Verwaltungsrecht

Asyl Nigeria, Folgeantrag, Bestandskräftiger Ablehnungsbescheid, Keine Wiederaufgreifensgründe, Keine Abschiebungsverbote, Offensichtlich unbegründete Klage, Unanfechtbarer Gerichtsbescheid

Aktenzeichen  M 32 K 20.32053

Datum:
18.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 19908
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 71
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
AsylG § 78 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen, gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unbegründet.  
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. 

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO.
1. Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig gemäß §§ 29 Abs. 1 Nr. 5, 31 Abs. 3 AsylG ist (offensichtlich) rechtmäßig. Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt ergänzend aus:
Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt sind (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG müsste sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert haben (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO bestehen (Nr. 3). Außerdem ist der Antrag gemäß § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen und er den Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt hat.
§ 71 AsylG geht von einer Zweistufigkeit der Prüfung von Asylfolgeanträgen aus (BVerfG, B.v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 30 ff.). Bei der Beachtlichkeits- oder Relevanzprüfung geht es zunächst – im ersten Prüfungsschritt – darum, festzustellen, ob das Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, also die erforderlichen Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheides erfüllt sind. § 51 Abs. 1 VwVfG fordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung (Art. 16a GG) oder zur Zuerkennung des internationalen Schutzes (§§ 3 ff., 4 AsylG) zu verhelfen. Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (dazu BVerfG, B. v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 32).
Liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens dagegen nicht vor, darf kein weiteres Asylverfahren durchgeführt werden und dem Folgeantragstellerr steht – weil § 71 Abs. 1 AsylG den § 51 Abs. 5 VwVfG nicht in Bezug nimmt – auch kein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung über die Eröffnung eines neuen Asylverfahrens nach den §§ 48, 49 VwVfG zu (BVerwG; U.v. 15.12.1987 – 9 C 285.86 – juris Rn. 21). In diesem Fall ist – wie vorliegend geschehen – der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen.
Der Kläger hat zur Begründung seines Folgeantrags keine in diesem Sinne rechtlich relevanten neuen Gründe soweit vorgetragen, dass eine für ihn günstigere Entscheidung zumindest möglich erscheint. Sein Vortrag erschöpft sich in dem Hinweis auf gesundheitliche Gründe, die – wie vom Bundesamt zutreffend ausgeführt – für den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht relevant sind. Eine nachträglich zu Gunsten des Klägers eingetretene Änderung der Sachlage I.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG kann diesem Vorbringen nicht entnommen werden. Darüber hinaus wurden weder neue Beweismittel i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vorgelegt, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden, noch ist eine nachträglich zugunsten des Betroffenen eingetretene Veränderung der Rechtslage erkennbar (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Ebenso wenig sind Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO ersichtlich (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG).
2. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Das Gericht folgt im Ergebnis der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt ergänzend aus:
Die erneute Prüfung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG davon abhängig zu machen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 Verwaltungsverfahrensgesetz vorliegen, ist zwar fehlerhaft. Denn das Bundesamt hat gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge zusätzlich und grundsätzlich festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 18 und 20). In Bezug auf § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hat sich das Bundesamt somit anlässlich einer Entscheidung über einen Folgeantrag in jedem Fall sachlich mit dem Schutzbegehren zu befassen (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 20). Es darf sich nicht mit der Prüfung begnügen, ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen. Vielmehr hat es – so ausdrücklich § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG – „festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen“. Die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. März 2000 (9 C 41/99 – juris Rn. 9) und 15. Januar 2011 (9 B 475.00 – juris Rn. 5) sind wegen § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG als überholt anzusehen.
Dieser Fehler wirkt sich vorliegend aber nicht aus, weil das Bundesamt dennoch im streitgegenständlichen Bescheid eine volle Sachprüfung vorgenommen hat, ob Abschiebungsverbote vorliegen und das Vorliegen von Abschiebungsverboten – wie oben ausgeführt – zu Recht verneint hat. Hierzu wird auf die diesbezüglichen Ausführungen im bereits erwähnten Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 27. Februar 2020 (Az. M 27 K 17.39322) verwiesen Die COVID-19 Pandemie und die befürchteten wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie ändern an der bisherigen Beurteilung nichts.
Laut den allgemein zugänglichen Quellen gibt es gegenwärtig in Nigeria 101.331 bestätigte Corona-Fälle (Deutschland: 1.921.024), davon 20.840 aktuelle Fälle (Deutschland: 334.800) und 1.361 Todesfälle (Deutschland: 40.686), Stand: 11.01.2021; siehe etwa Nigeria Centre for Disease Control, https://www.ncdc.gov.ng/; https://www.rki.de/DE/Home/homepage_node.html, was angesichts einer Gesamtbevölkerung von ca. 200 Millionen (Deutschland: 83 Millionen) einem Prozentsatz von etwa 0,000507 (Deutschland: 0,023145) entspricht).
