sich die Prüfer in ausreichender Weise an dem Bewertungsgespräch beteiligt. Der Hinweis, dass keine „ausdrücklich“ getrennte Bewertung zu erfolgen habe, bedeutet lediglich, dass keine nach Prüfern getrennte Notenfestsetzung erforderlich ist. Dies ist rechtlich zutreffend (s.o.). Auch die Darstellung, dass eine „Einigung über die Bewertung […] durch die beiden Prüfer gemeinsam im unmittelbaren Gespräch nach der Prüfung zustande gekommen“ sei, lässt keinen Bewertungsverfahrensfehler erkennen. Der Begriff „Einigung“ setzt voraus, dass zunächst unterschiedliche subjektive Beurteilungen vorhanden waren und sich die Prüfer im Austausch der Argumente auf ein Ergebnis verständigt haben. Die gemeinsame Stellungnahme beschreibt daher den in der Praxis mündlicher Prüfungen üblichen und anerkannten Weg, dass die konkrete Note im gemeinsamen Beratungsgespräch festgesetzt wird. Der Schluss, dass die Prüfer sich davor zunächst nicht selbst und unabhängig Gedanken über die Leistung des Prüflings gemacht und diese individuellen Bewertungen sodann in das Beratungsgespräch eingebracht haben, lässt sich daraus gerade nicht ziehen.
d) Es ist darüber hinaus nach Ansicht des Gerichts nicht zu beanstanden, dass in § 46 Abs. 1 Satz 1 GSO sowie § 46 Abs. 2 Satz 1 GSO nur die Mindestanzahl der Mitglieder der Fach- und Unterausschüsse angegeben wurde.
aa) Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die konkrete Zahl der Prüfer bei einer berufsbezogenen Abschlussprüfung vorab und vorhersehbar rechtssatzmäßig festgelegt sein müsse (BVerwG, U.v. 10.4.2019 – 6 C 19.18 – NJW 2019, 2871, 2872 Rn. 14 ff., dort auch zum folgenden Text). Dies folge aus dem Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG), weil die Zahl der Prüfer nicht nur das Prüfungsverfahren betreffe, sondern auch die Grundlage für die endgültige Bewertung der Prüfungsleistung beeinflusse und damit wesentlich für das Prüfungsergebnis sei.
bb) Vorliegend handelt es sich jedoch bereits nicht um eine berufsbezogene Abschlussprüfung. Eine solche setzt den Bezug zu einem konkreten Beruf voraus. Die Ausbildung muss gerade darauf abzielen, berufsspezifische Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Die Abiturprüfung stellt dagegen eine schulische Prüfung dar, die den Abiturienten die allgemeine Hochschulreife und die nur generelle Befugnis verschafft, an einer Universität oder Hochschule zu studieren. Einen Bezug zu einem konkreten Beruf hat diese Prüfung gerade nicht.
cc) Im Übrigen teilt das Gericht die weitreichenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht uneingeschränkt. Die Begründung des Bundesgerichts lässt nach Ansicht der Kammer nicht den generellen Schluss zu, dass der zuständige Normgeber die Zahl der Prüfer rechtssatzmäßig festlegen muss. Wesentlich für das Prüfungsergebnis ist zwar die Grundsatzentscheidung zwischen Einzel- und Kollegialprüfung. Die Einschaltung mehrerer Prüfer objektiviert die Bewertung und minimiert Bevorzugungen und Benachteiligungen einzelner Prüflinge (vgl. BVerwG a.a.O.). Die darüber hinausgehende Entscheidung bezüglich der konkreten Anzahl der Prüfer hat dagegen keinen so gravierenden Einfluss auf das Prüfungsergebnis, dass eine rechtssatzmäßige Festlegung erforderlich wäre. Andernfalls wäre begründungspflichtig, warum nicht auch die Auswahl der Prüfer vorab abstrakt-generell festgelegt werden muss. Insoweit ist jedoch anerkannt, dass kein Anspruch auf einen geschäftsplanmäßig im Voraus bestimmten „gesetzlichen Prüfer“ besteht (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018, Rn. 362 m.w.N.; BayVGH, U.v. 10.9.1991 – 11 B 90.1515 – juris Rn. 13). Auch der Grundsatz der Chancengleichheit ist jedenfalls dann nicht verletzt, wenn die Prüfungsausschüsse – wie hier im Fach Geschichte – stets mit der gleichen Anzahl an Prüfern besetzt sind.
