Verwaltungsrecht

Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer

Aktenzeichen  W 7 K 18.1021

Datum:
1.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 56261
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthV § 4 Abs. 6 S. 1, § 5
RL 2011/95/EU Art. 25 Abs. 2

 

Leitsatz

Art. 25 Abs. 2 RL 2011/95/EU sieht einen Anspruch des Ausländers auf Ausstellung von Reisedokumenten vor, der an keine weiteren Voraussetzungen – wie etwa einen besonderen konkreten Anlass für die Erteilung – anknüpfen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 30. Juli 2018 verpflichtet, dem Kläger einen Reiseausweis für Ausländer auszustellen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 2018 ist rechtswidrig und der Kläger wird dadurch in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn er hat einen Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer gemäß § 5 Abs. 1 Aufenthaltsverordnung (AufenthV).
Gemäß § 5 Abs. 1 AufenthV kann einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
1. Der Kläger verfügt nicht über einen gültigen Pass oder Passersatz.
2. Dem Kläger ist es nicht zumutbar, sich (weiter) um einen Nationalpass zu bemühen. Zwar begründet die Stellung als subsidiär Schutzberechtigter nicht per se eine Unzumutbarkeit der Erlangung eines Nationalpasses im Sinne von § 5 Abs. 1 AufenthV (BayVGH, B.v. 17.10.2018 – 19 ZB 15.428 – juris, Rn. 4 ff. m.w.N., vorgehend VG Würzburg, G.v. 26.1.2015 – W 7 K 14.1220). Dennoch ist im vorliegenden Einzelfall der vom Kläger eingenommene Standpunkt, es sei ihm unzumutbar, sich (weiter) um einen Nationalpass zu bemühen, nach Auffassung der Kammer zutreffend. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 17.10.2018 – 19 ZB 15.428 – juris, Rn. 12 m.w.N.) sind die Anforderungen an die Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit der Passerlangung unter Berücksichtigung der besonderen Verfolgungs- bzw. Gefährdungssituation der Schutzberechtigten nach den Umständen des Einzelfalls zu stellen. Bei subsidiär Schutzberechtigten ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob ihnen die Vorsprache im Konsulat ihres Herkunftsstaates zwecks Beschaffung eines Nationalpasses zumutbar ist, oder ob ihnen wegen Unzumutbarkeit gerade dieser Handlung durch die Ausländerbehörde ein Reiseausweis für Ausländer auszustellen ist. Dabei ist der Überlegung, dass der oder dem Betroffenen bei Inbesitznahme eines Nationalpasses im Fall einer Reise ins Ausland eine Abschiebung in das ihm/ihr ausweislich des Passes Schutz gewährende Land drohen könnte, Bedeutung beizumessen. Im Hinblick auf die Zumutbarkeit ist im Einzelfall zu prüfen, ob die verfolgungsrechtliche Situation bei einer wertenden Betrachtung im materiellen Kern und vom Ergebnis her mit der eines Flüchtlings vergleichbar ist. Auch ist im Einzelfall zu würdigen, ob die Gefährdung oder Bedrohung, die zu Anerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG geführt hat, von staatlichen Akteuren ausgeht. Geht der drohende ernsthafte Schaden auf eine gezielte Bedrohung durch staatliche Behörden zurück, und befürchtet der Betroffene eine Gefährdung seiner im Ausland lebenden Verwandten, so kann sich eine Passerlangung als unzumutbar bzw. unmöglich erweisen. Bei der Zumutbarkeit der vorzunehmenden Handlungen ist im Einzelfall darauf abzustellen, ob diese einer erneuten Unterschutzstellung entspricht. Eine freiwillige Unterschutzstellung kann insbesondere dann vorliegen, wenn die Beantragung und Annahme eines Nationalpasses mit staatsbürgerlichen Pflichten wie der Entrichtung einer sogenannten Aufbausteuer verbunden wird.
Im konkreten Fall spricht zunächst die individuelle Verfolgungssituation des Klägers, die der Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter zugrunde liegt, für eine Unzumutbarkeit. Dem Bundesamtsbescheid vom 26. Oktober 2016 ist zu entnehmen, dass dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus gewährt wurde, weil er sein Heimatland aufgrund der allgemeinen Gefährdung durch die drohende Einberufung zum Nationaldienst verlassen hat. Es wird davon ausgegangen, dass dem Kläger in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG droht, und zwar ausgehend von staatlicher Seite im Zusammenhang mit der Verweigerung des Nationaldienstes. Seine verfolgungsrechtliche Situation erscheint daher bei einer wertenden Betrachtung im materiellen Kern und vom Ergebnis her mit der eines Flüchtlings vergleichbar. Insbesondere müsste er bei Inbesitznahme eines Nationalpasses im Fall einer Reise ins Ausland mit einer Abschiebung in das Land, in dem ihm ein ernsthafter Schaden droht, – hier Eritrea – rechnen.
Zudem wird nach dem aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea (Stand: Februar 2019, 22.3.2019, V. 1.4., Seite 22 f.) die Passbeschaffung mit der Entrichtung einer „Aufbausteuer“ verbunden. Diese beträgt 2% des Jahreseinkommens (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand: Februar 2019, 22.3.2019, S. 6). Der Kläger bestätigte auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung, bei seinem Besuch im eritreischen Generalkonsulat sei neben einer schriftlichen Entschuldigung beim eritreischen Staat und dem Präsidenten (vgl. dazu ebenso Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand: Februar 2019, 22.3.2019, S. 6, 23), von ihm verlangt worden, dass er jeden Monat zwei Prozent seines Verdienstes an Eritrea zahle. Von einer erneuten Unterschutzstellung im Sinne der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kann vorliegend ausgegangen werden, da der Erlöschenstatbestand des § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG auf subsidiär Schutzberechtigte nicht anwendbar ist.
3. Die weitere Voraussetzung des § 6 Nr. 1 AufenthV ist ebenfalls erfüllt, wonach im Inland ein Reiseausweis dann ausgestellt werden darf, wenn der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Dies ist bei dem Kläger, dem eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 2. Alt. AufenthG erteilt wurde, der Fall.
4. Somit liegt es nach § 5 Abs. 1 AufenthV im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten, dem Kläger einen Reiseausweis für Ausländer auszustellen. Die vom Kläger begehrte Verpflichtung der Beklagten zur Ausstellung von Reiseausweisen setzt damit voraus, dass dieses Ermessen auf Null reduziert ist.
Im vorliegenden Fall ist auf Grund der Anerkennung des Klägers als subsidiär Schutzberechtigter i.S.d. RL 2011/95/EU und mit Hinblick auf die Regelung des Art. 25 Abs. 2 der RL 2011/95/EU das Ermessen der Ausländerbehörde auf Null reduziert, sodass dem Kläger ein Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer zusteht. § 5 Abs. 1 AufenthV ist richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass subsidiär Schutzberechtigten i.S.d. RL 2011/95/EU in der Regel ein Reiseausweis für Ausländer zu erteilen ist, soweit nicht zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Nach Art. 25 Abs. 2 der RL 2011/95/EU stellen Mitgliedstaaten Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist und die keinen nationalen Pass erhalten können, Dokumente für Reisen außerhalb ihres Hoheitsgebiets aus, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Die Richtlinie sieht somit einen Anspruch des Ausländers auf Ausstellung von Reisedokumenten vor, der an keine weiteren Voraussetzungen – wie etwa einen besonderen konkreten Anlass für die Erteilung – anknüpfen. Die Vorgängerregelung des Art. 25 Abs. 2 der RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie a.F.) enthielt im Gegensatz dazu den ergänzenden Halbsatz, dass Reisedokumente zumindest dann ausgestellt werden sollen, wenn schwerwiegende humanitäre Gründe die Anwesenheit in einem anderen Staat erfordern. Daraus wurde in der Rechtsprechung die Schlussfolgerung abgeleitet, dass in den übrigen Fällen die Qualifikationsrichtlinie a.F. nicht von einem gebundenen Anspruch ausgehe (vgl. VG Augsburg, U.v. 9.10.2012 – Au 1 K 12.872 – juris Rn. 28; U.v. 9.10.2012 – Au 1 K 12.908 – juris Rn. 25; U.v. 9.10.2012 – Au 1 K 12.903 – juris Rn. 22). Diese Passage ist in der Neufassung der Qualifikationsrichtlinie nicht mehr enthalten. Die Voraussetzungen für die Erteilung von Reisedokumenten an subsidiär Schutzberechtigte wurden im Wortlaut denjenigen von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention angeglichen (Art. 25 Abs. 1 der RL 2011/95/EU). Nach Auffassung der Kammer, bestätigt durch die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 10.2.2016 – 19 ZB 14.2708 – juris, Rn. 5 ff;), ist damit bezweckt, subsidiär Schutzberechtigten ebenso wie anerkannten Flüchtlingen Reisedokumente auch ohne Vorliegen einer konkreten aktuellen Notwendigkeit in der Regel auszustellen. Dies ergibt sich schließlich auch aus der allgemeinen Zielsetzung der Neufassung der Qualifikationsrichtlinie, wonach insbesondere Personen, denen subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, dieselben Rechte und Leistungen zu denselben Bedingungen gewährt werden sollen wie Flüchtlingen (Erwägungsgrund Nr. 39 der Richtlinie 2011/95/EU; VG Würzburg, G.v. 19.11.2014 – W 7 K 14.594 -; G.v. 19.11.2014 – W 7 K 14.568 -; G.v. 28.11.2014 – W 7 K 14.682 -; G.v. 26.1.2015 – W 7 K 14.1220).
Zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung, die der Erteilung eines Reiseausweises für den Kläger entgegenstehen, sind nicht ersichtlich.
5. Der Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer steht schließlich nicht entgegen, dass die Identität des Klägers, der nach eigenen Angaben Eritrea als Minderjähriger verlassen hat, möglicherweise – wegen der bisher fehlenden Nachweise – nicht hinreichend geklärt ist und nur auf dessen eigenen Angaben beruht. Denn diesem Umstand kann dadurch Rechnung getragen werden, dass gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 AufenthV der Reiseausweis mit dem Hinweis ausgestellt wird, dass die Personendaten auf den eigenen Angaben des Ausländers beruhen (vgl. auch BayVGH, B.v. 10.2.2016 – 19 ZB 14.2708 – juris, Rn. 8).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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