Verwaltungsrecht

Asyl, Äthiopien: Mindestmaß an exilpolitischer Betätigung begründet keine Verfolgungsgefahr

Aktenzeichen  B 7 K 17.33411

Datum:
27.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 19613
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 108 Abs. 1
AsylG § 3 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwVfG § 42

 

Leitsatz

1 Dem Kläger droht wegen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo nicht die Gefahr einer landesweiten Verfolgung. Es wird die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische landesweite Verfolgungsdichte von oromischen Volkszugehörigen klar nicht erreicht. Dabei wird nicht verkannt, dass es durchaus immer wieder zu unterdrückenden und diskriminierenden Handlungen wie auch zur Verletzung von Menschenrechten von Volkszugehörigen der Oromo kommt. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Bevölkerungsgruppe der Oromo einen ganz wesentlichen Anteil der Gesamtbevölkerung Äthiopiens ausmacht (vgl. VG Regensburg BeckRS 2018, 1323). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2 Äthiopische Asylbewerber erwartet für den Fall der Rückkehr nach Äthiopien nicht bereits mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, sofern sie sich zu einer Exilorganisation, die einer vom äthiopischen Staat als terroristisch eingestuften Vereinigung nahesteht, bekennen und sie für diese Exilorganisation nur ein Mindestmaß an Aktivität vorweisen. Vielmehr müssen bei einer Rückkehr nach Äthiopien nur solche Personen mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert politisch betätigt haben, dass die äthiopischen Behörden sie als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
3 Es ist prognostisch davon auszugehen, dass es dem Kläger im jungen und arbeitsfähigen Alter gelingen wird, in Äthiopien wieder Fuß zu fassen und sich sein Existenzminimum zu erwirtschaften. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid vom 07.11.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dieser hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter noch auf Zuerkennung internationalen Schutzes. Rechtlich nicht zu beanstanden ist ferner die Verneinung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch die weiteren Entscheidungen im angefochtenen Bescheid erweisen sich als rechtmäßig.
In der Sache selbst schließt sich das Gericht zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst den Gründen des angefochtenen Bescheides an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist zur Sache sowie zur Klage das Folgende auszuführen:
1. Das Gericht konnte sich nicht die erforderliche Überzeugung verschaffen, dass der Kläger sein Heimatland aus asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich relevanten Gründen verlassen hätte.
a) Dem Kläger droht wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo in Äthiopien keine Gruppenverfolgung im Rechtssinne, wobei nach § 77 Abs. 1 AsylG auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist. Grundsätzlich kann sich die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer zwar nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmales verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden Gruppen gerichteten Verfolgung setzt dabei voraus, dass eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegt, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr einer Betroffenheit besteht. Zudem gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, wenn also auch keine in zumutbarer Weise erreichbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht (vgl. VG Augsburg, U.v. 7.11.2016 – Au 5 K 16.31853 – juris m.w.N.).
Dies zugrunde gelegt, droht dem Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo nicht die Gefahr einer landesweiten Verfolgung. Dabei wird nicht verkannt, dass es durchaus immer wieder zu unterdrückenden und diskriminierenden Handlungen wie auch zur Verletzung von Menschenrechten von Volkszugehörigen der Oromo kommt. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Bevölkerungsgruppe der Oromo einen ganz wesentlichen Anteil der Gesamtbevölkerung Äthiopiens ausmacht. Bezieht man dies mit ein, so wird die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische landesweite Verfolgungsdichte von oromischen Volkszugehörigen klar nicht erreicht (vgl. VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411 – juris; s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22.03.2018 – Gz. 508-516.80/3 – ETH).
b) Aus dem individuellen Vortrag des Klägers ergibt sich nicht, dass ihm ein Anspruch auf Zuerkennung einer der geltend gemachten Rechtspositionen zustehen würde.
Das Bundesamt hat im streitgegenständlichen Bescheid ausführlich und rechtlich tragfähig begründet, aus welchen Gründen es der vom Kläger geltend gemachten Fluchtgeschichte keinen Glauben schenke.