Bei diesen Zahlen fehlen zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt greifbare Anhaltspunkte für eine ein Abschiebungsverbot rechtfertigende so erhebliche Verschlechterung der humanitären Lage und der allgemeinen Lebensbedingungen durch die Covid-19 Pandemie, dass von einem ganz außergewöhnlichen Fall und zwingenden humanitären Gründen gesprochen werden könnte. Auch wenn sich die wirtschaftliche Situation in Nigeria aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie verschlechtert hat (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: September 2020, S. 23; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage vom 9.7.2020, S. 12 ff; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f.; EASO Special Report: Asylum Trends on COVID-19 vom 11.6.2020, S. 15; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 3 und 8 f.), hält es das Gericht zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht für hinreichend beachtlich wahrscheinlich, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse derart negativ entwickeln werden, dass von einer grundsätzlich abweichenden Beurteilung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ausgegangen werden kann. Zwar wirken sich die Maßnahmen der Regierung zur Pandemiebekämpfung insbesondere auf den informellen Sektor aus; es werden aber Anstrengungen unternommen, dem entgegenzuwirken. So hat die nigerianische Zentralbank Hilfspakete eingeführt, mit welchen den am härtesten getroffenen Haushalten und Betrieben geholfen werden soll. Hierzu führte bereits das Verwaltungsgericht Würzburg mit Gerichtsbescheid vom 1.7.2020, Az. W 8 K 20.30151 – juris Rn. 35 folgendes aus: „Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der COVID-​19-​Pandemie ein Gegensteuern des nigerianischen Staates erkennbar ist. So wurde ein Notfallfonds für das „Nigeria Centre for Disease Control“ eingerichtet, ebenso wie Konjunkturpakete, um die Auswirkungen für Haushalte und Betriebe zu lindern; außerdem wurden Nahrungsmittel verteilt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation COVID-​19-​Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-​10-​Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-​19 – aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 3 und 8 f.; https://reliefweb.int/report/nigeria/nigeria-​humanitarian-​fund-​allocation-​covid-​19-​and-​humanitarian-​response, vom 16.6.2020; https://www.theafricareport.com/26444/coronavirus-​recession-​in-​nigeria-​likely-​despite-​measures-​in-​place/, vom 20.4.2020). Darüber hinaus hat der internationale Währungsfonds Soforthilfen für Nigeria in Höhe von 3,4 Milliarden US-​Dollar gewährt (https://www.imf.org/en/News/Articles/2020/04/28/pr20191-​nigeria-​imf-​executive-​board-​approves-​emergency-​support-​to-​address-​covid-​19, vom 28.4.2020)“. Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht an.
Dass der Kläger an dem Virus erkranken könnte und die Erkrankung einen so schweren Verlauf nehmen könnte, dass insoweit das Existenzminimum des Klägers von ihm nicht mehr sichergestellt werden könnte, ist angesichts der derzeitigen Kenntnisse somit nicht beachtlich wahrscheinlich.
Insgesamt liegen daher die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte und Grundfreiheiten der EMRK kann angesichts des Vortrags des Klägers und der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel nicht festgestellt werden.
In Bezug auf das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist folgendes zu ergänzen:
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Umständen sie beruht. Für die Annahme einer „konkreten“ Gefahr im Sinne dieser Vorschrift genügt aber nicht die bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die geschützten Rechtsgüter zu werden. Vielmehr ist insoweit der Maßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzuwenden und zwar unabhängig davon, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. „Konkret“ ist die Gefahr, wenn die Verschlechterung „alsbald“ nach der Rückkehr des Betroffenen in den Heimatstaat einträte, weil er dort auf unzureichende Möglichkeiten der Behandlung seiner Leiden träfe und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – juris Rn. 13; U.v. 22.3.2012 – 1 C 3/11 – juris Rn. 34; OVG Münster, U.v. 18.1.2005 – 8 A 1242/03.A – juris Rn. 53; BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 9 ZB 13.30236 – juris Rn. 28). Zudem muss eine auf den Einzelfall bezogene, individuell bestimmte und erhebliche, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretende Gefährdungssituation vorliegen und es muss sich um Gefahren handeln, die dem Ausländer landesweit drohen, denen er sich also nicht durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann.
Gefahren, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppen allgemein ausgesetzt ist bzw. sind, werden indes allein bei Entscheidungen über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Allgemeine Gefahren in diesem Sinn unterfallen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Angesichts der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG kann ein Ausländer daher in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nur dann beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund der dortigen Existenzbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre oder sonst eine individuelle existenzielle Gefahr für ihn besteht. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 zu gewähren. Die Abschiebung muss somit ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde und sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren würden.
Somit gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
Auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen liegen nicht vor. Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen liegt dabei nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst also nur einzelfallbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist also nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen, kurz bei existentiellen Gesundheitsgefahren (vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2015 – 11 ZB 15.30054 – juris Rn. 10; OVG Münster, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56). Dabei ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG).
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c AufenthG muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (Satz 2). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (Satz 3). Ergänzend zu den in § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG genannten Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung sind auch weiterhin die Kriterien heranzuziehen, die das Bundesverwaltungsgericht als Mindestanforderungen an ein qualifiziertes fachärztliches Attest herausgearbeitet hat (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – BVerwGE 129, 251 ff.). Danach muss sich aus dem fachärztlichen Attest nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt, etwa mit Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden, deren Behandlungsbedürftigkeit, der bisherige Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) sowie im Fall einer auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützten PTBS, deren Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen werden, in der Regel auch eine Begründung dafür, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht wurde.
Diesen Anforderungen genügt der vorgelegte vorläufige Entlassungsbericht des Klinikums G* …- … vom 29. April 2020 schon deshalb nicht, weil dem Befundbericht weder der Schweregrad der Erkrankung, noch die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, zu entnehmen sind. Abgesehen davon sind seit Abfassung des vorläufigen Entlassungsberichts zwischenzeitlich 9 Monate vergangen, in denen sich der Gesundheitszustand des Klägers wesentlich verändert haben kann, zumal der Kläger zwischenzeitlich eine Anschlussrehabilitation durchgeführt haben dürfte. Der vorgelegte vorläufige Entlassungsbericht ist daher auch mangels Aktualität nicht zum Nachweis einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung geeignet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
Die Covid-19 Pandemie führt auch zu keinem Abschiebverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Die Gefahr, an einer Corona-Infektion zu erkranken, ist auch in Nigeria eine Gefahr, der die dortige Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist. Derartige Gefahren werden allein bei Entscheidungen über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Allgemeine Gefahren in diesem Sinn unterfallen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Angesichts der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG kann ein Ausländer daher in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nur dann beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund der dortigen Existenzbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre oder sonst eine individuelle existenzielle Gefahr für ihn besteht. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 zu gewähren. Die Abschiebung muss somit ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde und sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren würden.
Diese Voraussetzungen einer solchen landesweiten Extremgefahr sind in Nigeria auch im Hinblick auf die COVID-19 Pandemie nicht erfüllt. Eine individuelle, außergewöhnliche Gefahrenlage in diesem Sinne, welche die Schwelle der allgemeinen Gefährdung übersteigt, ist für den Kläger im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch bei Berücksichtigung der oben ausgeführten Verbreitung des Corona-Virus nicht erkennbar.
Der Kläger muss sich überdies genauso wie bei anderen Erkrankungen gegebenenfalls mit den Behandlungsmöglichkeiten in Nigeria behelfen (vgl. VG Würzburg, GB.v. 1.7.2020 – W 8 K 20.30151 – juris Rn. 29ff, 36ff m.w.N.).
3. Die Ausreiseaufforderung mit der einwöchigen Ausreisfrist und die gleichzeitig erfolgte Abschiebungsandrohung nach §§ 71 Abs. 4, 34, 36 Abs. 1 AsylG begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
4. Nach alledem war die Klage abzuweisen. Die Klage gegen die Entscheidung über den Asylantrag – hier in der speziellen Form des Folgeantrags nach § 71 Abs. 1 AsylG – war sogar als offensichtlich unbegründet abzuweisen, § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Die gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG unanfechtbare Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 7.11.2008 – 2 BvR 629/06 – juris m.w.N. zur Rechtsprechung des BVerfG). Aus den Entscheidungsgründen muss sich klar ergeben, weshalb das Gericht zu einem Urteil nach § 78 Abs. 1 AsylG kommt, warum also die Klage nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen wird (BVerfG a.a.O.). Diese Grundsätze gelten nicht nur für Verfahren, die das Asylgrundrecht betreffen oder in denen es um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus geht, sondern auch für die Abweisung der nur auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote gerichteten Klage (vgl. BVerfG a.a.O.; Redeker in BeckOK MigR, 7.Ed. 1.10.2020, AsylG § 78 Rn. 7-9). Da die qualifizierte Klageabweisung nach § 78 Abs. 1 AsylG für alle Rechtstreitigkeiten nach dem AsylG, z.B. auch für die Anfechtungsklagen gegen Unzulässigkeitsentscheidungen des Bundesamts nach den §§ 29 und 31 Abs. 3 AsylG, eröffnet ist, dürften die Grundsätze auch insoweit gelten.
Die Voraussetzungen einer qualifizierten Klageabweisung sind vorliegend gegeben. Aus den obigen Ausführungen und auch aus den Gründen der Eilentscheidung ergibt sich die auf der Hand liegende Aussichtslosigkeit der Klage.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Dieser Gerichtsbescheid ist unanfechtbar, § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 1 AsylG. Vor dem Hintergrund des asylrechtlichen Beschleunigungsgebots (vgl. BT-Drs. 12/4450 S. 14) meint Unanfechtbarkeit im Sinne des § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 1 AsylG auch den Ausschluss des Antrags auf mündliche Verhandlung nach der ansonsten geltenden allgemeinen Vorschrift des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (dazu Redeker in BeckOK MigR, 7. Ed. 1.10.2020, AsylG § 78 Rn. 64; ausführlich hierzu VG München, GB.v. 6.2.2006 – M 22 K 07.50600 – juris Rn. 23; GB.v. 8.2.2008 – M 22 K 07.51094 – juris Rn. 33; GB.v. 11.10.2018 – M 1 K 17.42573 – juris Rn. 15; GB.v. 28.2.2019 – M 32 K 17.42655).


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