Verwaltungsrecht

Arbeitszeit, Unterrichtspflichtzeit, Lehrer, Klasse für Kranke, Schule für Kranke

Aktenzeichen  M 5 K 19.4619

Datum:
4.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 17906
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 3
BayBG Art. 87 Abs. 1
Verordnung über die Unterrichtspflichtzeit in Bayern (Bayerische Unterrichtspflichtzeitverordnung/BayUPZV)
Verordnung über die Errichtung und den Betrieb sowie Schulordnung der Schulen für Kranke in Bayern (Krankenhausschulordnung/KraSO)

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die regelmäßige Unterrichtspflichtzeit der Klägerin 24 Unterrichtsstunden pro Woche beträgt und der Bescheid der Regierung von Oberbayern wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
1. Die Anfechtungsklage gegen die Festsetzung der Unterrichtspflichtzeit auf 26 Wochenstunden für den Zeitraum vom … August 2019 bis … Juli 2020 im Beschied vom … Juli 2019 sowie die Feststellungsklage sind zulässig.
Die Zahl der von der Klägerin zu erteilenden Unterrichtsstunden (Pflichtstunden) ist ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinn von § 43 Abs. 1 VwGO. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung, in welchem Umfang sie zur Erteilung von Unterrichtsstunden verpflichtet ist, da die Regelung der Unterrichtsstundenzahl wegen der Auswirkung auf die Gesamtarbeitszeit die individuelle Rechtssphäre der Klägerin berührt. Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht die Subsidiarität gemäß § 43 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht entgegen (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1982 – 2 C 88.81 – NVwZ 1984, 107 – juris; BayVGH; B.v. 18.3.1987 – 3 B 86.912; VG München, U.v. 16.3.2010 – M 5 K 09.2997, jeweils m.w.N.).
Das Rechtsschutzbegehren der Feststellungsklage reicht weiter als das der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom … Juli 2019, da dieser nur den Zeitraum vom … August 2019 bis … Juli 2020 umfasst. Die Klägerin hat aber auch ein berechtigtes Interesse daran, dass festgestellt wird, dass für sie auch für Zeiten ab dem 1. August 2020 nur eine Unterrichtspflichtzeit von 24 Wochenstunden besteht.
Eine Feststellungsklage kann dann ausnahmsweise neben einer Anfechtungsklage statthaft sein, wenn die Klägerin – wie oben dargestellt – nur auf diese Weise das von ihr erstrebte Rechtsschutzziel vollständig erreichen kann (BezirkG Erfurt, U.v. 16.11.1992 – 1 A 8/92 – ThürVBl 1993, 133, juris).
2. Die Klage ist auch begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung, dass sie zur gleichen Unterrichtsleistung heranzuziehen ist, wie Lehrer mit der Lehramtsbefähigung für Realschulen, die an „Schulen für Kranke“ unterrichten. Der Bescheid vom … Juli 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
a) Die Arbeitszeit der beamteten Lehrer bestimmt sich maßgeblich nach der Pflichtstundenzahl, die normativ festzulegen ist (vgl. BVerwG, U.v. 30.8.2012 – 2 C 23.10 – BVerwGE 144, 93, juris Rn. 14 f.). Dabei darf der Normgeber die Pflichtstundenzahlen für Gruppen von Lehrern im Rahmen einer generalisierenden und pauschalierenden Betrachtungsweise unterschiedlich hoch festsetzen (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1982 – 2 C 88.81 – ZBR 1983, 187, juris). Was die gerichtliche Überprüfbarkeit dieser Einschätzung betrifft, so folgt aus dem weiten Gestaltungs- bzw. Ermessensspielraum des Dienstherrn eine nur in engen Grenzen bestehende gerichtliche Kontrollmöglichkeit dahingehend, dass diese Einschätzung nicht offensichtlich fehlerhaft, insbesondere nicht willkürlich sein darf (BayVGH, U.v. 25.11.2019 – 3 BV 17.1857 – juris Rn. 23). Das Gericht hat nicht zu überprüfen, ob die Festsetzung der Unterrichtspflichtzeiten differenziert nach Lehrern in „Klassen für Kranke“ und an „Schulen für Kranke“ die bestmögliche oder gerechteste Lösung darstellt. Das Gericht kann nicht seine eigenen Abwägungen und Überlegungen an die Stelle derjenigen des Dienstherrn setzen (BayVGH, U.v. 25.11.2019 – 3 BV 17.1857 – juris Rn. 25). Der Dienstherr verstößt jedoch gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Grundgesetz/GG), Art. 118 Abs. 1 Verfassung des Freistaates Bayern (BV), wenn sich ein sachgerechter Grund für die getroffene Regelung bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise schlechterdings nicht feststellen lässt (vgl. BayVerfGH, E.v. 21.3.2016 – Vf. 21-VII-15 – juris Rn. 28; BayVGH, U.v. 25.11.2019 – 3 BV 17.1857 – juris Rn. 25). Der Gleichheitssatz ist nur verletzt, wenn der Normgeber einen vernünftigen, sich aus der Natur der Sache