Verwaltungsrecht

Aufenthaltserlaubnis, ununterbrochen erlaubter, geduldeter oder gestatteter Aufenthalt für die Dauer von vier Jahren (verneint)

Aktenzeichen  10 ZB 21.2276

Datum:
20.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 33559
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 6 K 21.182 2021-08-11 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Verpflichtung des Beklagten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende nach § 25a AufenthG zu erteilen, weiter.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 17; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist hier nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Klageabweisung darauf gestützt, dass der Kläger keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG habe, weil er im maßgebliche Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine Duldung besitze. Unabhängig davon sei sein Lebensunterhalt nicht gesichert und es liege auch kein atypischer Fall vor, der es erforderlich mache, von dieser Regelerteilungsvoraussetzung abzusehen. Der Kläger habe erstmals nach der Beschwerdeentscheidung des Senats im Prozesskostenhilfeverfahren eine Beschäftigungserlaubnis beantragt und gegen die Ablehnungsentscheidung gerichtlichen Rechtsschutz gesucht.
Dem hält der Kläger mit der Beschwerde entgegen, ihm sei zwar zuletzt keine Duldung mehr erteilt worden, er habe jedoch aufgrund der schleppenden Rückführung von vollziehbar ausreisepflichtigen afghanischen Staatsangehörigen einen Anspruch auf eine Duldung. Die Berufung des Beklagten auf die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts sei treuwidrig, weil er selbst durch die Versagung einer Beschäftigungserlaubnis dafür verantwortlich sei, dass er (der Kläger) keiner Erwerbstätigkeit nachgehen dürfe. Er habe nunmehr eine Beschäftigungserlaubnis beantragt und habe gegen die ablehnende Entscheidung geklagt. Das Verwaltungsgericht hätte insofern das Vorliegen eines atypischen Ausnahmefalls prüfen müssen.
Dieses Vorbringen legt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung dar.
Ein Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG besteht schon deswegen nicht, weil er die tatbestandlichen Anforderungen im Hinblick auf den Besitz einer Duldung oder Gestattung (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) nicht erfüllt. Danach setzt die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Betroffene sich seit vier Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält. Der Kläger ist zwar zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, vgl. zu dem insoweit vergleichbaren § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 23) im Besitz einer Duldung, nachdem ihm eine solche am 6. September 2021 erteilt wurde. Er hat jedoch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Senatsentscheidung nicht wie erforderlich zuvor vier Jahre „ununterbrochen“ erlaubt, geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufgehalten.
Zeitlicher Bezugspunkt des Erfordernisses eines Voraufenthalts bestimmter Qualität „seit vier Jahren“ ist auch insoweit der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts. Der geduldete, gestattete oder von einer Aufenthaltserlaubnis gedeckte Voraufenthalt muss sich auf mindestens vier Jahre belaufen und grundsätzlich ununterbrochen bis hin zum maßgeblichen Zeitpunkt fortdauern (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – Rn. 34). Der Nachweis über einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Zeitraum genügt insofern nicht (BayVGH, B.v. 2.3.2021 – 19 CE 19.2148 – juris Rn. 10; Röcker in Bergmann/Dienelt, AufenthG, 13. Aufl. 2020, § 25a Rn. 11; Röder in BeckOK MigR, Stand: 1.5.2021, § 25a AufenthG Rn. 13). Der Kläger war jedoch seit dem Ablauf seiner bis zum 18. Januar 2021 gültigen Duldung nicht mehr im Besitz einer Duldung. Diese wurde ihm erst achteinhalb Monate später wieder erteilt. Dass er in der Zwischenzeit einen materiellen Duldungsanspruch gehabt hätte, wird von ihm im Zulassungsvorbringen zwar behauptet, aber nicht hinreichend konkret dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Dass die Abschiebung des Klägers in diesem Zeitraum unmöglich oder in zeitlicher Hinsicht nicht absehbar gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Der Kläger war vollziehbar ausreisepflichtig und im Besitz eines gültigen afghanischen Nationalpasses. Jedenfalls bis August 2021 fanden auch Sammelabschiebungen nach Afghanistan statt. Der Zeitraum von über sieben Monaten kann auch nicht als – unschädliche – kurzzeitige Lücke (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 23, wo es lediglich um Duldungslücken von jeweils wenigen Tagen ging) angesehen werden (BayVGH, B.v. 2.3.2021 – 19 CE 19.2148 – juris Rn. 10 für eine Lücke von 11 Monaten).
Insofern bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis das Fehlen der Regelerteilungsvoraussetzung eines gesicherten Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) entgegensteht. Dass der Lebensunterhalt des Klägers nicht gesichert ist, ist unstreitig. Der Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht hätte prüfen müssen, ob ein atypischer Fall deswegen vorliege, weil der Beklagte die Erwerbslosigkeit durch die Versagung einer Beschäftigungserlaubnis selbst verursacht habe, greift nicht durch. Dabei kann dahinstehen, ob der häufig auftretende Fall einer beschäftigungsverbotsbedingten Erwerbslosigkeit im Falle der Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG überhaupt ein atypischer Sonderfall sein kann (bejahend VGH BW, B.v. 10.9.2001 – 11 S 2212/00 – juris Rn. 5 im Fall des § 30 Abs. 3 AuslG a.F.). Ein atypischer Fall käme nach Auffassung des Senats allenfalls in Frage, wenn der Ausländer nachweist, dass ihm die Aufnahme einer seinen Lebensunterhalt sichernden Erwerbstätigkeit möglich gewesen wäre, er sich um die Erteilung einer erforderlichen Beschäftigungserlaubnis nachdrücklich bemüht und eine etwaige Versagung einer solchen Erlaubnis (erfolglos) angefochten hat (OVG Lüneburg, B.v. 18. März 2010 – 8 ME 24/10 – juris Leitsatz 3; ähnlich OVG LSA, B.v. 29.3.2010 – 2 O 8/10 – juris Rn. 14 zu § 104a Abs. 1 AufenthG). Da der Kläger den die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 25. November 2020 nicht mit Rechtsbehelfen angegriffen hat, war für die Annahme eines atypischen Falles im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zunächst kein Raum (BayVGH, B.v. 11.6.2021 – 10 C 21.1475 – juris Rn. 6). Dass der Umstand, dass der Kläger – offensichtlich als Reaktion auf den Beschluss des Senats im Verfahren über die Prozesskostenhilfe – nunmehr erneut die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis beantragt und gegen den Versagungsbescheid des Beklagten Klage erhoben hat, daran etwas ändert, erscheint dem Senat zweifelhaft, muss vorliegend aber – wie dargestellt – nicht abschließend entschieden werden.
Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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