Verwaltungsrecht

Asylrecht, Vorläufiger Rechtsschutz (abgelehnt), Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Rücknahme der zuerkannten Flüchtlingseigenschaft, Täuschung über die Staatsangehörigkeit, Anordnung der sofortigen Vollziehung durch das Bundesamt, Überwiegendes öffentliches Interesse an alsbaldiger Aufenthaltsbeendigung, Herkunftsland: Jordanien

Aktenzeichen  M 27 S 20.32107

Datum:
1.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 25074
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80
AsylG § 73, § 75, §§ 3 ff.
AufenthG § 60
AVV-AufenthG Ziff. 52.1.4.1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Rücknahme der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom … 2020.
Der Antragsteller ist jordanischer Staatsangehöriger und stellte am … 2016 beim Bundesamt einen Asylantrag, wobei er sich als syrischer Staatsangehöriger ausgab. Das Bundesamt erkannte dem Antragsteller daraufhin mit Bescheid vom 31. Mai 2016 (BAMF-Az. …) die Flüchtlingseigenschaft zu, da glaubhaft eine Verfolgung in Anknüpfung an eines der Merkmale nach der Genfer Flüchtlingskonvention geltend
gemacht worden sei. Seit dem 24. August 2016 ist die Entscheidung bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2017 teilte die zuständige Ausländerbehörde dem Bundesamt mit, dass diese Kenntnis davon erlangt habe, dass der Antragsteller nicht die syrische, sondern die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Dies habe er in der Unterkunft gegenüber Mitbewohnern geäußert. Die Aussage des Informanten, welcher der Ausländerbehörde namentlich bekannt sei, schätze man als glaubwürdig ein. Es werde daher angeregt, ein Rücknahmeverfahren einzuleiten.
Mit Schreiben vom 28. November 2019 teilte das Bundesamt dem Kläger mit, dass die getroffene Asylentscheidung geprüft und er zu einer Befragung geladen werde.
Am 10. Januar 2020 fand eine Befragung des Antragstellers nach § 73 Abs. 3a Satz 2 i.V.m. § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylG statt. Dabei teilte er mit, jordanischer Staatsangehöriger aus Amman zu sein. Er habe aus Angst bzgl. seiner Staatsangehörigkeit gelogen, weil er gewusst habe, als Jordanier keinen Asylschutz zu erhalten. Zu einem früheren Zeitpunkt habe er diese Falschangabe nicht aufgeklärt, weil er Angst vor einer Bestrafung in Deutschland oder in Jordanien gehabt habe. Er verfüge über einen jordanischen Reisepass und eine ID-Card, könne diese Dokumente jedoch nicht vorlegen, weil er sie nicht in Deutschland dabeihabe. Sein Vater sei von 2003 bis 2007 ein jordanischer Parlamentsabgeordneter gewesen. Der Antragsteller habe im Jahr 2011 in Jordanien an einer Demonstration wegen Korruption gegen den Ministerpräsidenten teilgenommen und von 2013 bis 2014 täglich Posts auf Facebook verfasst, welche sich gegen die Regierung gerichtet hätten. Seine Posts hätten, auch unter Namensnennung, von Korruptionsfällen berichtet. Diese Informationen habe er von seinem Vater erhalten. Dann habe er über einen Bekannten erfahren, dass der Geheimdienst “bald kommen und ihn abholen” würde; dies sei Ende 2014 gewesen. Er sei dann Anfang 2015 aus Jordanien ausgereist. Diese Fluchtgründe habe er aber weder bei Asylantragstellung nachweisen können, noch könne er dies heute. Bei einer Rückkehr nach Jordanien fürchte er, sofort ins Gefängnis zu kommen, weil er einen Kredit von 3.000 Dinar für seine Ausreise nicht zurückgezahlt habe. Außerdem wegen des Geheimdienstes. Zu seiner Schul- und Berufsbildung gab er an, das Abitur abgeschlossen und danach als Supervisor in einem Lager und als Verkäufer in Amman gearbeitet zu haben. Er habe in Jordanien noch seine beiden Eltern sowie fünf Geschwister.
Mit Schreiben vom 18. März 2020, beim Bundesamt eingegangen am 20. März 2020, nahm der Antragsteller zur beabsichtigen Rücknahme Stellung. Er führte aus, dass er seit zwei Jahren als Gerüstbauer in Deutschland beschäftigt sei. Außerdem sei er mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt, die er noch in diesem Jahr heiraten wolle. Außerdem fürchte er aufgrund seiner Meinungsäußerungen Repressalien durch die jordanische Regierung.
Mit Bescheid vom 14. Juli 2020 hat das Bundesamt die mit Bescheid vom 31. Mai 2016 zuerkannte Flüchtlingseigenschaft zurückgenommen (Nr. 1), den subsidiären Schutz nicht zuerkannt (Nr. 2) und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3). Zudem hat es die sofortige Vollziehung des Bescheids angeordnet (Nr. 4). Zur Begründung führte es aus, der Antragsteller habe vorsätzlich unrichtige Angaben über seine Staatsangehörigkeit gemacht, sodass die ihm zuerkannte Flüchtlingseigenschaft gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 und 2 AsylG zurückzunehmen sei. Ihm sei auch nicht aus anderen Gründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil die behauptete Verfolgung durch den jordanischen Geheimdienst weder hinreichend detailliert, noch ausreichend substantiiert dargelegt sei. Die Rücknahme erfolge mit Wirkung für die Vergangenheit. Weiter lägen auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht vor, weil keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass ihm in Jordanien Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden drohe. Auch für das Vorliegen von Abschiebungsverboten sei nichts ersichtlich, insbesondere sei nicht ersichtlich, dass der Antragsteller dort seine Existenz nicht wird sichern können. Schließlich wurde die sofortige Vollziehung damit begründet, dass ein besonderes öffentliches Interesse an der Vollziehung des Rücknahmebescheides bestehe, denn der Antragsteller habe bewusst, wiederholt sowie über mehrere Jahre hinweg vor den Behörden verschwiegen, dass er die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Erst auf explizite Nachfrage habe er seine jordanische Staatsangehörigkeit offengelegt. Durch dieses strafbare Verhalten könnten auch keine privaten Interessen eine andere Ermessensentscheidung rechtfertigen. Zwar sei zu berücksichtigen, dass er sich seit Oktober 2015 im Bundesgebiet aufhalte und er seit zwei Jahren als Gerüstbauer beschäftigt sowie mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt sei. Allerdings überwiege in Anbetracht der Gesamtumstände, insbesondere im Hinblick auf die Täuschung gegenüber dem Bundesamt, der Ausländerbehörde und den Sozialleistungsbehörden, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung.
Hiergegen hat der Antragsteller am 22. Juli 2020 Klage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag erheben lassen, den Bescheid des Bundesamts vom 14. Juli 2020 aufzuheben, festzustellen dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, festzustellen dass der subsidiäre Schutzstatus vorliegt sowie festzustellen, dass für den Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig beantragt er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes:
“Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 22.07.2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.07.2020, Az.: 7340610-445, wird angeordnet bzw. wiederhergestellt.”
Zur Begründung führt er mit Antragsschrift vom 22. Juli 2020 sowie mit Schriftsatz vom 13. August 2020 im Wesentlichen aus, dass sich der angefochtene Bescheid nach summarischer Prüfung als rechtswidrig erweisen werde. Der Antragsteller habe bei seiner Rückführung nach Jordanien mit einer Verfolgung zu rechnen, weil er 2011 an mehreren Demonstrationen in Amman, welche sich gegen die jordanische Regierung richteten, teilgenommen habe. Er habe in der Folge zahlreiche mündliche Nachrichten erhalten, wonach der jordanische Geheimdienst nach ihm suche und ihn inhaftierten wolle. Er habe auf seinem Facebook Profil zudem Einlassungen gegen die jordanische Regierung im Zusammenhang mit Korruptionssachverhalten veröffentlicht, bis sein Profil Ende 2014 von einem Hecker geknackt und gelöscht worden sei. Auch hierauf habe er Warnungen vor dem jordanischen Geheimdienst erhalten. Es stehe deshalb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass er in Jordanien inhaftiert werde und daher Folter sowie den Tod zu erwarten habe. Außerdem ergebe sich aus der Corona-Pandemie eine Gefahr für Leib und Leben des Antragstellers, weil er sich im Falle einer Inhaftierung in einer jordanischen Haftanstalt dort mit dem Coronavirus infizieren und keine medizinische Behandlung erhalten würde. Schließlich sei weiter zu berücksichtigen, dass der Antragsteller eine deutsche Staatsangehörige heiraten werde. Der Antrag sei bereits beim Standesamt eingereicht, es werde lediglich auf die Abänderung der Staatsangehörigkeit des Antragstellers von syrisch auf jordanisch durch die Ausländerbehörde gewartet, um das Eheschließungsverfahren fortsetzen zu können. Nach alledem überwiege das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse.
Mit Schriftsatz vom 5. November 2020 ließ der Antragsteller unter Bezugnahme auf die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes bzgl. Jordanien weiter zur Gefahr einer Infektion mit dem Coronavirus sowie der Gefahr von Terroranschlägen vortragen.
Das Bundesamt hat die Akten vorgelegt, sich aber nicht zum Verfahren geäußert.
Eine telefonische Anfrage des Einzelrichters bei der Ausländerbehörde sowie beim zuständigen Standesamt im August 2021 ergab, dass eine Eheschließung des Antragstellers mit einer deutschen Staatsangehörigen bislang noch nicht erfolgt ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Bundesamts verwiesen.
II.
Der als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO auszulegende Antrag (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO) ist zwar zulässig und dabei insbesondere statthaft, weil die Klage gemäß § 75 Abs. 2 Satz 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO aufgrund der vom Bundesamt angeordneten sofortigen Vollziehung keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Er ist aber unbegründet, weil Erfolgsaussichten der gegen den Bescheid vom 14. Juli 2020 erhobenen Klage zum vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht festzustellen sind.
1. Die Behörde darf gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung einer Klage durch Anordnung der sofortigen Vollziehung beseitigen, wenn dafür ein besonderes öffentliches Interesse besteht, das grundsätzlich über jenes Interesse hinauszugehen hat, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in derartigen Fällen der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Die Begründungspflicht ist Ausdruck des aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebots des effektiven Rechtsschutzes gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Die Pflicht zur Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO soll der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert. Art. 19 Abs. 4 GG ist daher verletzt, wenn die Anordnung überhaupt keine Begründung enthält (vgl. BVerfG, B.v. 16.7.1974 – 1 BvR 75/74 – BVerfGE 38, 52 – juris Rn. 26). Der Bedeutung der Begründungspflicht ist aber auch hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen an die Begründung Rechnung zu tragen. Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung ist nicht bereits genügt, wenn überhaupt eine Begründung gegeben wird. Es bedarf vielmehr einer schlüssigen, konkreten und substantiierten Darlegung der wesentlichen Erwägungen, warum aus Sicht der Behörde gerade in dem vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der aufschiebenden Wirkung zurückzutreten hat (vgl. BVerwG, B.v. 18.9.2001 – 1 DB 26.01 – juris Rn. 6).
Diesen Anforderungen wird die vorliegende Begründung der Vollziehungsanordnung in formeller Hinsicht gerecht. Die Antragsgegnerin hat im Einzelfall die Notwendigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung gewürdigt und sich dabei insbesondere mit den privaten Belangen des Antragstellers (Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, Berufstätigkeit sowie beabsichtigte Eheschließung) auseinandergesetzt. Auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung kommt es hingegen nicht an (vgl. Hoppe in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 55 m.w.N.).
2. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche summarische Überprüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Vorliegend überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Rücknahme des dem Antragsteller zuerkannten Flüchtlingsstatus das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Die Rücknahmeentscheidung, verbunden mit der gemäß § 73 Abs. 3 AsylG gebotenen – hier ablehnenden – Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen für den subsidiären Schutz oder von Abschiebungsverboten, ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gemäß Aktenlage nach allein möglicher und gebotener, aber auch ausreichender, summarischer Prüfung nicht zu beanstanden (vgl. auch VG München, B.v. 13.4.2021 – M 30 S 21.30064; a.A. aber VG München, B.v. 5.3.2021 – M 32 SE 20.32122 – Rn. 24 ff. für den erst im Hauptsacheverfahren abschließend zu beurteilenden Wegfall der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG).
Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Lediglich ergänzend hierzu wird ausgeführt:
Nach § 73 Abs. 2 Satz 1 AsylG ist die Anerkennung als Asylberechtigter zurückzunehmen, wenn sie auf Grund unrichtiger Angaben oder infolge Verschweigens wesentlicher Tatsachen erteilt worden ist und der Ausländer auch aus anderen Gründen nicht anerkannt werden könnte. Dies ist auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entsprechend anzuwenden (§ 73 Abs. 2 Satz 2 AsylG). Die Angaben oder das Verschweigen müssen dabei kausal für die Anerkennung gewesen sein.
a) Der Antragsteller hat gegenüber dem Bundesamt unrichtige Tatsachen in Bezug auf seine Staatsangehörigkeit gemacht, indem er vorgab die syrische Staatsangehörigkeit zu besitzen, obwohl er in Wahrheit jordanischer Staatsangehöriger ist. Diese Falschangabe steht aufgrund der Einlassung des Antragstellers im Rahmen seiner Anhörung vom 10. Januar 2020 auch unstreitig fest.
Auf die Tatsache der vermeintlich syrischen Staatsangehörigkeit des Antragstellers hat das Bundesamt auch kausal die begünstigende Entscheidung vom 31. Mai 2016 gestützt, mit der dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden war.
b) Die Flüchtlingseigenschaft war schließlich auch im Hinblick auf das neue Vorbringen des Antragstellers nicht zuzuerkennen, weshalb sich die – zurückgenommene – begünstigende Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist.
Dabei kann die Glaubhaftigkeit der Angaben des Antragstellers gegenüber dem Bundesamt in der Anhörung für das vorliegende Eilverfahren dahinstehen. Denn der Antragsteller hat eine Verfolgung oder einen ihm in Jordanien drohenden ernsthaften Schaden bereits nicht hinreichend substantiiert dargelegt. So hat er ohne jede weitere Detailangabe vorgetragen, im Jahr 2011 an einer oder mehreren Demonstrationen gegen den König, später auch gegen den Ministerpräsidenten, in exponierter Position beteiligt gewesen zu sein. Anhaltspunkte dafür, dass sich dies jedoch tatsächlich so ereignet hat, bestehen nicht. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller tatsächlich täglich auf seinem Facebook Profil regierungskritisch seine Meinung kundgetan habe. Dieses Vorbringen stellt sich bisher als bloße Behauptung dar. Zwar bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Vater des Antragstellers möglicherweise tatsächlich Parlamentsabgeordneter in Jordanien gewesen sein könnte, weil das Bundesamt im Rahmen der Anhörung des Antragstellers das entsprechende Facebook Profil eines Abgeordneten eingesehen hat; gleichwohl bedeutet dies noch nicht, dass es sich bei diesem auch tatsächlich um den Vater des Antragstellers handelt. Unabhängig davon führt dies alles aber auch noch nicht zur Annahme eines beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsschicksals des Antragstellers in seinem Heimatland Jordanien.
c) Auch die Ablehnung des subsidiären Schutzstatus in Nr. 2 des Bescheids vom 14. Juli 2020 und die Feststellung über das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind nicht zu beanstanden.
Aufgrund der vom Bundesamt dargestellten und hinreichend gewürdigten individuellen Verhältnisse des Antragstellers ist trotz der schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Jordanien (vgl. ergänzend Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Jordanien vom 16.4.2020, Ziff. 20) auch nicht ersichtlich, dass eine Rückkehr nach Jordanien den Antragsteller mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzielle Notlage i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m.
Art. 3 EMRK bringen könnte. Denn dieser verfügt über eine gute Schulbildung sowie über Erfahrungen auf dem heimischen Arbeitsmarkt. Dies gilt insbesondere auch unter Einbeziehung der Risiken und Gefahren der weltweiten Corona-Pandemie, zumal ein Anspruch auf eine Covid19-Schutzimpfung auch für Asylsuchende mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Bundesgebiet besteht (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 Coronavirus-Impfverordnung vom 1.6.2021, BAnz AT vom 2.6.2021).
d) Schließlich dürfte sich die Hauptsacheklage nicht nur als unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet erweisen. Denn der Antragsteller hat, in Anlehnung an die Regelung des § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG, im Kontext eines unbegründeten Asylantrags zusätzlich über seine Staatsangehörigkeit getäuscht, weshalb eine Klageabweisung sogar als offensichtlich unbegründet i.S.d. § 78 Abs. 1 AsylG in Betracht kommt.
e) Auch im Übrigen fällt die Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers zugunsten des öffentlichen Vollzugsinteresses aus.