Auch auf der Grundlage des Vortrags im gerichtlichen Verfahren und insbesondere der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung besteht kein Anlass für eine abweichende Beurteilung. Vielmehr ergibt ein Abgleich der Angaben des Klägers gegenüber dem Bundesamt mit den in der mündlichen Verhandlung angebrachten Ausführungen in aller Deutlichkeit, dass dem Kläger die von ihm geltend gemachte Fluchtgeschichte nicht geglaubt werden kann. So hat der Kläger beispielsweise beim Bundesamt angegeben, die Mutter des Klägers sein, nachdem im Wohnanwesen Feuer gelegt worden sei, zum Onkel des Klägers gegangen und habe sich dort versteckt. Am nächsten Tag sei dann auch der Kläger zu seiner Mutter gegangen und habe mit ihr geredet (S. 5/6 der Anhörungsniederschrift). Demgegenüber hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, Leute mit Masken hätten Feuer gelegt sowie u.a. die Mutter des Klägers geschlagen und mitgenommen. Dies sei das letzte Mal gewesen, dass der Kläger seine Mutter gesehen habe (S. 2/3 der Niederschrift). Es macht jedoch einen erheblichen Unterschied, ob die Mutter des Klägers von den Brandstiftern sogleich mitgenommen worden sein soll oder ob sich diese (zunächst) zum Onkel des Klägers begeben habe und der Kläger seinerseits dann am nächsten Tag sogar zu seiner Mutter gegangen sein möchte. Nach der beim Bundesamt dargebotenen Version seiner Geschichte soll es die Mutter des Klägers gewesen sein, die ihm einiges an Geld für die Ausreise mitgegeben habe (S. 6 der Anhörungsniederschrift). Dies passt nicht zu den Angaben in der mündlichen Verhandlung, denn die Mutter soll ja sogleich verhaftet worden sein und der Kläger habe sie dann auch nicht mehr gesehen; es sei vielmehr der Nachbar Abdellah gewesen, der die Reise des Klägers finanziert habe (S. 4 der Niederschrift). Der Kläger selbst möchte nach seiner Darstellung beim Bundesamt nach der Brandlegung auf der Straße geblieben sein, er sei von seinen Verletzungen geschwächt gewesen und sei dann zu seiner Frau gegangen (S. 5 der Anhörungsniederschrift). Im deutlichen Gegensatz dazu möchte der Kläger ausgehend von seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung aber bewusstlos gewesen sein und seine Frau sei dann zu ihm gekommen, habe ihn bewusstlos aufgefunden und mitgenommen (S. 2 der Niederschrift).
Ferner hat der Kläger beim Bundesamt angegeben, dass man (der Staat) seinem Vater einige (Textil-)Läden weggenommen habe und der Kläger habe unterschreiben sollen, dass er mit der Beschlagnahme (weiterer) Geschäfte seines Vaters einverstanden sei (S. 3, 5 der Anhörungsniederschrift). Angesprochen in der mündlichen Verhandlung auf Eigentumspositionen der Familie des Klägers, die sich der Staat verschafft habe, ist der Kläger auf die erfolgte oder beabsichtigte Beschlagnahme von (Textil-)Läden überhaupt nicht (mehr) eingegangen, sondern hat davon gesprochen, dass seine Familie Kaffeeland besessen habe und dieses habe der Staats an reiche Leute verkaufen wollen. Weitere Angaben zu dieser Thematik habe der Kläger nicht anzubringen (vgl. S. 4 der Niederschrift). Die Widersprüche und Ungereimtheiten ließen sich noch fortführen. Es bedarf keiner vertieften Erläuterung, dass der Grad der Abweichung der verschiedenen Schilderungen so gravierend ist, dass den Angaben des Klägers eine Glaubhaftigkeit nicht zugesprochen werden kann. Vielmehr ist das Gericht davon überzeugt, dass sich der Kläger Geschichten zurechtgelegt hat, die seine Chancen im Asylverfahren verbessern sollten, die er so jedenfalls aber im Heimatland nicht selbst erlebt hat. In rechtlicher Hinsicht ist damit davon auszugehen, dass der Kläger sein Heimatland verlassen hat, ohne dass eine Vorverfolgung im Sinne des Asyl- und Flüchtlingsrechts vorgelegen hat.
2. Auch auf den Nachfluchtgrund der exilpolitischen Betätigung kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Zwar ermöglicht § 28 AsylG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch dann, wenn die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auf Ereignissen beruht, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer sein Herkunftsland verlassen hat. Nach Überzeugung des Gerichts ist es aber auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Äthiopien eine Verfolgung wegen seiner exilpolitischen Betätigung in der Bundesrepublik Deutschland droht.
In der äthiopischen exilpolitischen Szene gibt es zahlreiche Gruppierungen. Den verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen ist zu entnehmen, dass die äthiopische Regierung die Aktivitäten der äthiopischen Exilorganisationen genau beobachtet bzw. durch die Auslandsvertretungen beobachten lässt. Aufgrund der Auskunftslage, die auch die Entwicklungen während der Massenproteste 2015/2016, den Ausnahmezustand 2016 und die aktuellen politischen Entwicklungen berücksichtigt, geht das Gericht jedoch weiterhin nicht davon aus, dass jede wie auch immer geartete Form der Betätigung für eine der zahlreichen exilpolitischen Gruppen in der äthiopischen exilpolitischen Szene im Ausland bei einer Rückkehr nach Äthiopien zu einer beachtlichen Verfolgungsgefahr führt. Vielmehr kommt es – auch nach der aktuellen Lage – für die Feststellung des relevanten Gefährdungsgrades grundsätzlich darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen etwa als terroristisch eingestuft wird und insbesondere in welcher Art und in welchem Umfang der Betreffende sich im Einzelfall exilpolitisch tatsächlich und wahrnehmbar betätigt hat (vgl. VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411; VG Ansbach, U.v. 14.2.2018 – AN 3 K 16.31836; VG Bayreuth, U.v. 20.11.2017 – B 2 K 16.31139; s. auch VG Kassel, U.v. 5.9.2017 – 1 K 2320/17.KS.A; VG Gießen, U.v. 11.7.2017 – 6 K 4787/15.GI.A; a.A. VG Würzburg, U.v. 15.9.2017 – W 3 K 17.31180; zum Maßstab vgl. VGH BW, U.v. 30.5.2017 – A 9 S 991/15 – alle juris).
Dem Auswärtigen Amt liegen auch nach dem aktuellen Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien vom 22.03.2018 keine Erkenntnisse darüber vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Partei im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Maßgeblich ist danach vielmehr der konkrete Einzelfall, also beispielsweise, ob eine Organisation von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation angesehen wird oder um welche politische Tätigkeit es sich handelt (z.B. nachweisliche Mitgliedschaft, führende Position, Organisation gewaltsamer Aktionen). Von Bedeutung ist auch, ob und wie sich die zurückgeführte Person anschließend in Äthiopien politisch betätigt. Die bloße Asylantragstellung im Ausland bleibt – soweit bekannt – ohne Konsequenzen. Der Lagebericht vom 22.03.2018 geht insbesondere auch auf die innenpolitischen Entwicklungen im Frühjahr 2018 und auf den am 16.02.2018 ausgerufen (neuerlichen) Ausnahmezustand ein, hält aber gleichwohl an der bisherigen Gefährdungseinschätzung bei Rückkehr von im Ausland exilpolitisch tätigen Äthiopiern fest (vgl. S. 18 des Lageberichts vom 22.03.2018; S. 16 des Lageberichts vom 06.03.2017).
In einer Auskunft vom 30.01.2017 an das VG Gießen geht das Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien zum Fall einer exilpolitischen Tätigkeit für die EPPFG davon aus, dass eine Verhaftung für den Fall der Rückkehr keinesfalls ausgeschlossen werden könne. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass im Rechtssinne von einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit insbesondere auch von nur einfachen Mitgliedern (sog. „Mitläufer“, ohne dass damit ein Werturteil verbunden wäre) im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien auszugehen wäre (vgl. VG Regensburg, U.v. 8.3.2018 – RO 2 K 16.30643 – juris).
G. Sch. geht in seiner Stellungnahme vom 15.02.2017 an das VG Gießen in der dortigen Streitsache Az. 6 K 4787/15.GI.A davon aus, dass eine Verfolgungsprognose anhand bestimmter Merkmale nicht abgegeben werden könne, weil das Handeln der äthiopischen Sicherheits- und Justizbehörden gegenüber allen wirklichen und putativen Gegnern von einem hohen Maß an Willkürlichkeit geprägt sei. Unter diesem Gesichtspunkt sei generell die Unterscheidung zwischen unbedeutender und exponierter Stellung in einer Oppositionsorganisation als nicht relevant für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr anzusehen. Dies gelte in besonderem Maß seit dem Erlass der Anti-Terrorismusgesetze und gerade auch unter dem Ausnahmezustand. Weiter führt er aus, dass mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ eine längere Inhaftierung – verbunden mit intensiver Befragung – auch unter dem jetzigen Ausnahmezustand als Minimum anzunehmen sei. Es bleibt jedoch offen, wie Sch. trotz der Prognoseunsicherheit zu dieser Annahme kommt. So belegt er diese Annahme nicht mit konkreten Beispielen für ein Einschreiten äthiopischer Stellen gegen Rückkehrer, obwohl er angibt, dass diese häufig verhaftet würden (Rn. 214 der Stellungnahme vom 15.02.2017). Dies dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass kaum Abschiebungen nach Äthiopien stattfinden, was die Grundlage dieser Aussage allerdings fraglich erscheinen lässt. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es seit Mitte 2015 im Zusammenhang mit dem „Masterplan“ der Regierung vor allem in der Provinz Oromia zu Massenprotesten kam und es im Zusammenhang mit diesen Protesten und dem Einschreiten der Sicherheitskräfte zu Todesfällen und Verhaftungen gekommen ist. So sollen nach dem Gutachten von G. Sch. im Rahmen der Unruhen 2016 unter Geltung des Ausnahmezustandes über 11.000 Menschen verhaftet worden sein. Diese Verhaftungen fanden jedoch im Zusammenhang mit – zumindest teilweise – gewaltsamen Protesten in Äthiopien statt. Sie sind kein Beleg dafür, dass auch Rückkehrer alleine wegen ihrer exilpolitischen Betätigung nun einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sind. Dies belegen auch die Ausführungen in der Stellungnahme Sch.s nicht hinreichend. Dieser führt zwar nachvollziehbar aus, dass im Zusammenhang mit den Unruhen in Äthiopien selbst die äthiopische Diaspora – auch im Hinblick auf eine Strafbarkeit nach dem äthiopischen Anti-Terrorismusgesetz von 2009 – verstärkt überwacht wird (Rn. 134 der Stellungnahme vom 15.02.2017). Ein konkretes Beispiel für eine Verfolgung allein auf Grund einer exilpolitischen Tätigkeit unterbleibt jedoch. Auffällig ist hierbei auch, dass Sch. zum einen zwar deutliche Aussagen trifft (Bestrafung jedes Mitglieds/Unterstützers einer exilpolitischen Gruppe, die mit einer als terroristisch eingestuften Gruppe zusammenarbeitet [Rn. 232 der Stellungnahme vom 15.02.2017]; häufige Verhaftungen [Rn. 214 der Stellungnahme vom 15.02.2017]; längere Inhaftierung verbunden mit intensiver Befragung und mit hoher Wahrscheinlichkeit inhumaner Haftbedingungen [Rn. 237 der Stellungnahme vom 15.02.2017]), gleichzeitig aber äußert, dass sich angesichts der Willkürlichkeit die konkreten Verfolgungshandlungen im Einzelnen schwer vorhersagen ließen und er an anderer Stelle (Rn. 226 der Stellungnahme vom 15.02.2017) angibt, dass im heutigen Äthiopien die eine staatliche Verfolgung auslösenden Momente in der Regel vielschichtig seien und sich nur selten auf ein bestimmtes Merkmal reduzieren ließen (vgl. ausführlich VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411; VG Gießen, U.v. 11.7.2017 – 6 K 4787/15.GI.A – beide juris).
