Verwaltungsrecht

Asylverfahren, Berufung, Versorgung, Zulassung, Verletzung, Verfolgungsgefahr, Kenntnis, Eltern, Rechtsauffassung, Teilnahme, Information, Vorbringen, Deutschland, Mutter, Zulassung der Berufung, Antrag auf Zulassung der Berufung, keinen Erfolg

Aktenzeichen  23 ZB 21.31378

Datum:
28.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30887
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 3 K 20.30082 2021-08-10 VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO in Form der Versagung des rechtlichen Gehörs ist nicht i. S. v. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt und liegt auch nicht vor.
Das prozessuale Grundrecht des Anspruchs auf rechtliches Gehör, das verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 91 Abs. 1 BV sowie einfachgesetzlich in § 108 Abs. 2 VwGO garantiert ist, sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung, sodass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen vor Gericht gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Ein Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich auch nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt. Zudem ist die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nur dann hinreichend substantiiert, wenn dem Vorbringen entnommen werden kann, was der Betroffene bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte, denn nur dann kann geprüft und entschieden werden, ob die angegriffene Entscheidung auf dem Gehörsverstoß beruht (vgl. BayVGH, B.v. 28.4.2020 – 23 ZB 20.30713 – Rn. 3-5 m.w.N.).
Abzugrenzen ist der Anspruch auf rechtliches Gehör von dem Gebot rechtsfehlerfreier Überzeugungsbildung beziehungsweise ordnungsgemäßer Sachverhalts- und Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Einwände gegen die tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt können die Annahme eines Gehörsverstoßes nicht begründen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 8.3.2021 – 23 ZB 20.32347 – Rn. 3 m.w.N.).
a) Der Kläger, ein 2019 in Deutschland geborener äthiopischer Staatsangehöriger der Oromo, sieht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zum einen darin, dass das Verwaltungsgericht den Sachvortrag seiner Eltern nicht berücksichtigt habe, weil es ihn für unbeachtlich bzw. unglaubwürdig gehalten habe, obwohl es bei ordnungsgemäßer Würdigung zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen müssen. So habe es auf S. 9 des Urteils den Vortrag der Mutter, sie befürchte, als Soldatin in den Tigray-Konflikt entsandt zu werden, als unbeachtlich angesehen, weil dies im Rahmen von deren Asylverfahren zu prüfen sei, obwohl dies Auswirkungen auf den Kläger habe, da dieser bei einer schweren Verletzung oder Tötung der Mutter allein zurückzubleiben und zu verwahrlosen bzw. in staatliche Obhut genommen zu werden drohe. Auch habe es auf S. 10 des Urteils den Vortag des Vaters, diesem drohe infolge seiner exilpolitischen Aktivitäten in Deutschland Verfolgungsgefahr, als unbeachtlich angesehen, da sich die Menschrechtslage in Äthiopien seit 2018 verbessert habe, obwohl sich die Situation seit 2020 wesentlich geändert habe; so gebe es ethnische Auseinandersetzungen in Tigray und Oromia sowie Konfliktherde im ganzen Land, sodass die Eltern bei einer Teilnahme an Kampfhandlungen nicht mehr für den Kläger sorgen könnten bzw. dieser selbst in Kampfhandlungen geraten könne und seine Versorgung nicht gewährleistet sei. Soweit das Gericht das Vorbringen des Vaters hinsichtlich der Inhaftierung seiner Familie in Äthiopien wegen seiner Teilnahme an Demonstrationen in Deutschland bzw. gesellschaftlicher Anfeindungen als angeblicher „Teufelsanbeter“ auf S. 13 und 14 des Urteils für unglaubwürdig gehalten habe, habe es dies nicht näher begründet; wenn es dem Vater eine Übersteigerung des Vortrags vorwerfe, habe es nicht berücksichtigt, dass es sich bei diesem um einen im Reden ungeübten Laien handle.
Ein zur Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO führender Verfahrensfehler in Form der Versagung des rechtlichen Gehörs ist damit indes nicht dargetan. Das Verwaltungsgericht hat den vom Kläger angeführten Sachvortrag seiner Eltern ausdrücklich zur Kenntnis genommen und gewürdigt und auch bei seiner Entscheidung berücksichtigt, mag es hieraus auch andere Schlüsse als der Kläger gezogen haben (UA S. 10 f., 13 f.). Die Glaubhaftigkeit des Sachvortrags war bereits nicht allein maßgeblich für die angefochtene Entscheidung, sondern (UA S. 13: „darüber hinaus“) wurde nur zusätzlich zur Begründung herangezogen. So hat das Verwaltungsgericht unabhängig von der Frage der Glaubwürdigkeit aufgrund der politischen Veränderungen in Äthiopien seit 2018 einen Anspruch aus § 3 AsylG verneint (UA S. 10 ff.) und im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 4 AsylG bzw. des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht auf die Glaubwürdigkeit abgestellt. Auch hat es seine Entscheidung nicht nur auf Erkenntnismittel aus 2018 gestützt, sondern sich (UA S. 15 ff.) auch mit der derzeitigen Lage in Äthiopien auseinandergesetzt. Das klägerische Vorbringen (vgl. „Bei ordnungsgemäßer Wertung des entsprechenden Sachvortrags“, „Dies ist so jedoch nicht korrekt“) richtet sich vielmehr gegen eine aus der Sicht des Klägers unzutreffende Tatsachenfeststellung bzw. -bewertung durch das Verwaltungsgericht. Hierauf beruhende Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung vermögen im Asylverfahren aber nicht zur Zulassung der Berufung zu führen.
b) Zum anderen erblickt der Kläger einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darin, dass das Verwaltungsgericht nicht darauf hingewiesen habe, dass es weiteren Sachvortrag oder genauere Ausführungen zu einem der angesprochenen Punkte wünsche, sodass der Kläger von der Beweiswürdigung vollkommen überrascht worden sei und keine geeigneten prozessualen Maßnahmen treffen habe können. Auch der Vorwurf einer Überraschungsentscheidung führt jedoch nicht zur Zulassung der Berufung. Eine den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs konkretisierende gerichtliche Hinweispflicht zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung besteht nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht. Im Übrigen besteht auch aus Art. 103 Abs. 1 GG keine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, einen Asylkläger auf Unstimmigkeiten und Widersprüche in seinem Sachvortrag hinzuweisen und Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2020 – 23 ZB 20.32264 – Rn. 6 m.w.N.).
Ein Verfahrensbeteiligter muss grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen, auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch sein sollte. Im Übrigen setzt eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs nur voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Art. 103 Abs. 1 GG ist keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters zu entnehmen (BVerfG, B.v. 29.5.1991 -1 BvR 1383/90 – BVerfGE 84, 188). Hiervon ausgehend sind keine Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass ausnahmsweise zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung ein Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die voraussichtliche Würdigung des klägerischen Vorbringens geboten gewesen wäre, zumal die Würdigung (auch) dieser Umstände der Schlussberatung bzw. Entscheidungsfindung des Gerichts überlassen blieb. Im Übrigen hat sich das Verwaltungsgericht, wie oben ausgeführt, auch mit der derzeitigen volatilen Lage in Äthiopien auseinandergesetzt, die Klage aber gleichwohl abgewiesen, sodass etwaiges Vorbringen des Klägers dazu, inwieweit sich die Situation in Äthiopien seit 2018 verändert hat, zu keiner anderen Entscheidung geführt hätte.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts nach § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG rechtskräftig.


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