Zwar kann für eine Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht allein entscheidend sein, dass der Antragsteller vorsätzlich über seine Staatsangehörigkeit getäuscht hat; denn dies ist gerade Tatbestandsvoraussetzung für eine Rücknahme nach § 73 Abs. 2 AsylG (vgl. insoweit zutreffend VG Münster, B.v. 15.1.2021 – 3 L 4/21.A – juris Rn. 16; s. ferner BVerfG, B.v. 16.7.1974 – 1 BvR 75/74 – BVerfGE 38, 52 – juris Rn. 24).
Allerdings ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung aus anderen Gründen, vor allem im Hinblick auf die ausländerrechtliche Vorbereitung der Aufenthaltsbeendigung gerechtfertigt (a.A. VG Münster, B.v. 15.1.2021 – 3 L 4/21.A – juris Rn. 16). So hat der Antragsteller nach § 73 Abs. 6 i.V.m. § 72 Abs. 2 AsylG den Anerkennungsbescheid bzw. Reiseausweis unverzüglich abzugeben, wenn die Rücknahmeentscheidung unanfechtbar geworden ist; dies gilt jedoch auch, wenn deren sofortige Vollziehung angeordnet wurde (vgl. Camerer in: BeckOK-MigR, 8. Edition 5/2021, § 73 AsylG Rn. 60 m.w.N.). Weiter kann nach der Regelung des § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG der Aufenthaltstitel des Ausländers (außer in den Fällen des § 52 Abs. 2 bis 6 AufenthG) nur widerrufen werden, wenn seine Anerkennung als Asylberechtigter, seine Rechtsstellung als Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter erlischt oder unwirksam wird. Der Widerruf des Aufenthaltstitels setzt somit voraus, dass das Erlöschen oder das Unwirksamwerden der Asylanerkennung bzw. der Rechtsstellung als international Schutzberechtigter unanfechtbar ist oder eine in den Fällen der §§ 73 oder 73b AsylG erhobene Klage keine aufschiebende Wirkung mehr entfaltet (Fleuß in: BeckOK-AuslR, 30. Edition 7/2021, § 52 AufenthG Rn. 32; Dollinger in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 52 AufenthG Rn. 10; vgl. auch VGH BW, B.v. 18.1.2007 – 13 S 1576/06 – juris Rn. 4 ff.), was mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung der Rücknahmeentscheidung über § 75 Abs. 2 Satz 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO durch das Bundesamt – zulässigerweise (vgl. VGH BW, B.v. 18.1.2007 – 13 S 1576/06 – juris Rn. 4) – erreicht werden kann (s. Ziff. 52.1.4.1 der AVV-AufenthG).
Schließlich könnte in dem Hinweis des § 75 Abs. 2 Satz 3 AsylG auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO sogar ein gesetzgeberischer Appell an das Bundesamt zu sehen sein, von einer Anordnung der sofortigen Vollziehung verstärkt Gebrauch zu machen (so ausdrücklich Bergmann in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 75 AsylG Rn. 4; vgl. auch BT-Drs. 16/5065, S. 220).
Zu berücksichtigen ist außerdem, dass der durch die Täuschung erwirkte rechtswidrige Aufenthalt im Bundesgebiet gerade nicht schützenwert ist, sodass auch insoweit das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der Aufenthaltsbeendigung überwiegt, ohne den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abwarten zu müssen. Eine Beendigung des durch falsche Angaben erreichten Aufenthalts ist außerdem geeignet dazu beitragen, andere Ausländer von derartigem Verhalten abzuschrecken und deutlich zu machen, dass Täuschungen gegenüber dem Bundesamt unmittelbare Konsequenzen haben (vgl. VG Magdeburg, B.v. 15.12.2020 – 3 B 267/20 – juris Rn. 8).
Somit überwiegt das Vollzugsinteresse das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers, zumal auch dessen Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen seit mehr als einem Jahr nicht erfolgt ist und ihm im Hinblick auf die geringen Erfolgsaussichten der Klage auch eine Rechtsverfolgung vom Ausland aus zumutbar ist.
Der Antrag war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben