Verwaltungsrecht

Asyl (Somalia), Herkunftsregion Mogadischu bzw. unklar, völlig unglaubhafter Vortrag

Aktenzeichen  M 11 K 18.33548

Datum:
4.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16930
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5 und 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Das Gericht konnte den Rechtsstreit trotz Ausbleibens der Beklagtenseite verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil er zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die begehrte Entscheidung hat (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des angefochtenen Bescheids. Ergänzend hierzu ist Folgendes anzumerken:
1. Das Bundesamt hat den Antrag des Klägers zutreffend als Erstantrag geprüft, obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung erneut erklärte, bereits erfolglose Asylverfahren in der Slowakei und Schweden durchlaufen und auch erfolglos Rechtsmittel eingelegt zu haben. Den in den Akten befindlichen Mitteilungen der slowakischen Behörden vom 3. und 9. November 2016 (Bl. 45 und 48 d.BA) lässt sich entnehmen, dass es sich insoweit jeweils lediglich um Entscheidungen im sog. Dublin-Verfahren gehandelt hat. Nachdem der Kläger infolge seines Untertauchens von Schweden nicht binnen der (verlängerten) Überstellungfrist in die Slowakei rücküberstellt werden konnte, ging die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens zunächst auf Schweden und – infolge des weiteren Fristablaufs – auf die Bundesrepublik über.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes nach § 3 AsylG oder des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, weil sein Vortrag völlig unglaubhaft ist.
Hinsichtlich des von dem Schutzsuchenden geltend gemachten Schicksals muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen (vgl. BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6/13 – juris Rn. 18). Angesichts des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Schutzsuchende insbesondere hinsichtlich fluchtbegründender Vorgänge im Herkunftsstaat befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dabei obliegt es dem Schutzsuchenden, einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Schutzbegehren lückenlos zu tragen. Der Schutzsuchende muss die persönlichen Umstände der ihm Verfolgung hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11). Werden im Laufe des Verfahrens ohne plausible Erklärung unterschiedliche Angaben gemacht, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert und insbesondere ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt, so kann den Aussagen in der Regel kein Glauben geschenkt werden.
In der Gesamtschau des Sachvortrags und nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung weist der Vortrag des Klägers derart viele Unstimmigkeiten und unauf-lösbare Widersprüche auf, dass das Gericht davon überzeugt ist, dass der Kläger zu seinen Ausreisegründen eine frei erfundene Geschichte präsentiert hat. Insbesondere erklärte der Kläger bei seiner Anhörung durch das Bundesamt, dass er eine „richtige körperliche Kampfausbildung“ erhalten habe (Anhörungsniederschrift S. 5 oben) und lediglich nach seinem misslungenen Fluchtversuch für einige Tage eingesperrt worden sei. Bereits im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung relativierte der Kläger diese Angaben dahin, dass er nicht an Waffen ausgebildet worden sei und niemals eine Waffe in der Hand gehalten habe. Auf Nachfrage, wie er dann an dem Anschlag habe teilnehmen sollen, erklärte der Kläger vage, dass es bei einem Anschlag nicht nur Leute gebe, die Waffen tragen würden (Vernehmungsprotokoll vom 12. Oktober 2017, S. 7); andererseits hielt er ausdrücklich daran fest, dass es sein Auftrag gewesen sei, die Lokalpolitikerin zu töten (Vernehmungsprotokoll, S. 8 unten). In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger schließlich, während der gesamten Zeit im Lager in Haft gewesen zu sein und an keinem Training teilgenommen zu haben. Soweit er auf Vorhalt seiner Angaben bei der Anhörung schlicht erklärte, dass das damals falsch aufgenommen worden sei, überzeugt dies schon deshalb nicht, weil der Kläger selbst im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung noch von einem körperlichen Training in dem Lager – wenn auch ohne Waffen – berichtet hat. Im Übrigen hat der Kläger nach dem Kontrollbogen der Niederschrift bestätigt, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher gegeben und seine Angaben zutreffend seien. Es handelt sich daher offensichtlich um eine asyltaktische Anpassung des ursprünglichen Vortrags, um Erklärungsnöten hinsichtlich das angeblichen (Kampf-)Trainings zuvorzukommen. Es ist auch völlig unplausibel, dass die Miliz für ein derartiges Attentat gerade einen Gefangenen ausgewählt haben soll. Darüber hinaus erscheinen die Angaben zur Flucht aus dem Lager völlig unglaubhaft. Nach den Angaben des Klägers bei seiner Anhörung sollen sich zwei seiner Schwestern bereits bei seiner Ankunft in dem Lager befunden haben, weil sie dort kochen, putzen und Wäsche hätten waschen müssen (Anhörungsniederschrift, S. 4 unten). Da jeden Freitag eine von den Schwestern die Familie zu Hause habe besuchen dürfen, habe der Kläger in den Kleidern seiner Schwestern das Lager verlassen können (Anhörungsniederschrift S. 5 und 7). Dies steht in diametralen Widerspruch zu den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung, wonach eine/ beide Schwestern überhaupt nur freitags in das Lager gekommen sein sollen.
