Verwaltungsrecht

Asyl: Personenverschiedenheit von Anhörer und Entscheider

Aktenzeichen  AN 3 S 16.30586

Datum:
30.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 46744
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 36
AufenthG § 11

 

Leitsatz

1 Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides erwachsen nicht aus der Personenverschiedenheit zwischen „Anhörer“ und „Entscheider“, da sich die Offensichtlichkeitsentscheidung nicht auf subjektive Eindrücke (Körpersprache, Stimmlage, Blickkontakt zur Bewertung der Glaubhaftigkeit) stützt, sondern auf den in der Anhörung protokollierten Inhalt der Einlassungen und Schilderungen des Antragstellers, die objektiv nachvollziehbar und inhaltlich einer Wertung zugänglich sind (VG München BeckRS 2003, 28543). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Zeitdauer zwischen Anhörung und Entscheidung bleibt ohne Einfluss auf das Offensichtlichkeitsurteil. Denn diese Zeitdauer, die ihren Grund in der Arbeitsüberlastung des Bundesamtes hat, wirkt sich lediglich zugunsten des Antragstellers aus. Das Offensichtlichkeitsurteil im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 3 AsylG weist in den gesetzlichen Voraussetzungen kein Zeitelement auf und kann deshalb ergehen, sofern seine Voraussetzungen vorliegen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Gegenstandswert beträgt 2.500,00 EUR.

Gründe

Der nach eigenen Angaben im Jahr 1993 geborene Antragsteller ist äthiopischer Staatsangehöriger mit oromischer Volkszugehörigkeit. Er reiste unbekannten Datums auf dem Landweg in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14. Oktober 2013 einen Asylantrag. Der Antragsteller erklärte mit Unterschrift vom selben Tag, die Belehrung zur Bedeutung der persönlichen Anhörung erhalten und verstanden zu haben (Blatt 7 der Behördenakte).
Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 22. Juli 2014 erklärte der Antragsteller, er sei am 4. Dezember 2012 aus seinem Heimatdorf aufgebrochen und über den Sudan und Libyen nach Europa gereist. Wo er schließlich angekommen sei, könne er nicht sagen, ein Schleuser habe die Zugtickets nach Deutschland besorgt. Nach seinen Angaben dauerte die Reise ungefähr neun Monate.
Zu den ausreisebegründenden Umständen erklärte der Antragsteller in der Anhörung vor dem Bundesamt am 22. Juli 2014 im Wesentlichen, er sei inhaftiert worden, weil er die oromische Flagge bei einer Schulveranstaltung benutzt habe. Er habe die OLF unterstützt. Sein Vater sei wegen des Engagements für diese Organisation in Haft. Nach fünf Monaten sei er selbst aus der Haft entlassen worden, dann habe er – bzw. seine Mutter als Bürgin – wieder eine Vorladung erhalten, was ihn zur Ausreise veranlasst habe.
Er erklärte, sich in Deutschland für die … zu engagieren und ließ am 2. Oktober 2014 durch seinen Bevollmächtigten eine Bescheinigung dieser Organisation vom 19. August 2014 vorlegen, wonach der Antragsteller seit 1. Februar 2014 Mitglied sei und an Veranstaltungen im Zeitraum 1. Februar 2014 bis 1. August 2014 teilgenommen habe.
Mit Schreiben vom 25. November 2015 wurde der Antragsteller zu besonderen Umständen für die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes angehört.
Mit Bescheid vom 12. Mai 2016, der ausweislich eines Aktenvermerks als Einschreiben am 18. Mai 2016 an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zur Post gegeben wurde, lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 2), lehnte den Antrag auf subsidiären Schutz ab (Ziffer 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 4), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen und drohte dem Antragsteller für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung nach Äthiopien oder in einen anderen zur Rückübernahme verpflichteten oder zur Rückübernahme bereiten Staat an (Ziffer 5) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Vortrag des Antragstellers sei vollkommen unglaubhaft.
Er sei unsubstantiiert und stütze sich in wesentlichen Punkten auf lebensfremde und unglaubhafte Aussagen. Eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet dränge sich aufgrund des offensichtlich nicht der Wahrheit entsprechenden Sachverhalts geradezu auf.
Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheides Bezug genommen.
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller Klage erheben (AN 3 K 16.30587), die am 25. Mai 2016 beim Verwaltungsgericht Ansbach einging.
Mit am selben Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz beantragte er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat bislang keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die (gemäß § 75 VwGO ausgeschlossene) aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 12. Mai 2016 anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.
Der Antrag hat keinen Erfolg, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, Art. 16 a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG (1.).
Auch die in Ziffer 6 ausgesprochene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes begegnet bei summarischer Prüfung keinen ernstlichen rechtlichen Bedenken (2.).
1. Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) ausgesprochene Abschiebungsandrohung. Die mit dieser Verwaltungsentscheidung intendierte umgehende Beendigung des Aufenthalts des Asylbewerbers im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet und ist deren Folge. Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes daher auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht besteht, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Aus den Gründen des Bescheides muss sich dabei klar ergeben, weshalb das Bundesamt zu dem Ergebnis kommt, dass die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie auf Asylanerkennung nicht nur schlicht, sondern offensichtlich unbegründet sind. Ferner dürfen keine ernstlichen Zweifel daran bestehen, dass kein Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes besteht und nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (vgl. BVerfG, U.v. 7.11.2008 – 2 BvR 629/06 – juris m. w. N.).
Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an dem Offensichtlichkeitsurteil oder an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Übrigen bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung – insbesondere das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes – einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG a.a.O). Von einem Standhalten ist demnach auszugehen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung sich die Abweisung geradezu aufdrängt (BVerfG, B. v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – InfAuslR 1993, 196).
Gemessen an diesen Erwägungen bestehen an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung keine ernstlichen Zweifel, auch nicht im Hinblick auf das ausgesprochene Offensichtlichkeitsurteil. Insoweit nimmt das Gericht vollumfänglich auf die Begründung des Bescheides mit den Hinweisen auf die zu den angesprochenen Themenkreisen ergangene Rechtsprechung Bezug, § 77 Abs. 2 AsylG.
Ergänzend wird ausgeführt:
Der Antragsteller kann sich in diesem Verfahren nicht mit Erfolg darauf berufen, es habe eine Personenverschiedenheit zwischen „Anhörer“ und „Entscheider“ gegeben, da sich die Offensichtlichkeitsentscheidung nicht auf subjektive Eindrücke (Körpersprache, Stimmlage, Blickkontakt zur Bewertung der Glaubhaftigkeit) stützt, sondern auf den in der Anhörung protokollierten Inhalt der Einlassungen und Schilderungen des Antragstellers, die objektiv nachvollziehbar und inhaltlich einer Wertung zugänglich sind (VG München, B. v. 31.3.2003 – M 21 S 03.60104 -, juris Rn. 21).
Auch die Zeitdauer zwischen Anhörung und Entscheidung bleibt ohne Einfluss auf das Offensichtlichkeitsurteil. Denn diese Zeitdauer, die ihren Grund in der Arbeitsüberlastung des Bundesamtes hat, wirkt sich lediglich zugunsten des Antragstellers aus. Der Antragsteller legte erst am 2. Oktober 2014 mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten eine Bescheinigung der TBOJ/UOSG vor, welche im Bescheid auch Berücksichtigung fand. Das Offensichtlichkeitsurteil im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 3 AsylG weist in den gesetzlichen Voraussetzungen kein Zeitelement auf und kann deshalb ergehen, sofern seine Voraussetzungen vorliegen.
Sofern sich der Antragsteller auf Verständigungsschwierigkeiten bei der Anhörung beruft, ergeben sich hieraus keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der getroffenen Entscheidung, da der Antragsteller nach seiner persönlichen Anhörung am 22. Juli 2014 bis zu dem Antrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu keinem Zeitpunkt derartige Mängel vorgetragen hat, obwohl er am 14. Oktober 2013 über die Bedeutung der Anhörung belehrt worden ist.
Nachdem der Antragsteller kein anhaltendes exilpolitisches Engagement in den Jahren 2015 und 2016 nachgewiesen hat, hat er das Bestehen von Nachfluchtgründen – unabhängig von der Frage der Exponiertheit dieser Betätigung – schon nicht im Ansatz glaubhaft gemacht.
Zusammen mit seinen Schilderungen zu dem Verfolgungsschicksal in Äthiopien, dessen Bewertung durch die Antragsgegnerin aufgrund der detailreichen Niederschrift über die persönliche Anhörung nachvollziehbar ist, bestehen an der getroffenen Entscheidung keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG.
Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 2 AufenthG bzw. des § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG wurden nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.
2. Auch der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheides, mit dem für den Antragsteller eine Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG von 30 Monaten ausgesprochen wurde, hat keinen Erfolg.
Es ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dieser Entscheidung unzutreffende Erwägungen zugrunde gelegt oder Belange des Antragstellers nicht ausreichend berücksichtigt wurden, zumal dieser sich hierzu nicht geäußert hat.
Außerdem berührt ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nach § 36 Abs. 3 Satz 11 AsylG nicht die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung. Den Betroffenen ist es nach dem Willen des Gesetzgebers also zumutbar, den Rechtsstreit zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Befristung nach § 11 Abs. 2 AufenthG vom Zielstaat der Abschiebung auszuführen.
Auch tritt das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG nur im Falle einer Abschiebung und nicht bei einer freiwilligen Ausreise in Kraft.
Der Antrag war demnach abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.
Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz RVG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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