ergebenden oder sonst wie einleuchtenden Grund für diese Differenzierung nicht angeben kann. Hiernach kann eine Festsetzung verschieden hoher Pflichtstundenzahlen für Gruppen von Lehrern, für die sämtlich die gleiche Gesamtarbeitszeit gilt, nur an solche Umstände anknüpfen, die einen sachlichen Bezug zur jeweils geforderten Arbeitsleistung aufweisen, insbesondere zu deren zeitlichem Maß (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1982 – 2 C 88.81 – ZBR 1983, 187, juris Rn. 16 f.). Folglich ist etwa die Verschiedenartigkeit der Ausbildungsziele der einzelnen Schularten grundsätzlich ein sachgerechtes Differenzierungsmerkmal für die Festsetzung unterschiedlicher Pflichtstundenzahlen, sofern die Verschiedenartigkeit der Ausbildungsziele noch wirklichkeitskonform die Annahme einer nach Zeit und/oder Art unterschiedlichen Arbeitsbelastung stützen kann. Weiter ist die Verschiedenartigkeit der tatsächlich überwiegend unterrichteten Fächer ein sachliches Differenzierungsmerkmal, wenn sich daraus typischerweise eine unterschiedliche Arbeitsbelastung für Gruppen von Lehrern ergibt, weil die eingesetzten Lehrer durch die Vor- und Nachbereitung des jeweiligen Unterrichtsfachs weniger stark beansprucht werden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 11.12.2020 – 2 B 10/20 – juris Rn. 9). Auch der Gesichtspunkt, dass aufgrund der fachtheoretischen Ausrichtung eines Fachs eine intensivere Vor- und Nachbereitung erforderlich ist als in praktisch ausgerichteten Fächern, darf als Differenzierungskriterium herangezogen werden (BayVGH, B.v. 21.2.2005 – 3 BV 03.1799 – juris).
b) Maßgeblich für die Bestimmung der Unterrichtspflichtzeit der Klägerin ist die ab dem 1. August 2018 geltende Verordnung über die Unterrichtspflichtzeit in Bayern (Bayerischen Unterrichtspflichtzeitverordnung/BayUPZV). Die Unterrichtspflichtzeitverordnung sieht in Nr. 5.5.2 vor, dass für Lehrerinnen und Lehrer mit der Befähigung für das Lehramt an Realschulen an „Schulen für Kranke“ eine Unterrichtspflichtzeit von 24 Wochenstunden gilt. Lehrerinnen und Lehrer an Förderzentren einschließlich Schulvorbereitender Einrichtungen haben nach Nr. 5.1.2 BayUPZV eine Unterrichtspflichtzeit von 26 Wochenstunden. Eine Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (StMUK) vom 22. August 2019 (Az. III.5-BP8004-4b.72 878; Stundenermäßigungen und Anrechnungsstunden sowie Unterrichtspflichtzeit an Förderschulen (einschließlich Schulvorbereitenden Einrichtungen) und an Schulen für Kranke) sieht in Nr. 1 Satz 6 vor, dass für „Klassen für Kranke“ dieselbe Unterrichtspflichtzeit wie an den Förderzentren gelte.
c) Der Gleichheitssatz ist nicht schon dann verletzt, wenn bei einer typisierenden und generalisierenden Regelung Härten und Ungerechtigkeiten auftreten. Diese müssen hingenommen werden (BVerfG, B.v. 15.7.1998 – 1 BvR 1554/89, 1 BvR 963/94, 1 BvR 964/94 – BVerfGE 98, 365/385, juris Rn. 63). Dieser für die Prüfung gesetzgeberischer Regelungen entwickelte Maßstab ist auch auf die Bestimmung der Lehrerarbeitszeit durch das Kultusministerium zu übertragen, da der Dienstherr den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Gestaltungsspielraum ausfüllt; es ist nicht ersichtlich, dass hierbei strengere Voraussetzungen als beim Erlass von gesetzlichen Regelungen gelten sollen (BayVGH, B.v. 18.3.1987 – 3 B 86.912; VG München, U.v. 28.9.2010 – M 5 K 09.1815 u.a.). Dieser Maßstab ist heranzuziehen, da es sich bei der unterschiedlichen Festlegung von Unterrichtspflichtzeiten für Lehrer nach der Tätigkeit in einer „Klasse für Kranke“ oder an einer „Schule für Kranke“ nicht um eine Differenzierung handelt, die an personenbezogene Merkmale anknüpft, sondern um eine unterschiedliche Behandlung verschiedener Sachverhalte (vgl. zu dieser Unterscheidung: Jarass, NJW 1997, S. 2545; vgl. auch Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Rn. 18 ff. zu Art. 3). Die unterschiedlichen Pflichtstundenmaße knüpfen an die organisatorische Unterscheidung bzw. Einrichtung der „Klasse für Kranke“ und „Schule für Kranke“ an und nicht an ein Merkmal an, das für einen Lehrer oder eine bestimmte Lehrergruppe kennzeichnend ist.
d) Gemessen an diesen Grundsätzen ist es rechtlich zu beanstanden, wenn der Beklagte für Lehrer, die in einer „Klassen für Kranke“ unterrichten, im Vergleich zu Lehrern die an einer „Schule für Kranke“ unterrichten, eine unterschiedlich hohe Unterrichtspflichtzeit ansetzt. Bei der Festsetzung der Unterrichtspflichtstunden der Klägerin ist ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG bzw. Art. 118 Abs. 1 BV gegeben.
