Verwaltungsrecht

Asylrecht (Herkunftsland, Nigeria), unzulässiger Folgeantrag (Vortrag FGM präkludiert durch Asylerstverfahren), nationale Abschiebungsverbote (alleinerziehende Frau mit drei Kindern, verneint, keine relevante Veränderung gegenüber rkr. VG-Entscheidung im Asylerstverfahren, auch unter Berücksichtigung, Coronavirus-Pandemie)

Aktenzeichen  M 28 K 20.30268

Datum:
25.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51207
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 71
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

In der Verwaltungsstreitsache konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25. Juni 2021 entschieden werden, obwohl für die ordnungsgemäß geladene Beklagte niemand erschienen ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag zulässig, insbesondere auch im Anfechtungsantrag statthaft (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16; U.v. 20.5.2020 – 1 C 34/19 – juris Rn. 10), jedoch im Haupt- und Hilfsantrag nicht begründet.
Die Beklagte hat den Asylfolgeantrag der Klägerin rechtmäßig als unzulässig abgelehnt, die Aufhebung der Ziffer 1. des streitgegenständlichen Bescheids (und in der Konsequenz wegen § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG der Ziffer 2. des Bescheids) kommt mithin nicht in Betracht, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (nachfolgend 2.). Die Klägerin hat auch keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2. des Bescheids zu verpflichten, zu ihren Gunsten ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und/oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO (nachfolgend 3.). Das BAMF hat den Asylfolgeantrag der Klägerin zu Recht abgelehnt.
1. Zur Begründung wird zunächst vollumfänglich (insbesondere auch hinsichtlich des rechtlichen Rahmens und des Prüfungsmaßstabs bezüglich der § 71 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG, § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG, § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG, § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend bleibt auszuführen:
2. Die Beklagte hat den Asylfolgeantrag der Klägerin zu Recht als unzulässig abge lehnt.
Soweit der Asylfolgeantrag der Klägerin auf die befürchtete Gefahr einer Genitalverstümmelung der Klägerin im Fall von deren Rückkehr nach Nigeria gestützt wird, ist dieser Vortrag nach § 71 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 2 VwVfG präkludiert. Nach dieser Norm, auf die sich das BAMF im streitgegenständlichen Bescheid – auch – ausdrücklich berufen hat, ist ein Asylfolgeantrag nur zulässig, wenn der Folgeantragsteller ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen im Asylerstverfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen.
Vorliegend wurde das Asylerstverfahren für die im September 2016 geborene Klägerin durch rechtskräftiges Urteil des VG München vom 6. August 2018 (M 21 K 17.43454) abgeschlossen. Das Urteil erging auf Grund mündlicher Verhandlung, in der die Mutter der Klägerin persönlich angehört wurde, die Mutter der Klägerin war in diesem Gerichtsverfahren durch eine Rechtsanwältin vertreten. Schon auf Grund der von der Beklagte zutreffend angeführten Belehrungen der gesetzlichen Vertreterin der Klägerin in den Asylerstverfahren sowie der fachkundigen Vertretung durch eine Rechtsanwältin im gerichtlichen Verfahren (deren ggf. unterbliebene oder nicht hinreichende Belehrung/Beratung sich die Klägerin anrechnen lassen müsste, vgl. § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO) greift der Vortrag der Klägerseite, der gesetzlichen Vertreterin sei wegen ihres sehr geringen Bildungsstandes und der vor der Geburt der Klägerin erfolgten Anhörung der Mutter der Klägerin in deren eigenem Asylverfahren nicht bewusst gewesen, dass in diesem Verfahren auch Gründe für die Tochter hätten vorgetragen werden können und müssen, nicht durch. Im Übrigen ergibt sich aus der Darstellung der Äußerungen der Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 3. August 2018 (VG München, U.v. 6.8.2018 – M 21 K 17.43454 – UA S. 5 f.) deutlich, dass sich diese in dem Termin der Tatsache bewusst war, dass es nicht nur um ihre eigenen Rückkehrgefährdungen, sondern auch um diejenigen ihrer Kinder geht. Nachdem sie auch seinerzeit bereits von ihrem Partner/Vater der Klägerin getrennt gelebt hat, konnte sie auch nicht stillschweigend davon ausgehen, dass dieser der Klägerin Schutz vor einer Genitalverstümmelung gewährleistet hätte. Bei einer von der Mutter der Klägerin tatsächlich ernstlich befürchteten Genitalverstümmelung der Klägerin hätte sich deshalb eine Geltendmachung spätestens im genannten gerichtlichen Verfahren und dabei insbesondere in der mündlichen Verhandlung aufgedrängt.
Auf die weiteren thematisierten Aspekte, insbesondere den fristgerechten Vortrag einer veränderten Sachlage oder neuer Beweismittel, die eine günstigere Entscheidung im Asylverfahren zumindest möglich erscheinen lassen, kommt es deshalb nicht mehr an. Insoweit sei lediglich darauf hingewiesen, dass der Einzelrichter schon die Rechtsauffassung der Klägerseite, bei den vorgelegten Attesten handle es sich um neue Beweismittel, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden, nicht teilt. Das Attest, das eine Aussage zur Genitalverstümmelung der Mutter der Klägerin trifft, ist nicht geeignet, eine Aussage zur Rückkehrgefährdung für die Klägerin zu treffen, wenn diese Gefahr nach Darstellung der Klägerseite nur von der Familie des Vaters der Klägerin ausgehen kann, die Mutter der Klägerin selbst aber über keine familiären Anknüpfungspunkte in Nigeria mehr verfüge. Das Attest, das die Unversehrtheit der Klägerin bestätigt, ist angesichts ihrer Geburt in Deutschland und der Einlassungen der Mutter der Klägerin eine Selbstverständlichkeit, vermag aber zum behaupteten Risiko im Heimatland nichts auszusagen.
3. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch darauf, unter Aufhebung von Ziffer 2. des streitgegenständlichen Bescheids zu ihren Gunsten wegen des im Klageverfahren insoweit allein thematisierten Aspekts der Existenzsicherung der Klägerin in Nigeria das Vorliegen der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und/oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (nachfolgend b). Dies gilt auch unter Beachtung des Gesichtspunkts der aktuellen CoronavirusPandemie (nachfolgend c)).
a) Zunächst ist auf die Ausführungen des Einzelrichters im Beschluss vom 15. April 2020 (M 28 E 20.30269) hinzuweisen, an denen das Gericht weiterhin festhält: 29 „Dem rechtskräftigen klageabweisenden Urteil im Asylerstverfahren der Antragstellerin (VG München, U.v. 6.8.2018 – M 21 K 17.43454) lag ein im Vergleich mit dem Folgeantragsverfahren unveränderter Sachverhalt zu Grunde. Aus den Gründen des Urteils ergibt sich zweifelsfrei, dass die seinerzeit entscheidende Einzelrichterin bei der Prüfung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung bereits davon ausging, dass der Partner der Mutter der Antragstellerin bzw. Vater der Antragstellerin nach Italien gegangen sei und die Mutter der Antragstellerin von ihm keine Unterstützung mehr erwarte. Ebenso zweifelsfrei ergibt sich aus dem Urteil, dass die Einzelrichterin bereits von drei Kindern der Mutter der Antragstellerin ausging. So heißt es in dem Urteil (VG München, a.a.O., UA S. 8 f.) u.a.: „Bei der Klägerin zu 1 handelt es sich um eine gesunde, junge und deshalb erwerbsfähige Frau. Selbst wenn sie weder auf familiäre Unterstützung noch auf die Hilfe eines Ehegatten oder Lebenspartners zurückgreifen kann, ist es der Klägerin zu 1. auch zuzumuten ohne fremde Unterstützung […] den Lebensunterhalt für sich und die Kläger zu 2 und 3 sowie ihr drittes Kind zu bestreiten. […] Sie kann […] den Lebensunterhalt für sich und die Kläger zu 2 und 3 sowie ihr drittes Kind sichern.“ Aus welchem Grund nunmehr bei unverändertem Sachverhalt von dieser rechtskräftigen Beurteilung abgewichen werden sollte und dürfte, wird von der Antragstellerseite nicht dargelegt.
Insoweit bestehen auch keine – erst recht keine ernstlichen – Zweifel hinsichtlich der Ermessenserwägungen der Antragsgegnerin, ein Wiederaufgreifen der Feststellungen zu nationalen Abschiebungsverboten unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Existenzsicherung der Antragstellerin abzulehnen. Das BAMF führt insoweit im Bescheid aus, hinsichtlich der Abschiebungsverbote würde ein Bescheid gleichen Inhalts ergehen müssen, der Antragstellerin sei im Erstverfahren kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zugesprochen worden, hierzu werde auf die Ausführungen im Erstverfahren – wozu auch das genannte Urteil des VG München zu zählen ist – verwiesen. Dies lässt einen durchgreifenden Ermessensfehler nicht erkennen.
Angemerkt sei schließlich noch, dass ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu Gunsten der Antragstellerin auch nicht unter dem Gesichtspunkt der befürchteten Genitalverstümmelung in Betracht kommt, da insoweit – unbeschadet einer bislang eher vagen tatsächlichen Glaubhaftmachung der von den Großeltern väterlicherseits behauptet ausgehenden Gefahr – die mögliche Verweisung auf internen Schutz einer alsbald und konkret i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG drohenden Gefahr entgegen stehen würde.“
b) Auch unter Würdigung der aktuellen Sach- und Rechtslage im maßgeblichen Zeit punkt der mündlichen Verhandlung besteht kein Anspruch der Klägerin auf die – ausnahmsweise – Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung der Klagepartei im Fall von deren Rückkehr nach Nigeria (vgl. zum diesbezüglichen Prüfungsmaßstab des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK: BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 12 sowie BayVGH, U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817 – juris Rn. 41 ff., jeweils m.w.N.; liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor, können auch die hinsichtlich allgemeiner Gefahren im Zielstaat bestehenden, höheren Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG [in verfassungskonformer Auslegung] nicht erfüllt sein, vgl. BayVGH, U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817 – juris Rn. 37 m.w.N.; zur diesbezüglichen Unmöglichkeit einer grundsätzlichen Klärung sowie zur Notwendigkeit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vgl. BayVGH, B.v. 15.7.2019 – 10 ZB 19.32520 – juris Rn. 4).
Nach neuester obergerichtlicher Rechtsprechung ist für die Beantwortung der Frage, welche (Begleit-)Personen im Rahmen der Prüfung nationaler Abschiebungsverbote in die Gefahrenprognose bei hypothetischer Rückkehr einzustellen sind, regelmäßig im Sinne einer realitätsnahen Rückkehrsituation von einer gemeinsamen Rückkehr mit Familienangehörigen auszugehen, falls ein Asylbewerber auch in Deutschland mit ihnen als Familie zusammenlebt, selbst dann, wenn einzelne Familienmitglieder bereits Abschiebungsschutz genießen (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 u.a. – juris; vgl. zur früheren Diskussion um diese Frage: OVG NRW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3741/18.A – juris Rn. 76 m.w.N.).
Vorliegend hat das Gericht keine Erkenntnisse dazu, dass die Mutter der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung mit dem Vater ihrer drei Kinder oder einem anderen Partner im Bundesgebiet in einer familiären Lebensgemeinschaft leben würde. Es ist deshalb im Zweifel von einer Rückkehr der Klägerin mit ihrer Mutter und ihren beiden Geschwistern nach Nigeria auszugehen.
Das Gericht geht, gemessen an den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln, davon aus, dass auch eine alleinstehende Frau mit drei Kindern im konkreten Alter der Klägerin und ihrer beiden Geschwister, die wie die Mutter der Klägerin – wenn auch ggf. mangels hinreichender Schul- und/oder Berufsausbildung und wegen der erforderlichen Betreuungsleistungen nur niedrigschwellig im informellen Bereich – einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann, im Regelfall die Existenz dieser Personen noch in einer dem o.g. Maßstab genügenden Weise sichern kann; dass vorliegend ein atypischer Betreuungs- und/oder Existenzsicherungsbedarf bezüglich der Klägerin oder ihrer Geschwister gegeben sein könnte, wurde schon nicht geltend gemacht.
