Verwaltungsrecht

Auswahlentscheidung nach bekanntgegebener, aber noch nicht eröffneter Beurteilung

Aktenzeichen  2 EO 48/21

Datum:
28.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Oberverwaltungsgericht 2. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGTH:2021:0728.2EO48.21.00
Normen:
Art 33 Abs 2 GG
§ 49 Abs 3 LbG TH
§ 54 LbG TH
§ 18 Abs 2 BeamtBeurtV TH
§ 20 BeamtBeurtV TH
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Spruchkörper:
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Leitsatz

1. Eine dienstliche Beurteilung kann nach den für Thüringer Polizeibeamte geltenden Vorschriften auch durch deren schriftliche Bekanntgabe wirksam werden (§ 43 Abs. 1 Satz 1 ThürVwVfG (juris: VwVfG TH)).(Rn.34)
2. Ist es dem Dienstherrn aus objektiven Gründen unmöglich oder nicht zuzumuten, die dienstliche Beurteilung – über die schriftliche Bekanntgabe hinaus – zu eröffnen und zu besprechen, so hat dies nicht zur Folge, dass er eine bevorstehende Auswahlentscheidung aufschieben müsste, bis die Eröffnung und Besprechung nachgeholt wurden.(Rn.42)
3. Das schlichte Bestreiten des Betroffenen, ein Schriftstück sei ihm nicht zugegangen, reicht regelmäßig nicht aus, um die Zugangsvermutung des § 41 Abs. 2 Satz 1 ThürVwVfG (juris: VwVfG TH) zu entkräften.(Rn.38)
4. Anders als bei der Beurteilerzuständigkeit ist es für die Eignung, einen Beurteilungsbeitrag zu leisten, unschädlich, wenn der als Auskunftsperson dienende Beamte demselben Statusamt angehört wie der zu beurteilende Beamte. Jedoch hat der Beurteiler den Auswirkungen, die ein Konkurrenzverhältnis zwischen dem beurteilten Beamten und der Auskunftsperson auf deren Angaben haben kann, bei der Würdigung und Verwertung dieser Informationen Rechnung zu tragen (wie BVerwG, Urteil vom 1. März 2018 – 2 A 10/17 –, juris, Rn. 24).(Rn.48)

Verfahrensgang

vorgehend VG Weimar, 21. Dezember 2020, 1 E 1056/20 We, Beschluss

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 21. Dezember 2020 geändert und der Antrag des Antragstellers abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 2. hat der Antragsteller zu tragen. Die Beigeladene zu 1. hat ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 22.921,74 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die beabsichtigten Beförderungen der Beigeladenen in ein Amt der Besoldungsgruppe A 16 ThürBesO des höheren Polizeivollzugsdienstes des Antragsgegners.
Der Antragsteller war zunächst Polizeibeamter im Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen und ist seit dem Jahr 1993 im Dienst des Antragsgegners. Er wurde zuletzt mit Wirkung vom 26. Februar 2010 zum Polizeidirektor (Besoldungsgruppe A 15 ThürBesO) befördert. In der vorletzten, auf eine Gegenvorstellung des Antragstellers geänderten Regelbeurteilung zum Stichtag 1. Juni 2015 (Beurteilungszeitraum 1. Juni 2012 bis 31. Mai 2015) erhielt er das Gesamturteil „Übertrifft die Anforderungen – obere Grenze (4,33 Punkte)“. Über die wiederum erhobene Gegenvorstellung bzw. Klage gegen diese Beurteilung ist noch nicht rechtskräftig entschieden. Bis zum 22. Dezember 2016 übernahm er aufgrund einer Vakanz im Rahmen seiner Funktion („Leiter Führungsgruppe, zgl. Vertreter des Leiters der LPI“) die Aufgaben des Leiters der Landespolizeiinspektion N… wahr. In der letzten Regelbeurteilung zum Stichtag 1. Januar 2018 (Beurteilungszeitraum 1. Juni 2015 bis 31. Dezember 2017) erhielt der Antragsteller ebenfalls das Gesamturteil „Übertrifft die Anforderungen – obere Grenze (4,33 Punkte)“. Der Verwaltungsvorgang des Antragsgegners enthält ein Schreiben vom 4. Juli 2018 an den (erkrankten) Antragsteller, mit dem eine Kopie der unterzeichneten Beurteilung zum Stichtag 1. Januar 2018 zugesandt werden sollte. Weiter hieß es darin, dass ein Termin zur Eröffnung separat mitgeteilt werde. Die mündliche Eröffnung und Besprechung der Beurteilung wurde am 3. September 2020 durchgeführt.
Die Beigeladene zu 1. ist seit 1991 Polizeibeamtin im Dienst des Antragsgegners. Sie wurde zuletzt mit Wirkung vom 15. Oktober 2012 zur Polizeidirektorin (Besoldungsgruppe A 15 ThürBesO) befördert. In der letzten Regelbeurteilung zum Stichtag 1. Januar 2018 (Beurteilungszeitraum 1. Juni 2015 bis 31. Dezember 2017) erhielt sie das Gesamturteil „Übertrifft erheblich die Anforderungen (5,00 Punkte)“.
Der Beigeladene zu 2. war zunächst Polizeibeamter im Dienst des Landes Hessen und ist seit 1992 im Dienst des Antragsgegners. Er wurde zuletzt mit Wirkung vom 1. April 2004 zum Polizeidirektor (Besoldungsgruppe A 15 ThürBesO) befördert. Ab dem 23. Dezember 2016 übte er den Dienstposten des Leiters der Landespolizeiinspektion N… aus. In der letzten Regelbeurteilung zum Stichtag 1. Januar 2018 (Beurteilungszeitraum 1. Juni 2015 bis 31. Dezember 2017) erhielt er das Gesamturteil „Übertrifft erheblich die Anforderungen (5,00 Punkte)“.
Der Antragsgegner entschied durch Erlass vom 5. Juni 2020, u. a. zwei Polizeivollzugsbeamte/innen in ein Amt der Besoldungsgruppe A 16 ThürBesO des höheren Polizeivollzugsdienstes zu befördern. Die beabsichtigte Maßnahme wurde unter dem gleichen Datum im nachgeordneten Polizeibereich bekanntgegeben und im Intranet der Thüringer Polizei veröffentlicht.
Durch Auswahlvermerk vom 22. Juni 2020, vom Minister des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales (Ministerium) gezeichnet am 23. Juni 2020, entschied der Antragsgegner, dass die Beigeladene zu 1. und der Beigeladene zu 2. befördert werden sollen. Nach den heranzuziehenden aktuellen dienstlichen Regelbeurteilungen zum Stichtag 1. Januar 2018 seien vier Beamtinnen bzw. Beamte mit dem Gesamturteil „Übertrifft erheblich die Anforderungen (5,00)“ beurteilt worden. Im Rahmen der Ausschärfung der dienstlichen Beurteilungen erreichten die Beigeladene zu 1. und der Beigeladene zu 2. gemeinsam den ersten Platz. Nach Unterrichtung der Personalvertretung und Hauptschwerbehindertenvertretung der Thüringer Polizei teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Schreiben vom 8. Juli 2020 das Auswahlergebnis mit. Hiergegen ließ der Antragsteller am 21. Juli 2020 Widerspruch erheben.
Das Verwaltungsgericht hat dem am 23. Juli 2020 gestellten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch Beschluss vom 21. Dezember 2020 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Auswahlentscheidung des Antragsgegners zugunsten der Beigeladenen rechtswidrig sei. Der Antragsgegner habe unstreitig der Auswahlentscheidung eine Beurteilung des Antragstellers zugrunde gelegt, die diesem nicht eröffnet worden sei. Eine dienstliche Beurteilung sei vor ihrer Eröffnung und Besprechung noch keine voll geeignete Grundlage für eine Auswahlentscheidung. Eine Auswahlentscheidung, die gleichwohl auf dieser Grundlage getroffen werde, sei rechtswidrig. Derjenige, der die dienstliche Beurteilung erstellt habe und sie verantworte, könne auch am besten die in der Beurteilung enthaltenen Aussagen und Wertungen dem Beurteilten erläutern und mit ihm erörtern. Der Antragsteller könne dementsprechend nicht darauf verwiesen werden, er habe bereits nach der Übersendung der Beurteilung mit Schreiben vom 4. Juli 2018 (deren Übersendung von dem Antragsteller bestritten werde) Einwendungen gegen die Beurteilung erheben können. Denn solche Einwendungen ersetzten gerade nicht das Eröffnungsgespräch, das dazu diene, etwa bestehende Unstimmigkeiten zwischen dem betroffenen Beamten und dem Dienstherrn hinsichtlich der Beurteilungsnote als auch der Einzelbewertungen oder bestimmte Formulierungen auszuräumen (unter Hinweis auf Beschluss des Senats vom 13. Februar 2020 – 2 EO 516/18 – Juris, Rn. 49 f.). Die gleichwohl auf der nicht eröffneten Beurteilung des Antragstellers beruhende Auswahlentscheidung sei daher rechtswidrig.
Der Antragsgegner hat gegen den am 8. Januar 2021 zugestellten Beschluss am 21. Januar 2021 Beschwerde eingelegt und diese am 8. Februar 2021 begründet.
Darin macht er im Wesentlichen geltend: Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Auswahlentscheidung im Vermerk vom 22. Juni 2020 rechtswidrig sei, weil ihr die Regelbeurteilung des Antragstellers zum Stichtag 1. Januar 2018 zugrunde gelegt worden sei, ohne dass diese vorher eröffnet worden sei. In dem vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss des Senats vom 13. Februar 2020 (Az. 2 EO 516/18) sei es auf eine differenzierte Betrachtung nicht entscheidend angekommen, der darin zitierte Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. April 2013 (Az. 5 Me 81/13) könne nicht überzeugen. Nach § 49 Abs. 3 ThürLaufbG sei die dienstliche Beurteilung den Beamten in ihrem vollen Wortlaut zu eröffnen und mit ihnen zu besprechen, wobei den Beamten vor der Eröffnung Gelegenheit zu geben sei, von der Beurteilung Kenntnis zu nehmen. Damit werde keine Regelung zum Wirksamwerden oder zur Rechtmäßigkeit einer Beurteilung getroffen. Die Besprechung einer Beurteilung diene vornehmlich dazu, dem Beamten den Inhalt der Beurteilung, die Werturteile und tragenden Gründe zu erläutern sowie eine bereits abgefasste und vom Endbeurteiler gezeichnete Beurteilung nachträglich zu ändern oder zu korrigieren. Der Beamte könne im Rahmen der Besprechung auf Fehler hinweisen; hierzu habe er aber grundsätzlich erst im Nachgang z. B. durch eine Gegenvorstellung Gelegenheit. Auch erscheine nicht nachvollziehbar, inwiefern eine Beurteilungsbesprechung der späteren gerichtlichen Nachprüfbarkeit durch die Gerichte dienen solle. Der Betroffene könne und müsse eine (vermeintliche) Fehlerhaftigkeit oder Zweifel an der Plausibilität auch noch in einem späteren Gerichtsverfahren vortragen. Zwar könnten sich aus einer Beurteilungsbesprechung Erkenntnisse ergeben, die für eine spätere rechtliche Bewertung relevant sein könnten. Doch gelte dies für sämtliche dienstlichen Kontakte zwischen dem Beamten und dem Beurteiler. Die Notwendigkeit einer Besprechung als Wirksamkeitsvoraussetzung lasse sich daraus nicht herleiten. Die Beurteilungsbesprechung diene auch nicht einer späteren Auswahlentscheidung, weil sich das Gesamturteil, die Einzelaussagen und Begründungen aus der Beurteilung selbst ergeben müssten. Sollte der Auswahlentscheidung eine unzutreffende Beurteilung zugrunde gelegt worden sein, werde dies im Rahmen eines Konkurrentenstreitverfahrens inzident geprüft. Die abschließende Beurteilungsbesprechung sei nach Sinn und Zweck mit der Begründung eines Verwaltungsakts vergleichbar, deren Fehlen nicht zur Unwirksamkeit des Verwaltungsakts führe. Eine fehlende Besprechung habe dann auch bei der Beurteilung nicht zur Folge, dass sie keine Wirksamkeit erlange und keine Auswahlgrundlage darstellen solle.
Komme es für die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der Beurteilung nicht auf die abschließende Besprechung an, sei es sachgerecht, für den Wirksamkeitszeitpunkt wie bei einem Verwaltungsakt (§ 43 Abs. 1 Satz 1 ThürVwVfG) auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe abzustellen. Mit der Bekanntgabe der vom Endbeurteiler gezeichneten Beurteilung, was in der Regel mit der Zusendung einer Abschrift zur Vorbereitung der Besprechung geschehe (§ 49 Abs. 3 Satz 2 ThürLaufbG), sei die Beurteilung mit Wissen und Wollen des Beurteilers in den Rechtsverkehr gelangt und der Betroffene könne vom Inhalt Kenntnis nehmen. Unter Bekanntgabe sei nicht die abschließende Besprechung, sondern der Zugang der vom Endbeurteiler gezeichneten Beurteilung beim Beurteilten zu verstehen.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Bekanntgabe der Regelbeurteilung zum Stichtag 1. Januar 2018 gegenüber dem Antragsteller mit der Zusendung einer Abschrift der vom Endbeurteiler gezeichneten Beurteilung mit Schreiben vom 4. Juli 2018 und damit vor der Auswahlentscheidung erfolgt. Soweit der Antragsteller den Zugang des Schreibens vom 4. Juli 2018 bestreite, sei der Vortrag weder substantiiert noch glaubhaft. Dagegen sprächen der Verlauf des protokollierten Eröffnungsgesprächs am 3. September 2020 und eine frühere Auswahlmitteilung vom 8. August 2018, in der auf die Regelbeurteilungen zum Stichtag 1. Januar 2018 verwiesen worden sei. Dem Antragsteller habe es daher oblegen, sich nach einer angemessenen Zeit nach seiner Regelbeurteilung zu erkundigen.
Ein Anordnungsanspruch sei auch deshalb zu verneinen, weil die Aussichten des Antragstellers, in einem neuen Auswahlverfahren ausgewählt zu werden, evident erfolglos seien. Die Beurteilung für den Antragsteller zum Stichtag 1. Januar 2021 werde zurückgestellt, weil die beurteilungsfähige Dienstzeit aufgrund erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten weniger als sechs Monate betrage. Zudem bestünden durch die Vielzahl an Krankenfehltagen erhebliche Zweifel an der (Polizei-)Dienstfähigkeit und der gesundheitlichen Eignung des Antragstellers, weshalb schon aus Fürsorgegründen beabsichtigt sei, die Dienstfähigkeit durch den polizeiärztlichen Dienst überprüfen zu lassen. Es sei kein Trend erkennbar, dass alsbald mit einer deutlichen Besserung seines Gesundheitszustands zu rechnen sei.
Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 21. Dezember 2020 zu ändern und den Antrag des Antragstellers abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt die angegriffene Entscheidung. Dienstliche Beurteilungen seien das zentrale Instrument der Personalentwicklung. Der Antragsgegner betone selbst, dass die Eröffnung und Besprechung einer Beurteilung dem Interesse vollständiger, zutreffender und sachgerechter Beurteilungen aller Beamten dienten und im öffentlichen Interesse lägen. Die im Rahmen einer Besprechung vorgelegte Beurteilung sei keine bereits perpetuierte Auffassung des Dienstherrn, die weder geändert noch korrigiert werden könne. Der Vortrag des Antragsgegners zur Anwendbarkeit des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts trage nicht. Eine dienstliche Beurteilung werde gegenüber dem Beamten erst mit der Bekanntgabe wirksam, vorher sei sie nicht existent und für anstehende Beförderungsentscheidungen nicht verwendbar. Anderenfalls habe der Beamte keine Möglichkeit, Einwände dagegen zu erheben. Außerdem sei die Beurteilung zum Stichtag 1. Januar 2018 erst am 3. September 2020 gegen Ende des folgenden Beurteilungszeitraums eröffnet worden. Das Argument des Antragsgegners, der Antragsteller habe im Eröffnungsgespräch so gewirkt, als habe er Kenntnis von der Übersendung eines Beurteilungsentwurfs, gehe ins Leere. Ihm sei im Sommer 2018 weder eine Beurteilung noch ein Beurteilungsentwurf zugesandt worden. Vielmehr wäre, wenn der Antragsteller nicht reagiert habe, zu erwarten gewesen, dass der Antragsgegner etwa zum Jahresende 2018 zum Eröffnungsgespräch eingeladen oder eine unterzeichnete Endfassung zugesandt hätte. Dies spreche dafür, dass der Antragsgegner keine Beurteilung überlassen habe, um den Antragsteller auszuschließen. Der Antragsgegner möge den Zugang nachweisen. Der Antragsgegner könne auch nicht damit gehört werden, dass der Antragsteller in einem erneuten Auswahlverfahren keine Erfolgsaussichten habe. Der Antragsgegner beziehe sich hierbei auf Fehltage in einem Zeitraum nach dem Beurteilungsstichtag; darauf sei die streitbefangene Auswahlentscheidung nicht ausgerichtet. Abgesehen davon, dass Urlaubstage und Tage der Wiedereingliederung nicht zu berücksichtigen seien, habe der Antragsgegner die Schwerbehinderung des Antragstellers nicht berücksichtigt, sondern halte diese dem Antragsteller noch zu dessen Lasten vor. Überdies reichten krankheitsbedingte Fehltage nicht für die Annahme einer fehlenden gesundheitlichen Eignung aus, weil deren Beurteilung medizinischen Sachverstand voraussetze.
Die Beigeladene zu 1. hat keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.
Der Beigeladene zu 2. hat sinngemäß beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er vertritt die Ansicht, dass bei der Prognose, ob der Antragsteller in einem erneuten Auswahlverfahren berücksichtigt werden könne, die fortlaufende Erkrankung des Antragstellers in den vergangenen Jahren bis heute berücksichtigt werden müsse. Die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung erfordere Sachkunde, über die nur ein Arzt verfüge. Dessen Hinzuziehung als Sachverständiger ändere aber nichts daran, dass die Entscheidungsverantwortung beim Dienstherrn liege. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Antragstellers seien so durchgängig und nachhaltig, dass der Dienstherr die offensichtlich negative Prognose nicht durch einen Polizeiarzt untermauern müsse. Einem Beamten mit durchgängig derart langen Ausfallzeiten könne die Leitung einer so großen Polizeibehörde, für die das zu besetzende Statusamt eines Leitenden Polizeidirektors vorgesehen sei, nicht übertragen werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands, insbesondere des erstinstanzlichen Vorbringens, wird auf die Gerichtsakten (ein Band), die Gerichtsakten des Verfahrens 2 ZKO 686/19 (zwei Bände) mit Beiakten, den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners (ein Ordner u. a. betr. den Auswahlvorgang), die Personalakte des Antragstellers sowie die Personalakten der Beigeladenen Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.
II.
Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Das in der Beschwerdebegründung enthaltene Vorbringen, auf dessen Nachprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt, dass das Verwaltungsgericht dem Antrag aus Gründen stattgegeben hat, die sich nicht als tragfähig erweisen. Der Antrag des Antragstellers ist vielmehr auch unter Einbeziehung seines erstinstanzlichen Vorbringens abzulehnen.
Im Interesse der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gilt im Rahmen beamtenrechtlicher Konkurrentenstreitverfahren ein herabgestufter Prüfungsmaßstab. Ein Anordnungsanspruch ist dann gegeben, wenn nach dem im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erkennbaren Sach- und Streitstand nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die vom Dienstherrn getroffene Auswahlentscheidung zu Lasten des Antragstellers rechtsfehlerhaft ist, weil dessen Bewerbungsverfahrensanspruch keine hinreichende Beachtung gefunden hat. Zugleich müssen die Aussichten des Betroffenen, in einem neuen rechtmäßigen Verfahren ausgewählt zu werden, zumindest „offen“ sein (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2003 – 2 BvR 311/03 – NVwZ 2004, 1524, und BVerwG, Urteil vom 4. November 2010 – 2 C 16.09 – NJW 2011, 695).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Auswahlentscheidung des Antragsgegners lässt keine Mängel erkennen, durch die der Anspruch des Antragstellers auf eine ermessensfehlerfreie Auswahl zur Besetzung der streitbefangenen Stellen verletzt würde.
Nach Art. 33 Abs. 2 GG sind öffentliche Ämter nach Maßgabe des Bestenauslese-grundsatzes zu besetzen. Dieser Grundsatz der Bestenauslese gilt unbeschränkt und vorbehaltlos. Er dient neben dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung des öffentlichen Dienstes auch dem berechtigten Interesse der Beamten an einem angemessenen beruflichen Fortkommen. Der Beamte kann beanspruchen, dass der Dienstherr das ihm bei der zu treffenden Entscheidung zustehende Auswahlermessen unter Einhaltung etwaiger Verfahrensvorschriften ermessens- und beurteilungsfehlerfrei ausübt (sog. Bewerbungsverfahrensanspruch; stRspr., vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2013 – 2 VR 1/13 – Juris, Rn. 19 f.; BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 11. Mai 2011 – 2 BvR 764/11 – Juris, Rn. 10; Beschluss des Senats vom 18. März 2011 – 2 EO 471/09 – ThürVBl. 2011, 245 m. w. N.). Art. 33 Abs. 2 GG gibt damit die entscheidenden Maßstäbe für die Bewerberauswahl abschließend vor. Der danach für die Bewerberauswahl grundsätzlich gebotene Leistungsvergleich ist vor allem anhand aussagekräftiger, d. h. aktueller, hinreichend differenzierter und auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhender dienstlicher Beurteilungen vorzunehmen. Maßgebend für den Leistungsvergleich ist in erster Linie das abschließende Gesamturteil der Beurteilung (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. November 2010 – 2 C 16/09 – Juris, Rn. 24; Beschluss vom 22. November 2012 – 2 VR 5/12 – Juris, Rn. 24).
Feststellungen über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung sind in der Regel auf der Grundlage aktueller dienstlicher Beurteilungen zu treffen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Thüringer Laufbahngesetz vom 12. August 2014 – ThürLaufbG). Das Ende des Beurteilungszeitraumes darf zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung höchstens drei Jahre zurückliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 2 ThürLaufbG). Deshalb kommt der letzten dienstlichen Beurteilung regelmäßig ausschlaggebende Bedeutung zu (vgl. Beschluss des Senats vom 3. Februar 2021 – 2 EO 200/20 – Juris, Rn. 21 f; Beschluss vom 15. April 2014 – 2 EO 641/12 – Juris, Rn. 26 f).
Die Regelbeurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen wurden in Übereinstimmung mit den zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Vorschriften erstellt und beruhen auf gleichen Bewertungsmaßstäben.
Die Erstellung der Beurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen zum Stichtag 1. Januar 2018 richtete sich hier noch nach dem Fünften Abschnitt der Thüringer Laufbahnverordnung vom 7. Dezember 1995 (ThürLbVO) in der am 31. Dezember 2014 geltenden Fassung und den hierzu erlassenen Richtlinien (§ 54 ThürLaufbG, §§ 20, 18 Abs. 2 Thüringer Beurteilungsverordnung vom 18. Februar 2020). Anzuwenden war nach Nr. 10.1 der Verwaltungsvorschrift zu § 53 Abs. 7 ThürLbVO vom 20. November 2001 und § 12 Abs. 1 Thüringer Polizeilaufbahnverordnung vom 26. Oktober 2017 (vgl. auch Nr. 2 der Verwaltungsvorschrift für die Beurteilungen der Beamten der Thüringer Polizei vom 2. März 2020) die Verwaltungsvorschrift des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales über die dienstliche Beurteilung der Beamten im Polizeivollzugsdienst der Thüringer Polizei vom 13. März 2015 (BeurtRLThürPol).
Die Regelbeurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen wurden einheitlich von dem Staatssekretär des Ministeriums erstellt. Dieser war der zuständige Beurteiler für die Zweitbeurteilung der Beamten des höheren Polizeivollzugsdienstes ab Besoldungsgruppe A 15 (Nr. 9.1 Satz 5 BeurtRLThürPol). Ausschlaggebend ist die Zweitbeurteilung; der Zweitbeurteiler setzt als Endbeurteiler das Gesamturteil fest und unterzeichnet die Beurteilung (Nr. 10.2 Satz 1 und 2 BeurtRLThürPol).
Für die Regelbeurteilungen war nach Nr. 3.1 Abs. 1 Satz 1 und 2 BeurtRLThürPol i. V. m. Nr. 1 des Erlasses über die Regelbeurteilungskampagne in der Thüringer Polizei im Jahr 2018 vom 16. Oktober 2017 als Stichtag der 1. Januar 2018 und somit der Beurteilungszeitraum vom 1. Juni 2015 bis 31. Dezember 2017 zugrunde zu legen (abweichend vom grundsätzlich dreijährigen Zeitraum für Regelbeurteilungen gemäß Nr. 3.1 Abs. 1 Satz 1 BeurtRLThürPol). Die Beurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen stehen mit den genannten Vorschriften in Einklang; sie beziehen sich auf diesen Beurteilungszeitraum, der somit bei allen Beurteilungen gleich lang ist und zum selben Stichtag endet.
Die Regelbeurteilungen waren zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung zudem hinreichend aktuell. Das Ende des Beurteilungszeitraums (31. Dezember 2017) lag zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung (23. Juni 2020) weniger als drei Jahre zurück (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 2 ThürLaufbG, vgl. auch BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019 – 2 C 1/18 – Juris, Rn. 34).
Der Antragsgegner konnte die Regelbeurteilungen der Auswahlentscheidung vom 23. Juni 2020 zugrunde legen. Dies gilt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch für die Beurteilung des Antragstellers, weil der Senat unter Würdigung der Verwaltungsvorgänge und des Vorbringens davon ausgeht, dass ihm die Beurteilung zum Stichtag 1. Januar 2018 bekanntgegeben und vor der Auswahlentscheidung wirksam wurde.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die auf das Thüringer Landesrecht zu übertragen ist, ist die dienstliche Beurteilung eines Beamten nicht als Verwaltungsakt anzusehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. November 1975 – II C 16.72 – Juris, Rn. 32; Urteil vom 17. März 2016 – 2 A 4/15 – Juris, Rn. 16; zur abw. Rechtslage bei Soldaten: BVerwG, Beschluss vom 4. Juni 2014 – 2 B 108/13 – Juris, Rn. 6). Die Vorschriften des (Thüringer) Verwaltungsverfahrensgesetzes über Verwaltungsakte finden somit keine unmittelbare Anwendung. Gleichwohl muss die dienstliche Beurteilung dem Beamten entsprechend § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG bekanntgegeben werden, um ihm gegenüber Wirksamkeit zu erlangen. Von diesem Zeitpunkt an ist die Beurteilung rechtlich existent und kann verwertet werden. Dies entspricht der höchstrichterlichen und wohl verbreiteten obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. August 1998 – 1 WB 15/98 – Juris, Rn. 5; Beschluss vom 24. Mai 2011 – 1 WB 59/10 – Juris, Rn. 40; OVG NRW, Beschluss vom 15. März 2013 – 1 B 133/13 – Juris, Rn. 7; und Urteil vom 27. Juni 2013 – 6 A 63/12 – Juris, Rn. 40; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 6. August 2018 – 2 B 10761/18 – Juris, Rn. 6; Beschluss des Senats vom 18. Juni 2012 – 2 EO 961/11 – Juris, Rn. 32; Bodanowitz in: Schnellenbach/Bodanowitz, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, Stand 4/2021, Rn. 322).
In diesem Zusammenhang regelt § 49 Abs. 3 Satz 1 und 2 ThürLaufbG, dass die dienstliche Beurteilung den Beamten in ihrem vollen Wortlaut zu eröffnen und mit ihnen zu besprechen ist; den Beamten ist vor der Eröffnung Gelegenheit zu geben, von der Beurteilung Kenntnis zu nehmen. In näherer Ausgestaltung hierzu bestimmt Nr. 10.6.1 Satz 1 BeurtRLThürPol, dass die dienstliche Beurteilung dem Beamten in einem Eröffnungsgespräch bekanntzugeben und mit ihm zu besprechen ist. Vor Eröffnung der Beurteilung ist dem Beamten ein Abdruck der Beurteilung auszuhändigen; zwischen Aushändigung und Eröffnung muss mindestens eine Frist von zwei Tagen liegen; Aushändigung und Eröffnung der Beurteilung sind in dem Beurteilungsbogen zu vermerken (Nr. 10.6.2 Satz 1 bis 3 BeurtRLThürPol).
Das Bundesverwaltungsgericht hat zu § 40 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über die Laufbahnen der Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten (Bundeslaufbahnverordnung in der damals gültigen Fassung vom 8. März 1990 – BLV a. F.) entschieden, dass der maßgebende Zeitpunkt für das Wirksamwerden einer Beurteilung der Zeitpunkt der „Eröffnung“ der Beurteilung sei (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. August 1998 – 1 WB 15.98 – Juris, Rn. 5; dem folgend Beschluss vom 24. Mai 2011 – 1 WB 59/10 – Juris, Rn. 40). Die genannte Vorschrift bestimmte, dass die dienstliche Beurteilung dem Beamten in ihrem vollen Wortlaut zu eröffnen und mit ihm zu besprechen ist (ebenso nunmehr § 50 Abs. 3 Satz 1 BLV n. F.). In dem zugrundeliegenden Fall hatte das Bundesverwaltungsgericht allerdings keine Abgrenzung dahin zu treffen, ob die Eröffnung der Beurteilung eine besonders ausgestaltete Form der Bekanntgabe ist, namentlich ob eine Eröffnung des vollen Wortlauts und Besprechung der Beurteilung zu einer bloßen Kenntnisverschaffung hinzutreten muss, damit die Beurteilung wirksam und im Rechtssinne existent wird (vgl. hierzu bereits Beschluss des Senats vom 18. Juni 2012 – 2 EO 961/11 – Juris, Rn. 33; zur Eröffnung durch schriftliche Bekanntgabe: OVG NRW, Beschluss vom 15. März 2013 – 1 B 133/13 – Juris, Rn. 9-11).
Anders als § 40 Abs. 1 Satz 2 BLV a. F. bestimmt § 49 Abs. 3 Satz 2 ThürLaufbG, dass den Beamten vor der Eröffnung Gelegenheit zu geben ist, von der Beurteilung Kenntnis zu nehmen, bzw. Nr. 10.6.2 Satz 1 BeurtRLThürPol, dass dem Beamten zuvor ein Abdruck der Beurteilung auszuhändigen ist. Die Vorschriften dienen ersichtlich dem Zweck, dass der Beamte vor der Besprechung ausreichende Gelegenheit erhalten soll, um den Inhalt der Beurteilung zu prüfen und sich auf die Besprechung vorzubereiten. Denn Eröffnung und Besprechung sollen im Interesse vollständiger, zutreffender und sachgerechter Beurteilungen aller Beamten – hauptsächlich im öffentlichen Interesse an der Richtigkeit der dienstlichen Beurteilungen im Hinblick auf das Leistungsprinzip – eine zeitlich möglichst nahe, in der Form nicht strenge und starren Anfechtungsfristen nicht unterworfene Gelegenheit bieten, etwa bestehende Unstimmigkeiten zwischen dem betroffenen Beamten und dem Dienstherrn hinsichtlich der Beurteilungsnote als auch der Einzelbewertungen oder bestimmter Formulierungen auszuräumen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1976 – II C 34.75 – Juris, Rn. 32; Beschluss des Senats vom 18. Juni 2012 – 2 EO 961/11 – Juris, Rn. 34). Ob nach § 49 Abs. 3 Satz 2 ThürLaufbG und Nr. 10.6.2 Satz 1 BeurtRLThürPol, um den damit verfolgten Zweck zu erfüllen, ein bloßer Entwurf der Beurteilung zur Kenntnis zu geben bzw. ein Abdruck des Entwurfs auszuhändigen ist oder in engerer Anlehnung an den Wortlaut eine fertiggestellte Beurteilung, bedarf hier keiner Entscheidung. Als Bekanntgabe, um die es hier geht, könnte die Aushändigung eines bloßen Entwurfs einer dienstlichen Beurteilung nicht angesehen werden (vgl. Bodanowitz in: Schnellenbach/Bodanowitz, a. a. O., Rn. 321). Nach den vorliegenden Verwaltungsunterlagen wurde hier jedoch eine Kopie der fertigen, d. h. der vom Endbeurteiler unterzeichneten Beurteilung übersandt (dazu noch unten). Die Übersendung geschah mit dem Wissen und Wollen der Behörde, die Beurteilung dem Adressaten bekanntzugeben. Mit der schriftlichen Bekanntgabe wurde die Beurteilung wirksam (§ 43 Abs. 1 Satz 1 ThürVwVfG in entsprechender Anwendung). Dass es sich um eine Kopie handelte, ändert daran nichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43/95 – Juris, Rn. 29, zur Zustellung eines Verwaltungsakts in Kopie).
Der Einwand des Antragstellers, dass er das Schreiben vom 4. Juli 2018 mit der in Kopie beigefügten Beurteilung nicht erhalten habe, kann angesichts der vorliegenden Umstände nicht überzeugen. Auch wenn die dienstliche Beurteilung eines Beamten nicht als Verwaltungsakt anzusehen ist, ist der Rechtsgedanke des § 41 Abs. 2 ThürVwVfG entsprechend heranzuziehen, weil er einem praktischen Erfahrungswert Rechnung trägt. Nach § 41 Abs. 2 Satz 1 ThürVwVfG gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 41 Abs. 2 Satz 3 ThürVwVfG). Für den tatsächlichen Zugang gilt nicht der Anscheinsbeweis. Zwar spricht für den Zugang eine hohe Wahrscheinlichkeit, doch handelt es sich nicht um einen derart feststehenden typischen Geschehensablauf, dass nach den Erfahrungen des Lebens auf einen bestimmten Kausalverlauf geschlossen werden könnte (vgl. nur insoweit BFH, Urteil vom 14. März 1989 – VII R 75/85 – Juris, Rn. 12; ThürOVG, Beschluss vom 7. Februar 2002 – 4 ZKO 1252/97 – Juris, Rn. 4; jeweils zu § 122 Abs. 2 AO und zur Zugangsvermutung binnen dreier Tage; SächsOVG, Beschluss vom 14. Dezember 2017 – 5 B 298/17 – Juris, Rn. 14; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18. Oktober 2017 – 2 S 114/17 – Juris, Rn. 27). Allerdings muss der Zweifel i. S. d. § 41 Abs. 2 Satz 3 ThürVwVfG ein berechtigter Zweifel sein (vgl. insoweit BVerwG, Beschluss vom 24. April 1987 – 5 B 132/86 – Juris, Rn. 2, zur entsprechenden Regelung des § 37 Abs. 2 SGB X). Nach der verbreiteten obergerichtlichen Rechtsprechung reicht daher das schlichte Bestreiten des Betroffenen, das Schriftstück sei ihm nicht zugegangen, regelmäßig nicht aus, um die Zugangsvermutung des § 41 Abs. 2 Satz 1 ThürVwVfG zu entkräften. Vielmehr muss der Adressat sein Vorbringen nach Lage des Einzelfalls derart substantiieren, dass zumindest berechtigte Zweifel am Zugang begründet werden. Damit wird von dem Adressaten des Verwaltungsakts auch nicht etwas tatsächlich Unmögliches verlangt. Zwar kennt derjenige, dem ein Schriftstück nicht zugegangen ist, gewöhnlich die Umstände im Einzelnen nicht, die den Nichtzugang verursacht haben, er vermag jedoch Hinweise zu geben, die dafür sprechen können, dass (gerade) das streitige Schriftstück ihm nicht zugegangen ist. Das erfordert auch der gesetzliche Zweck der Regelung. Würde man nicht einmal verlangen, dass der Adressat seine Behauptung, das Schriftstück sei nicht bei ihm angekommen, hinreichend plausibel macht, sondern den bloßen Einwand des Nichterhalts genügen lassen, liefe die gesetzliche Regelung der Bekanntgabevermutung leer (so OVG Nds., Beschluss vom 3. August 2012 – 12 LA 180/11 – Juris, Rn. 6 f.; vgl. auch: OVG Rh.-Pf., Urteil vom 10. Oktober 1997 – 2 A 13324/96 – Juris, Rn. 23; OVG NRW, Beschluss vom 26. November 2014 – 6 A 1784/12 – Juris, Rn. 22; OVG LSA, Beschluss vom 11. August 2015 – 4 M 103/15 – Juris, Rn. 6; HessVGH, Beschluss vom 5. Januar 2016 – 10 B 2411/15 – Juris, Rn. 10; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18. Oktober 2017 – 2 S 114/17 – Juris, Rn. 28; SächsOVG, Beschluss vom 14. Dezember 2017 – 5 B 298/17 -, Rn. 13; OVG BB, Beschluss vom 11. August 2020 – OVG 11 S 70/20 – Juris, Rn. 7).
Nach dieser Maßgabe sind berechtigte Zweifel daran, dass das Schreiben vom 4. Juli 2018 dem Antragsteller tatsächlich zuging, nicht zu erkennen. Aus dem Verwaltungsvorgang geht hervor, dass der damalige Präsident der Landespolizeidirektion die Regelbeurteilung als Erstbeurteiler am 22. Juni 2018 zeichnete. Die Zweitbeurteilung wurde vom Zweitbeurteiler, dem Staatssekretär, am 27. Juni 2018 unterschrieben und mit Schreiben vom 4. Juli 2018 in Kopie an die Anschrift des Antragstellers gesandt. Das Scheiben ist mit einem Postausgangsstempel ebenfalls vom 4. Juli 2018 versehen. Es war zutreffend adressiert und kam nicht als unzustellbar zurück. Der Antragsteller hat den Zugang erstmals im späteren Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens bestritten, ohne seine Behauptung zu substantiieren oder glaubhaft zu machen (§ 294 ZPO). Hinzu kommt, dass der Antragsteller weder im Zusammenhang mit der schriftlichen Abstimmung des Termins zum Eröffnungsgespräch am 3. September 2020 noch in dem Eröffnungsgespräch selbst zu erkennen gab, dass er die Beurteilung oder einen Entwurf derselben noch nicht kenne. Ausweislich des über das Eröffnungsgespräch geführten Protokolls erwähnte der Beurteiler, dass dem Antragsteller die Beurteilung bereits 2018 schriftlich zur Kenntnis gegeben worden sei und dass dieser Zeit gehabt habe, sich mit der Beurteilung inhaltlich auseinanderzusetzen. Dem widersprach der Antragsteller offenbar nicht. Vielmehr nahm er zum Inhalt der Beurteilung Stellung. Angesichts des gänzlich unsubstantiierten Bestreitens besteht dementsprechend weder ein Anhaltspunkt noch Anlass für eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 14. April 2021 – 5 B 449/ – Juris, Rn. 10).
Dass die Regelbeurteilung zum Stichtag 1. Januar 2018 nicht bzw. nicht noch vor der Auswahlentscheidung, sondern erst nachträglich mündlich eröffnet und besprochen wurde (Nr. 10.6.1 Satz 1 BeurtRLThürPol), steht ihrer Wirksamkeit und Verwendbarkeit für die Auswahlentscheidung im vorliegenden Streitfall nicht entgegen (zu einer vergleichbaren Konstellation vgl. bereits Beschluss des Senats vom 28. April 2021 – 2 EO 557/20 – n. v., Abdruck S. 10 f., nach der hier angegriffenen Entscheidung ergangen).
Der Senat hat in dem vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss vom 13. Februar 2020 (Az. 2 EO 516/18 – Juris) ausgeführt, dass bei einem Verstoß gegen die Vorgaben über die Eröffnung und Besprechung die Eignung der Beurteilung als Grundlage für Feststellungen über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung des Beamten beeinträchtigt sein kann. Dies spreche dafür, dass eine dienstliche Beurteilung vor ihrer Eröffnung und Besprechung noch keine voll geeignete Grundlage für eine Auswahlentscheidung nach dem Leistungsgrundsatz sein kann. Die Richtigkeitsgewähr für die getroffenen Werturteile und deren tatsächliche Grundlagen sei größer, wenn deren mündliche Erörterung zeitnah nach der Erstellung der Beurteilung und damit alsbald nach dem Beurteilungsstichtag erfolgt (vgl. Beschluss des Senats vom 13. Februar 2020 – 2 EO 516/18 – Juris, Rn. 49). Der Senat hat allerdings weder in diesem Beschluss noch im Beschluss vom 18. Juni 2012 (Az. 2 EO 961/11 – Juris, Rn. 33 f.) zu klären gehabt, inwiefern sich eine nicht durchgeführte oder fehlerhafte Eröffnung und Besprechung letztlich auf die Rechtmäßigkeit einer Beurteilung oder Auswahlentscheidung auswirken kann und ob dieser Mangel heilbar ist oder dann unerheblich ist, wenn der Betroffene seine Beurteilung inhaltlich nicht erfolgreich angreift (Auswahlentscheidung fehlerhaft: OVG NRW, Beschluss vom 20. Januar 2009 – 6 B 1642/08 – Juris, Rn. 2 ff.; OVG Nds., Beschluss vom 22. April 2013 – 5 ME 81/13 – Juris, Rn. 6; Auswahlentscheidung nicht fehlerhaft: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 12. Juli 2005 – 4 S 915/05 – Juris, Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 16. Oktober 2014 – 1 B 856/14 – Juris, Rn. 8 ff., für eine eröffnete, aber nicht besprochene Beurteilung; Beurteilung nicht fehlerhaft: OVG Bremen, Urteil vom 7. Februar 1984 – 2 BA 5/83 – ZBR 1985, S. 82 f.; SächsOVG, Beschluss vom 8. Oktober 2012 – 2 A 381/12 – Juris, Rn. 6).
Ungeachtet dessen sind jedenfalls Konstellationen denkbar, in denen die fehlende Eröffnung und Besprechung der Beurteilung für sich allein genommen nicht dazu führt, dass die Grundlage der Auswahlentscheidung als mangelhaft anzusehen wäre. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Beamte seiner Mitwirkungspflicht bei der Eröffnung nicht nachkommt (vgl. Beschluss des Senats vom 18. Juni 2012 – 2 EO 961/11 – Juris, Rn. 34) oder wirksam auf die Eröffnung und Besprechung verzichtet (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 21. März 2007 – 2 C 2/06 – Juris, Rn. 12). Ist es dem Dienstherrn aus objektiven Gründen unmöglich oder nicht zuzumuten, die dienstliche Beurteilung – über die schriftliche Bekanntgabe hinaus – zu eröffnen und zu besprechen, so hat dies nicht zur Folge, dass er eine bevorstehende Auswahlentscheidung aufschieben müsste, bis die Eröffnung und Besprechung nachgeholt wurden. Bei längerfristigen Erkrankungen, wie dies bei dem Antragsteller der Fall war, hätte dies zur Folge, dass der Dienstherr an einer Auswahlentscheidung auf ungewisse Zeit oder auf Dauer gehindert wäre. Jedenfalls in einem solchen Fall kann die Beurteilung auch ohne deren Eröffnung und Besprechung einer Auswahlentscheidung zugrunde gelegt werden. Der Dienstherr trägt dann allerdings das Risiko, sofern sich erst im Nachhinein herausstellt, dass die Beurteilung fehlerhaft und zu korrigieren ist oder dass er die getroffenen Werturteile und ihre Grundlagen erläutern und plausibel machen muss (vgl. zur nachträglichen Plausibilisierung: BVerwG, Urteil vom 1. März 2018 – 2 A 10/17 – Juris, Rn. 32). Dieser Fall ist damit vergleichbar, dass ein Beamter Einwände gegen seine Beurteilung erhebt; diese kann er auch unmittelbar in einem Bewerbungsverfahren wie auch in einem gegebenenfalls anschließenden verwaltungsgerichtlichen Konkurrentenstreit geltend machen. Der Beamte braucht nicht den Ausgang eines isolierten Streits um die Fehlerhaftigkeit einer dienstlichen Beurteilung abzuwarten. Andererseits ist auch der Dienstherr nicht verpflichtet, Beförderungsverfahren auszusetzen, weil einer der Bewerber eine für die Auswahlentscheidung bedeutsame dienstliche Beurteilung angreift (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2002 – 2 C 19/01 – Juris, Rn. 15 f.; Beschluss vom 20. Januar 2004 – 2 VR 3/03 – Juris, Rn. 10 f.; BayVGH, Beschluss vom 16. März 2012 – 3 CE 11.2381 – Juris, Rn. 22 f.; zum Vorstehenden: Beschluss des Senats vom 28. April 2021 – 2 EO 557/20 – n. v., Abdruck S. 10 f.).
Im konkreten Fall war der Antragsteller zum Zeitpunkt der Erstellung der Beurteilung im Juni 2018 bereits langfristig erkrankt, so dass mit einer zeitnahen Rückkehr nicht zu rechnen war. Er blieb noch bis zum Beginn des folgenden Jahres dienstunfähig und befand sich im Anschluss an seinen Urlaub bis Mitte November 2019 in Wiedereingliederung; im Jahr 2020 war er erneut überwiegend erkrankt. Da ein Eröffnungsgespräch und eine Besprechung gemäß Nr. 10.6.1 Satz 1 BeurtRLThürPol unmittelbar nach der Erstellung und im nahen zeitlichen Zusammenhang dazu nicht möglich waren, war der Dienstherr nicht gehindert, die Regelbeurteilung bei dem nächsten anstehenden Auswahlverfahren zugrunde zu legen. Dass die Eröffnung und Besprechung – nach der Auswahlentscheidung – am 3. September 2020 nachgeholt wurden, ist nicht mehr relevant. Rechtlich unerheblich ist daher auch der Einwand des Antragstellers, dass die Beurteilung in der Besprechung nicht habe erläutert werden können, weil sie vom Staatssekretär durchgeführt wurde (vgl. Nr. 10.6.1 Satz 1 und 2 BeurtRLThürPol) und weder dieser noch der weitere teilnehmende Beamte die Dienstausübung des Antragstellers gekannt hätten. Unzutreffend ist die Rüge des Antragstellers, dass der Erstbeurteiler und ehemalige Präsident der Landespolizeidirektion, der inhaltlich mehr hätte beitragen können, nicht an der Beurteilungsbesprechung teilnahm. Dies war schon deshalb nicht möglich, weil er bereits zum Oktober 2018 in den Ruhestand getreten war.
Ohne Erfolg beanstandet der Antragsteller, dass die Regelbeurteilung zum Stichtag 1. Januar 2018 nicht habe erstellt werden können, weil sie nur aus einer „bestands- bzw. rechtskräftigen“ vorangegangenen Regelbeurteilung entwickelt werden könne; hier aus der Regelbeurteilung zum Stichtag 1. Juni 2015, über die noch ein Klageverfahren anhängig sei. Zwar müssen Anlassbeurteilungen, die einen deutlich kürzeren Zeitraum als die Regelbeurteilungen abbilden, aus den Regelbeurteilungen entwickelt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. November 2012 – 2 VR 5/12 – Juris, Rn. 30). Dies gilt jedoch grundsätzlich nicht für das Verhältnis von Regelbeurteilungen zueinander. Soweit eine vorangegangene Regelbeurteilung für die Nachprüfung einer nachfolgenden Regelbeurteilung relevant sein kann (etwa bei auffälligen Notensprüngen), verlangt dies zudem nicht, dass über die vorangegangene Regelbeurteilung bereits eine unanfechtbare Entscheidung erging.
Die Regelbeurteilung beruht entgegen der Ansicht des Antragstellers auch auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge erstellte der Beigeladene zu 2. einen schriftlichen Beurteilungsbeitrag (zunächst) für den Zeitraum vom 23. Dezember 2016 bis 30. Juni 2017. Dieser Beurteilungsbeitrag wird jedoch in der Erstbeurteilung des damaligen Präsidenten der Landespolizeidirektion vom 22. Juni 2018 nicht als Entscheidungsgrundlage angeführt. Der Erstbeurteilung ist ein von dem damaligen Präsidenten der Landespolizeidirektion unterzeichneter Aktenvermerk vom 1. Juni 2018 beigefügt, demzufolge der direkte Vorgesetzte des Antragstellers – der Beigeladene zu 2. – der gleichen Vergleichsgruppe zuzuordnen sei, sich mithin in einer Konkurrenzsituation befinde und gemäß Nr. 10.3 BeurtRLThürPol an der Erstellung der Beurteilung grundsätzlich nicht mitwirken dürfe. Um sich dennoch eine zusätzliche Erkenntnisquelle im Sinne der Nr. 10.3 BeurtRLThürPol zu erschließen, habe am 4. Mai 2018 ein Gespräch stattgefunden, in dem die Leistungseinschätzung bzw. Leistungsentwicklung des zu Beurteilenden erörtert worden sei. Die in diesem Gespräch gewonnenen Erkenntnisse seien bei der Erstellung der Erstbeurteilung im Lichte der bestehenden Konkurrenzsituation angemessen berücksichtigt worden.
Die Erstbeurteilung wurde richtigerweise durch den damaligen Präsidenten der Landespolizeidirektion erstellt und nicht durch den unmittelbaren Dienstvorgesetzten (Nr. 9.4 Abs. 1 BeurtRLThürPol), den Beigeladenen zu 2., der kommissarisch den Dienstposten des Leiters der Landespolizeiinspektion ausübte. Nach der Beurteilungsrichtlinie des Antragsgegners darf an der Erstellung der Beurteilung grundsätzlich nicht mitwirken, wer sich in einer Konkurrenzsituation zum zu Beurteilenden befindet; eine Konkurrenzsituation besteht in der Regel dann, wenn der Erstbeurteiler und der zu Beurteilende der gleichen Vergleichsgruppe zuzuordnen sind (Nr. 10.3 Satz 1 und 2 BeurtRLThürPol). Dies ist bei dem Antragsteller und dem Beigeladenen zu 2. der Fall. An dessen Stelle trat der nächsthöhere Vorgesetzte (Nr. 10.3 Satz 3 BeurtRLThürPol), hier der Präsident der Landespolizeidirektion. Der damalige Präsident der Landespolizeidirektion berücksichtigte demnach als Verfasser der Erstbeurteilung die bestehende Konkurrenzsituation und, dass der Beigeladene zu 2. an der Erstellung der Regelbeurteilung des Antragstellers grundsätzlich nicht mitwirken durfte. Aus dem Akteninhalt ist zu schließen, dass der Erstbeurteiler deshalb bewusst davon absah, den Beigeladenen zu 2. förmlich zu beteiligen (Anhörung oder Beurteilungsvorschlag nach Nr. 10.1 Satz 3 und 4 BeurtRLThürPol); denn in der Erstbeurteilung ist – anders als bei den Beigeladenen in der Zweitbeurteilung – weder die Anhörung eines Vorgesetzten noch der oben genannte schriftliche Beurteilungsbeitrag als Beurteilungsgrundlage aufgeführt. Das Gespräch mit dem Beigeladenen zu 2., dem die Dienstausübung des Antragstellers aus eigener Anschauung ab 23. Dezember 2016 bekannt war, diente demnach und ausweislich des Aktenvermerks vom 1. Juni 2018 dazu, es als (formlose) „zusätzliche Erkenntnisquelle“ zu nutzen, um ein umfassendes und zutreffendes Bild von dem zu Beurteilenden zu erhalten (Nr. 10.3 Satz 4 und 10.1 Satz 5 BeurtRLThürPol). Dass der Beigeladene zu 2. erst ab dem 23. Dezember 2016 als kommissarischer Leiter der Landespolizeiinspektion eingesetzt war und über die davor liegende Dienstausübung des Antragstellers keine Auskünfte geben konnte, führt nicht zu einer mangelhaften Tatsachengrundlage, weil der Erstbeurteiler in den ersten 19 Monaten des Beurteilungszeitraums unmittelbarer Dienstvorgesetzter des Antragstellers war, als dieser, wie in der Regelbeurteilung ausgewiesen, aufgrund einer Vakanz die Aufgaben des Leiters der Landespolizeiinspektion wahrnahm.
Selbst wenn man das Gespräch mit dem Beigeladenen zu 2. als förmliche Anhörung, mündlichen Beurteilungsvorschlag bzw. Beurteilungsbeitrag auffasste, führt dies nicht zu einem Mangel der Erstbeurteilung des Antragstellers bzw. mittelbar der Zweitbeurteilung und der Auswahlentscheidung. Dabei spricht viel dafür, dass das Verbot der Mitwirkung in Nr. 10.3 Satz 1 BeurtRLThürPol nicht in einem zwar abschließenden, jedoch umfassenderen Sinne zu verstehen ist wie im Fall der Ausschließung von Gerichtspersonen (§ 54 Abs. 2 VwGO), die jede Art der Mitwirkung im vorangegangenen Verwaltungsverfahren umfasst, die Einfluss auf Art und Umfang der ergangenen Entscheidung ausgeübt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Februar 1977 – V C 071.75 – Juris, Rn. 12 a. E., 14; Meissner/Schenk in: Schoch/Schneider, VwGO. Stand 2/2021, § 54, Rn. 24). Denn anders als nach den Maßstäben des § 54 VwGO, § 21 VwVfG, liegt im Beurteilungswesen ein Verstoß gegen die selbstverständliche Pflicht des Dienstherrn, den Beamten gerecht, unvoreingenommen und möglichst objektiv zu beurteilen, nicht schon vor, wenn gegen den Beurteiler die Besorgnis der Befangenheit besteht, sondern erst, wenn er tatsächlich befangen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 1987 – 2 C 36/86 – Juris, Rn. 13; Beschluss vom 24. Juni 1996 – 2 B 97/95 – Juris, Rn. 7; Urteil vom 23. April 1998 – 2 C 16/97 – Juris, Rn. 13). Hinzu kommt, dass in der Neufassung der Beurteilungsrichtlinie vom 13. März 2015 (Nr. 10.3 Satz 1 BeurtRLThürPol) gegenüber der vorigen Fassung des Nr. 6.1.1 Abs. 5 Satz 1 der Beurteilungsrichtlinie der Thüringer Polizei vom 19. März 2001 die Wendung „grundsätzlich“ eingefügt wurde, die im gebotenen Einzelfall ein Abweichen von der Regel gestattet, sofern es dem Ziel einer gerechten Beurteilung auf tragfähiger Tatsachengrundlage entspricht. Vor diesem Hintergrund ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Erstbeurteiler bzw. Antragsgegner die genannte Vorschrift im Sinne der gefestigten obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgelegt und angewandt hat.
Danach ist es ausgeschlossen, einen Beurteiler mit einem gleichrangigen oder einem niedrigeren Statusamt zu bestimmen. Ein Beurteiler im gleichen Statusamt scheidet in der Regel aus, weil die potentielle Konkurrenzsituation zwischen Beurteiler und zu beurteilendem Beamten die erforderliche Neutralität und Objektivität des Beurteilers beeinträchtigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2018 – 2 A 10/17 – Juris, Rn. 16). Anders als bei der Beurteilerzuständigkeit ist es jedoch für die Eignung, einen Beurteilungsbeitrag zu leisten, unschädlich, wenn der als Auskunftsperson dienende Beamte demselben Statusamt angehört. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, wonach der zur Entscheidung berufene Amtsträger bei der Ermittlung des maßgeblichen Tatsachenstoffs bestimmte mögliche Auskunftspersonen von vornherein nicht heranziehen darf, etwa weil diese einen Grund haben könnten, unrichtige Angaben zu machen. Vielmehr muss die Ermittlung des Sachverhalts, auf den ein höchstpersönliches Werturteil gestützt werden soll, umfassend angelegt sein und darf zugängliche und greifbare Erkenntnisquellen nicht von vornherein aussparen, indem auf das Wissen mit dem Sachverhalt vertrauter Auskunftspersonen verzichtet wird. Eine Beteiligung von Konkurrenten am Beurteilungsverfahren stellt nicht von vornherein eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens dar. Jedoch hat der Beurteiler den Auswirkungen, die ein Konkurrenzverhältnis zwischen dem beurteilten Beamten und der Auskunftsperson auf deren Angaben haben kann, bei der Würdigung und Verwertung dieser Informationen Rechnung zu tragen. Der Beurteiler muss sich bewusst sein, dass die Angaben von einem Konkurrenten stammen, und er muss sie vor diesem Hintergrund würdigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2007 – 2 C 2/06 – Juris, Rn. 10: Urteil vom 1. März 2018 – 2 A 10/17 – Juris, Rn. 24; Beschluss des Senats vom 31. Januar 2005 – 2 EO 1170/03 – Juris, Rn. 76, zur maßgebenden Mitwirkung von Konkurrenten an einer Beurteilung; OVG NRW, Beschluss vom 21. März 2017 – 1 B 1361/16 – Juris, Rn. 13).
Durch den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners ist nachvollziehbar dokumentiert, dass der Erstbeurteiler die Konkurrenzsituation und Interessenkollision berücksichtigte. Dabei ist zu beachten, dass der Erstbeurteiler im überwiegenden Teil des Beurteilungszeitraums unmittelbarer Vorgesetzter des Antragstellers war. Hierdurch war er in besonderem Maß in die Lage versetzt, die Angaben des Beigeladenen zu 2. über die Dienstausübung des Antragstellers im Hinblick auf die Konkurrenzsituation und hieraus folgende mögliche Auswirkungen kritisch zu würdigen. Die Eigenständigkeit der Bewertungen des Erstbeurteilers kommt auch darin zum Ausdruck, dass die von ihm erstellte Erstbeurteilung bei der Bewertung einiger Einzelmerkmale gegenüber dem – nicht verwerteten – Beurteilungsbeitrag nach oben abweicht. Die Zweitbeurteilung stimmt in den Bewertungen mit der Erstbeurteilung überein und nimmt auf diese Bezug.
Dass andere Beamte in vergleichbarer Weise wie der Beigeladene zu 2. Angaben zur Tätigkeit des Antragstellers im Beurteilungszeitraum hätten machen können, ist nicht ersichtlich und auch nicht stichhaltig dargelegt. Ein Beurteilungsbeitrag des früheren Präsidenten der Landespolizeidirektion – des Amtsvorgängers des Erstbeurteilers – war entgegen der Ansicht des Antragstellers weder geboten noch angezeigt, da der nachfolgende Präsident der Landespolizeidirektion und Erstbeurteiler seit Anfang 2015, d. h. vor Beginn des Beurteilungszeitraums, im Amt war. Ein Wechsel im Amt des Präsidenten der Landespolizeidirektion fand entgegen dem Vortrag des Antragstellers im Beurteilungszeitraum nicht statt.
Soweit der Antragsteller moniert, dass – anders als bei ihm – bei der Beurteilung der Beigeladenen zu 1. auch Ministerialdirigent a. D. Bischler gehört wurde, verfängt dies nicht. Er wurde nicht in seiner Eigenschaft als früherer Präsident der Landespolizeidirektion, sondern als ehemaliger Leiter der Abteilung 4 des Ministeriums gehört. Dies erklärt sich daraus, dass die Beigeladene zu 1. im Beurteilungszeitraum auch an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Polizei, tätig war und bis zum 14. August 2018 diesen Fachbereich als Vertreterin leitete. Zudem war sie zeitweise mit der Abwesenheitsvertretung des Vertreters des Leiters des Bildungszentrums der Thüringer Polizei beauftragt. Diese Bildungseinrichtungen der Polizei sind dem für die Polizei zuständigen Ministerium unmittelbar nachgeordnet (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Thüringer Polizeiorganisationsgesetz – ThürPOG) und besitzen keine eigenständige Behördeneigenschaft, weil die Behörden der Polizei in § 1 Abs. 2 ThürPOG abschließend aufgezählt sind (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 9. Februar 2017 – 2 EO 802/16 – Juris, Rn. 22).
Die Rüge, der Antragsgegner habe die Schwerbehinderung des Antragstellers nicht berücksichtigt, sondern halte sie ihm noch zu seinen Lasten vor, geht fehl. Die Schwerbehindertenvertretung wurde unmittelbar vor Erstellung der Regelbeurteilung beteiligt. In der Beurteilung für den Antragsteller zum Stichtag 1. Januar 2018 ist die Eigenschaft der Schwerbehinderung des Antragstellers genannt und berücksichtigt. Ansonsten ging der Beurteiler in der Beurteilung ausdrücklich davon aus, dass der Antragsteller im Beurteilungszeitraum körperlich und psychisch voll belastbar sei und demzufolge seine – überdurchschnittliche – Aufgabenerfüllung nicht durch gesundheitliche Einschränkungen beeinträchtigt war; der Antragsteller hat solche Belastungen auch nicht geltend gemacht. Anders als in dem vom Antragsteller zitierten Fall (OVG NRW, Beschluss vom 23. Oktober 2019 – 6 B 720/19 – Juris, Rn. 5 ff.) ist außerdem die Auswahlentscheidung ausschließlich auf die bessere Beurteilung der Beigeladenen gestützt. Die Schwerbehinderung des Antragstellers wird lediglich in dem Zusammenhang erwähnt, dass die Hauptschwerbehindertenvertretung von der Auswahlentscheidung zu unterrichten sei. Der Vortrag des Antragsgegners zur fraglichen gesundheitlichen Eignung des Antragstellers bezieht sich nur auf die Prognose, ob der Antragsteller Aussicht habe, in einem gegebenenfalls erneuten Auswahlverfahren ausgewählt zu werden. Ob für diese Prognose eine ärztliche Begutachtung erforderlich wäre, ist für den vorliegenden Streitfall unerheblich.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Es entspricht der Billigkeit, dem Antragsteller auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 2. aufzuerlegen, der einen Antrag gestellt und sich einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 bis 4 GKG und entspricht der zutreffenden erstinstanzlichen Festsetzung.
Hinweis:
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG in entsprechender Anwendung).


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