Verwaltungsrecht

Asylrecht, Herkunftsland: Nigeria, Widerruf der Flüchtlingseigenschaft, Zwangsbeschneidung, Familiäre Gemeinschaft ohne gemeinsame Wohnung von Vater und minderjährigem Kind

Aktenzeichen  M 13 K 21.30871

Datum:
21.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1736
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5 und 7
AsylG § 73
RL 2011/95/EU Art. 11 Abs. 1 Buchst. e

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Klägerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnendürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet und somit abzuweisen.
Über die Klage konnte trotz des Ausbleibens der Beklagten verhandelt und entschieden werden, da sie ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf die Folge des Ausbleibens gem. § 102 Abs. 2 VwGO hingewiesen worden ist.
Der Bescheid ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO), da der Widerruf der Flüchtlingszuerkennung nicht rechtswidrig ist und für die Klägerinnen keiner der geltend gemachten Ansprüche besteht.
I. Der Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Klägerin zu 2) ist zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt rechtmäßig.
1. Die Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft richtet sich nach § 73 AsylG i.V.m Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) RL 2011/95/EU.
2. Der Widerruf ist formell rechtmäßig. Verletzungen zwingender Verfahrensvorschriften des § 73 AsylG sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
3. Der Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist materiell rechtmäßig.
a. Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AsylG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylG gilt dies nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
Dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen eines Wegfalls der Umstände nicht mehr vorliegen setzt in unionsrechtskonformer Auslegung nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) RL 2011/95/EU voraus, dass die Ursachen, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, durch eine gem. Art. 11 Abs. 2) RL 2011/95/EU erhebliche (aa.) und nicht nur vorübergehende (bb.) Änderung der Umstände beseitigt worden sind, mit der Folge, dass die Furcht vor einer Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (EuGH, U. v. 2.3.2010 – C-175/08, C-176/08, C-178/08, C-179/08 – juris Rn. 72; BVerwG, U. v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris Rn. 19) und der Ausländer – kausal auf der Umstandsänderung beruhend – die Inanspruchnahme des Schutzes des Herkunftsstaates nicht mehr ablehnen kann (cc.). Der Nachweis, dass der Ausländer nicht länger Flüchtling ist oder nie gewesen ist, obliegt unbeschadet der gesteigerten Mitwirkungspflicht des Ausländers dem Mitgliedstaat und damit dem Bundesamt (Fleuß in BeckOK AuslR, Stand 1.7.2021, AsylG, § 73 Rn. 11).
aa. Eine erhebliche Veränderung liegt vor, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben, sodass sich bei einer vergleichenden Betrachtung der Sachlage eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Gefahrenprognose ergeben muss (vgl. BVerwG, U. v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris Rn. 20). Der unionsrechtlich an die Gefahrenprognose anzulegende Maßstab ist spiegelbildlich zum Anerkennungsverfahren einheitlich die Frage nach einer tatsächlichen Gefahr („real risk“ nach EGMR, U. v. 28.2.2008 – Nr. 37201/06, Saadi – NVwZ 2008, 1330, Rn. 125, beck-online), das heißt die Beurteilung des Vorliegens einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung (vgl. BVerwG, U. v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris Rn. 21-23). Dabei erfolgt die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung in der Verfolgungsprognose im Rahmen einer qualifizierten Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung aus Sicht eines vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen, insbesondere unter Einbeziehung der Schwere des befürchteten Eingriffs und dessen Zumutbarkeit (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 24 m.w.N.).
Wird im Widerrufsverfahren derselbe Verfolgungsgrund wie bei der Anerkennung geltend gemacht, so greift die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU grundsätzlich nicht, wenn andere Tatsachen für denselben Verfolgungsgrund geltend macht werden (vgl. EuGH, U. v. 2.3.2010 – C-175/08, C-176/08, C-178/08, C-179/08 – juris Rn. 92-100).
bb. Eine derartige Veränderung ist dann nicht nur vorübergehend, wenn die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründet und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können (EuGH, U. v. 2.3.2010 – C-175/08, C-176/08, C-178/08, C-179/08 – juris Rn. 73).
Es reicht demnach nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht; vielmehr ist erforderlich, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist und der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält (vgl. BVerwG, U. v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris Rn. 24). Somit ist eine Veränderung in der Regel nur dauerhaft, wenn im Herkunftsland ein Staat oder sonstiger Schutzakteur im Sinne des Art. 7 RL 2011/95/EU bzw. § 3d Abs. 1 AsylG vorhanden ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zu Grunde liegende Verfolgung zu verhindern (vgl. BVerwG, U. v. 24.2.2011 – 10 C 3/10 – juris Rn. 17 m.w.N.).
cc. Es bedarf eines Kausalzusammenhangs zwischen der Änderung der Umstände und der Unmöglichkeit einer vorgesetzten Weigerung der Inanspruchnahme von Schutz durch den Herkunftsstaat (vgl. EuGH, U. v. 2.3.2010 – C-175/08, C-176/08, C-178/08, C-179/08 – juris Rn. 66). Aufgrund der Symmetrie der Anforderungen von Zuerkennung und Widerruf der Flüchtlingseigenschaft bezieht sich der erforderliche Schutz auf einen Schutz ausschließlich vor einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgung. Somit ergeben sich für die Beurteilung einer Schutzgewährung im Widerrufsverfahren die gleichen Anforderungen wie bei der Beurteilung der Schutzgewährung im Zuerkennungsverfahren, mithin maßgeblich aus Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 RL 2011/95/EU (vgl. EuGH, U. v. 20.1.2021 – C-255/19 – juris Rn. 33-39).
Nach dem Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 RL 2011/95/EU umsetzenden § 3d Abs. 1 und Abs. 2 AsylG kann Schutz vor Verfolgung nur geboten werden vom Staat oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staates beherrschen, sofern die Akteure in der Lage und willens sind, wirksamen und nicht nur vorübergehenden Schutz vor Verfolgung zu bieten. Nach § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylG ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Schutzakteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.
Für die Annahme einer Schutzwilligkeit darf der Schutz nicht lediglich abstrakt, sondern auch im Hinblick auf die konkret von Verfolgung bedrohte Person oder Personengruppe gegeben sein (vgl. Wittmann in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15. Oktober 2021, AsylG, § 3d Rn. 15). Hinsichtlich der Schutzfähigkeit bedarf es keiner Gewährleistung eines schlechthin perfekten, lückenlosen Schutzes, sodass weder die Lückenhaftigkeit des Systems staatlicher Schutzgewährung noch eine Schutzversagung gegenüber dem Betroffenen im Einzelfall die Annahme staatlicher Schutzbereitschaft und -fähigkeit ausschließt, wenn der Staat Polizeibehörden zur Schutzgewährung ohne Ansehen der Person verpflichtet und sich der Einzelfall der tatsächlichen Schutzverweigerung als ein von der Regierung nicht gewolltes Fehlverhalten einzelner Behörden oder Amtswalter darstellt (vgl. BVerwG, U. v. 5.7.1994 – 9 C 1/94 – juris Rn. 9).
b. Nach diesen Maßsstäben ist der Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtmäßig.
Das Gericht folgt zur Vermeidung von Wiederholungen der Begründung im Bescheid und nimmt Bezug darauf (§ 77 Abs. 2 AsylG). Lediglich ergänzend ist auszuführen:
Die zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) zur Überzeugung des erkennenden Einzelrichters bestehende und für die Gefahrenprognose maßgebliche familiäre Beziehung des Kindsvaters zu seiner Tochter, der Klägerin zu 2), stellt eine den obigen Anforderungen entsprechende erhebliche und nachhaltige Umstandsänderung für die Beurteilung der der Klägerin zu 2) drohenden Verfolgungsgefahr im Falle einer Rückkehr nach Nigeria dar (aa.). Diese Änderung steht auch in einem Kausalzusammenhang mit dem Wegfall einer Schutzlosigkeit bzw. -bedürftigkeit hinsichtlich einer drohenden Zwangsbeschneidung der Klägerin zu 2) in Nigeria (bb.).
aa. Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt ist nach den Angaben des Kindsvaters im Verwaltungsverfahren und dem Vortag der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung zum aktuellen Verhältnis des Kindsvaters zur Klägerin zu 2) von einer familiären Vater-Kind-Gemeinschaft im Sinne des Art. 6 GG zwischen der Klägerin zu 2) und dem Kindsvater und somit von einer hypothetisch gemeinsamen Rückkehr von Vater und Tochter auszugehen.
Bei der Gefahrenprognose zur Verfolgungssituation für ein minderjähriges Kind ist von einer hypothetischen Gemeinschaftlichkeit des Aufenthalts im Heimatland gemeinsam mit den Familienmitgliedern auszugehen, da verfassungsrechtlich durch Art. 6 Abs. 1 GG das räumliche Zusammenleben der Familie geschützt wird (vgl. BVerwG, U. v. 8.9.1992 – 9 C 8/91 – juris Rn. 14; vgl. zur gemeinsamen Rückkehrprognose bei Abschiebungsverboten BVerwG, U. v. 4.7.2019 – 1 C 49/18 – juris Rn. 15 ff.). Bei der Rückkehrprognose ist von einer möglichst realitätsnahen Rückkehrsituation und damit bei tatsächlicher Lebensgemeinschaft der Kernfamilie im Regelfall davon auszugehen, dass im Hinblick auf Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK die Kernfamilie insgesamt nicht oder nur gemeinsam im Familienverband in das Herkunftsland zurückkehrt. Diese Annahme setzt eine familiäre Gemeinschaft voraus, die zwischen den Eltern und ihren minderjährigen Kindern bereits im Bundesgebiet tatsächlich als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft besteht und fortbesteht und somit die Prognose rechtfertigt, dass sie bei einer Rückkehr ins Herkunftsland fortgesetzt wird. Für eine tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft reichen bloße rechtliche Beziehungen wie ein gemeinsames Sorgerecht oder eine Begegnungsgemeinschaft nicht aus.
Ob zwischen Vater und Kind eine familiäre Gemeinschaft besteht, hängt im Wesentlichen von den individuell-konkreten Umständen des Familienlebens ab. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich eine dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft nicht allein quantitativ etwa nach Daten und Uhrzeiten persönlichen Kontakts oder genau am Inhalt der einzelnen Betreuungshandlungen bestimmen, vielmehr verbietet sich eine schematische Einordnung (BVerfG, B.v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 – juris Rn. 19 ff.). Demnach muss für eine tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft nicht notwendiger Weise eine Hausgemeinschaft bestehen; entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (BVerfG, B. v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris Rn. 15). Maßgeblich für eine tatsächlich enge Bindung ist insbesondere ein nachweisbares Interesse und das Bekenntnis des Vaters zu dem Kind vor und nach dessen Geburt (vgl. EMRG, U. v. 3.12.2009 – 22028/04 – juris Rn. 37).
In Ergänzung zu dem aus den Akten und dem Bescheid ersichtlichen Vortrag des Vaters besteht nach dem Vortrag der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des erkennenden Einzelrichters zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt ein ernsthaftes und nachweisliches Umgangs- und Fürsorgeinteresse des Vaters für die Klägerin zu 2). Er sucht auch nach der vorgetragenen Trennung von der Klägerin zu 1) den persönlichen Umgang mit der Klägerin zu 2), soweit dies seine Arbeit zulässt, und sorgt durch die angegebenen Unterhaltszahlungen finanziell für seine Tochter. Er bekennt sich zu seiner Tochter, möchte sich nach den Angaben der Klägerin zu 1) trotz der vorgetragenen Trennung weiter um die Klägerin zu 2) kümmern und hat für sie nach den Angaben der Klägerin zu 1) gemeinsam mit dieser das Sorgerecht inne. Somit ist zweifelsfrei von einem bestehenden familiären Verbundenheitsgefühl zwischen der Klägerin zu 2) und ihrem Vater auszugehen, sodass zwischen ihnen eine dem Schutz des Art. 6 GG unterfallende, im Bundesgebiet gelebte tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft besteht, eine abschiebungsbedingte Trennung im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG nicht erfolgen dürfte und nach der Regelvermutung die Vater-Tochter-Gemeinschaft bei lebensnaher Betrachtung im Falle einer angenommenen Rückkehr selbst bei Wahrunterstellung des Trennungsvortrags in Nigeria fortgesetzt werden würde.
bb. Diese familiäre Gemeinschaft wirkt sich auch kausal auf die Verfolgungsgefährdung für die Klägerin zu 2) aus.
(1) Aufgrund der Ablehnung der Beschneidung der Klägerin zu 2) durch beide Elternteile droht der Klägerin zu 2) nicht länger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Zwangsbeschneidung in Nigeria.
Die Einschätzung und dahingehend zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes, dass die Eltern willens und in der Lage sind, eine Genitalverstümmelung ihrer Tochter, der Klägerin zu 2) zu verhindern, ist auch zum Entscheidungszeitpunkt nicht zu beanstanden. An der Einstellung der Eltern hat sich nach dem Vortrag der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung nichts geändert.
(2) Gleiches gilt für die Einschätzung, dass bei einer gemeinsamen Rückkehr mit dem Kindsvater jedenfalls die Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Inanspruchnahme einer internen Schutzalternative gem. § 3e AsylG besteht.
Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Im Rahmen der Verfolgungssicherheit ist zu prüfen, ob dem Betroffenen im jeweiligen Landesteil mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG bzw. ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht (vgl. Wittmann in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.10.2021, § 3e AsylG Rn. 12 und § 4 AsylG Rn. 102).
Bei einer Niederlassung der Klägerin zu 2) gemeinsam mit ihrem Vater in Nigeria fernab der Verwandtschaft besteht keine beachtlich wahrscheinliche Gefahr einer Zwangsbeschneidung. Nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel geht der Druck einer Beschneidung von Kindern in der Regel von der Familie aus. Einem solchen Druck sind insbesondere alleinstehende Frauen ausgesetzt. Diesem Druck kann regelmäßig durch einen Umzug in eine Stadt entgangen werden, in der weder Freunde und Familienangehörige leben, insbesondere im liberaleren Südwesten Nigerias (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, Stand 5.12.2020, S. 16). Es ist davon auszugehen, dass in Nigeria grundsätzlich die Möglichkeit besteht, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Landesteil auszuweichen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, Stand: 5.12.2020, S. 17; so auch UK Home Office, Country Policy and Information Note, Nigeria, Stand 09/2021, S. 38). In Nigeria besteht weder ein nationales Meldewesen, noch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem. Dementsprechend ist eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich, sodass es mangels Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahnungsbehörden in den allermeisten Fällen gelingen dürfte, bereits in der näheren Umgebung unterzutauchen (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Nigeria, Stand: 3.9.2021, S. 52) und somit einem familiären Druck hinsichtlich einer Beschneidung dauerhaft und zuverlässig zu entgehen.
Die Inanspruchnahme des internen Schutzes ist der Klägerin zu 2) im Falle einer Rückkehr im familiären Verbund auch gem. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG zumutbar.
Wie im Bescheid zutreffend dargestellt wird, kann die Klägerin zu 2) sicher und legal einreisen und wird dort aufgenommen. Von ihm kann auch vernünftigerweise erwartet werden, sich dort niederzulassen.
Bei der Zumutbarkeit sind in einer umfassenden wertenden Gesamtbetrachtung die allgemeinen sowie individuellen Verhältnisse am Ort der Niederlassung in den Blick zu nehmen. Dies betrifft insbesondere die Gewährleistung des wirtschaftlichen Existenzminimums. Maßstab für eine Zumutbarkeit ist, dass eine Verletzung des Art. 3 EMRK nicht zu besorgen ist (vgl. BVerwG, U. v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris Rn. 27). Bei der Frage der Sicherung des Lebensunterhalts durch den Asylbewerber ist die Kernfamilie bzw. eine intensive Form der Beistandsgemeinschaft einzubeziehen (vgl. Wittmann in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.10.2021, § 3e AsylG Rn. 56 m.w.N.). Abgesehen von einer fehlenden Gewährleistung des wirtschaftlichen Existenzminimums kommt eine Unzumutbarkeit wegen der Vorenthaltung von Grund- oder Menschenrechten bürgerlicher, politischer oder sozialer Natur nur dann in Betracht, wenn die Verletzung unabhängig vom Vorliegen eines Verfolgungsakteurs oder eines Verfolgungsgrundes die Intensität des § 3a Abs. 1 AsylG erreicht (vgl. BVerwG, U. v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris Rn. 30).
Eine Verletzung des Art. 3 EMRK im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage ist im Falle der anzunehmenden gemeinsamen Rückkehr zutreffender Weise nicht zu besorgen. Auf die Ausführungen zum Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG wird verwiesen. Anderweitige Verletzungen von Grund- oder Menschenrechten am Ort des internen Schutzes sind nicht vorgetragen und kommen auch sonst nicht in Betracht, sodass dahinstehen kann, inwieweit derartige Verletzungen bei Gewährleistung des Art. 3 EMRK eine Unzumutbarkeit begründen können (vgl. dazu BVerwG, U. v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris Rn. 41 f. m.w.N. zur a.A. OVG Bremen).
II. Auch der Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Klägerin zu 1) ist rechtmäßig.
Da bei ihr bereits eine Beschneidung vorgenommen wurde, droht ihr keine erneute Zwangsbeschneidung in Nigeria. Soweit der Bescheid des Bundesamtes vom 6. März 2018 (Az. 6790023-232) eine konkludente Gewährung eines Familienschutzes nach § 26 Abs. 5 i.V.m § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG enthält, kann ein Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Klägerin zu 1) jedenfalls gem. § 73 Abs. 2b Satz 3 AsylG wegen des Widerrufs hinsichtlich der Klägerin zu 2) erfolgen.
Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für die Klägerin zu 1) aus anderen Gründen kommt nicht in Betracht. Die im Erstverfahren geltend gemachte Bedrohung durch eine Geheimgesellschaft knüpft schon nicht an einen flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG an; jedenfalls besteht gleichfalls ein interner Schutz gem. § 3e Abs. 1 AsylG.
III. Die Entscheidung des Bundesamtes hinsichtlich der abgelehnten Zuerkennung des subsidiären Schutzes gem. § 4 AsylG ist im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach § 73 Abs. 3 AsylG ist beim Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu entscheiden, ob die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes oder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.
Eine als ernsthafter Schaden in Betracht kommender Schaden durch eine Zwangsbeschneidung droht nach obigen Ausführungen nicht beachtlich wahrscheinlich. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG besteht jedenfalls wiederum ein möglicher und zumutbarer interner Schutz.
Hinsichtlich weitere Schadensgründe wird auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
IV. Es liegen zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt auch die Voraussetzungen für ein nationales Abschiebungsverbot nicht vor.
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht für die Klägerinnen nicht.
a. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Folter in diesem Sinne ist jede absichtliche unmenschliche Behandlung, die sehr schweres und grausames Leid verursacht. Strafen sind Maßnahmen mit Sanktionscharakter. Sie sind unmenschlich oder erniedrigend, wenn die mit ihnen verbundenen Leiden oder Erniedrigungen über das in rechtmäßigen Bestrafungsmethoden enthaltene unausweichliche Leidens- oder Erniedrigungselement hinausgeht. Eine Behandlung ist unmenschlich im Sinne des Art. 3 EMRK, wenn absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden, und erniedrigend, wenn sie in den Opfern Gefühle der Angst, der Schmerzen und der Unterlegenheit wecken, die geeignet sind, die Opfer in den eigenen Augen zu demütigen und ihren körperlichen und moralischen Widerstand zu brechen (vgl. Möller/Stiegeler in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 60 AufenthG Rn. 25 f. m.w.N.). Da der Verweis auf die EMRK lediglich zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse umfasst (BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – NVwZ 2013, 1167, beck-online Rn. 35), kann sich ein Abschiebungsverbot nur aus einer dem widersprechenden Behandlung im Zielstaat ergeben. Voraussetzung für ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist, dass dem Betroffenen im Falle einer Abschiebung im Zielgebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefahr der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung droht (BVerwG, B. v. 17.04.2008 – 10 B 28/08 – juris Rn. 6). Es bedarf somit einer tatsächlichen Gefahr („real risk“, EGMR, Große Kammer, U. v. 28.02.2008 – 37201/06 – juris). Eine solche kann auch von nichtstaatlichen Akteuren oder von den allgemeinen Lebensumständen ausgehen (vgl. Möller/Stiegeler in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 60 AufenthG Rn. 21 m.w.N.).
b. Daran gemessen ergibt sich für die Klägerinnen kein Abschiebungsverbot, insbesondere nicht aus den allgemeinen Lebensumständen in Nigeria.
Eine Art. 3 EMRK widersprechende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Hinblick auf die allgemeinen Lebensumstände kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt, aus einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Kombination von beidem ergeben; fehlt ein für die Verhältnisse eindeutig maßgeblich verantwortlicher Akteur, kann eine Verletzung in ganz außergewöhnlichen Fällen durch (schlechte) humanitäre Verhältnisse erfolgen, wenn die humanitären Gründe einer Ausweisung zwingend entgegenstehen. Für die Annahme eines Abschiebungsverbotes aufgrund der allgemeinen Lebensumstände im Zielstaat müssen die dem Ausländer drohenden Gefahren ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreichen. Dies kann dann der Fall sein, wenn der Ausländer bei Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls im Zielstaat der Abschiebung seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann. Für die Annahme muss von einem sehr hohen Gefahrenniveau ausgegangen werden können; nur dann liegt ein ganz außergewöhnlicher Fall vor, der eine Ausweisung aus humanitäre Gründen unzulässig macht. Erforderlich ist, dass eine solche tatsächliche Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit besteht, wobei dafür auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen ist (vgl. dazu insgesamt BayVGH, U. v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 26-28, jeweils m.w.N.).
Demzufolge liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG für die Klägerinnen bei einer hypothetischen Rückkehr gemeinsam mit dem Kindsvater nicht vor.
Die allgemeine wirtschaftliche Lage ist nach den zu Verfügung stehenden Erkenntnismitteln problematisch. Im Zuge der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie wurde die nigerianische Wirtschaft schwer vom Verfall des Erdölpreises als wichtigstes Wirtschaftsprodukt getroffen. Für das Jahr 2020 war mit einem Rückgang des BIP bei gleichzeitigem Bevölkerungswachstum zu rechnen. Jedoch hat die Wirtschaft bereits im 4. Quartal 2020 wieder zu expandieren begonnen. Im Jahr 2021 ist mit einem weiteren Wachstum zu rechnen. Speziell für die breite Bevölkerung ist die finanzielle Lage in Nigeria dennoch schlecht. Die Einkommen sind stark ungleich verteilt, 40 Prozent der Bevölkerung leben in absoluter Armut. Dabei ist die Armut auf dem Land größer als in den städtischen Ballungsgebieten. Auch die Arbeitslosigkeit ist nach den letzten verfügbaren Zahlen hoch. Mangels lohnabhängiger Arbeit gehen zunehmend mehr Nigerianer einer selbstständigen Arbeit im informellen Wirtschaftssektor nach. Diese und die Unterstützung der Großfamilien trägt die Last der sozialen Sicherung. Allgemein ist anzunehmen, dass eine nach Nigeria zurückkehrende Person – auch wenn sie keine Sicherheit in einem Familienverband findet – sich ihre existenziellen Grundbedürfnisse durch selbstständige Arbeit sicher kann (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Nigeria, Stand 3.9.2021, S. 53-55). Trotz der Auswirkungen der Covid 19-Pandemie ist bei einer Niederlassung in den urbanen Zentren und Metropolen im südlichen Nigeria eine Sicherung der grundlegenden Existenzbedürfnisse auch für Familien mit versorgungsbedürftigen Kleinkindern und ohne unterstützende Familienstruktur vor Ort anzunehmen, insbesondere bei Inanspruchnahme der Rückkehrhilfen bei freiwilliger Ausreise oder von in Nigeria tätigen Hilfsorganisationen; es sind jedoch die individuellen Umstände zu berücksichtigen, wobei Bildung, berufliche Fähigkeiten, die familiäre und psychologische Situation, der ökonomische Status und etwaige Kontakte in Nigeria von Bedeutung sein können (vgl. so auch OVG NRW, U. v. 18.5.2021 – 19 A 4604/19.A – juris Rn. 65-68).
Der Vortrag der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung ändert an der Bewertung im Bescheid nichts, sodass davon auszugehen ist, dass die Klägerin zu 1) und der Vater der Klägerin zu 2) im Falle einer anzunehmenden gemeinsamen Rückkehr für die Familie ein Existenzminimum erwirtschaften können. Die Eltern sind jung, gesund und arbeitsfähig. Nach den Angaben der Klägerin zu 1) übt der Kindsvater derzeit auch einen Beruf aus. Es ist davon auszugehen, dass es der Klägerin zu 1) oder dem Kindsvater im Falle einer Rückkehr möglich und zumutbar ist, bei geteilter Kinderbetreuung eine Erwerbstätigkeit, etwa im Bereich selbstbetriebener Straßenladengeschäften, aufzunehmen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Nigeria, Stand 3.9.2021, S. 55 f.). Im Falle einer Rückkehr ist bei Nutzung von Rückkehrhilfen und der Unterstützung durch Hilfsorganisation bei der Reintegration davon auszugehen ist, dass die Eltern der Klägerin zu 2) bzw. sich die Klägerin zu 1) dauerhaft ein Existenzminimum erwirtschaften können bzw. kann.
An der Möglichkeit einer Sicherung der grundlegenden Existenzbedürfnisse ändern auch die Auswirkungen der Covid 19-Pandemie nichts. Für die Klägerinnen kommen keine außergewöhnlichen Einzelfallumstände in Betracht, die die Erwerbsfähigkeit mindern, den Unterhaltsbedarf wegen Bedarfs nach selbst zu finanzierender medizinischen Behandlung erhöhen oder sich sonst auf die Einschätzung zur Existenzsicherung in entscheidender Weise auswirken. Für die Klägerinnen besteht vergleichbar mit anderen Einwohnern Nigerias die allgemeine Gefahr einer Erkrankung mit SARS-CoV2. Individuell gefahrerhöhende Umstände hinsichtlich einer Infektions- und Infektionsfolgengefährdung sind nicht vorgetragen. Im Falle einer gemeinsamen Rückkehr im familiären Verband sind die Klägerinnen somit wie jede andere Person der Pandemie und deren Folgen ausgesetzt und dürften diese bewältigen können.
2. Es liegen auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für die Klägerinnen nicht vor.
a. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Erforderlich ist somit eine mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende Extremgefahr.
Eine Extremgefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Antragstellers durch eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure oder aufgrund der wirtschaftlichen Lage kommt von vorherein nicht in Betracht, wenn bereits die gegenüber § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geringere Gefahrenschwelle des § 60 Abs. 5 AufenthG (vgl. BVerwG, B. v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13; BayVGH, U. v. 6.6.2020 – 13a B 18.32817 – juris Rn. 37; VG München, B. v. 8.10.2021 – M 8 S 21.31595 – Rn. 41, n.v.) nicht erreicht ist. Auf die Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG wird verwiesen.
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt gem. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Eine solche Erkrankung ist gem. § 60 Abs. 7 Satz 2 in Verbindung mit § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nachzuweisen.
b. Daran gemessen besteht kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Gesundheitliche Probleme der Klägerinnen wurden nicht vorgetragen. Es drängen sich auch sonst keine gesundheitlichen Gründe für eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung auf, die sich durch eine Abschiebung nach Nigeria alsbald so wesentlich verschlechtern würden, dass die Klägerin gewissermaßen sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt wäre (vgl. BayVGH, B. v. 42.7.2015 – 9 ZB 14.30457 – juris Rn. 11 m.w.N.).
Die generelle Möglichkeit einer Infektion mit Covid-19 in Nigeria genügt nicht für die Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Insoweit handelt es sich um keine konkrete, sondern eine allgemeine, für das Abschiebungsverbot nicht ausreichende Gefahr (vgl. OVG Münster, U. v. 22.6.2021 – 19 A 4386/19 – juris Rn. 81). Eine Anordnung nach § 60 Abs. 7 Satz 6 i.V.m. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG über die Aussetzung der Abschiebung besteht nicht. Darüber hinaus ist nicht anzunehmen, dass die Klägerinnen im Falle einer Rückkehr über das allgemeine Risiko der Pandemie hinaus in besonderer Weise derart gefährdet sind, dass sie aufgrund der in Nigeria herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und der damit zusammenhängenden Versorgungslage mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG, B. v. 23.8.2018 – 1 B 42/18 – juris Rn. 13 m.w.N.), aufgrund der die Klägerinnen gewissermaßen sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt wäre (vgl. BayVGH, B. v. 42.7.2015 – 9 ZB 14.30457 – juris Rn. 11 m.w.N.). Relevante Beschwerden sind nicht glaubhaft gemacht und auch sonst nicht ersichtlich. Somit sind die Klägerinnen im Hinblick auf die weltweite Covid 19-Pandemie nicht individuell gesteigert einem Infektionsrisiko oder Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs ausgesetzt.
IV. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
V. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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