Verwaltungsrecht

Asylantrag offensichtlich unbegründet, rechtskräftige Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren, einzelfallbezogene Gefahrenprognose

Aktenzeichen  W 2 K 21.30396

Datum:
26.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30636
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 30 Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 8 S. 1 Alt. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage hat insgesamt keinen Erfolg.
Sie ist zulässig, jedoch unbegründet.
Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht gem. § 30 Abs. 4 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, als Asyl- oder international Schutzberechtigter anerkannt zu werden, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Anhaltspunkte für eine formelle Rechtswidrigkeit des verfahrensgegenständlichen Bescheides sind weder vorgetragen, noch ersichtlich.
2. Auch in materieller Hinsicht erweist sich der Bundesamtsbescheid vom 29. Juli 2021 im verfahrensgegenständlichen Umfang als rechtmäßig.
2.1. Der Asylantrag des Klägers war vom Bundesamt in der Sache zu prüfen. Er ist nicht gem. § 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 i.V.m. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG unzulässig.
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Fall eines Folgeantrags nach § 71 ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Dabei kann offenbleiben, ob das Schreiben des Klägers vom 22. Dezember 2017 an die Regierung von Mittelfranken tatsächlich als Asylbegehren auszulegen und eine (erstes) Asylverfahren einzuleiten war, das mit bestandskräftigem Bundesamtsbescheid vom 15. Februar 2018 seinen Abschluss gefunden hat. Denn jedenfalls liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines Asylfolgeverfahrens gem. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG vor.
Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein weiteres Asylverfahren (sog. Folgeverfahren) nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, d.h. wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- und Rechtslage zugunsten des Betroffenen geändert hat (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Ferner muss der Betroffene gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 2 VwVfG ohne grobes Verschulden außerstande gewesen sein, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen und der (erneute) Asylantrag muss gem. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 3 VwVfG binnen drei Monate ab Kenntnis des Betroffenen vom Wiederaufgreifensgrund gestellt worden sein. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Mit dem öffentlichen Strafprozess am OLG München vom 20. Februar 2018 bis 2. August 2018 sowie der darauf beruhenden Verurteilung vom 2. August 2018 hat sich die Sach- und Rechtslage im Vergleich zum Zeitpunkt der Einstellung des ersten Asylverfahrens am 15. Februar 2018 zugunsten des Klägers verändert. Angesichts der systematischen Observierung des exilpolitischen Engagements in Deutschland lebender Syrer durch den syrischen Auslandsgeheimdienst ist davon auszugehen, dass das syrische Regime von der Verurteilung des Klägers im Zusammenhang mit dem Werben für die Terrororganisation „Islamischer Staat (IS)“ Kenntnis hat. Dies allein birgt bereits die ernsthafte Gefahr, dass der Kläger von den syrischen Sicherheitskräften als Regimegegner eingestuft wird und begründet eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr für den Kläger. Damit hat sich die für ein Asylverfahren relevante Sachlage im Vergleich zum Zeitpunkt vor dem Strafprozess zu Gunsten des Klägers verändert. Auch die weiteren Voraussetzungen für die Durchführung eines Asylfolgeverfahrens liegen vor. Schon aufgrund der zeitlichen Abfolge trifft den Kläger kein grobes Verschulden daran, die öffentliche Hauptverhandlung und die daran anknüpfende Verurteilung nicht in das erste Asylverfahre eingebracht zu haben. Sein beim Bundesamt am 5. Oktober 2018 eingegangener „erneuter“ Asylantrag wurde auch innerhalb der Dreimonatsfrist ab Kenntnisnahme vom Schuldspruch im Urteil vom 2. August 2018 gestellt. Es war mithin rechtmäßig, dass das Bundesamt das Asylbegehren des Klägers in der Sache geprüft hat.
2.2. Das Bundesamt hat den Asylantrag auch zu Recht gem. § 30 Abs. 4 AsylG insgesamt als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Ziffer 1 bis 3 des verfahrensgegenständlichen Bescheides sind auch materiell rechtmäßig.
Gem. § 30 Abs. 4 AsylG ist ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder des § 3 Abs. 2 AsylG vorliegen oder wenn das Bundesamt nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 8 Satz 3 des AufenthG abgesehen hat.
Gem. § 30 Abs. 4 i.V.m. § 14 Abs. 2 Satz 1 AsylG bezieht sich diese Rechtsgrundlage gleichermaßen auf den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16a Abs. 1 GG, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG und die Zuerkennung subsidiären Schutzes gem. § 4 AsylG. Liegt ein Ausschlusstatbestand gem. § 30 Abs. 4 AsylG vor, ist ein Asylantrag auch dann insgesamt als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn zugleich die tatbestandsbegründenden Voraussetzungen für die Zuerkennung von Asyl gem. Art. 16a Abs. 1 GG oder eines internationalen Schutzstatus gem. § 3 und § 4 AsylG vorliegen. Der Asylantrag ist in diesem Fall auch dann offensichtlich unbegründet, wenn er andernfalls begründet wäre (vgl. Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 29. Edition [Stand: 1.4.2021], Rn. 53). Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen auch im Hinblick auf das in Art. 16a Abs. 1 GG vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht auf Asyl nicht, weil es sich bei § 30 Abs. 4 AsylG nicht um eine einfachgesetzliche Schranke handelt, sondern dort der in praktischer Konkordanz gefundene Ausgleich mit anderen, ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Rechtsgütern, namentlich dem Schutz von Leib und Leben sowie der Sicherheit der Allgemeinheit, normiert ist (vgl. Kluth/Heusch, ebd., Rn. 54). Sofern einer der in § 30 Abs. 4 AsylG normierten Ausschlussgründe vorliegt, kommt es deshalb nicht darauf an, ob dem Kläger in Syrien politische oder sonst flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgung droht oder eine Gefahrenlage gemäß § 4 AsylG besteht. Dem ist dann gem. § 31 Abs. 3 Alt. 1, Abs. 2 AsylG – wie in Ziffer 4 des verfahrensgegenständlichen Bescheides – ausschließlich durch die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG Rechnung zu tragen.
2.2.1.
Da das Urteil des OLG München vom 2. August 2018 zum gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 26. Juli 2021 rechtskräftig ist, ist insbesondere § 30 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG als Rechtsgrundlage heranzuziehen. Denn gem. § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG ist ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu erteilen, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist.
2.2.1.1.
Bei der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe ist erforderlich, dass zumindest eine der in die Gesamtfreiheitsstrafe einbezogenen Einzelstrafen eine wenigstens dreijährige Freiheitsstrafe ist (vgl. BVerwG NVwZ-RR 2013, 571). Dies ist mit der im Urteil des OLG München vom 2. August 2018 für die versuchte Anstiftung zum Todschlag gem. § 212 Abs. 1 i.V.m. § 30 Abs. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB verhängten Einzelstrafe von vier Jahren gegeben.
2.2.1.2.
Um die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 S. 1 2. Alt. zu verwirklichen, reicht eine solche Verurteilung für sich genommen jedoch nicht aus. Von dem Betroffenen muss vielmehr auch aktuell noch eine konkrete, ernsthaft drohende Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen, die eine Wiederholung der schwerwiegenden Straftaten nahelegt, derentwegen der Ausländer verurteilt worden ist (vgl. Koch, in: Kluth/Heusch, BeckOK, 29. Edition [Stand: 1.7.2020], AufenthG, § 60, Rn. 54 m.w.N). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten ernsthaft droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftaten, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts ebenso wie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zu dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Dabei ist die der gesetzlichen Regelung zugrunde liegende Wertung zu beachten, dass Straftaten, die so schwerwiegend sind, dass sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren geführt haben, typischerweise mit einer Gefahr für besonders wichtige Rechtsgüter verbunden sind. Dies ist bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr entsprechend zu berücksichtigen (vgl. VG Aachen, B.v. 21.1.2020 – 6 L 1332/19.A – juris, Rn. 15). Bei der Bewertung nicht unberücksichtigt bleiben dürfen allerdings zwischenzeitlich eingetretene zu Gunsten des Ausländers sprechende Umstände, wie eine Strafaussetzung auf Bewährung oder eine positive Sozialisation nach Vollzug einer Freiheitsstrafe (vgl. dazu BVerwG NVwZ 2001, 442).
Legt man diesen Maßstab zugrunde ist die Prognoseentscheidung des Bundesamtes nicht zu beanstanden. Zulässigerweise hat es die Feststellungen des OLG München im Urteil vom 2. August 2018 zu den einzelnen Tatumständen, der Persönlichkeitsstruktur des Klägers und der Strafzumessung als Ausgangspunkt für seine Gefahrenprognose genommen. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger gegen das rechtskräftige Urteile Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben hat, über die noch nicht entschieden ist. Als außerordentlicher Rechtsbehelf beseitigt die anhängige Verfassungsbeschwerde weder die Rechtskraft noch die Tatbestandswirkung des Urteils. Gleiches gilt für den Antrag des Klägers auf Bestellung eines Verteidigers für die Vorbereitung eines Wiederaufnahmeverfahrens zum Strafurteil des OLG München vom 2. August 2018. Zwar binden die Entscheidungsgründe des OLG München weder das Bundesamt noch das Verwaltungsgericht in ihrer Prognoseentscheidung, jedoch dürfen die strafgerichtlichen Feststellungen aus einem rechtskräftigen Urteil regelmäßig zur Grundlage daran anknüpfender Verwaltungsverfahren gemacht werden. Dies gilt jedenfalls solange und soweit, wie nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit solcher Feststellungen bestehen oder besondere Umstände vorliegen, die es ausnahmsweise gerechtfertigt erscheinen lassen, dass die Verwaltungsbehörde in der Lage ist, eine für ihre Entscheidung erhebliche, aber strittige Tatsache besser als das Strafgericht aufzuklären (vgl. bzgl. eines Approbationswiderrufs VG Halle, U.v. 14.4.2016 – 5 A 2/15 HAL – BeckRS 2016, 121416, Rn. 39). Werden jedoch tatsächliche Feststellungen in einem Strafurteil angegriffen, das nach einer Hauptverhandlung und einer umfangreichen Beweiserhebung und Beweiswürdigung zustande gekommen ist, sind in der Regel die Verwaltungsbehörde nicht in der Lage und ohne gewichtige Anhaltspunkte auch nicht dazu angehalten, das gesamte Verfahren noch einmal und in vollem Umfang aufzurollen Es ist dann vielmehr Sache des Betroffenen, substantiiert seine Einwendungen gegen die nach seiner Meinung fehlerhaften Feststellungen im Strafurteil bereits im Strafprozess mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen geltend zu machen (vgl. VG Halle, a.a.O.). Haben die vorgesehenen ordentlichen Rechtsbehelfe keinen Erfolg, sind die im Strafurteil festgehaltenen Erkenntnisse auch bei der Beurteilung eines Ausschlussgrundes gemäß § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG heranzuziehen, sofern sich nicht aus den Entscheidungsgründen des Strafurteils selbst Widersprüchlichkeiten oder Ungereimtheiten ergeben. Die ist hier nicht der Fall. Vielmehr erweisen sich die Ausführungen im Urteil des OLG München vom 2. August 2018 zu den einzelnen Tatkomplexen ebenso wie zur Persönlichkeit des Klägers und der Strafzumessung als sehr ausführlich, abgewogen, widerspruchsfrei und plausibel. Soweit der Kläger vorträgt, ihm sei der Zugang zu den Originalaufnahmen der in die Hauptverhandlung des Strafverfahrens eingeführten und dem Urteil zugrunde gelegten Voicemail-Aufnahmen verfahrensfehlerhaft verwehrt worden, kann dies allein die Vermutung der sachlichen Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen – unabhängig von der Frage nach möglichen Verfahrensfehlern – nicht erschüttern. Anhaltspunkte für die vom Kläger ferner behauptete Manipulation der Beweisaufnahme im Rahmen der Hauptverhandlung durch das OLG München sind nicht ersichtlich und angesichts der dortigen umfassenden Beweisaufnahme auch nicht naheliegend. Mithin sind die strafgerichtlichen Feststellungen als Ausgangspunkt für die Gefahrenprognose heranzuziehen. Dem stehen auch die vom Kläger in das asylgerichtliche Verfahren eingebrachten Unterlagen (Aktenvermerk von Regierungsamtsrat Göß, v. 7.9.2020 und Email von Oberstaatsanwalt Laubmeier v. 7.9.2020) nicht entgegen. Zwar geht daraus hervor, dass die vom Kläger begehrte Akteneinsicht in die Voicemail-Aufnahmen aufgrund der nach Rechtskraft des OLG-Urteils erfolgten Bereinigung der Asservate nicht mehr möglich ist, jedoch ist dies für sich genommen nicht geeignet, die Richtigkeitsvermutung der strafgerichtlichen Feststellungen zu erschüttern. Dabei kann offenbleiben, ob dem Kläger im Strafprozess Zugang zu den Originalaufnahmen hätte gewährt werden müssen. Ein auf das Asylverfahren des Klägers durchgreifendes Verwertungsverbot wäre damit jedenfalls nicht verbunden. Schon angesichts der im Strafverfahren vorgenommenen Kontrollübersetzungen relevanter Passagen (vgl. OLG München, U.v. 2.8.2018 – 9 St 7/17, S. 40ff.) bestehen auch keine begründeten Zweifel an der sachlichen Richtigkeit der in das Strafverfahren eingebrachten und dem Urteil des OLG München zugrunde gelegten Übersetzungen.
Mithin ist der Gefahrenprognose gem. § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG als Ausgangspunkt zugrunde zu legen, dass der Kläger am 1. März 2014 und am 15. Juli 2016 via WhatsApp versuchte, einen Bekannten und einen seiner Brüder zu Selbstmordanschlägen des IS in Syrien zu motivieren. Ferner ist davon auszugehen, dass er 2014/2015 dem damals sieben oder acht Jahre alten Sohn seiner ehemaligen Lebensgefährtin an einem Tag Videofilme des IS mit Szenen von trainierenden Kindern vorführte, den Jungen am nächsten Tag selbst entsprechend trainierte und ihm zur Abhärtung mit leichtem Druck auf den Bauch schlug, um ihn positiv für den IS einzunehmen und um in ihm den Wunsch zu wecken, eines Tages selbst als IS-Kämpfer tätig zu werden. Darüber hinaus kann als gesichert gelten, dass der Kläger am 20. Juli 2016 via WhatsApp gezielt dafür den Anstoß gab, dass ein Mann in Idlib wegen der Kennzeichnung von Gebäuden mit Peilsendern für Luftangriffe zugunsten des Assad-Regimes von den Truppen der Aufständischen festgesetzt und verhört wurde. Dem Kläger war dabei bewusst, dass dem von ihm Angeschuldigten in Idlib kein rechtstaatliches Verfahren erwarten würde und schon allein der bloße Verdacht zu willkürlichen, potentiell tödlichen Gewalthandlungen gegen ihn hätte führen können.
Aus den Feststellungen zum Tatgeschehen im Urteil des OLG München vom 2. August 2018 ergibt sich somit nicht nur eine über Jahre hinweg bestehende ideologische Nähe des Klägers zur terroristischen Vereinigung „IS“, sondern auch ein aktives Werben für diese Vereinigung, um deren Qualifikation als terroristischer Vereinigung der Kläger wusste und deren Vorgehen und Ziele er trotzdem im Wesentlichen billigte und – unter bewusster Missachtung der in Deutschland gültigen Rechtsordnung – unterstütze. Dass er sich dabei des Widerspruchs der IS-Ideologie zur grundrechtsgebundenen, freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland bewusst war, ist schon daran zu erkennen, dass er bei der sicherheitsrechtlichen Befragung der Ausländerbehörde am 7. September 2016 – trotz entsprechender Belehrung – jegliche Berührungspunkte zum IS leugnete. Eine glaubwürdige Abkehr des Klägers von dieser Geisteshaltung ist auch im Nachgang zum Schuldspruch vom 2. August 2018 nicht erkennbar. So erkennt das Kompetenzzentrum Deradikalisierung laut aktuellem Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt Nürnberg vom 29. Juni 2021 beim Kläger weder ein Interventionsfester noch die Bereitschaft, sich kritisch mit seinen Taten oder ideologischen Sympathien auseinanderzusetzen. Soweit er sich in der mündlichen Verhandlung vom 26. Juli 2021 dahingehend eingelassen hat, dass er dem IS nicht angehört habe, ihn nicht unterstützt und nicht für ihn geworben habe, ist auch damit keine glaubwürdige Distanzierung von den Zielen und Methoden des IS verbunden. Zum einen waren der lediglich stereotyp vorgetragen Aussage des Klägers schon keine innere Auseinandersetzung mit der menschenrechtsmissachtenden Ideologie des IS zu entnehmen. Zum anderen bedurfte es für diese Einlassung erst eines ausdrücklichen Nachhakens seitens des Beklagtenbevollmächtigten. Denn auf die Frage des Gerichtes zu seiner Haltung zum IS ließ sich der Kläger zunächst nicht zur Sache ein, sondern thematisierte lediglich erneut das seiner Auffassung nach fehlerhafte Urteil des OLG Münchens vom 2. August 2018, ohne dabei auf sein eigenes Verhalten oder dessen Wirkung auf andere einzugehen. Die darin deutlich werdende Tendenz, sich selbst ausschließlich als Opfer zu sehen und anderen die Schuld für seine aktuelle Situation zuzuweisen, spiegelt sich auch im umfangreichen schriftsätzlichen Vortrag des Klägers wieder und steht im Einklang mit den im Rahmen des Strafprozesses beim OLG München gutachterlich festgestellten dissozialen, narzisstischen und histrionischen Wesenszügen des Klägers. Mithin besteht auch nach einer Haftentlassung die Gefahr, dass der Kläger auf Misserfolge und Zurückweisung – seien sie privater oder beruflicher Art – mit dem Erzeugen von Feindbildern reagiert, auf deren Bekämpfung er sich konzentriert. Zwar ist zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er sich gegen seine strafrechtlichen Verurteilungen bislang ausschließlich der Mittel bedient, die der Rechtsstaat ihm beispielsweise in Form der nunmehr anhängigen Verfassungsbeschwerde ausdrücklich zur Verfügung stellt. Jedoch ist dabei in Rechnung zu stellen, dass ihm seine aktuelle Haftsituation auch gar keinen Raum lässt, sich anderer Mittel zur Durchsetzung seiner Interessen zu bedienen. Beachtlich ist ferner, dass der Kläger die Möglichkeit eines Scheiterns seines Ansinnens offensichtlich nicht einmal ansatzweise in Betracht zieht und Tatsachen, die seiner Sicht der Dinge widersprechen auszublenden scheint. Mithin ist nicht gewährleistet, dass er eine eventuelle Abweisung seiner Verfassungsbeschwerde akzeptieren und emotional verarbeiten könnte. In diesem Fall wäre eine (Re-)Sozialisierung in die deutsche Rechts- und Gesellschaftsordnung nach einer Haftentlassung mehr als fraglich. Auch unabhängig von einem solchen Scheitern stünden dem Kläger in der oft schwierigen persönlichen Situation nach einer Haftentlassung – wie im Übrigem jedem anderen Menschen auch – Niederlagen und Rückschläge im privaten, wirtschaftlichen und beruflichen Leben bevor, deren gewaltfreie Verarbeitung angesichts seiner gutachterlich dokumentierten Persönlichkeitsstruktur nicht gesichert erscheint. Neben der im Urteil vom 2. August 2018 zum Ausdruck kommenden „strategisch eingesetzten Gewalt“ des Klägers (vgl. JVAFührungsbericht vom 29. Juni 2021, S. 3) ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits mit Strafbefehl vom 16. April 2014 wegen versuchter Nötigung in zwei Fällen, Beleidigung und Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung sowie mit Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 10. August 2016 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung verurteilt worden war. Den zugrunde liegenden Tatkomplexen ist dabei gemeinsam, dass der Kläger auf tatsächliche oder ggf. nur vermeintliche Zurückweisung bzw. für ihn ungünstiges Verhalten mit Beleidung, Nötigung, Gewalt und Drohung reagierte. Eine Abkehr von dem darin zum Ausdruck kommenden – der hiesigen Rechtsordnung zuwider laufendem – Verhaltensmuster ist auch aktuell nicht erkennbar. So fällt es dem Kläger laut Führungsbericht der JVA Nürnberg vom 29. Juni 2021 nach wie vor schwer, ablehnende Entscheidungen (z.B. in Ermangelung einer Dringlichkeit abgelehnte Telefonate, negative Stellungnahme hinsichtlich der Aussetzung der Strafe zur Bewährung) zu akzeptieren. Damit in Einklang stehen seine brieflich geäußerten Anschuldigungen gegenüber der im OLG-Strafprozess tätigen Dolmetscherin, sie habe ihre für das Gericht angefertigten Übersetzungen in Zusammenarbeit mit einem namentlich benannten Polizeibeamten bewusst manipuliert, um ihn, den Kläger zu schädigen (vgl. Ausländerakte, S. 1642ff.). Auch die verfahrensgegenständlichen Einlassungen des Klägers fügen sich in dieses Bild ein. So trägt er beispielsweise vor, das Scheitern seines Revisionsverfahrens gegen das Urteil des OLG-München vom 2. August 2018 sei allein auf die Unfähigkeit seines Anwalts zurückzuführen. Die Anhörung beim Bundesamt, die Beweisaufnahme beim OLG und auch die aktuelle Stellungnahme der JVA seien manipuliert. Den Ausführungen, eine JVA-Bedienstete habe den Kontakt zu ihm unterbunden, tritt er mit der Behauptung entgegen, seine Liebe zu ihr habe auf Gegenseitigkeit beruht und habe lediglich wegen der Eifersucht einer anderen Person nicht aufrechterhalten werden können. Auch die seitens der JVA im Hinblick auf eine Resozialisierung thematisierten Schulden in Höhe von 315.000 EUR negiert er mit dem Hinweis, diese bezögen sich auf Prozesskosten, die er bei dem zu erwartenden Freispruch nicht zu begleichen habe. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger – wie in den vorangegangenen strafrechtlichen Verfahren dokumentiert – auf vermeintliche Zurückweisungen mit strafrechtlich relevantem Verhalten reagierte, ein Zuwachs an Einsichts- und Kritikfähigkeit während seiner Haftzeit nicht ersichtlich ist und – angesichts seiner dissozialen, narzisstischen und histrionischen Wesenszüge – auch zukünftig nicht wahrscheinlich ist, ist auch in Zukunft mit strafrechtlich relevantem Verhalten des Klägers zu rechnen, bei dem Gefährdungen von hochrangigen Rechtsgütern wie Leib, Leben und körperlicher Unversehrtheit nicht ausgeschlossen werden können. Dem gegenüber stehen für den Kläger günstig Aspekte, wie insbesondere seine hervorragenden Deutschkenntnisse, die in Deutschland ansässigen Familienmitglieder, zu denen er auch während seiner Haftzeit in Kontakt steht, sein erfolgreich begonnenes Medizinstudium, aber auch seine beachtenswerten Fortbildungsbemühungen während seiner Haftzeit. Diese fallen jedoch nicht so sehr ins Gewicht, dass sie zu einer anderen Gefahrenprognose führen können. Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass seine aktuelle Immatrikulation an der Fernuni Hagen in ein erfolgreiches Fernstudium münden würde und eine erneute Bewerbung um einen Studienplatz der Humanmedizin an der Universität Würzburg nach seiner Haftentlassung erfolgreich wäre und zu einer Fortsetzung des Studiums führen würde, mindert dies die vom Kläger ausgehende Gefährlichkeit, ebenso wenig wie die von ihm vorgetragene wirtschaftliche und kulturelle Integration, die er vor seiner Festnahme gepflegt hatte. Denn all diese Umstände haben die Kläger auch zuvor nicht davon abgehalten, im geschilderten Umfang strafrechtlich in Erscheinung zu treten, so dass eine Gefahrenminderung auch in Zukunft nicht wahrscheinlich erscheint. Schließlich kann auch die aktuelle politische Situation in Syrien die Gefahrenprognose nicht zugunsten des Klägers wenden. Ein Ende des nunmehr zehn Jahre andauernden Bürgerkriegs ist weder absehbar, noch ist ersichtlich, dass der Kläger seine Wertvorstellungen, die eine Unterordnung individueller Grundrechte und Rechtsstaatsprinzipien unter die von ihm verfolgten Ziele beinhalten, abhängig von der Situation in Syrien ändern würde. Insgesamt verbleibt es deshalb auch im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung dabei, dass der Kläger auch aktuell eine Gefahr für die Allgemeinheit i.S.v. § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG bedeutet. Die Interessenabwägung des Bundesamts, bei der dem öffentlichen Interesse an einem Widerruf der Flüchtlingseigenschaft Vorrang vor den privaten Interessen des Klägers eingeräumt wurde, ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden.
Damit liegen die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags des Klägers als offensichtlich unbegründet gem. § 30 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG vor.
2.2.2.
Darüber erfüllt der Kläger mit dem im Urteil des OLG München festgestellten Verhalten auch den Tatbestand des § 30 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG. Denn mit dem Werben um Unterstützer für den IS, der Indoktrinierung eines Kindes zugunsten des IS und der versuchten Anstiftung zum Todschlag liegen schwerwiegende Gründe vor, die die Annahme rechtfertigen, dass er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat. Für die weiteren Einzelheiten wird gem. § 77 Abs. 2 AsylG auf den verfahrensgegenständlichen Bescheid sowie die Ausführungen zur Gefahrenprognose im Rahmen von § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG Bezug genommen.
Der Bundesamtsbescheid vom 29. Juli 2019 ist im verfahrensgegenständlichen Umfang materiell rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus.
Die Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben