Verwaltungsrecht

Ausweisung eines im Bundesgebiet geborenen türkischen Staatsangehörigen, Mehrfache, sich steigernde Delinquenz, Gewaltdelikte und Geldfälschung

Aktenzeichen  19 ZB 21.2053

Datum:
10.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 354
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 5 K 20.2810 2021-06-29 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Der Kläger wendet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 29. Juni 2021, durch das seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2020 abgewiesen worden ist. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte den Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet ausgewiesen sowie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von acht Jahren ab Ausreise aus dem Bundesgebiet angeordnet (Nrn. I.-III. des Bescheids); die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen aufnahmebereiten Staat unmittelbar aus der Haft heraus wurde angeordnet (Nr. IV.) und für den Fall, dass dies nicht möglich ist, wurde der Kläger aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb von sieben Tagen nach Haftentlassung zu verlassen, andernfalls die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht (Nr. V.).
Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) und des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache) liegen nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass sich die gesicherte Möglichkeit der Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt (z.B. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/547), mithin diese Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – DVBl 2004, 838/839). Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsentscheidung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 juris Rn. 12). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung nicht.
Der Kläger trägt vor, bei der Entscheidungsfindung seien wesentliche Aspekte zugunsten des Klägers nicht beachtet worden. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts könne nicht von einer signifikant erhöhten Gefahr für die Begehung zukünftiger Straftaten auf Seiten des Klägers ausgegangen werden. Darüber hinaus sei auch im Rahmen der Prüfung einer etwaigen Wiederholungsgefahr die Frage der Unerlässlichkeit der Ausweisung zu berücksichtigen. Natürlich werde nicht verkannt, dass der Kläger zu zwei erheblichen Freiheitsstrafen verurteilt worden sei. Alleine aus der Verurteilung lasse sich aber keine ausreichende Sicherheit in Bezug auf eine künftige Wiederholungsgefahr ableiten. Die pessimistische Sichtweise des Verwaltungsgerichts sei daher nicht gerechtfertigt. Hierzu sei mitzuteilen, dass das Verwaltungsgericht die im Rahmen des strafgerichtlichen Urteils zutreffenden Strafzumessungsaspekte zugunsten des Klägers nicht im Rahmen der zu treffenden Entscheidung über eine etwaige Wiederholungsgefahr in angemessener Weise gewichtet habe. Der Kläger habe sich vor dem Strafgericht geständig und schuldeinsichtig gezeigt. Der Kläger habe nicht bestritten. Daraus ergebe sich, dass der Kläger bereit sei, seine Taten zu reflektieren. Gerade für Erstverbüßer sei dies von erheblicher Bedeutung. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei der Kläger durchaus in der Lage seine Vergangenheit zu reflektieren und zu bewältigen. Die Schuldeinsicht spreche für die Persönlichkeit und den Charakter des Klägers. Selbstverständlich könne auf Seiten des jungen Klägers von einer charakterlichen Reifung auch schon im Rahmen des Strafvollzugs ausgegangen werden. Selbstverständlich sei der Kläger durch den Strafvollzug nachhaltig beeindruckt. Natürlich müsse zunächst davon ausgegangen werden, dass auf Seiten des Klägers diese Hafterfahrung Wirkung zeige. Gegenteilige Anhaltspunkte lägen nicht vor. Auf den positiven Bericht der JVA werde hingewiesen. Der Kläger führe sich beanstandungsfrei. Aufgrund dieser Umstände könne nicht uneingeschränkt von einer signifikant erhöhten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden. Es werde auch nochmals an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Ausweisung unerlässlich sein müsse, jedoch eine signifikant erhöhte Wiederholungsgefahr auf Seiten des Klägers nicht vorliege. Aus diesem Grund könne auch eine Unerlässlichkeit der Ausweisung nicht vorliegen.
Auf Seiten des Klägers liege ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor. Der Kläger sei im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Das Verwaltungsgericht habe diesen Umstand praktisch nicht in der durchzuführenden Abwägung nach § 53 Abs. 3 AufenthG berücksichtigt. Der Kläger sei im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen. Deutschland sei die Heimat des Klägers. Die gesamte Familie des Klägers lebe im Bundesgebiet. Der Kläger sei erkrankt. Eine Ausweisung stelle einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Klägers nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK dar. Der Kläger sei als faktischer Inländer anzusehen. Diese Umstände hätten viel höheres Gewicht haben müssen. Aus den Gründen sei nicht ersichtlich, ob das Verwaltungsgericht diese Umstände in ausreichendem Maße berücksichtigt habe. Die fehlende Auseinandersetzung dieses Aspekts stelle sich als Rechtsfehler dar. Natürlich müssten sich die Urteilsgründe mit dem schwerwiegenden Bleibeinteresse eines Klägers tiefgehend auseinandersetzen, wenn er sein gesamtes Leben im Bundesgebiet gelebt habe. Ebenso wenig sei verständlich, dass die Ausweisung trotz dieser besonderen Umstände erfolgt sei, obwohl sie nur erfolgen dürfe, wenn sie unerlässlich sei.
Diese Rügen zeigen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils auf.
1.1. Mit seinem Zulassungsvorbringen hat der Kläger die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts nicht ernstlich im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 22.02.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 18; U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8 m.w.N.).
In Annahme des Bestehens eines assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation EWG-Türkei (ARB 1/80) seitens der Beklagten darf der Kläger als insoweit privilegierter Ausländer gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine gegenwärtig schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Die Fassung von § 53 Abs. 3 AufenthG gibt damit den aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleiteten Maßstab wieder, den der EuGH auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, B.v. 8.12.2011 – Ziebell, C-371/80 – juris Rn. 80, BayVGH, U.v. 5.3.2013 – 10 B 12.2219 – juris Rn. 32). Die einem türkischen Staatsangehörigen unmittelbar aus dem Beschluss Nr. 1/80 zustehenden Rechte können ihm nur dann im Wege einer Ausweisung abgesprochen werden, wenn diese dadurch gerechtfertigt ist, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet (EuGH, U.v. 4.10.2007 – Polat, C-349/06 – juris Rn. 35). Eine „gegenwärtige Gefahr“ im Sinne des deutschen Polizeirechts, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und fast mit Gewissheit zu erwarten ist (BVerwG, U.v. 26.2.1974 – I C 31.72 – juris Rn. 32), muss nicht vorliegen (BVerwG, U.v. 27.10.1978 – I C 91.76 – juris Rn. 13 zur Ausweisung von Angehörigen der EG-Staaten). Es ist aber eine nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beurteilende und deswegen nach dem Ausmaß des möglichen Schadens zu differenzierende, hinreichende Wahrscheinlichkeit zu verlangen, dass der Ausländer künftig die öffentliche Sicherheit oder Ordnung stören wird (BVerwG, U.v. 27.10.1978 – I C 91.76 – juris Rn. 13 zur Ausweisung von Angehörigen der EG-Staaten).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). Da jeder sicherheitsrechtlichen Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß zugrunde liegt, sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10/12 – juris Rn. 16; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19/11 – juris Rn. 16; U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; U.v. 6.9.1974 – 1 C 17.73 – juris Rn. 23; U.v. 17.3.1981 – 1 C 74.76 – juris Rn. 29; U.v. 3.7.2002 – 6 CN 8.01 – juris Rn. 41). Bei der Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind. Gerade die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten im Wege einer eigenständigen Prognose ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (stRspr; vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 36; B.v. 8.11.2017 – 10 ZB 16.2199 – juris Rn. 7 m.w.N.). Nur ausnahmsweise bedarf es der Zuziehung eines Sachverständigen, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände – etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen – nicht ohne spezielle fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 5). Im Übrigen kann auch ein Sachverständigengutachten die Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern nur Hilfestellung bieten (BVerwG, U.v. 13.3.2009 – 1 B 20.08 – juris Rn. 5).
Auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens ist nach dem persönlichen Verhalten des Klägers weiter von einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auszugehen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Der am … 1994 im Bundesgebiet geborene Kläger türkischer Staatsangehörigkeit, dem nach befristeten Aufenthaltserlaubnissen am 15. Oktober 2010 eine Niederlassungserlaubnis erteilt wurde, ist im Bundesgebiet wiederholt, in sich steigernder Weise und mit einer beachtlichen Rückfallgeschwindigkeit strafrechtlich in Erscheinung getreten. Von der strafrechtlichen Verfolgung wegen Diebstahls geringwertiger Sachen im September 2009 im Alter von 15 Jahren wurde nach § 45 Abs. 2 JGG abgesehen. Mit Urteil des Amtsgerichts N. vom 7. September 2011 wurde der Kläger wegen Diebstahls schuldig gesprochen und die Weisung erteilt, ein Jahr lang keine Spielhallen und Shisha-Cafes zu besuchen, einen Aufsatz über die Strafbarkeit des Diebstahls vorzulegen und die Ableistung von 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit auferlegt; der Verurteilung lag die Entwendung erheblicher Mengen Münzgeldes in einer Spielhalle zugrunde. Eine weitere Verurteilung wegen Diebstahls (Entwendung von Kopfhörern) zur Ableistung von 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit folgte am 19. September 2012. Am 8. Mai 2013 folgte eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Woche Dauerarrest; der Verurteilung lag zugrunde, dass der Kläger auf offener Straße ohne Vorwarnung und ohne jegliche Rechtfertigung zwei Geschädigten nacheinander wuchtige Faustschläge ins Gesicht zufügte, wobei die Geschädigten erhebliche Verletzungen davontrugen. Am 3. Februar 2017 musste der Kläger erneut wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten mit einer Bewährungszeit von 2 Jahren verurteilt werden, weil er einem Geschädigten zwei derart heftige Schläge ins Gesicht versetzte, dass dieser bewusstlos wurde und noch Wochen nach diesem brutalen Angriff unter Kopfschmerzen und Sehstörungen leiden musste. Unter Einbeziehung dieser Entscheidung folgte am 19. Mai 2017 eine Verurteilung wegen Beleidigung (gegenüber Polizeibeamten) in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten mit einer Bewährungszeit von 3 Jahren. Am 2. Oktober 2018 (rechtskräftig seit 28.3.2019) wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt, weil der Kläger vor einer Diskothek dem Geschädigten ohne rechtfertigenden Grund mit der Faust in das Gesicht schlug, so dass dieser bewusstlos zu Boden fiel, und er dem regungslosen, bewusstlos auf dem Boden liegenden Opfer mehrfach wuchtig mit dem beschuhten Fuß gegen Kopf und Körper trat, was erhebliche Verletzungsfolgen verursachte (diverse Schürfwunden an beiden Wangen und am Kinn, eine offene, blutende Wunde am linken Mundwinkel, die genäht werden musste, Verlust eines Schneidezahns im Oberkiefer und Schmerzen). Mit Urteil des Amtsgerichts N. vom 3. Dezember 2019 wurde der Kläger weiterhin wegen Geldfälschung in Tateinheit mit versuchter Geldfälschung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren 2 Monaten verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass sich der Kläger vor dem 16. Februar 2019 gefälschte 100-Euro-Banknoten zu einem Gesamtnennwert von mindestens 40.000 Euro beschaffte, um diese im Umfeld der Räumlichkeiten der vom Kläger betriebenen Shisha-Bar anschließend gewinnbringend an verschiedene Abnehmer zu veräußern und auf diese Weise in den Zahlungsverkehr gelangen zu lassen. Am 16. Februar 2019 bot er einer polizeilichen Vertrauensperson eine Falschgeldmenge zu einem behaupteten Nennwert von ca. 300.000 – 350.000 EUR zu einem Verkaufspreis von 100.000 EUR zum Kauf an und gab dieser Person zu Testzwecken eine gefälschte 100-Euro-Note in der Erwartung, dass die Banknote in den Zahlungsverkehr gelangen werde. Am 24. Februar 2019 übergab er einem nicht offen ermittelnden Polizeibeamten zwei weitere gefälschte 100-Euro-Noten in der Erwartung, dass dieser die Scheine zu Testzwecken in den Zahlungsverkehr einbringen würde. Weiterhin kam es am 12. März 2019 zum überwachten Verkauf von Falschgeld zu einem Nennwert von 5.000 EUR in 100-Euro-Scheinen an einen nicht öffentlich ermittelnden Polizeibeamten, der ihm hierfür Bargeld im Wert von 500 EUR übergab. Am 9. April 2019 verkaufte der Kläger Falschgeld in Höhe von 10.500 EUR in 100-Euro-Noten zu einem Preis von 3.000 Euro, um dies in den Zahlungsverkehr gelangen zu lassen. Der Kläger befindet sich seit dem 19. April 2019 in Haft; als Haftende ist der 16. März 2025 vorgemerkt.