Wie von der Klägerin und insbesondere von den Vertretern des Beklagten im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgetragen wurde, unterscheidet sich die konkrete Tätigkeit einer Lehrkraft an einer „Schule für Kranke“ zu einer Lehrkraft in einer „Klasse für Kranke“ in keinster Weise. Sowohl an einer „Schule für Kranke“ als auch für eine „Klasse für Kranke“ existiert kein spezieller Lehrplan. Auch hinsichtlich der Klassenzusammensetzung, Klassengröße und Teilnahme von stationär und teilstationär behandelten Kindern gibt es keine Unterschiede, da die Gruppe mitunter einem täglichen Wandel unterzogen ist. Der Aufwand und die spezielle Ausgestaltung der Lehrtätigkeit für die Lehrkraft ist nicht davon abhängig, ob diese in einer „Schule für Kranke“ oder in einer „Klasse für Kranke“ tätig ist. Der Aufwand und die Ausgestaltung der Lehrtätigkeit hängt von den vom Krankenhaus aufzunehmenden Schülern ab. Die Arbeitsbelastung der Klägerin, welche ausschließlich in „Klassen für Kranke“ unterrichtet, ist somit identisch zu der Arbeitsbelastung von Lehrerkräften, die an einer „Schule für Kranke“ unterrichten.
Vielmehr stellt die Unterscheidung zwischen „Schule für Kranke“ und einer „Klasse für Kranke“ eine organisatorische Entscheidung des Beklagten dar. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Errichtung und den Betrieb sowie Schulordnung der Schulen für Kranke in Bayern (Krankenhausschulordnung/KraSO) kann der Beklagte im Rahmen einer Ermessensentscheidung, wenn in den Unterrichtswochen auf Dauer durchschnittlich mindestens 40 Schüler im Sprengel oder Einzugsbereich der Schule zu betreuen sind, eine „Schule für Kranke“ errichten und betreiben. Satz 2 des § 4 Abs. 1 KraSO sieht vor, „wenn in den Unterrichtswochen auf Dauer durchschnittlich mindestens zehn Schüler zu erziehen und unterrichten sind, kann eine nicht selbstständige Schule für Kranke angeschlossen an eine Förderschule errichtet werden.“ Der Verordnungsgeber selbst umschreibt eine „Klasse für Kranke“ als eine „nicht selbstständige Schule für Kranke“, ohne eine weitergehende Differenzierung oder unterschiedliche Ausgestaltung beider vorzunehmen.
Die gesamte Krankenhausschulordnung unterscheidet nur in § 4 zwischen einer „Schule für Kranke“ und einer „nicht selbstständige Schule für Kranke“. Insbesondere die §§ 10, 11 und § 12 KraSO, welche Ausführungen zur Klassen- und Gruppenbildung, zum Inhalt des Unterrichts und zur Unterrichtszeit und Umfang des Unterrichts enthalten, treffen keine Unterscheidung zwischen einer „Schule für Kranke“ und einer „Klasse für Kranke“ bzw. „nicht selbstständigen Schule für Kranke“.
Auch unter Berücksichtigung einer dem Beklagten zustehenden generalisierenden und pauschalierenden Betrachtungsweise, liegt vorliegend ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor. Es liegt kein sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund für diese Differenzierung vor (BVerwG, B.v. 11.12.2020 – 2 B 10/20 – juris Rn. 9). Es liegt gerade kein sachlicher Bezug zur jeweils geforderten Arbeitsleistung vor, insbesondere zu deren zeitlichem Maß (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1982 – 2 C 88.81 – ZBR 1983, 187, juris Rn. 16 f.). Sowohl die Ausbildungsziele, als auch die konkrete Art der Tätigkeit sowie die zeitliche Arbeitsbelastung bzw. der Arbeitsaufwand sind bei einer Tätigkeit als Lehrer an einer „Schule für Kranke“ und in einer „Klasse für Kranke“ identisch und somit wesentlich gleich, sodass die unterschiedlich hohe Pflichtstundenzahl eine Ungleichbehandlung darstellt, weshalb der Bescheid aufzuheben sowie festzustellen war, dass die wöchentliche Pflichtstundenzahl der Klägerin 24 beträgt.
3. Der Beklagte hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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