4. Zuletzt führt auch der Einwand der Antragstellerin, die Prüfer hätten im Überdenkungsverfahren eine gemeinsame Stellungnahme abgegeben, nicht zum Erfolg des Eilantrags.
a) Zwar ist die Prüfungsentscheidung insgesamt aufzuheben und dem Prüfling die Möglichkeit einzuräumen, die Prüfungsleistung erneut zu erbringen, sofern ein Fehler im Überdenkungsverfahren nicht mehr behoben werden kann und damit der fehlerbehaftete Teil des Prüfungs- oder Bewertungsverfahrens nicht mehr ordnungsgemäß nachgeholt werden kann (BVerwG, U.v. 10.4.2019 – 6 C 19.18 – NJW 2019, 2871, 2875 Rn. 32). Auch hat die Kammer wiederholt entschieden, dass die beteiligten Prüfer jedenfalls bei schriftlichen Prüfungen im Licht des Gebots der persönlichen und unmittelbaren Kenntnisnahme der Prüfungsleistung durch jeden Prüfer im Rahmen des Überdenkungsverfahrens keine gemeinsame Stellungnahme abgeben dürfen, soweit die Prüfer zuvor das Ergebnis ihres Überdenkens nicht jeweils gesondert schriftlich niedergelegt haben (VG Augsburg, B.v. 30.7.2019 – Au 3 K 17.467 – juris Rn. 18; VG Augsburg, B.v. 5.10.2016 – Au 3 K 15.1425 – juris Rn. 26). Allerdings sind auch insoweit die Besonderheiten mündlicher Prüfungen zu berücksichtigen, um die Kongruenz zwischen Überdenkungsverfahren und der ursprünglichen Prüfungsentscheidung herzustellen. Da die Prüfer ursprünglich die abschließende Beurteilung im Beratungsgespräch gemeinsam entwickeln konnten (s.o.), waren sie auch im Überdenkungsverfahren von Rechts wegen nicht an der Abgabe einer gemeinsamen Stellungnahme gehindert (im Ergebnis auch OVG Berlin-Bbg, B.v. 16.5.2017 – OVG 5 N 17.16 – BeckRS).
b) Unabhängig davon setzt die Einleitung des Überdenkungsverfahrens die Erhebung substantiierter Einwände gegen die Leistungsbewertung voraus, d.h. gegen die mit einem prüfungsrechtlichen Bewertungsspielraum verbundene Einordnung der erbrachten Leistungen in ein Bewertungssystem. Der Prüfling muss wirkungsvolle Hinweise geben, d.h. die Einwände müssen konkret und nachvollziehbar begründet werden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 5.10.2009 – 6 PKH 6.09 – juris Rn. 5; B.v. 18.12.2008 – 6 B 70.08 u.a. – juris Rn. 7; B.v. 8.11.2005 – 6 B 45.05 – juris Rn. 10; U.v. 24.2.1993 – 6 C 32.92 – juris Rn. 19).
Daran fehlt es hier. Die Antragstellerin hat im Widerspruchsverfahren bezüglich des Prüfungsschwerpunkts „Aussagen wie ‚zu knapp‘ in den Bemerkungen“ gerügt. Begründet hat sie dies damit, dass ihr der Prüfer bestätigend zugenickt habe und sehr rasant zur nächsten Frage gesprungen sei. Die Bewertungsrüge lässt nicht erkennen, welche einzelnen prüfungsspezifischen Wertungen zu beanstanden seien. Sie gibt daher keine konkreten und nachvollziehbaren Hinweise, die Grundlage eines Überdenkungsprozesses sein könnten.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG. Im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Streitwert des § 52 Abs. 2 GKG zu halbieren.


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