3. Dem Kläger droht im Falle einer Rückkehr auch unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr, in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – juris Rn. 17). Vorliegen bestehen nach den polizeilichen Ermittlungsergebnissen erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger tatsächlich aus Mogadischu stammt. Im Schlussbericht der Kriminalpolizei vom 8. Mai 2018 (S. 5 und 13) wird davon ausgegangen, dass der Kläger aus dem sicheren Herkunftsgebiet Puntland oder auch Somaliland stammen dürfte. Neben dem vorwiegend in Nordsomalia vertretenen Clan des Klägers deuteten insbesondere regelmäßige kleinere Finanztransaktionen des Klägers nach … unter dem Betreff „… …“ auf familiäre Verbindungen in Nordsomalia hin. Weitere Hinweise ergaben sich aus Querverbindungen der klägerischen Facebook-Profile zu Angehörigen mit Verweisen auf die Region Puntland. Als glaubhaft wurde in dem Abschlussbericht „einzig und allein“ die Angabe zur Herkunft aus Somalia gewertet.
In Fällen, in denen – wie hier – die Herkunftsregion nicht glaubhaft gemacht wurde, muss sich der Kläger auf sichere Landesteile wie etwa Somalialand verweisen lassen. In Somalialand besteht bereits kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt (vgl. etwa VG Würzburg, U.v. 13.11.2020 – W 9 K 19.32033 – juris; Online-Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 25. April 2021, „Das Wunder von Somaliland“). Selbst bei einem Abstellen auf Mogadischu als Herkunfts- und Rückkehrort liegen indes die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht vor.
Zwar geht das Gericht weiterhin davon aus, dass im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt in Mogadischu ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG herrscht (offengelassen: BayVGH, U.v. 5.7.2018 – 20 B 17.31636; U.v. 27.3.2018 – 20 B 17.31663; VGH Hessen, U.v. 1.8.2019 – 4 A 2334/18.A – jew. juris). Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 18. April 2021 (im Folgenden: Lagebericht) hat Somalia den Zustand des „failed state“ überwunden, es bleibt aber ein sehr fragiler Staat. In vielen Gebieten der Gliedstaaten Süd-/ Zentralsomalias und in der Hauptstadt Mogadischu herrscht Bürgerkrieg (Lagebericht, S. 4). Der Kläger wäre im Falle einer Rückkehr nach Mogadischu im Rahmen dieses Konflikts allerdings keiner ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt.
Für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG genügt es nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung führt. Vielmehr ist zu prüfen, ob von einem bewaffneten Konflikt in der Zielregion für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr ausgeht, die sich in der Person des Klägers so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr darstellt. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung für Leib oder Leben kann dabei auf gefahrerhöhenden persönlichen Umständen beruhen, wie etwa berufsbedingter Nähe zu einer Gefahrenquelle oder einer bestimmten religiösen Zugehörigkeit (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 − 10 C 13/10; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – jew. juris). Beim Fehlen individueller gefahrerhöhender Umstände kann eine Individualisierung ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, was ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt voraussetzt (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 19 und U.v. 20.5.2020 – 1 C 11/19 – juris Rn. 21). Für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte bedarf es dabei einer zumindest annährungsweisen quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos und auf deren Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung (BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11/19 – juris Rn. 21 f. m.w.N).
Gemessen daran ergibt sich für normale Zivilisten in Mogadischu bei wertender Gesamtbetrachtung nicht, dass sie aufgrund der bloßen Anwesenheit in der Stadt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssten, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden.
a) Eine quantitative Bewertung der Gefahrendichte erscheint mangels belastbarer aktueller Zahlen zu den Einwohnerzahlen einerseits und der Opferzahlen in Hinblick auf das Tötungs- und Verletzungsrisiko andererseits kaum verlässlich möglich (vgl. BayVGH, U.v. 27.3.2018 – 20 B 17.31663 – juris Rn. 34; VGH Hessen, U.v. 1.8.2019 – 4 A 2334/18.A – juris Rn. 40 ff.). Für Gesamtsomalia wird die Gefahrendichte im Rahmen einer Hochrechnung für das Jahr 2019 bei einer Gesamtbevölkerungszahl von rund 12,3 Mio. teils auf 1:8163 geschätzt (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Somalia, Stand 20.11.2019 – im Folgenden: BFA-Länderinformation, S. 19), was in quantitativer Hinsicht in etwa der Schwelle beachtlicher Wahrscheinlichkeit entspricht (ca. 1:800 bzw. 0,12%, vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 7; BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 22 f.). Einerseits dürfte dabei die Bevölkerungszahl allerdings eher zu niedrig angesetzt sein, da andere Quellen von einer Einwohnerzahl von mind. 14,7 Mio. ausgehen (vgl. Hinweis der BFA-Länderinformation, S. 19); andererseits dürfte hinsichtlich der Opferzahlen eine nicht abschätzbare Dunkelziffer bestehen (s. auch unten). Speziell für Mogadischu ergibt sich bei einer geschätzten Einwohnerzahl von 1,65 Mio. Einwohnern (vgl. BFA-Länderinformation, S. 30; EASO, COI-Report – Somalia Security Situation, Stand Dez. 2017 – im Folgenden: COI-Report, S. 79) und Ansatz der im Jahr 2019 in der gesamten Region Benadir verzeichneten 629 Vorfälle mit insgesamt 738 Todesopfern (vgl. ACCORD – Somalia, Jahr 2019: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project – ACLED, Stand 22.6.2020, im Folgenden: ACCORD-Kurzübersichten, abrufbar unter www.ecoi.net) eine Gefahrendichte von gerundet 0,045%, was deutlich unter der o. g. Schwelle beachtlicher Wahrscheinlichkeit liegt. Gegenüber der für das Jahr 2018 erfassten Zahlen (780 Vorfälle mit 976 Todesopfern, vgl. ACCORD-Kurzübersichten, Stand 25.2.2020) ist sowohl die Anzahl der erfassten Vorfälle als auch die Anzahl der Todesopfer damit im Jahr 2019 deutlich zurückgegangen. Gegenüber der für das Jahr 2017 erfassten Zahlen (567 Vorfälle mit 1309 Todesopfern, vgl. ACCORD-Kurzübersichten, Stand 18.6.2018) ist die Anzahl der erfassten Vorfälle in den Jahren 2018 und 2019 zwar gestiegen, die Zahl der erfassten Todesopfer aber zurückgegangen; anzumerken ist hinsichtlich der Zahlen aus dem Jahr 2017 zudem, dass immerhin 587 der erfassten Todesopfer allein auf einen verheerenden Anschlag in Mogadischu vom 14. Oktober 2017 zurückgehen (vgl. Lagebericht, S. 19). Für das erste Quartal 2020 wurden für die Region Benadir 142 Vorfälle mit insgesamt 94 Todesopfern erfasst (vgl. ACCORD-Kurzübersichten, Stand 23.6.2020). Für das 2. Quartal 2020 werden 164 Vorfälle mit 109 Todesopfern ausgewiesen (vgl. ACCORD-Kurzübersichten, Stand 30. Oktober 2020). Nicht erfasst werden nach den ACLED-Zahlen die Verletzten, daneben differenziert ACLED nicht zwischen getöteten Zivilpersonen und getöteten Bewaffneten. Schließlich weist ACLED selbst darauf hin, dass ein Großteil der gesammelten Daten auf öffentlich zugänglichen Sekundärquellen basiert und die Daten daher das Ausmaß an Vorfällen untererfassen können. Es existiert also eine nicht genau abschätzbare Dunkelziffer, sodass die Zahlen insgesamt wenig belastbar erscheinen.
b) Dessen ungeachtet stellt sich die Situation in Mogadischu bei wertender Gesamtbetrachtung nicht so dar, dass jede Zivilperson aufgrund ihrer bloßen Anwesenheit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden (vgl. dazu auch BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11/19; BayVGH, U.v. 12.7.2018 – 20 B 17.31292; U.v. 27.3.2018 – 20 B 17.31663; VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18; VGH Hessen, U.v. 1.8.2019 – 4 A 2334/18.A – jew. juris m.w.N).
Bis Oktober 2017 hat Mogadischu eine moderate Verbesserung der Sicherheitslage erlebt. Die Zahl von Attentaten und Angriffen der Al Shabaab ging zurück, die Sicherheitskräfte konnten einige Angriffe erfolgreich verhindern (vgl. BFA-Länderinformation, Stand Mai 2018, S. 32). Am 14. Oktober 2017 kam es zu einem verheerenden Sprengstoffanschlag mit über 500 Todesopfern. Die Al Shabaab wird hinter dem Anschlag vermutet, hat sich aber nicht offiziell dazu bekannt (vgl. Lagebericht, S. 4). In der Folgezeit hat die Zahl größerer Anschläge in und um Mogadischu zugenommen. Insbesondere im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg von Angriffen in Mogadischu. Es kommt regelmäßig zu Sprengstoffanschlägen oder aber gezielten Tötungen. Betroffen sind v.a. Regierungseinrichtungen, Restaurants und Hotels, die von nationalen und internationalen Offiziellen frequentiert werden. Zivilisten greift die Al Shabaab nicht spezifisch an (vgl. BFA-Länderinformation, S. 29 f.). Insgesamt bleibt die Sicherheitslage in Somalia und der Hauptstadt Mogadischu volatil und unvorhersehbar (vgl. BFA-Länderinformation, S. 14). Mogadischu bleibt unter Kontrolle von Regierung und AMISOM, nach wie vor reicht die in der Stadt gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte aber nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen. Dennoch gilt es als höchst unwahrscheinlich, dass die Al Shabaab wieder die Kontrolle über die Stadt erlangt. Es gibt in der Stadt kein Risiko mehr, von Al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (vgl. BFA-Länderinformation, S. 29). Ebenso gibt es in Mogadischu kein Risiko, alleine aufgrund seiner Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden, wenngleich Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant sind (vgl. BFA-Länderinformation, S. 30). Im Vergleich zu 2014 sind die Kapazitäten von Al Shabaab zurückgegangen, seit 2017 ist die Miliz allerdings wieder effektiver und potenter geworden. Trotz anhaltender Luftangriffe und obwohl die Armee und AMISOM im Umland von Mogadischu vermehrt Operationen durchführen, konnte Al Shabaab die Zahl großer Anschläge steigern (vgl. BFA-Länderinformation, S. 39). Al Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet Mogadischus weiterhin (verdeckt) präsent, wenngleich in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Stadtteile, in denen Rückkehrer siedeln (u.a. IDP-Lager) sind besser vor der Al Shabaab geschützt und stellen für die Miliz kein Ziel dar (vgl. BFA-Länderinformation, S. 30). Die Miliz ist in der Lage, in weiten Teilen der Stadt Anschläge durchzuführen und selbst in schwer befestigte Anlagen einzudringen (vgl. BFA-Länderinformation, S. 17). Für Al Shabaab bietet die Stadt aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele; diesbezüglich ist es der Regierung bislang nicht gelungen, eine erfolgreiche Bekämpfungsstrategie umzusetzen (vgl. BFA-Länderinformation, S. 29). Hauptziele der Al Shabaab sind die Regierung und die internationale Gemeinde. Dabei hat sich die Miliz in erster Linie auf die Durchführung von Sprengstoffanschlägen und gezielten Attentaten verlegt, wobei sie sowohl gegen harte (militärische) als auch weiche Ziele (z.B. Restaurants, Hotels und Märkte) vorgeht (vgl. BFA-Länderinformation, S. 16). Üblicherweise verfolgt Al Shabaab zielgerichtet jene Personen, derer sie habhaft werden will. Unklar ist, für welche Ziele die Miliz bereit ist, ihre Kapazitäten tatsächlich einzusetzen (vgl. BFA-Länderinformation, S. 105). Einem erhöhten Risiko sind v.a. solche Personen ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von der Miliz als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (vgl. BFA-Länderinformation, S. 30; zu den einzelnen Risikogruppen: S. 103 f.). „Normale“ Zivilisten greift Al Shabaab nicht spezifisch an. Für die Zivilbevölkerung besteht das größte Risiko darin, zur falschen Zeit am falschen Ort“ zu sein und so zum „Kollateralschaden“ von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (vgl. BFA-Länderinformation, S. 105).
Im Rahmen der gebotenen wertenden Betrachtungsweise ist damit insbesondere zu berücksichtigen, dass die Gesamtzahl der zivilen Opfer zu einem nicht unerheblichen Teil Personen mit erhöhten Gefährdungspotentialen betroffen haben dürfte. Bedingt durch die von Al Shabaab verfolgte Strategie der asymmetrischen Kriegsführung und der strategischen Auswahl der Anschlagsziele waren und sind bestimmte Berufsgruppen wie Regierungsmitarbeiter, Angehörige von AMISOM, Mitarbeiter internationaler Organisationen, Angehörige der Sicherheitskräfte bzw. generell mit der Regierung zusammenarbeitende Personen, Politiker, Deserteure mutmaßliche Spione und Kollaborateure in besonderer Weise betroffen. Auch wenn die Al Shabaab einige Menschen in Somalia als „legitime Ziele“ erachtet, gilt dies für die meisten Zivilisten nicht (vgl. hierzu etwa die Entschuldigung und Beileidsbekundung der Miliz gegenüber zivilen Opfern eines verheerenden Sprengstoffanschlags in Mogadischu Ende 2019, www. tageschau.de/ausland/anschlag-somalia-al-shabaab-101.html). Hierin sieht das Gericht einen wesentlichen Unterschied zu anderen Terrororganisationen (so auch: BFA-Länderinformation, S. 19). Zwar besteht für Zivilisten immer das Risiko, „zur falschen Zeit am falschen Ort“ zu sein. Einfache Zivilisten können ihr Risiko, zufällig Opfer eines Anschlags zu werden, zwar nicht vollständig ausschließen, zumindest aber minimieren, indem sie Gebiete oder Einrichtungen meiden, die von Al Shabaab bevorzugt angegriffen werden. Dazu gehören vor allem Hotels und Restaurants, in denen Angehörige der Streitkräfte, Mitglieder oder Mitarbeiter der Regierung oder Mitarbeiter internationaler Organisationen verkehren, Regierungseinrichtungen sowie Stellungen und Stützpunkte von Regierungskräften und AMISOM. Generell ist ein „normaler Zivilist“ (ohne Verbindung zur Regierung, zu Sicherheitskräften, zu Behörden, zu NGOs oder internationalen Organisationen) damit keinem Risiko im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt (vgl. BFA-Länderinformation, S. 103 ff m.w.N.).
Nichts anderes ergibt sich unter Berücksichtigung aktueller Berichte über Anschläge in Mogadischu, die insgesamt die bisherige Erkenntnislage bestätigen, wonach „normale Zivilisten“ kein primäres Ziel der Al Shabaab darstellen, sondern vielmehr Gefahr laufen, sich „zur falschen Zeit am falschen Ort“ zu befinden. Ausweislich der Medienberichte über einen Bombenanschlag auf ein großes Hotel in Mogadischu vom 28. Februar 2019 (vgl. Bericht der Online-Ausgabe der österreichischen Tageszeitung „Die Presse“ vom 1. März 2019, abrufbar unter: https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5588500/Mindestens-19-Tote-bei-Angriff-der-AlShabaabMiliz-in-Mogadischu) soll sich der Angriff gegen Regierungsvertreter gerichtet haben, die in dem Hotel untergebracht gewesen seien. Entsprechendes galt bereits für den Bombenanschlag auf das Sahafi Hotel am 9. November 2018 (vgl. dazu BFA-Länderinformation, S. 19) sowie für einen Anschlag auf ein Einkaufszentrum in Mogadischu (vgl. Bericht der ZEIT ONLINE vom 4. Februar 2019, abrufbar unter: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-02/somalia-mogadischu-explosion-anschlag-autobombe-terrororganisation-al-shabaab). Weitere Angriffe der Al Shabaab richteten sich unmittelbar gegen Regierungsangehörige, wie z.B. ein Selbstmordanschlag im Hauptquartier der Stadtregierung im Juli 2019, bei dem u.a. der Bürgermeister der Stadt tödlich verletzt wurde (vgl. dazu BFA-Länderinformation, S. 29; VGH Hessen, U.v. 1.8.2019, a.a.O., juris Rn. 46). Bei einem Anschlag auf ein Elite Hotel in Mogadischu kamen im August 2020 16 Menschen zu Tode (Lagebericht, S. 4)
Zusammengefasst ergibt sich bei wertender Gesamtbetrachtung damit, dass in Mogadischu weiterhin eine ausgesprochen fragile Sicherheitslage herrscht, wobei die Gefährdungssituation der Stadtteile differiert. Insbesondere der Umstand, dass Al Shabaab Angriffe nicht primär gegen die Zivilbevölkerung richtet, unterscheidet die Methoden der Miliz aber von jenen anderer Terrorgruppen. Auch unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel und Presseberichte ist das Niveau willkürlicher Gewalt nicht so hoch, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11/19 – juris Rn. 23; BayVGH, U.v. 27.3.2018, a.a.O, juris Rn. 36; VGH Hessen U.v. 1.8.2019, a.a.O., juris Rn. 47; EGMR, U.v. 10.9.2015 – Nr. 4601/14 [R.H./Schweden] – NVwZ 2016, 1785).
c) Bei dem Kläger liegen auch keine individuell gefahrerhöhenden Umstände vor, die dazu führen würden, dass er bei einer Rückkehr nach Mogadischu im Vergleich zur dort lebenden Zivilbevölkerung einem erhöhten Risiko ausgesetzt wäre, Opfer willkürlicher Gewalt im Rahmen des bewaffneten Konflikts zu werden. Solche ergeben sich insbesondere nicht aus der vorgetragenen Fluchtgeschichte, da diese bereits unglaubhaft ist (s.o.). Entsprechendes gilt für die Situation des Klägers als Rückkehrer nach einem (längeren) Auslandsaufenthalt im Westen (vgl. BayVGH, 10.7.2018 – 20 B 17.31595 – juris Rn. 29; VGH Hessen, U.v. 1.8.2019 – 4 A 2334/18.A – juris Rn. 49; OVG Niedersachsen, U.v. 5.12.2017 – 4 LB 50/16 – juris Rn. 51; VG Minden, U.v. 4.11.2020 – 1 K 2163/18.A – juris Rn. 142 ff.). Schließlich wäre der Kläger bei einer Rückkehr nach Mogadischu nicht auf sich allein gestellt (s.u.).
4. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen auch unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel nicht vor.
Die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage ist zumindest in Mogadischu weiterhin nicht derart, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG anzunehmen wäre (vgl. ausführlich BayVGH, U.v. 12.7.2018 – 20 B 17.31292 – juris Rn. 31 ff; VGH BaWü, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris).
Wenngleich zuverlässige Daten kaum zu erhalten sind, stellt sich die wirtschaftliche Situation in Mogadischu weiter günstiger dar, als in anderen Regionen Somalias. Die somalische Wirtschaft hat sich bis ins Jahr 2019 weiter erholt, wozu gute Regenfälle und wachsende Remisen, die Erstarkung des Agrarsektors, die Konsolidierung von Sicherheit und die Zunahme privater Investitionen sowie von Geldflüssen aus Geberländern beigetragen haben (vgl. BFA-Länderinformation, S. 115 ff.). Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Entwicklung ist die Diaspora, welche begonnen hat, in Somalia und vor allem in Mogadischu und den Hauptstädten der Bundesstaaten zu investieren. Generell hat die verbesserte Sicherheitslage in den Städten zu einem Bau-Boom geführt. Allerdings sind die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen weiterhin limitiert und regelmäßig von Familien- und Clanverbindungen abhängig. Soweit sich die humanitäre Situation und Lebensmittelsicherheit in Somalia im Frühjahr 2018 zunächst entspannte, litt das Land im Frühjahr 2019 erneut unter den negativen Folgen später und ungleichmäßiger Regenfälle. Die Versorgungslage der Stadtbevölkerung Mogadischus wurde bis Ende 2019 als „moderat“ bewertet (IPC 1 – und damit die niedrigste Skala der Integrated Phase Classification for Food Security), wobei Binnenflüchtlinge und marginalisierte Personengruppen am meisten von Not betroffen waren (vgl. BFA-Länderinformation, S. 122 ff.).
Seit dem Frühjahr 2020 sieht sich Somalia einer dreifachen Bedrohung durch die Folgen der weltweiten COVID-19 Pandemie, regionalen Überflutungen und einer Heuschreckenplage ausgesetzt. Die Betroffenheit der Gebiete und auch die wirtschaftlichen und humanitären Entwicklungen sind dabei jedoch sehr unterschiedlich (vgl. ausführlich: FSNAU, Somalia Food Security Outlook, February to September 2021, abrufbar unter https://reliefweb.int/country/som – im Folgenden: FSNAU). Somalia ist regelmäßig wiederkehrend von regionalen Überflutungen wie auch Dürreperioden betroffen, ebenso wurde das Land in der Vergangenheit bereits wiederholt von Heuschreckenplagen heimgesucht. Die Heuschreckenplage im Jahr 2020 war zwar weiter verbreitet als die vorangegangene Plage im Jahr 2019, betroffen waren jedoch vor allem Somaliland, Puntland und Galmuduug (vgl. OCHA, Humanitarian Bulletin Somalia, Stand 1. Mai bis 2. Juni 2020) und es wurden massive Bekämpfungsmaßnahmen ergriffen, deren Auswirkungen abzuwarten bleiben. Ungeachtet der insgesamt widrigen Gegebenheiten konnten in einigen Gebieten wie Bay oder Bakool im Jahr 2020 sogar gute Ernteerträge erzielt werden (FSNAU, S. 2 und 8).
Die Folgen der weltweiten Covid 19- Pandemie erwiesen sich in Somalia zuletzt als weniger dramatisch als noch im Sommer 2020 prognostiziert wurde. Neben den gesundheitlichen Gefahren für vulnerable Personengruppen wie Alte und Vorerkrankte wurden viele somalische Familien von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie betroffen. Umstände wie der vorübergehende Lockdown der Hauptlieferländer (u.a. Indien, Thailand und Afrikanischen Union), reduzierte Importe, vorübergehende Grenzschließungen (v. a. zu Äthiopien und Kenia) und vorübergehende Beschränkungen der heimischen Transportkorridore zu Wasser, Land und Luft wirkten sich spürbar auf die somalische Wirtschaft aus. Aktuell wird von regional und produktbezogen unterschiedlichen – etwa auch niedrigen Preisen z.B. für Benzin – und insgesamt keinesfalls dramatischen Preisentwicklungen berichtet (vgl. ausführlich: FSNAU). Soweit infolge der – zwischenzeitlich im Wesentlichen aufgehobenen – pandemiebedingten Beschränkungen und schwindendender Geldüberweisungen aus dem Ausland der Lebensunterhalt insbesondere für Tagelöhner, Gelegenheitsarbeiter und andere Geringverdienerhaushalte schwierig wurde (vgl. OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 3, S. 2), haben sich die wichtigen Auslandsüberweisungen zuletzt offenbar stabilisiert (vgl. FSNAU, S. 4; OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 12, S. 1). Eine wesentliche Verschlechterung der allerdings schon vor Beginn der Pandemie teilweise prekären allgemeinen Versorgungslage lässt sich damit nicht feststellen – wobei auch insoweit erhebliche regionale Unterschiede bestehen und ärmere Haushalte sowie Binnenflüchtlinge stärker belastet sind als andere Bevölkerungsgruppen. Für Mogadischu wird die Lebensmittelsicherheit von FSNAU für Februar 2021 als „stressed“ (IPC Phase 2, vgl. FSNAU, S. 1 und 16) angegeben und erreicht in den Prognosen unter Berücksichtigung humanitärer Hilfe bis September 2021 den „crisis“-Level (IPC Phase 3) – nicht jedoch die Stufe eines „Notfalls“ oder einer „Hungersnot“ (IPC 4 und 5). Im Jahresvergleich stellen sich die Prognosen der FSNAU für Gesamtsomalia dabei – selbst ohne Berücksichtigung humanitärer Hilfe – im Jahr 2021 noch deutlich besser dar, als etwa im Jahr 2017 (vgl. FSNAU, S. 6 unten).
Insgesamt ist festzustellen, dass die Covid 19- Pandemie die bestehenden sozio-ökonomischen Vulnerabilitäten in Somalia zwar zunächst verschärft hat (OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 8, S. 1). Die somalische Wirtschaft hat sich gegenüber der Pandemie jedoch als unerwartet widerstandsfähig erwiesen (OCHA, Covid-19 Impact Update Nr. 12, S. 1), sodass zuletzt keine erheblichen negativen Auswirkungen auf die somalische Wirtschaft mehr berichtet wurden. Entgegen früherer Prognosen, die für das Jahr 2021 von einem deutlichen Wirtschaftseinbruch ausgingen, wird nach aktuellen Schätzungen sogar mit einem Wirtschaftsaufschwung und einem Wirtschaftswachstum von 2,9% gerechnet (FSNAU, S. 4 und 8).
Der Kläger zählt weder zu einer gesundheitlich noch wirtschaftlich besonders vul-nerablen Personengruppe, die durch die Folgen der weltweiten Corona-Pandemie besonders betroffen sein könnte. Er ist jung, gesund und arbeitsfähig. Zudem verfügt er bereits über Arbeitserfahrung als Hilfsarbeiter in einer Bäckerei (Vernehmungsprotokoll vom 12. Oktober 2017, S.1). Es ist ferner davon auszugehen, dass er in Mogadischu auf ein tragfähiges Netzwerk familiärer oder clanbasierter Unterstützung sowie finanzielle Unterstützung seiner im Ausland lebenden Angehörigen zurückgreifen kann. Soweit der Kläger vorgetragen hat, dass in der Folge seiner Flucht aus dem Lager auch seine Mutter mit den Schwestern aus Mogadischu geflohen sei und hierzu das Haus der Familie an eine Freundin verpfändet habe, hält das Gericht auch diese Angaben angesichts des völlig unglaubhaften Gesamtvortrags für nicht glaubhaft. Überdies lebt eine Tante des Klägers mit ihrem Sohn und der Großmutter des Klägers in Schweden (Vernehmungsprotokoll vom 12. Oktober 2017), eine weitere in Kanada. Die Tante in Schweden soll dem Kläger – zusammen mit einem – angeblich zwischenzeitlich verstorbenen – Onkel in den USA bereits die Flucht nach Schweden finanziert haben (Bl. 67 d. BA). Nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung sollen die Angehörigen in den USA zudem vom Ausland aus eine – angeblich ebenfalls zwischenzeitlich verstorbene – Schwester des Klägers unterstützt haben, die sich ohne jegliche Kontakte alleine nach Gaalkacyo begeben haben soll. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger erforderlichenfalls auf die Unterstützung durch seine im Ausland lebenden Angehörigen zurückgreifen könnte (vgl. dazu auch BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 – juris sowie B.v. 19.2.2020 – 23 B 17.31791) und die derzeit in Somalia oder im Ausland lebenden Angehörigen auch über eine hinreichende finanzielle Grundlage verfügen, die es ausschließt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Somalia in eine existenzielle Notlage gerät. Selbst bei Annahme des vom Kläger behaupteten Kontaktverlusts ist jedenfalls davon auszugehen, dass es ihm gelingen würde, den Kontakt über Bekannte bzw. das Clan-Netzwerk wiederherzustellen.
5. Das auf 30 Monate begrenzte Einreise- und Aufenthaltsverbot ist nicht zu beanstanden. Der Umstand, dass das Bundesamt nach § 11 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der bis zum 20. August 2019 geltenden Fassung das Einreise- und Aufenthaltsverbot nur befristet und nicht auch angeordnet hat, obwohl § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 3 AufenthG in der seit dem 21. August 2019 geltenden und hier nach § 77 Abs. 1 AsylG zu Grunde zu legenden Fassung den Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots und dessen Befristung fordert, lässt die Rechtmäßigkeit dieser Regelung unberührt. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine auf Grund der bis zum 20. August 2019 geltenden Rechtslage ausgesprochene Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots unionsrechtskonform als Anordnung eines befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots auszulegen (vgl. BVerwG, U.v. 25. Juli 2017 – 1 C 13/17 – juris Rn. 23). Die vorgenommene Befristung auf 30 Monate begegnet keinen Bedenken. Das Bundesamt hat das ihm insoweit zustehende Ermessen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) fehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO) ausgeübt. Schutzwürdige Belange des Klägers, die bei der Bemessung der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu berücksichtigen wären, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben