Aktenzeichen 15 ZB 20.31851
Leitsatz
1. Die Frage, ob der Kläger sich gegenüber seiner Abschiebung nach Jordanien auf ein Abschiebungsverbot berufen kann, kann aufgrund ihrer unkonkret formulierten Weite in Bezug auf ein Abschiebungsverbot hinsichtlich des Zielortes Jordanien und aufgrund des einzelfallbezogenen Zuschnitts speziell auf die Person des Klägers nicht Gegenstand grundsätzlicher Klärung sein. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer maßgeblich auf tatsächliche Verhältnisse – hier auf die Verschlechterung der humanitären Bedingungen – gestützten Grundsatzrüge muss durch Benennung bestimmter Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür dargelegt werden, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Behauptungen in der Antragsbegründung zutreffend sind. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 27 K 17.70226 2020-07-17 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gründe
I.
Die Kläger – ein palästinensischer Volkszugehöriger – wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 16. November 2017, mit dem ihm die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Jordanien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 17. Juli 2020 wies das Verwaltungsgericht München die vom Kläger erhobene Klage mit den Anträgen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. November 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft bzw. hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht in einer Weise dargelegt worden, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Der vom Kläger behauptete Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Entscheidungserheblichkeit muss hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2019 – 15 ZB 19.33299 – juris Rn. 9 m.w.N.; B.v. 18.6.2020 – 15 ZB 20.30954 – juris Rn. 18).
Die vom Kläger als grundsätzlich angesehene Frage,
„Kann der Kläger, welcher palästinensischer Volkszugehörigkeit ist, sich gegenüber seiner Abschiebung nach Jordanien auf ein Abschiebungsverbot nach Maßgabe von § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK berufen?“
rechtfertigt nach den vorgenannten Maßstäben keine Berufungszulassung gem. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG.
Die gestellte Frage dürfte – einerseits aufgrund ihrer unkonkret formulierten Weite in Bezug auf die allgemeine Rechtsanwendung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK auf den Zielort Jordanien (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2019 – 15 ZB 19.31245 – juris Rn. 6 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, B.v. 2.9.2010 – 9 B 12.10 – juris Rn. 9 ff.; B.v. 21.9.2016 – 6 B 14.16 – juris Rn. 7, 11), andererseits aufgrund des einzelfallbezogenen Zuschnitts speziell auf die Person des Klägers – schon nicht Gegenstand grundsätzlicher Klärung sein können. Jedenfalls fehlt es an einer hinreichend substantiierten Darlegung, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte.
In der Begründung des Bescheids vom 16. November 2017, die sich das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils vom 17. Juli 2020 gem. § 77 Abs. 2 AsylG zu Eigen gemacht hat, erläutert das Bundesamt unter Darlegung der wirtschaftlichen Lage in Jordanien im Zeitpunkt des Bescheiderlasses (bezugnehmend auf Länderinformationen des Auswärtigen Amts), warum aus seiner Sicht ein Abschiebungsverbot für den Kläger gem. Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK nicht besteht (Seiten 7 ff. des Bescheids). Trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage sei eine Verletzung des Art. 3 EMRK im Fall der zwangsweisen Rückkehr des Klägers nach Jordanien nicht beachtlich wahrscheinlich. Der Kläger sei volljährig, jung, geschieden, erwerbsfähig, ohne Unterhaltslasten und verfüge für Jordanien über eine überdurchschnittliche Ausbildung und Berufserfahrung. Es sei daher davon auszugehen, dass er auch ohne nennenswertes eigenes Vermögen mit der Möglichkeit der Unterstützung durch noch in Jordanien ansässige Familienmitglieder und der Unterstützung durch UNRWA in Jordanien in der Lage sei, durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erzielen, um sich so zumindest ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren zu können.
Der Kläger lässt mit der Antragsbegründung im Berufungszulassungsverfahren vortragen, dass sich die humanitären Bedingungen in Jordanien dermaßen verschlechtert hätten, dass die Rechtsprechung, wonach nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK anzunehmen sei, auf den Prüfstand zu stellen sei. In Anbetracht der gegenwärtigen wirtschaftlichen und humanitären Notlage in Jordanien sei bei Fallkonstellationen wie der vorliegenden, in denen eine Person (wie er – der Kläger) nach Jahren im Ausland nach Jordanien abgeschoben werde, eine Form der Verletzung der Rechte aus Art. 3 EMRK gegeben. Eine Rückkehr nach Jordanien würde ihn in eine Situation existenzieller Not versetzen. Faktisch wäre er gehindert, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und er würde aller Voraussicht nach der Obdachlosigkeit anheimfallen. Die bisherige Rechtsprechung werde den insoweit tatsächlichen Verhältnissen in Jordanien nicht gerecht. Soweit das Verwaltungsgericht Karlsruhe in einem Urteil vom 17. März 2020 die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende sogar in Griechenland als unmenschliche und erniedrigende Behandlung i.S. von Art. 3 EMRK einstufe, bestehe erst recht bei ihm die Gefahr, dass er sich bei Rückkehr nach Jordanien in einer mit der Menschenwürde unvereinbaren Armut und Bedürftigkeit wiederfinde. Die implizite Annahme im angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts, wonach für ihn die Möglichkeit bestehe, in Jordanien seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, entspreche nicht der tatsächlichen Situation. Bei einer Rückkehr nach Jordanien drohe ihm Obdachlosigkeit und eine Existenz, in der das Existenzminimum nicht gewährleistet sei. Dies gelte erst recht in Anbetracht der sich auch dort verbreitenden Corona-Pandemie.
Mit dieser Argumentation vermag die Antragsbegründung des Klägers die Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht zu erfüllen: Bei einer maßgeblich auf tatsächliche Verhältnisse – hier auf die Verschlechterung der humanitären Bedingungen – gestützten Grundsatzrüge genügt es nicht, die Feststellungen des Ausgangsgerichts zu den Gegebenheiten im Herkunftsland des Asylsuchenden bloß in Zweifel zu ziehen oder schlicht gegenteilige Behauptungen aufzustellen. Vielmehr muss durch Benennung bestimmter Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür dargelegt werden, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Behauptungen in der Antragsbegründung zutreffend sind, sodass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 31.1.2019 – 11 ZB 19.30197 – juris Rn. 2 ff. m.w.N.; OVG NW, B.v. 14.3.2018 – 13 A 341/18.A – juris Rn. 5 f.; vgl. auch BayVGH, B.v. 22.2.2018 – 20 ZB 17.30393 – juris Rn. 11; NdsOVG, B.v. 8.2.2018 – 2 LA 1784/17 – juris Rn. 4). Diesen Anforderungen genügt die Antragsbegründung nicht. Es fehlt auch im Übrigen an einer hinreichenden Durchdringung der Materie resp. an einer Auseinandersetzung mit der konkreten Argumentation und rechtlichen Subsumtion des Bundesamts im Bescheid vom 16. November 2017, auf den das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts unter Absehen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug nimmt. Über die allgemeine pauschale und nicht näher substantiierte Behauptung einer insgesamt verschlechterten wirtschaftlichen und humanitären Lage in Jordanien enthält die Antragsbegründung keine konkreten, durch Erkenntnismittel belegte Fakten, die eine im Vergleich zum Bundesamtsbescheid und zum angegriffenen Urteil abweichende Bewertung der dortigen Situation am Maßstab von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK zuließen. Mit den einzelnen (vom Verwaltungsgericht übernommenen) Argumenten des Bundesamtsbescheids speziell zu den Möglichkeiten des Klägers, sich in Jordanien (aufgrund seiner Arbeitsfähigkeit, seiner körperlichen Konstitution und seiner familiären Situation sowie ggf. unterstützt durch Familienmitglieder und / oder durch UNRWA) ein Existenzminimum zu erwirtschaften (s.o.), findet sich keine inhaltliche Auseinandersetzung. Ebenso unsubstantiiert ist der ergänzende, nicht durch genaue Daten spezifizierte Hinweis des Klägers auf die sich auch in Jordanien ausbreitende Corona-Pandemie. Inwieweit gerade aufgrund der Pandemie in Jordanien für den Kläger die Voraussetzungen einer menschenunwürdigen Existenz erfüllt sein könnten, wird vom Kläger nicht näher erläutert. Insbesondere werden weder Erkenntnismittel und Daten hierzu benannt noch solche mit konkreter Subsumtion in Bezug auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK substantiiert ausgewertet. Der Sache nach wird mit der Antragsbegründung damit lediglich allgemein Kritik an der erstinstanzlichen Entscheidung geübt und deren Richtigkeit in Zweifel gezogen. Eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung ist jedoch durch die gegenüber § 124 VwGO abschließende Regelung des § 78 Abs. 3 AsylG ausgeschlossen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).