Auch wenn ferner keine hinreichend belastbaren Anhaltspunkte dafür bekannt wurden, dass die Mutter der Klägerin im Fall der Rückkehr nach Nigeria noch über familiärverwandtschaftliche Anknüpfungspunkte verfügen würde, woraus ihr im Hinblick auf die Existenzsicherung zusätzliche Hilfestellung erwachsen könnte, ist nach Überzeugung des Gerichts nicht zu befürchten, dass die im Rahmen der Rückkehrprognose zu berücksichtigenden Personen im Fall ihrer Rückkehr im Hinblick auf ihre Existenzsicherung über die Schwierigkeiten hinaus, mit denen sich der ganz überwiegende Teil der nigerianischen Bevölkerung diesbezüglich konfrontiert sieht, in eine ernstliche Notlage geraten könnten. Insbesondere wurde nichts dazu bekannt, dass die Mutter der Klägerin in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt wäre. Schon wegen des letzteren Aspekts ist auch unter Berücksichtigung der zweifellos schwierigen wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Bedingungen, die aber für den Großteil der Bevölkerung Nigerias bestehen (vgl. hierzu: EASO Country of Origin Information Report – Nigeria – Key socioeconomic indicators, November 2018; Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, Stand September 2019, Seite 21 f.), die Befürchtung nicht gerechtfertigt, für die im Rahmen der Rückkehrprognose zu berücksichtigenden Personen könnte in Nigeria keine zumindest auf niedrigem Niveau existenzsichernde Lebensgrundlage geschaffen werden und sie wären deshalb, wie es für die Annahme eines Abschiebungsverbots erforderlich wäre, im Fall der Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald einer hinreichend schweren existenziellen Gefahrenlage ausgesetzt (vgl. in ähnlichen Einzelfällen Alleinstehender: VG Würzburg, GB v. 1.7.2020 – W 8 K 20.30151 – juris Rn. 22; VG Würzburg, U.v. 22.3.2019 – W 10 K 17.33732 – juris Rn. 48; VG Aachen, B.v. 14.2.2019 – 2 L 1865/18.A – juris Rn. 22; VG Würzburg, U.v. 6.12.2018 – W 10 K 17.32175 – juris Rn. 29; VG Augsburg, B.v. 13.6.2017 – Au 7 S 17.33192 – juris Rn. 30; B.v. 8.6.2017 – Au 7 S 17.32413 – juris Rn. 28; VG Bayreuth, B.v. 4.4.2017 – B 4 S 17.30876 – juris Rn. 34; VG Minden, U.v. 14.3.2017 – 10 K 2413/16.A – juris Rn. 34 ff.; zu alleinstehenden/alleinerziehenden Frauen: VG Saarlouis, U.v. 24.8.2020 – 3 K 1819/19 – juris Rn. 6 m.w.N.; vgl. in ähnlichen Einzelfällen von Familien: VG Augsburg, U.v. 20.2.2020 – Au 9 K 17.35117 – juris Rn. 46 f.; VG Würzburg, U.v. 11.10.2019 – W 10 K 19.30833 – juris Rn. 19 ff.; VG Köln, B.v. 22.5.2019 – 12 L 702/19.A – juris Rn. 17 ff.; VG Düsseldorf, U.v. 5.3.2019 – 27 K 9058/17.A – juris; VG Augsburg, U.v. 21.11.2018 – Au 7 K 17.35340 – juris Rn. 50; VG Augsburg, U.v. 23.3.2017 – Au 7 K 16.30983 – juris Rn. 48; VG München, U.v. 11.3.2015 – M 21 K 13.30899 – UA S. 38 ff.).
Im Ergebnis gleichlautend hat inzwischen im Übrigen auch der für das Asylverfahren des Bruders der Klägerin zuständige Einzelrichter im Urteil über dessen Asylantrag entschieden (VG München, U.v. 27.7.2020 – M 32 K 19.30150, rkr. seit 15.9.2020).
Hinzu kommt, dass es der Klägerin und ihrer Mutter auch zumutbar ist, durch eine freiwillige Rückkehr nach Nigeria die nicht unerheblichen finanziellen und logistischen Leistungen aus nationalen und europäischen Start- und Rückkehrhilfen sowie von Reintegrationsprogrammen in Anspruch zu nehmen (vgl. u.a. gemeinsames Informationsangebot des BAMF und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) unter https://www.returningfromgermany.de/de/countries/nigeria, über das die Klagepartei auch bereits mit der Zustellung des streitgegenständlichen Bescheids informiert wurde sowie grundsätzlich: BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38/96 – juris Rn. 27). Nach überschlägiger Berechnung kann die Familie der Klägerin dabei aus Landes- und Bundesprogrammen allein Barmittel in Höhe von mehr als 5.000 € erlangen, hinzu treten nicht unerhebliche Sachmittel, z.B. für die Anmietung einer Unterkunft in Nigeria und schließlich Reintegrationsleistungen für die Mutter der Klägerin, um einfacher eine Erwerbsmöglichkeit erlangen zu können. Hierdurch wird es der Klagepartei im Zweifel deutlich erleichtert und ermöglicht, sich in Nigeria wieder eine Existenzgrundlage zu schaffen (vgl. auch: VG Düsseldorf, U.v. 15.12.2020 – 27 K 2264/18.A – juris Rn. 55 ff.).
c) Auch die Auswirkungen der weltweiten Coronavirus-Pandemie und die aus der möglichen Ansteckung mit dem SARS-CoV-2-Virus resultierende Gefahr einer COVID-19-Erkrankung im Heimatland vermögen hieran nichts zu ändern.
aa) Unter dem Gesichtspunkt eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist festzustellen, dass es sich dabei sowohl unter krankheitsbezogenen Aspekten als auch unter Berücksichtigung der allgemeine Versorgungslage der Bevölkerung in Nigeria um eine Gefahr handelt, der die dortige Bevölkerung – wie im Übrigen die Bevölkerung weltweit – allgemein ausgesetzt ist, so dass diese Gefahr aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nicht zu rechtfertigen vermag. Abschiebungsschutz könnte in einer solchen Konstellation in verfassungskonformer Anwendung und unter Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG nur dann gewährt werden, wenn der Ausländer im Abschiebezielstaat (entweder aufgrund der allgemeinen Verhältnisse oder aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalls) mit hoher Wahrscheinlichkeit landesweit einer extrem zugespitzten Gefahrenlage ausgesetzt wäre, wenn mit anderen Worten der betroffene Ausländer im Fall seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001, 1 C 5/01 – juris Rn. 16; U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris Rn. 16 m.w.N.; U.v. 29.9.2011 – 10 C 24/10 – juris Rn. 19). Selbst bei Annahme geringer Testkapazitäten, nur eingeschränkt verlässlicher Infektionszahlen und einer nicht unwesentlichen Dunkelziffer lassen sich die Voraussetzungen einer solchen landesweiten Extremgefahr aus der allgemein bekannten und anlässlich der durchgeführten mündlichen Verhandlung aktuell erhobenen Datenlage zum Infektionsgeschehen in Nigeria (vgl. insbesondere die Erhebungen der Johns Hopkins University of Medicine, https://coronavirus.jhu.edu/ sowie des Nigeria Centre for Disease Control, https://www.ncdc.gov.ng/) zweifelsfrei nicht herleiten. Hinzu kommt, dass selbst bei Annahme eines hohen Ansteckungsrisikos in Nigeria zu berücksichtigen wäre, dass hieraus – unbeschadet der Berücksichtigung von Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland – noch nicht auf eine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder gar tödlichen Verlaufs einer COVID-19-Erkrankung geschlossen werden könnte, da es nach den bisherigen Erkenntnissen, zumal in der Altersgruppe der Klagepartei, bei der Mehrzahl der COVID-19-Erkrankten zu milden oder allenfalls moderaten Krankheitsverläufen kommt.
bb) Auch unter dem Gesichtspunkt eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bzw. der Möglichkeit für die Klagepartei, am Ort internen Schutzes ihre Existenz zu sichern, begründet die Coronavirus-Pandemie keinen Anspruch für die Klagepartei. Zweifelsfrei wird auch die nigerianische Wirtschaft von den Auswirkungen der weltweiten Pandemie getroffen und können – für die Klagepartei unmittelbar noch relevanter – die Möglichkeiten der Bevölkerung, im informellen Bereich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, durch staatliche Maßnahmen des Infektionsschutzes und/oder faktische Einschränkungen des öffentlichen Lebens erschwert werden. Aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln sowie allgemein bekannten Medienberichten kann indes nach dem Aufheben der vorübergehenden und nicht landesweit gleich strikten Ausgangsbeschränkungen kein hinreichend tragfähiger Anhaltspunkt dafür hergeleitet werden, dass sich Wirtschaft und Versorgungslage der Bevölkerung in Nigeria insgesamt oder auch nur in bestimmten Regionen infolge der Pandemie derart verschlechtert hätten, dass es der Klagepartei nicht (mehr) gelingen könnte, das Existenzminimum in einer dem o.g. Maßstab genügenden Weise zu sichern (vgl. auch: VG Würzburg, GB v. 1.7.2020 – W 8 K 20.30151 – juris Rn. 35; U.v. 8.6.2020 – W 8 K 20.30044 – juris Rn. 56; VG Cottbus, B.v. 29.5.2020 – 9 L 226/20.A – juris Rn. 18).
Die (gerichtskostenfreie, § 83 b AsylG) Klage war deshalb abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben