Verwaltungsrecht

Ausreiseaufforderung

Aktenzeichen  W 8 S 20.30173

Datum:
5.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2031
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
AsylG § 38 Abs. 1,§ 74 Abs. 1 Alt.1, § 75 Abs. 1
AufenthG § 59 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die am 3. Februar 2020 im Verfahren W 8 K 20.30172 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. Januar 2020 erhobene Klage aufschiebende Wirkung hat.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist ein aus dem Libanon stammender Palästinenser. Mit bestandskräftigen Bescheid vom 5. Oktober 2016 wurde der Antragsteller aufgefordert, binnen 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen; andernfalls werde er abgeschoben.
Nach einer Mitteilung der Ausländerbehörde zu den Personalien des Antragstellers, verbunden mit der Bitte um Präzisierung des Zielstaats in der Abschiebungsandrohung, gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme zu einem eventuellen Vorliegen von Abschiebungsverboten hinsichtlich Libanon.
Mit Bescheid vom 16. Januar 2020 stellte die Antragsgegnerin fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 1). Die mit Bescheid des Bundesamtes vom 5. Oktober 2016 (Az.: 6519014-997) erlassene Abschiebungsandrohung wurde dahingehend geändert, dass der Antragsteller für den Fall, dass er der Ausreiseaufforderung nicht nachkommt, in den Libanon abgeschoben wird. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Eine abschließende Prüfung von Abschiebungsverboten für den tatsächlichen Zielstaat sei noch nicht erfolgt. Die Abschiebungsandrohung sei auf den ermittelten Zielstaat zu konkretisieren gewesen. Einer erneuten Ausreiseaufforderung bedürfe es nicht, da der Antragsteller bereits ausreisepflichtig sei. Der Antragsteller habe einen palästinensischen Reisepass vorgelegt, was zum Anlass genommen worden sei, den Zielstaat zu konkretisieren. Da aber der Libanon das Land seines gewöhnlichen Aufenthalts sei, sei dieser Staat als konkreter Zielstaat gewählt worden. In der Rechtsbehelfsbelehrung:ist ausgeführt, dass die Klage innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung zu erheben sei. Die Klage habe keine aufschiebende Wirkung. Der Bescheid wurde dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde am 23. Januar 2020 zugestellt.
Der Antragsteller erhob zu Protokoll der Urkundsbeamtin am 3. Februar 2020 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Verfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Hilfsweise wird die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO verpflichtet, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass der Antragsteller vorläufig bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache nicht abgeschoben werden darf.
Zur Begründung verwies der Antragsteller zunächst auf die beim Bundesamt für … schriftlich vorgetragenen Gründe und brachte weiter vor, dass er gern in Deutschland bleiben würde, weil der Libanon nicht sein Heimatland wäre.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Hauptsacheverfahrens W 8 K 20.30172 und die Akte des früheren Verfahrens W 2 K 16.31924) sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Sofortantrag ist zulässig und begründet.
Vorliegend war analog § 80 Abs. 5 VwGO festzustellen, dass die eingelegte Klage aufschiebende Wirkung hat, da ein Fall eines sogenannten faktischen Vollzugs vorliegt, weil die Antragsgegnerin – wie in der Rechtsbehelfsbelehrung:zu sehen ist – davon ausgeht, dass die Klage keine aufschiebende Wirkung hat, und Vollzugsmaßnahmen bzw. Abschiebungsmaßnahmen drohen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 80 Rn. 181).
Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid hat aufschiebende Wirkung, weil es sich bei der erstmaligen Konkretisierung bzw. Präzisierung des Zielstaats in der Abschiebungsandrohung, verbunden mit der Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, um einen Verwaltungsakt handelt. Denn die Antragsgegnerin hat, anders als bei einem allgemeinen Hinweis auf die Möglichkeit der Abschiebung in einen anderen aufnahmebereiten Staat vorliegend mit dem Libanon eine verbindliche Zielstaatsbezeichnung im Sinne des Halbsatzes 1 des § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erlassen, die Vollstreckungsgrundlage für eine Abschiebung des Klägers in den Libanon sein kann (vgl. OVG NRW, B.v. 13.1.2020 – 19 A 2730/19.A – juris). Der Klage kommt in dieser Konstellation gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 38 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung zu, weil die nachträglich geänderte Abschiebungsandrohung das Schicksal der Hauptentscheidung im Bescheid vom 5. Oktober 2016 teilt.
Denn wenn das Bundesamt – wie hier – nach einfach unbegründeter Ablehnung des Asylantrages im bestandskräftigen Bescheid vom 5. Oktober 2016 den Zielstaat der Abschiebungsandrohung konkretisiert und präzisiert (hier: Libanon), handelt es sich um einen Fall des § 38 Abs. 1 AsylG. Zwar ist in dieser Konstellation keine Ausreisefrist mehr zu setzen. Die im Bescheid vom 5. Oktober 2016 gesetzte Ausreisefrist, auf die sich die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid ausdrücklich beruft, beträgt indes die in § 38 Abs. 1 AsylG genannten 30 Tage. Es wäre zudem nicht gerechtfertigt den Antragsteller schlechter zu stellen, als wenn die jetzige Zielstaatsbestimmung von Anfang an erfolgt wäre und er von vornherein seine Klage auf die Abschiebungsandrohung beschränkt hätte (vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylG, § 75 Rn. 12 m.w.N.).
Die Antragsgegnerin hat im streitgegenständlichen Bescheid die sofortige Vollziehung anders als in vergleichbaren Fällen nicht angeordnet (vgl. VG Hannover, B.v. 15.4.2019 – 3 B 1256/19 – juris; VG München, B.v. 2.3.2016 – M 17 S 15.31484 – juris, jeweils m.w.N.). Weiter liegt auch kein Fall vor, in dem der Asylantrag im Erstverfahren gemäß § 30 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden wäre (vgl. VG Göttingen, B.v. 24.9.2018 – 2 B 379/18 – juris).
Der vorliegende Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (analog) ist zulässig, insbesondere ist er nicht verfristet. Denn ausgehend von den vorstehenden Ausführungen gilt für die Klagefrist § 74 Abs. 1 1. Alt. AsylG, wonach eine zweiwöchige Klagefrist einzuhalten ist. Die Zustellung erfolgte laut Postzustellungsurkunde am 23. Januar 2020, sodass die Klageerhebung am 3. Februar 2020 rechtzeitig erfolgte. Infolge der aufschiebenden Wirkung der Klage geht der weitere Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung:auf ein Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ins Leere.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO analog ist auch begründet, weil die Klage kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat. Eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache findet insoweit nicht statt (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 80 Rn. 181).
Dem Sofortantrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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