Verwaltungsrecht

Ausbildungsduldung, Pandemiebedingte Grenzschließung

Aktenzeichen  19 B 21.1268

Datum:
4.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22534
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60c Abs. 2 Nr. 2
AufenthG § 60c Abs. 2 Nr. 5
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RN 9 K 20.1174 2020-10-07 GeB VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten hin wird der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Verfahrenskosten in beiden Instanzen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung, über die ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte, weil alle Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben (§§ 101 Abs. 2, 125 Abs. 1 VwGO), ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Beklagten vom 3. Juni 2020 zu Unrecht aufgehoben. Der Bescheid erweist sich als rechtmäßig; er verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hatte zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung gem. § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG i.V.m. § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Die Klage ist daher unter Aufhebung des erstinstanzlichen Gerichtsbescheids abzuweisen.
Nach dem durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung vom 8. Juli 2019 (BGBl. I S. 1021) mit Wirkung zum 1. Januar 2020 in das Aufenthaltsgesetz eingefügten § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG (i.d.F.v. 1.3.2020) ist eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe i.S.v. § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen, wenn der Ausländer in Deutschland im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG ist, (insbesondere) eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf aufnimmt und die Ausschlussgründe des § 60c Abs. 2 AufenthG nicht vorliegen. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht.
1. Der Erteilung einer Ausbildungsduldung steht der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG entgegen.
Eine Ausbildungsduldung wird gem. § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht erteilt, wenn der Ausländer im Fall von § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG bei Antragstellung noch nicht drei Monate im Besitz einer Duldung ist. Der in § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG aufgenommene dreimonatige Duldungsbesitzzeitraum soll den Ausländerbehörden – nach Ablehnung des Asylantrags – Gelegenheit geben, die Aufenthaltsbeendigung oder Maßnahmen zur Vorbereitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen zu betreiben, wie zum Beispiel den Ausländer aufzufordern, sich einen Pass- oder Passersatz zu beschaffen (eine solche Aufforderung stellt jedoch keine vergleichbar konkrete Vorbereitungsmaßnahme zur Abschiebung i.S.d. § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG dar, vgl. BT-Drs. 19/8286 S. 16 zu § 60b AufenthG, in dem ursprünglich die Ausbildungsduldung geregelt werden sollte). Dass dem Gesetzgeber im Rahmen des § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG an einem engen Zeitraum für die Maßnahmen der Ausländerbehörden gelegen war, zeigt sich daran, dass der zunächst vorgesehene Sechs-Monats-Zeitraum (vgl. BT-Drs. 19/8286 S. 15) im Laufe des Gesetzgebungsverfahren auf drei Monate reduziert worden ist.
1.1 Die Klägerin war im Bundesgebiet weder zu den Zeitpunkten der Beantragung einer Ausbildungsduldung am 13. Februar 2020 (mit Schreiben vom 12.2.2020) und am 28. Mai 2020 (mit Schreiben vom 18.5.2020) noch zu einem anderen Zeitpunkt drei Monate im Besitz einer Duldungsbescheinigung.
Der Klägerin ist lediglich eine Duldungsbescheidung für den Zeitraum vom 8. Juni 2020 bis zum 10. August 2020 (die Ausgabe erfolgte wohl im Rahmen einer Vorsprache am 10.6.2020) ausgestellt worden. Da die Duldung nach der letztmaligen Beantragung der Ausbildungsduldung am 28. Mai 2020 ausgestellt worden ist, kann dahinstehen, aus welchem Grund die Ausstellung erfolgt ist und ob materielle Duldungsgründe vorgelegen haben.
1.2 Zu den Zeitpunkten der Stellung der Anträge auf Erteilung einer Ausbildungsduldung am 13. Februar 2020 und am 28. Mai 2020 hatte die Klägerin jeweils nicht drei Monate zuvor einen Anspruch auf Aussetzung ihrer Abschiebung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
Ob insoweit – wie das Verwaltungsgericht meint – im Rahmen des § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG entgegen dem Gesetzeswortlaut (“im Besitz einer Duldung”) allein ein Anspruch auf Erteilung einer Duldungsbescheinigung gem. § 60a Abs. 4 AufenthG ausreichend ist, kann vorliegend dahinstehen (offenlassend: SächsOVG, B.v. 20.4.2021 – 3 B 37/21 – juris Rn. 13; dafür: wohl OVG Bln-Bdg, B.v. 26.5.2021 – OVG 3 S 32/21 – juris Rn. 5, 7; wohl OVG LSA, B.v. 4.3.2021 – 2 M 14/21 – juris Rn. 23; wohl OVG RhPf, B.v. 7.5.2020 – 7 B 10178/20.OVG – juris Rn. 9; wohl VG Düsseldorf, B.v. 21.7.2021 – 22 L 1398/21 – juris Rn. 16; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Februar 2021, § 60c Rn. 17; Breidenbach in BeckOK AuslR, Kluth/Heusch, Stand 1.7.2020, § 60c Rn. 5; Röder in BeckOK Migrations- und IntegrationsR, Decker/Bader/Kothe, Stand 1.5.2021, § 60c Rn. 34; Eichler/Mantel in Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Auflage 2021, § 60c Rn. 17).
Selbst wenn man einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung im Rahmen des § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG als ausreichend ansehen würde, erfüllt die Klägerin zu den insoweit maßgeblichen (vgl. OLG Bln-Bbg, B.v. 26.5.2021 – OVG 3 S 32/21 – juris Rn. 5; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Februar 2021, § 60c Rn. 17) Antragszeitpunkten (“bei Antragstellung”) einen mindestens drei Monate bestehenden Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nicht.
2.1 Bei Beantragung der Ausbildungsduldung am 13. Februar 2020 durch ihre damalige Rechtsanwältin konnte ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung schon deshalb nicht über drei Monate bestehen, weil die Ausreisepflicht erst Ende November 2019 vollziehbar geworden ist.
2.2 Auch unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt am 28. Mai 2020 hat ein Anspruch der Klägerin auf Aussetzung der Abschiebung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen ist, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist, über einen Zeitraum von drei Monaten nicht bestanden.
Vorliegend kommt allein ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen in Betracht. Maßgeblich ist insoweit, ob der Abschiebung tatsächliche Hindernisse entgegenstehen, die es der Ausländerbehörde unmöglich machen, ihrer Abschiebeverpflichtung nachzukommen (BVerwG, U.v. 21.3.2000 – 1 C 23/99 – juris Rn. 12 m.w.N.). Das Rechtsinstitut der Duldung soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die Ausreisepflicht eines Ausländers nicht in allen Fällen ohne Verzögerung durchgesetzt werden kann und ihre Durchsetzung auf nicht absehbare Zeit unmöglich ist (BT-Drs. 11/6321 S. 76 zu § 55 Abs. 1 AuslG 1990). Das Gesetz geht davon aus, dass ein ausreisepflichtiger Ausländer entweder abgeschoben wird oder zumindest eine Duldung erhält. Die tatsächliche Hinnahme des Aufenthalts außerhalb förmlicher Duldung, ohne dass die Vollstreckung der Ausreisepflicht betrieben wird, sieht das Gesetz nicht vor (BVerwG, U.v. 21.3.2000 – 1 C 23/99 – juris Rn. 13; U.v. 25.9.1997 – 1 C 3/97 – juris Rn. 16 jeweils zu § 55 Abs. 2 AuslG 1990).
Entgegen der im Eilbeschluss vom 4. August 2020 vertretenen und durch Verweisung im angegriffenen Gerichtsbescheid aufrechterhaltenen Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Klägerin habe “in Anbetracht (noch) nicht gesicherter Rückübernahmebereitschaft Spaniens” bereits ab Ablauf der im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gesetzten Ausreisefrist am 26. Dezember 2019 ein Rechtsanspruch auf vorübergehende Aussetzung ihrer Abschiebung nach § 60a AufenthG zugestanden (an anderer Stelle im Eilbeschluss meint das Verwaltungsgericht aber, die Durchführung einer Abschiebung “ohne Schubauftrag” war jedoch offenkundig tatsächlich unmöglich), war die Abschiebung der Klägerin nicht i.S.d. § 60a Abs. 2 AufenthG tatsächlich unmöglich.
Die Ausländerbehörde hat im Rahmen der Prüfung einer Aussetzung der Abschiebung nicht nur zu untersuchen, ob die Abschiebung des Ausländers überhaupt durchgeführt werden kann, sondern auch, innerhalb welchen Zeitraums eine solche möglich ist (BVerwG, U.v. 25.9.1997 – 1 C 3/97 – juris Rn. 22 zu § 55 Abs. 2 AuslG). Dies gilt nicht nur für die Fälle, in denen eine Abschiebung grundsätzlich möglich ist (kommt die Ausländerbehörde in solchen Fällen zu dem Ergebnis, eine Abschiebung kann – trotz grundsätzlicher Möglichkeit – nicht ohne erhebliche Verzögerung durchgeführt werden, ist eine Duldung zu erteilen, vgl. BVerwG, U.v. 25.9.1997 – 1 C 3/97 – juris Rn. 22 f. zu § 55 Abs. 2 AuslG), sondern auch in den Fällen, in denen eine Abschiebung derzeit unmöglich ist. In den letztgenannten Fällen ist von der Ausländerbehörde zu prüfen, wann dieses Hindernis behoben sein wird. Kommt die Ausländerbehörde zu dem Ergebnis, dass die Abschiebung nicht ohne Verzögerung durchgeführt werden kann oder der Zeitpunkt der Abschiebung ungewiss ist, ist eine Duldung zu erteilen (BVerwG, U.v. 21.3.2000 – 1 C 23/99 – juris Rn. 20 zur Frage der Erteilung einer Duldung bei ungeklärter Identität und/oder Staatsangehörigkeit).
2.2.1 Gemessen an diesen Maßstäben musste der Beklagte jedenfalls bis zum Zeitpunkt des pandemiebedingten “quasi” (vgl. Begründungsschrift vom 31.5.2021) zum Erliegen kommen des Parteiverkehrs in der zuständigen Ausländerbehörde nicht davon ausgehen, dass die Abschiebung der Klägerin nicht ohne Verzögerung durchgeführt werden konnte oder der Zeitpunkt der Abschiebung ungewiss ist.
Zwar konnte eine Abschiebung der Klägerin ohne die am 16. Juli 2020 beim Beklagten eingegangene Übernahmeerklärung der spanischen Behörden nicht vollzogen werden. Der Beklagte hat aber nachvollziehbar – und von der Klägerin nicht bestritten – dargelegt, dass in Fällen, in denen von einem anderen EU-Mitgliedstaat bereits internationaler Schutz gewährt worden ist, nach seinen mehr als fünfjährigen Erfahrungen noch nicht vorgekommen ist, dass eine Rückübernahme verweigert worden ist. Dass die Einschätzung des Beklagten, es sei von einer grundsätzlichen Übernahmebereitschaft Spaniens auszugehen gewesen, zu jeder Zeit zugetroffen hat, verdeutlicht der Umstand, dass nach dem Versand des ordnungsgemäßen und vollständigen Rückübernahmegesuchs an die spanischen Behörden am 10. Juni 2020 von diesen bereits am 16. Juli 2020 eine Rückübernahmezusage erteilt worden ist (hätte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Abschlussmitteilung nicht zunächst an eine unzuständige Zentrale Ausländerbehörde geschickt, wäre das Rückübernahmeersuchen sicher vor den pandemiebedingten Einschränkungen gestellt worden). Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall maßgeblich von Fällen, in denen noch Pass- oder Passersatzpapiere zu beschaffen sind.
Daran vermag zunächst nichts zu ändern, dass die zuständige Zentrale Ausländerbehörde die Klägerin (und ihre Familie) erst am 9. März 2020 für den 18. März 2020 vorladen konnte (um die Unterlagen zur Erstellung des Übernahmeersuchens zu beschaffen ). Dies war dem Umstand geschuldet, dass die zuständige Zentrale Ausländerbehörde erst nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise Kenntnis von der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht der Klägerin erlangt hat. Ausschlaggebend dafür war, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Abschlussmitteilung vom 12. Dezember 2019 zunächst – trotz entsprechender Mitteilung über die zuständige Ausländerbehörde des Beklagten an das Bundesamt im Oktober 2018 – an eine unzuständige Zentrale Ausländerbehörde versandt hat und der Abschluss des Asylverfahrens der zuständigen Zentralen Ausländerbehörde erst mit Abschlussmitteilung vom 17. Januar 2020 mitgeteilt worden ist. Dieser zeitliche Verzug zwischen dem Eintritt der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht und der Mitteilung über den Abschluss des Asylverfahrens (von dem die Klägerin nach Nichterfüllung der Ausreisepflicht zur Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands nunmehr profitieren will) vermag nicht dazu zu führen, dass der Zeitpunkt der Abschiebung als ungewiss einzustufen gewesen wäre.
Ebenso wenig folgt ein ungewisser Zeitpunkt der Abschiebung aus dem Umstand, dass der Klägerin vor der Stellung des Übernahmeersuchens noch Fingerabdrücke abzunehmen waren, da damit weder ein besonderer zeitlicher noch besonderer tatsächlicher Aufwand verbunden ist. Dies zeigt sich daran, dass das Rückübernahmeersuchen an die spanischen Behörden nach Abnahme der Fingerabdrücke der Klägerin am 10. Juni 2020 noch am selben Tag gestellt werden konnte. Der Beklagte hat die Klägerin zeitnah vorgeladen, um diese förmliche Voraussetzung für die Stellung des Rückübernahmeersuchens zu erfüllen. Insoweit ist unerheblich, dass einigen Familienangehörigen in der Vergangenheit bereits Fingerabdrücke abgenommen worden waren, der Beklagte auf diese elektronisch aber nicht zugreifen konnte (was der Beklagte deshalb versuchte, weil der Vorsprachetermin vom 18.3.2020 pandemiebedingt am 17.3.2020 abgesagt werden musste).
2.2.2 Ein Anspruch der Klägerin auf Aussetzung ihrer Abschiebung aus tatsächlichen Gründen ab dem Zeitpunkt der pandemiebedingten Grenzschließung in Spanien (dahinstehen kann, ob die spanische Grenze – wie das Verwaltungsgericht annimmt – vom 14.3.2020 bis 21.6.2020 oder – wie der Beklagte meint – vom 18.3.2020 bis 21.6.2020 geschlossen war) bestand ebenfalls nicht, da es sich dabei nicht (auch nicht ex ante) um ein auf unabsehbare Zeit bestehendes Hindernis gehandelt hat (vgl. BayVGH, B.v. 2.2.2021 – 19 CS 20.2598 – Rn. 14; B.v. 27.5.2020 – 10 CS 20.883, 10 C 20.886 – juris Rn. 10; B.v. 4.5.2020 – 10 ZB 20.666 – Rn. 19).
Eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen kann sich zwar ergeben, wenn die Verkehrswege für eine Abschiebung unterbrochen sind (vgl. Nr. 60a2.1.2.3 VwV AuslR). Solche tatsächlichen Abschiebehindernisse sind jedoch von bloß zeitweiligen Behinderungen oder Verzögerungen zu unterscheiden, die sich beispielsweise aus verwaltungsorganisatorischen Gründen oder aus – wie hier – vorübergehenden Beschränkungen der Verkehrswege ergeben. Die Grenzschließungen in Spanien haben den Vollzug der Aufenthaltsbeendigung der Klägerin nicht in einen völlig ungewissen zeitlichen Rahmen verschoben. Es widerspricht insoweit nicht der Systematik des Aufenthaltsrechts (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2000 – 1 C 23/99 – juris), bei einer solchen Sachlage einen Duldungsanspruch zu negieren (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2020 – 19 CE 19.1750 – Rn. 23).
2.2.3 Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass durch das pandemiebedingte “quasi” zum Erliegen kommen des Parteiverkehrs in der zuständigen Ausländerbehörde (17. März 2020) und die pandemiebedingte Grenzschließung in Spanien die Abschiebung der Klägerin nicht ohne Verzögerung durchgeführt werden konnte oder der Zeitpunkt der Abschiebung ungewiss geworden ist, lagen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung zum weiteren Antragszeitpunkt am 28. Mai 2020 nicht vor, da zu diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nicht drei Monate bestanden hätte.
2.2.4 Würde man zudem nicht nur annehmen, dass durch das pandemiebedingte “quasi” zum Erliegen kommen des Parteiverkehrs in der zuständigen Ausländerbehörde (17. März 2020) und die pandemiebedingte Grenzschließung in Spanien die Abschiebung der Klägerin nicht ohne Verzögerung durchgeführt werden konnte oder der Zeitpunkt der Abschiebung ungewiss geworden ist, sondern zudem vom im Rahmen des § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG maßgeblichen (vgl. OLG Bln-Bbg, B.v. 26.5.2021 – OVG 3 S 32/21 – juris Rn. 5; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Februar 2021, § 60c Rn. 17) Zeitpunkt (“bei Antragstellung”) absehen, hatte die Klägerin auch in der Folgezeit keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung.
Unter diesen Voraussetzungen hätte ein Anspruch der Klägerin auf Aussetzung der Abschiebung frühestens am 14. Juni 2020 drei Monate bestanden, sodass – bei einem fiktiven Antrag an diesem Tag – der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht mehr vorgelegen hätte. Unabhängig davon, dass das behördliche Verfahren durch den Bescheid vom 3. Juni 2020 bereits beendet war, hätte am 14. Juni 2020 der Erteilung einer Ausbildungsduldung nunmehr der Ausschlussgrund gem. § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG entgegengestanden.
Eine Ausbildungsduldung wird gem. § 60c Abs. 2 Nr. 5 Hs. 1 AufenthG nicht erteilt, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung, die in einem hinreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Aufenthaltsbeendigung stehen, bevorstehen. Konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung stehen insbesondere bevor, wenn eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit veranlasst wurde (§ 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a AufenthG), der Ausländer einen Antrag zur Förderung mit staatlichen Mitteln einer freiwilligen Ausreise gestellt hat (§ 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. b AufenthG), die Buchung von Transportmitteln für die Abschiebung eingeleitet wurde (§ 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. c AufenthG) oder vergleichbar konkrete Vorbereitungsmaßnahmen zur Abschiebung des Ausländers eingeleitet wurden, es sei denn, es ist von vornherein absehbar, dass diese nicht zum Erfolg führen (§ 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. d AufenthG).
Vorliegend ist bei (einem unterstellten) Bestehen eines dreimonatigen Anspruchs auf Aussetzung der Abschiebung aufgrund der pandemiebedingten Schließung der spanischen Grenzen bereits eine vergleichbar konkrete Vorbereitungsmaßnahme zur Abschiebung der Antragstellerin eingeleitet worden, die nicht von vornherein als erfolglos anzusehen ist. Der Beklagte hat am 10. Juni 2020 (und damit noch vor dem Bestehen eines – unterstellten – dreimonatigen Anspruchs auf Aussetzung der Abschiebung) ein Rückübernahmeersuchen an die spanischen Behörden gestellt (das Verwaltungsgericht sieht diese Maßnahme ebenfalls als konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung an). Dieses war offensichtlich nicht von vornherein als erfolglos anzusehen, was sich daran zeigt, dass die spanischen Behörden der Rückübernahme bereits am 16. Juli 2020 zugestimmt haben und von dem Beklagten am 17. Juli 2020 ein Schubauftrag gestellt worden ist.
3. Aufgrund dieser Sachlage erübrigen sich weitere Ausführungen dazu, ob ein Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung auch deshalb ausscheidet, weil die Klägerin seit dem Ablauf der ihr erteilten Duldungsbescheinigung am 10. August 2020 keine Duldung mehr erhalten hat und daher zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung der persönliche Anwendungsbereich gem. § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht mehr eröffnet ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO i.V.m. § 167 Abs. 1 und 2 VwGO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe nicht vorliegen.


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