Die Entwicklung des Klägers nach der den Anlass für die Ausweisung bildenden strafgerichtlichen Verurteilung lässt nicht darauf schließen, dass die durch diese Delinquenz indizierte Gefährlichkeit des Klägers abgenommen hat oder gar beseitigt ist.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass nach dem Verhalten des Klägers und dessen Gesamtpersönlichkeit – insbesondere im Hinblick auf die bei dem Kläger offensichtlich vorliegende unbearbeitete Aggressionsproblematik – mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihm auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, die auch im konkreten Einzelfall ein Grundinteresse der Gesellschaft, insbesondere das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Bürger berührt.
Entgegen dem Zulassungsvorbringen hat das Verwaltungsgericht die strafmildernden Aspekte der Geständigkeit des Klägers (wobei die Quelle des gefälschten Geldes nicht bekannt wurde und aufgrund der polizeilichen Überwachung des Delikts die Beweislage eindeutig war) und der Tatsache, dass es sich bei den Geldfälschungsdelikten um verdeckt überwachte Delikte handelte, berücksichtigt. Demgegenüber hat sich der Kläger hinsichtlich des 2018 abgeurteilten Gewaltdeliktes weder in der Hauptverhandlung des Amtsgerichts N. noch in der Hauptverhandlung des Landgerichts N.- F. zur Sache selbst eingelassen und somit kein Geständnis abgelegt. Zu seinen Lasten wertete das Verwaltungsgericht ebenso wie das Strafgericht zutreffend das massive Vorstrafenregister von überwiegend Eigentums- und massiven Körperverletzungsdelikten. Bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich der Kläger durch sich steigernde strafrechtliche Verurteilungen nicht von der Begehung weiterer, zunehmend gravierender Straftaten hat abhalten lassen: Obgleich der Kläger unter offener Bewährung stand, musste er am 2. Oktober 2018 vom Amtsgericht N. wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 3 Monaten verurteilt werden. Der Kläger hatte nach einem Diskothekenbesuch seinem Opfer ohne ersichtlichen Grund mit der Faust in das Gesicht geschlagen, so dass dieses bewusstlos zu Boden gegangen war. Sodann hatte er dem regungslos und bewusstlos auf dem Boden liegenden Geschädigten gemeinsam mit zwei anderen Tätern mehrfach wuchtig mit dem beschuhten Fuß gegen Kopf und Körper getreten und das Opfer dabei schwer verletzt. Das Strafgericht stellte im Rahmen der Strafzumessung insbesondere die sehr brutale Vorgehensweise ein; zu Gunsten des Klägers spreche wenig. Es sei letztlich nur dem Zufall zu verdanken gewesen, dass nicht schwerere Verletzungen entstanden sind. Gravierend zulasten des Klägers sprachen schon in diesem Urteil die Vorstrafen, insbesondere die Vorstrafen einschlägiger Art, und die laufende Bewährung unter anderem auch wegen eines einschlägigen Delikts.
Trotz dieser Verurteilung vom 2. Oktober 2018 hat sich der Kläger nicht abhalten lassen, nur wenige Monate danach weitere Delikte des Verbrechens der Geldfälschung nach § 146 StGB zu begehen, das dem Schutz des Allgemeininteresses an der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs und des Vertrauens in diesen dient. Auch insoweit hat sich der Kläger nicht von der laufenden Bewährung abhalten lassen.
Die abgeurteilten Straftaten sind schwerwiegend, sie lassen ein erhebliches Aggressionspotential, eine hohe Gewaltbereitschaft und kriminelle Energie sowie eine Missachtung der Rechtsordnung erkennen und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft, weil die davon betroffenen Schutzgüter (körperliche Unversehrtheit und Leben sowie Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs) in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang einnehmen. Die Fälschung von Zahlungsmitteln zählt zu den Bereichen besonders schwerer Kriminalität im Sinne von Art. 83 Abs. 1, Abs. 2 AEUV, welche typischerweise eine grenzüberschreitende Dimension haben. Die Gesamtpersönlichkeit des Klägers, wie sie in seinem abgeurteilten Verhalten zum Ausdruck kommt, lässt nicht nur charakterliche Mängel des Klägers, sondern auch eine erhebliche kriminelle Energie erkennen, die die Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger konkret erwarten lassen. Das mehrfache Bewährungsversagen und die enorme Rückfallgeschwindigkeit sprechen dafür, dass der Kläger nicht bereit ist, sich rechtskonform zu verhalten.
Die bislang beanstandungsfreie Führung während der schützenden und ordnenden Bedingungen der Haft vermag die vom Verhalten des Klägers weiterhin drohende Gefahr nicht maßgeblich zu schmälern oder zu widerlegen. Ein Wohlverhalten in der Haft lässt nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs noch nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 12; B.v. 19.5.2015 – 10 ZB 15.331 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Nach dem Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt (JVA) vom 24. Juni 2021 wird der Gefangene als grober Gewaltstraftäter im Sinne des Art. 15 BayStVollzG geführt. Die Teilnahme an einem Anti-Gewalt-Training sei wegen des Körperverletzungsdeliktes zwar angezeigt, sei jedoch aufgrund der partiellen fehlenden Offenheit bezüglich der Straftat nicht umsetzbar. Beim Kläger liege zwar keine behandlungsbedürftige Suchtproblematik vor, wohl aber bestünden Defizite im Verhalten. Entsprechend dieser Ausführungen ist das Verwaltungsgericht in nicht zu beanstandender Weise von einer offensichtlich vorliegenden unbearbeiteten Aggressionsproblematik beim Kläger ausgegangen, so dass nach dem Verhalten des Klägers und dessen Gesamtpersönlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihm auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Entgegen dem Zulassungsvorbringen ist das Verwaltungsgericht in Anbetracht dessen auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Tatsache, dass der Kläger erstmals Erwachsenenstrafvollzug verbüßt, nicht entscheidend gegen das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr spricht. Zwar gehen die Straf- und Verwaltungsgerichte davon aus, dass die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reife fördern und die Gefahr eines neuen Straffälligwerdens mindern kann (BayVGH, B.v. 16.8.2021 – 19 ZB 19.2491 – juris Rn. 17; B.v. 24.2.2016 – 10 ZB 15.2080 – juris Rn. 12). Ungeachtet dessen, dass der Kläger vor der nunmehrigen Haft schon zweimal einer Freiheitsentziehung in Form von Jugendarrest unterworfen war (und somit einen Eindruck freiheitsentziehender Maßnahmen erhalten hat), ohne dass ihn das von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten hätte, reicht die Verbüßung des Strafvollzugs angesichts des gesamten bisherigen Werdegangs des Klägers und des hohen zu verbüßenden Strafmaßes nicht aus, um die sich aus dem Gesamtverhalten und der Gesamtpersönlichkeit des Klägers ergebende Wiederholungsgefahr entfallen zu lassen. Die sich steigernde, massive Delinquenz des Klägers, abgeurteilt nach Erwachsenenstrafrecht stellt sich nicht (mehr) als Ausdruck jugendlicher Unreife dar. Insbesondere sprechen das zu verbüßende Strafmaß (vorgemerktes Haftende: 16.3.2025), das sich aus mehreren Freiheitsstrafen von zum Teil massiven Straftaten zusammensetzt, das mehrfache Bewährungsversagen und die enorme Rückfallgeschwindigkeit gegen eine die Gefahr nachhaltig mindernde Läuterung des Klägers durch die Haftverbüßung, insbesondere da nach dem Bericht der JVA „eine partielle fehlende Offenheit bezüglich der Straftat“ die nötige Einsicht des Klägers vermissen lässt und mithin nicht auf einen nachhaltigen Einstellungswandel hindeutet.
1.2. Mit seinem Zulassungsvorbringen hat der Kläger die Gesamtabwägung des Verwaltungsgerichts gem. § 53 Abs. 1, 2 und 3 AufenthG nicht ernstlich i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen. Die Ausweisung erweist sich für die Wahrung des Grundinteresses der Gesellschaft als unerlässlich (§ 53 Abs. 3 AufenthG).
Im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit der Ausweisung nach § 53 Abs. 3 AufenthG ist zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind (vgl. BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 BV 13.421 – juris Rn. 77 m.w.N.). Unerlässlichkeit ist dabei entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht im Sinne einer „ultima ratio“ zu verstehen, sondern bringt den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass das nationale Gericht eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen hat (BayVGH, B.v. 27.9.2017 – 10 ZB 16.823 – juris Rn. 20). Auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG ist unter Berücksichtigung des besonderen Gefährdungsmaßstabs für die darin bezeichneten Gruppen von Ausländern eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG durchzuführen.
Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung vor allem mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt.
Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (i.S.v. § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a AufenthG) ist beim Kläger schon infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 2. Oktober 2018 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten gegeben. Das in § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vertypte Ausweisungsinteresse setzt ein Strafmaß von zwei Jahren voraus. Gegenüber dem Kläger wurde darüber hinaus am 3. Dezember 2019 weiter eine zu verbüßende Freiheitsstrafe von 3 Jahren 2 Monaten wegen Geldfälschung in Tateinheit mit versuchter Geldfälschung verhängt, er hat mithin das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sogar mehrfach verwirklicht. Dem steht ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 AufenthG gegenüber, weil der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet (vorliegend bereits lebenslang) aufgehalten hat.
Dem mit der Ausweisung verfolgten Ziel, eine schwere Gefahr (durch weitere Straftaten des Klägers) für ein Grundinteresse der Gesellschaft abzuwehren, kommt angesichts der vorliegenden Einzelfallumstände, insbesondere unter Berücksichtigung der mehrfachen Straffälligkeit des Klägers, der dabei zu Tage tretenden beachtlichen Rückfallgeschwindigkeit und der sich steigernden sowie des hohen Rangs der gefährdeten Rechtsgüter, insbesondere des durch Gewaltdelikte gefährdeten Schutzguts der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ein das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse des Klägers überwiegendes Gewicht zu.
Entgegen der klägerischen Auffassung im Zulassungsvorbringen hat das Verwaltungsgericht alle in die vorzunehmende Gesamtabwägung einzustellenden Umstände berücksichtigt und auch nicht fehlgewichtet. Es hat zum einen die engen und damit besonders schwerwiegenden Bindungen des seit seiner Geburt hier lebenden Klägers in Deutschland gesehen. Es ist bei der gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK vorzunehmenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens beim Kläger als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt und verhältnismäßig anzusehen ist, weil die von ihm ausgehende Gefahr für bedeutende Schutzgüter (insbesondere die körperliche Unversehrtheit), die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, auch unter Berücksichtigung seiner persönlichen Interessen eine Ausweisung unerlässlich macht.
Das Zulassungsvorbringen zeigt insoweit keine Umstände auf, die das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt oder fehlgewichtet hätte. Schließlich hat das Verwaltungsgericht hinsichtlich der nach Art. 6 Abs. 1 GG geschützten familiären Beziehungen des Klägers zutreffend darauf hingewiesen, dass bei erwachsenen Kindern die Beziehungen zu ihrer Herkunftsfamilie an Gewicht und Schutzwürdigkeit verlieren.
Entgegen dem Zulassungsvorbringen steht die geltend gemachte Stellung als „faktischer Inländer“ der Ausweisung nicht entgegen.
Der Begriff „faktischer Inländer“ ist nicht einheitlich definiert, sondern wird in der Rechtsprechung unterschiedlich umschrieben. Das Bundesverwaltungsgericht bezeichnet faktische Inländer als „im Bundesgebiet geborene und aufgewachsene Kinder, deren Eltern sich hier erlaubt aufhalten“ (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2002, 1 C 8/02, BVerwGE 116, 378, juris Rn. 23). Das Bundesverfassungsgericht umschreibt den Begriff mit „hier geborene bzw. als Kleinkinder nach Deutschland gekommene Ausländer“ (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016, 2 BvR 1943/16, InfAuslR 2017, 8, juris Rn. 19). Bei Ausländern, die im Alter von 13 bzw. 14 Jahren eingereist waren und eine gelungene Integration in die Gesellschaft und Rechtsordnung nicht zu verzeichnen war, wurde die Stellung als „faktischer Inländer“ verneint (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 19 CE 17.2454 – juris Rn. 24; B.v. 7.3.2019 – 10 ZB 18.2272 – juris Rn. 10). Letztlich entbindet die Bezeichnung eines Ausländers als „faktischer Inländer“ nicht davon, die im jeweiligen Einzelfall gegebenen Merkmale der Verwurzelung zu prüfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht auch für sog. „faktische Inländer“ kein generelles Ausweisungsverbot (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016, 2 BvR 1943/16, InfAuslR 2017, 8, juris Rn. 19). Bei der Ausweisung im Bundesgebiet geborener Ausländer ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen. Auch nach der Rechtsprechung des EGMR bietet Art. 8 EMRK bei sog. „Zuwanderern der zweiten Generation“ keinen absoluten Schutz vor einer Aufenthaltsbeendigung (vgl. EGMR , U.v. 18. 10. 2006 – 46410/99 Rn. 54 – Üner, NVwZ 2007, 1279).
Im Rahmen der Ermittlung der privaten Belange ist in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Als Gesichtspunkte für das Vorhandensein von anerkennenswerten Bindungen können Integrationsleistungen in persönlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht von Bedeutung sein, der rechtliche Status, die Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote, der Grund für die Dauer des Aufenthalts und Kenntnisse der deutschen Sprache. Diese Bindungen des Ausländers im Inland sind in Beziehung zu setzen zu den (noch vorhandenen) Bindungen an seinen Heimatstaat. Hierzu gehört die Prüfung, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters, seiner persönlichen Befähigung und seiner familiären Anbindung im Heimatland von dem Land seiner Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft entwurzelt ist.
Das geltend gemachte Maß der Verwurzelung im Bundesgebiet steht vorliegend einer Ausweisung nicht entgegen. Der Kläger ist zwar im Bundesgebiet geboren und hat einen Schulabschluss erworben. Er hat die von ihm betriebene Shisha-Bar maßgeblich zur Begehung von Straftaten genutzt. Der Kläger ist ledig und kinderlos. Dem Kläger ist eine Integration in die Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland angesichts der Vielzahl der von ihm begangenen Straftaten nicht geglückt. Er ist seit seinem Heranwachsen immer wieder und in sich steigernder Weise auch wegen massiven Gewaltdelikten straffällig geworden. Die zahlreichen Vorverurteilungen konnten ihn nicht von der Begehung weiterer schwerwiegender Straftaten abhalten. Es wird nicht verkannt, dass sich die streitgegenständliche Ausweisung in Anbetracht der lebenslangen Aufenthaltsdauer des Klägers im Bundesgebiet und seiner hier bestehenden familiären und sozialen Bindungen als gravierender Grundrechtseingriff darstellt. In Anbetracht der Schwere und Vielzahl der Delinquenz des Klägers seit seiner Strafmündigkeit überwiegt jedoch das Ausweisungsinteresse. Es ergibt sich auch aktuell eine Unerlässlichkeit der Ausweisung für die Wahrung des vom Kläger bedrohten Grundinteresses der Gesellschaft.
Dem Kläger ist es somit zumutbar, im Land seiner Staatsangehörigkeit zu leben. Es ist anzunehmen, dass dem Kläger durch seine Sozialisation im türkischstämmigen Elternhaus die heimatstaatlichen Lebensverhältnisse und die türkische Sprache nähergebracht wurden (ausweislich seines Passes hat er Reisen in sein Heimatland unternommen). Selbst wenn verwandtschaftliche Beziehungen im Herkunftsstaat fehlen sollten, wäre dies bei Volljährigen kein Umstand, aus dem sich die Unzumutbarkeit der Rückkehr ableiten lässt (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 27.2.2018 – OVG 3 B 11.16 – juris Rn. 46). Zutreffend hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass die für den Kläger geltend gemachte und wohl medikamentös behandelte Erkrankung an Multiple Sklerose weder durch entsprechende Atteste belegt ist noch eine sich hieraus etwaig ergebende Behandlungs-, Pflege- oder Unterstützungsbedürftigkeit. Ausweislich des Berichtes der JVA ist der Kläger arbeitsfähig; nachdem der junge Mann zunächst in der anstaltseigenen Küche zur Arbeit eingeteilt gewesen sei, sei er ab dem 20. Februar 2020 zum Grundlehrgang Elektro zugelassen worden. Nebenbei unterstütze er die Hausarbeiter seiner Unterkunftseinheit bei der Kostausgabe. Mithin ist trotz einer etwaig bestehenden Erkrankung von der Erwerbsfähigkeit des Klägers auszugehen. Anhaltspunkte dafür, dass die Eingewöhnung in der Türkei, der Aufbau eines Privatlebens und die Eingliederung in das Wirtschaftsleben für den 27-jährigen, ledigen und kinderlosen Kläger mit dem deutschen Schulabschluss der Mittleren Reife unmöglich oder unzumutbar sein könnten, sind nicht ersichtlich.
2. Bezüglich des Zulassungsgrunds des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist schon nicht hinreichend dargelegt, welche besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten die Rechtssache aufweisen sollte. Abgesehen vom Darlegungserfordernis weist die Rechtssache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf.
Besondere tatsächliche Schwierigkeiten einer Rechtssache entstehen durch einen besonders unübersichtlichen und/oder einen schwierig zu ermittelnden Sachverhalt. Ob besondere tatsächliche Schwierigkeiten bestehen, ist unter Würdigung der aufklärenden Tätigkeit des Verwaltungsgerichts zu beurteilen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 33). Eine Rechtssache weist besondere rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn eine kursorische, aber sorgfältige, die Sache überblickende Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung keine hinreichend sichere Prognose über den Ausgang des Rechtsstreits erlaubt. Die Offenheit des Ergebnisses charakterisiert die besondere rechtliche Schwierigkeit und rechtfertigt – insbesondere zur Fortentwicklung des Rechts – die Durchführung des Berufungsverfahrens (Happ, a.a.O., § 124 Rn. 16, 25, 27). Dabei ist der unmittelbare sachliche Zusammenhang des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO mit Abs. 2 Nr. 1 VwGO in den Blick zu nehmen (Happ, a.a.O., Rn. 25). Schwierigkeiten solcher Art liegen vor, wenn der Ausgang des Rechtsstreits aufgrund des Zulassungsvorbringens bei summarischer Prüfung als offen erscheint und sich die aufgeworfenen Rechts- und Tatsachenfragen nicht schon ohne Weiteres im Zulassungsverfahren, sondern erst in einem Berufungsverfahren mit der erforderlichen Sicherheit klären und entscheiden lassen.
Die erforderliche Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung führt hier zur Prognose, dass diese zurückzuweisen wäre. Da die vom Kläger vorgebrachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht bestehen (vgl. Nr. 1.), ist die Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht besonders schwierig.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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