Auch unter Einbeziehung der Stellungnahme G. Sch.s vom 18.02.2018 an das VG Würzburg ergibt sich kein hiervon abweichendes Ergebnis. Zwar kommt G. Sch. zu dem Ergebnis, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass unter dem wieder eingeführten Ausnahmezustand exilpolitisch tätige Äthiopier bei einer Rückführung einem sehr hohen Risiko ausgesetzt seien, als Unterstützer einer „terroristischen Organisation“ verfolgt und äußerst bestraft zu werden (Rn. 83 der Stellungnahme vom 18.02.2018), während in der Stellungnahme vom 15.02.2017 an das VG Gießen noch ausgeführt wurde, angesichts der Willkürlichkeit im Handeln der Sicherheitsorgane und der mangelnden Rechtsstaatlichkeit in Äthiopien lasse sich im Einzelnen nicht vorhersagen, was Rückkehrer zu befürchten hätten. Eine längere Inhaftierung verbunden mit intensiver Befragung und mit hoher Wahrscheinlichkeit inhumanen Haftbedingungen sei jedoch als Minimum anzunehmen (Rn. 237 der Stellungnahme vom 15.02.2017; dieser Passus befindet sich im Übrigen auch noch unter Rn. 82 der Stellungnahme vom 18.02.2018). Anderseits führt Sch. in Rn. 17 der Stellungnahme vom 18.02.2018 aus, aufgrund des neuerlichen Ausnahmezustandes vom 16.02.2018 schienen die gleichen Bestimmungen wie beim Ausnahmezustand 2016 zu gelten. Damit ist aber weder nachvollziehbar noch plausibel dargelegt, warum nunmehr (allein) aufgrund des Ausnahmezustands 2018 exilpolitisch tätige Äthiopier bei einer Rückführung einem sehr hohen Risiko ausgesetzt sein sollen, als Unterstützer einer „terroristischen Organisation“ verfolgt und äußerst bestraft zu werden, wenn andererseits keine anderen Bestimmungen wie beim Ausnahmezustand 2016 gelten sollen.
Bei einer Gesamtwürdigung der vorliegenden Auskunftslage nimmt das Gericht daher auch weiterhin nicht an, dass äthiopische Asylbewerber, sofern sie sich zu einer Exilorganisation, die einer vom äthiopischen Staat als terroristisch eingestuften Vereinigung nahesteht, bekennen und sie für diese Exilorganisation nur ein Mindestmaß an Aktivität vorweisen, für den Fall der Rückkehr nach Äthiopien bereits mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG erwartet. Vielmehr müssen nach Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr nach Äthiopien nur solche Personen mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert politisch betätigt haben, dass die äthiopischen Behörden sie als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen (vgl. VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411; VG Ansbach, U.v. 14.2.2018 – AN 3 K 16.31836; vgl. auch BayVGH, B.v. 14.7.2015 – 21 ZB 15.30119 m.w.N. – alle juris). Erforderlich für einen beachtlichen Nachfluchtgrund aufgrund exilpolitischer Betätigung ist nämlich eine „beachtliche Wahrscheinlichkeit“ der Verfolgung im Falle einer Rückkehr. Nicht ausreichend ist hingegen, dass eine solche möglich ist oder nicht ausgeschlossen werden kann. Eine solche beachtliche Wahrscheinlichkeit im Falle einer nicht exponierten Stellung kann – wie bereits ausgeführt – auch den oben genannten aktuellen Stellungnahmen nicht entnommen werden. Gerade wegen der intensiven Beobachtung exilpolitischer Auslandsaktivitäten durch äthiopische Stellen muss davon ausgegangen werden, dass auch diesen nicht verborgen geblieben sein kann, dass bei einer Vielzahl von äthiopischen Asylbewerbern weniger politische Interessen maßgeblich sind als vielmehr das Bemühen, sich im Asylverfahren eine günstigere Ausgangsposition zu verschaffen. Im Hinblick darauf ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die äthiopischen Behörden derartige Personen als „gefährlich“ erachten und gegen diese im Falle ihrer Rückkehr in einer Art und Weise vorgehen, dass die für eine Schutzgewährung anzulegende Schwelle (vgl. z.B. § 3a Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG) erreicht wird.
Bei Anlegung dieser Maßstäbe gehört der Kläger nicht zu dem gefährdeten Personenkreis, der im Falle seiner Rückkehr oder Abschiebung wegen seiner exilpolitischen Tätigkeit im Ausland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, von äthiopischen Behörden in asylrechtlich relevanter Weise belangt zu werden. Der Kläger hat durch Vorlage einer Bescheinigung der TBOJ/UOSG glaubhaft gemacht, dass er als einfaches Mitglied dieser Vereinigung an fünf im Einzelnen bezeichneten Veranstaltungen im Jahr 2016 teilgenommen hat (vgl. Bl. 101 ff. d.A.). Soweit er in der mündlichen Verhandlung weiter angegeben hat, auch noch im Jahr 2017 (bis zu seiner Inhaftierung) exilpolitisch tätig gewesen zu sein, hat der Kläger dies lediglich behauptet; ein aktuellere Bescheinigung wurde nicht vorgelegt (vgl. S. 5 der Niederschrift). Der Kläger hat bestätigt, dass er seit seiner Inhaftierung kein exilpolitisches Engagement (mehr) entfalte bzw. entfalten könne. Er zahle z.B. auch keinen Mitgliedsbeitrag mehr (S. 5 der Niederschrift). Damit liegt beim Kläger im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kein gegenwärtiges exilpolitisches Engagement vor. Unabhängig davon lassen ihn seine früheren diesbezüglichen Anstrengungen qualitativ und quantitativ ohnehin lediglich als „Mitläufer“ der exilpolitischen Bewegung in Deutschland erscheinen. Sein (früheres) Engagement ist (war) in keiner Weise herausgehoben, sondern bewegt(e) sich in einem Rahmen, der – wie dem Gericht aufgrund einer Vielzahl von Verfahren bekannt ist – für die breite Masse der Mitglieder der exilpolitischen Vereinigungen kennzeichnend ist. Die (früheren) exilpolitischen Aktivitäten des Klägers führen daher nach Überzeugung des Gerichts nicht dazu, dass er von den äthiopischen Behörden als „gefährlicher Oppositioneller“ angesehen wird, weshalb es nicht beachtlich wahrscheinlich ist, dass er allein aufgrund seiner Betätigung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hat.
3. Rechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich die Verneinung von Abschiebungsverboten. Auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid wird verwiesen. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, er habe niemand mehr in Äthiopien und es wäre schlimm für ihn, wenn er dorthin zurück kehren müsste (S. 6 der Niederschrift), kann dies der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Der Kläger ist jung und im arbeitsfähigen Alter, so dass prognostisch davon auszugehen ist, dass es ihm gelingen wird, in Äthiopien wiederum Fuß zu fassen und sich sein Existenzminimum zu erwirtschaften. Nach seinen Angaben verfügt der Kläger über Erfahrungen im Bereich des Einzelhandels, so dass er sich in diesem Wirtschaftssektor, ggf. aber auch in einem anderen Wirtschaftsbereich, eine Erwerbstätigkeit suchen kann, mit der alle grundlegenden Bedürfnisse abgedeckt werden können. Ferner verfügt der Kläger nach seinen Angaben über verwandtschaftlichen Rückhalt (vgl. S. 4 der Anhörungsniederschrift), was ihm eine Reintegration in Äthiopien weiter erleichtern wird.
4. Schließlich erweist sich die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots aus 60 Monate als rechtmäßig. Die Ermessensausübung des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid, die auf die konkreten Verhältnisse des Klägers eingeht, kann durch das Gericht nicht beanstandet werden (vgl. § 114 VwGO). Ebenfalls zulässig war es, das Schreibversehen betreffend den Tenor des Bescheids nach § 42 VwVfG dahin zu berichtigen, dass eine Befristung auf 60 Monate erfolgt (vgl. Schreiben des Bundesamts an den Bevollmächtigten des Klägers vom 22.02.2018).
5. Nach allem ist die Klage insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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