Verwaltungsrecht

Ausweisung eines irakischen Staatsangehörigen, Verlobung, Verwurzelung, Ablehnung Aufenthaltserlaubnis, Passvorlageanordnung

Aktenzeichen  AN 11 K 21.01665

Datum:
9.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5890
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG §§ 53 ff.
AufenthG §§ 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 50 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3.Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Klägerseite über die Sache verhandeln und entscheiden, da der Kläger ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid vom 19. August 2021 i.d.F. vom 9. März 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, der Kläger hat derzeit auch weder einen Anspruch auf Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots noch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).
1. Soweit die Zwangsmittelandrohung angefochten wird, besteht nach deren Aufhebung bereits kein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers.
2. Die Ausweisung des Klägers durch den Beklagten ist auch im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtmäßig und verletzt diesen nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gleiches gilt für die Passhinterlegungsanordnung in Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids. Auch das auf die Dauer von sechs Jahren ab Ausreise/Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot und die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sind nicht zu beanstanden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid vom 19. August 2021 i.d.F. vom 9. März 2022 und auf den Beschluss der Kammer vom 30. September 2021 (AN 11 S 21.01664) verwiesen, § 117 Abs. 5 VwGO (analog). Ergänzend ist auszuführen:
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung und der Befristungsentscheidung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – BVerwGE 157, 325).
a) Die vom Kläger angefochtene Ausweisung ist rechtmäßig.
aa) Die verfügte Ausweisung stützt sich auf § 53 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in Verbindung mit § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Danach wiegt das Ausweisungsinteresse besonders schwer, wenn der Ausländer rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). Da jeder sicherheitsrechtlichen Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß zugrunde liegt, sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10/12 – juris Rn. 16; U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19/11 – juris Rn. 16; U.v. 3.7.2002 – 6 CN 8.01 – juris Rn. 41; U.v. 17.3.1981 – 1 C 74.76 – juris Rn. 29; U.v. 6.9.1974 – 1 C 17.73 – juris Rn. 23).
Der Kläger wurde mit Urteil des Landgerichts … vom 13. November 2020 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung und vorsätzlichen unerlaubten Führens einer Schusswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen eines verbotenen Gegenstandes verurteilt. Die Kammer geht davon aus, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger erneut die öffentliche Sicherheit durch vergleichbare Straftaten, insbesondere auch Gewaltdelikte beeinträchtigen wird. Der Kläger hat schwere Straftaten begangen und es besteht eine erhebliche Wiederholungsgefahr. Die Gefahrenprognose wird konkret durch das Verhalten des Klägers im Bundesgebiet getragen, der bereits mehrfach strafrechtlich (u.a. wiederholt wegen Körperverletzungsdelikten) in Erscheinung trat. Die – der Ausweisung zugrundeliegende – Anlassstraftat zeigt, dass Gewalttaten, wie Vorahndungen belegen, der Persönlichkeit des Klägers nicht wesensfremd sind; vielmehr hat der Kläger aus relativ geringem Anlass aggressiv reagiert, obwohl er unter laufender Bewährung stand, und insoweit auch eine hohe Rückfallgeschwindigkeit gezeigt. Der Aufenthalt des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 53 Abs. 1 AufenthG; mangels derzeitiger Rechtsstellung als Flüchtling findet der besondere Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3a bzw. 3b AufenthG keine Anwendung Die Beklagte hat die Ausweisung auf spezialpräventive Gründe gestützt. Dies ist vorliegend nicht zu beanstanden.
Zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ist davon auszugehen, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger erneut die öffentliche Sicherheit durch vergleichbare Straftaten beeinträchtigen wird. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die körperliche Unversehrtheit des Menschen ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut ist (vgl. BayVGH, B.v. 26.10.2016 – 19 C 15.2217 – juris). Das Gericht geht mit der Beklagten davon aus, dass nach dem persönlichen Verhalten des Klägers und aufgrund der konkreten Umstände des Falls – auch mit Blick auf Tatmotiv und -bild – mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihm auch künftig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht; dies gilt insbesondere mit Blick darauf, dass der Kläger bereits als Heranwachsender und seither mehrfach Körperverletzungsdelikte begangen hat. Allein der Vortrag im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens führt insoweit zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Insbesondere kann mit Blick auf die geltend gemachte Beschäftigungsmöglichkeit und die beabsichtigte Eheschließung in Würdigung der Gesamtumstände insoweit keine „Zäsur“ in der Lebensführung des Klägers nach der Straftat vom 4./5. März 2020 gesehen werden, die eine straffreie Lebensführung erwarten ließe. Vielmehr hielten ihn auch in der Vergangenheit die Beziehung zur Mutter seiner Tochter und deren Geburt nicht von der Begehung weiterer Straftaten ab. Die Kammer ist daher – wie auch bereits im vorgenannten Beschluss vom 30. September 2021 dargelegt – der Auffassung, dass aufgrund des Gesamtverhaltens und der Persönlichkeit des Klägers sowie im Hinblick auf die längerfristig angelegte ausländerrechtliche Gefahrenprognose und den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Kläger wieder straffällig wird.
bb) Unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände und nach Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG) mit dem privaten Bleibeinteresse (§ 55 AufenthG) des Klägers ist das Verwaltungsgericht der Überzeugung, dass hier das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers sein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und die Ausweisung auch nicht gegen höherrangige Normen verstößt. Die Ausweisung erweist sich unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig.
Bei der Abwägung sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen (§ 53 Abs. 2 AufenthG).
Vorliegend ist ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gegeben, das im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Bleibeinteressen des Antragstellers – auch mit Blick auf die geltend gemachte Verlobung sowie die minderjährige Tochter, für die nach Aktenlage kein Sorgerecht (mehr) und zu der auch kein sog. Näheverhältnis besteht, – überwiegt. Selbst wenn zugunsten des Klägers ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG unterstellt und zudem von einem schwerwiegenden Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG ausgegangen wird, da er nach Aktenlage ein Umgangsrecht für seine Tochter hat, steht dies vorliegend einer Aufenthaltsbeendigung nicht zwingend entgegen. Zu den Familienangehörigen i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG zählen u.a. Ehegatten und Kinder, das geltend gemachte Verlöbnis mit einer deutschen Staatsangehörigen genügt allerdings nicht (vgl. Bauerin Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 55 AufenthG Rn. 11 m.w.N.). Die Vorschrift des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG vermittelt ein besonders schwerwiegendes Bleiberecht nicht in Anknüpfung an die Rechtsstellung eines Personensorge- oder Umgangsberechtigten, sondern auf Grund einer tatsächlich gelebten Nähebeziehung im Sinne einer familiären Lebensgemeinschaft oder sozial-familiären Beziehung (vgl. Fleuß in BeckOK AuslR, Stand 1.2.2022, § 55 AufenthG Rn. 38). Im Rahmen der Ausübung des Personensorge- oder Umgangsrechts kommt es zwar nicht auf ein familiäres Zusammenleben im Sinne einer häuslichen Gemeinschaft an (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, 13. Aufl. 2020, § 55 AufenthG Rn. 13), maßgeblich ist jedoch die tatsächliche Ausübung des Sorge- bzw. Umgangsrechts, nicht dessen bloßes Bestehen; es geht um eine tatsächlich gelebte Nähebeziehung, d.h. ein tatsächliches Kümmern um den deutschen Minderjährigen (vgl. Katzer in BeckOK MigR, Stand 1.5.2021, § 55 AufenthG Rn. 23). Der Kläger lebte in den letzten Jahren weder mit seiner nunmehrigen Verlobten noch mit der Kindsmutter und seiner Tochter in häuslicher Gemeinschaft, sondern zog bereits im März 2014 wieder in den elterlichen Haushalt. Er hat sich nach den Angaben der Kindsmutter nicht persönlich in die Kindeserziehung eingebracht und auch das Umgangsrecht haftbedingt immer wieder nicht wahrgenommen. Angesichts dessen, dass sich der Kläger seit dem Jahr 2017 wiederholt über längere Zeit in Haft befindet, zunächst vom 29. März 2017 bis 26. Januar 2018 und nunmehr erneut seit 5. März 2020, d.h. die letzten fünf Jahre überwiegend in Haft war (s.a. Haftzeitübersicht Bl. 691 und 886 Behördenakte), ist davon auszugehen, dass bereits keine tatsächlich gelebte Nähebeziehung des Klägers zu seiner Tochter besteht. Der Kläger verweist im Rahmen des Klageverfahrens lediglich darauf, dass er vor der Inhaftierung Kontakt zu seiner Tochter gehabt habe.
Das geltend gemachte Maß der Verwurzelung im Bundesgebiet steht vorliegend einer Ausweisung nicht entgegen. Bei Ausländern, die ungefähr im Alter des Klägers eingereist waren und bei denen eine gelungene Integration in die Gesellschaft und Rechtsordnung nicht zu verzeichnen war, wurde die Stellung als „faktischer Inländer“ verneint (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2022 – 19 ZB 21.2053 – juris Rn. 30; B.v. 26.11.2018 – 19 CE 17.2454 – juris Rn. 24; B.v. 7.3.2019 – 10 ZB 18.2272 – juris Rn. 10). Im Übrigen besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch für sog. „faktische Inländer“ kein generelles Ausweisungsverbot (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – InfAuslR 2017, 8), wobei der Begriff „faktischer Inländer“ nicht einheitlich definiert, sondern in der Rechtsprechung unterschiedlich umschrieben ist; das Bundesverwaltungsgericht stellt auf „im Bundesgebiet geborene und aufgewachsene Kinder, deren Eltern sich hier erlaubt aufhalten,“ ab (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2002 – 1 C 8/02 – BVerwGE 116, 378), das Bundesverfassungsgericht umschreibt den Begriff mit „hier geborene bzw. als Kleinkinder nach Deutschland gekommene Ausländer“ (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 a.a.O.). Auch die Bezeichnung eines Ausländers als „faktischer Inländer“ entbindet nicht davon, die im jeweiligen Einzelfall gegebenen Merkmale der Verwurzelung zu prüfen. Im Rahmen der Ermittlung der privaten Belange ist in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Der Kläger ist zwar im Mai 2001 als Minderjähriger im Familienverband mit seinen Eltern in das Bundesgebiet eingereist und hat nach Aktenlage einen Hauptschulabschluss erworben, jedoch keine Berufsausbildung absolviert. Dem Kläger ist eine Integration in die Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland angesichts der Vielzahl der von ihm begangenen Straftaten nicht geglückt; die Beklagte hat insoweit zutreffend dargelegt, dass die berufliche Tätigkeit des Klägers, der nach Aktenlage zuletzt als Messebauer bei seinem Vater tätig war, haftbedingt von keiner Konstanz geprägt war. Der Kläger ist seit seinem Heranwachsen immer wieder und in sich steigernder Weise auch wegen Gewaltdelikten straffällig geworden. Die zahlreichen Vorverurteilungen konnten ihn nicht von der Begehung weiterer schwerwiegender Straftaten abhalten. Es wird nicht verkannt, dass sich die streitgegenständliche Ausweisung in Anbetracht der langen Aufenthaltsdauer des Klägers im Bundesgebiet und seiner hier bestehenden familiären und sozialen Bindungen als gravierender Eingriff darstellt. In Anbetracht der Schwere und Vielzahl der Delinquenz des Klägers seit seiner Strafmündigkeit überwiegt jedoch das Ausweisungsinteresse.
Zum Irak als seinem Geburts- und Herkunftsstaat hat er nach seinen Darlegungen wohl kaum Bezug; es ist aber anzunehmen, dass der Kläger als Kind vormaliger irakischer Asylbewerber die arabische Sprache ausreichend beherrscht. Der Kläger ist arbeitsfähig, sodass davon auszugehen ist, dass er sich im Irak wieder integrieren kann. Eine Ausreise des Klägers hätte auch für Dritte keine unzumutbaren Folgen. Insbesondere zu seiner Tochter, die auch bisher bei ihrer Mutter aufwächst, kann er auch mittels Fernkommunikation Kontakt aufnehmen bzw. halten. Die Ausweisung erweist sich auch mit Blick auf die im Rahmen des Ausweisungsverfahrens geltend gemachte Verlobung mit … – die von der Beklagten im Bescheid berücksichtigt wurde – nicht als unverhältnismäßig; die Eheschließung steht vorliegend nicht unmittelbar bevor, da der Termin der Eheschließung nicht feststeht und die formellen Voraussetzungen der Eheschließung noch nicht vorliegen (vgl. BayVGH, B.v. 5.5.2021 – 10 CE 21.1228 – juris Rn. 20; s.a. nachfolgend unter b bzw. c), zumal im Übrigen nach Aktenlage diese Beziehung vor der Inhaftierung noch nicht bestanden haben dürfte.
b) Die Verfügung in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids, mit der das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG auf die Dauer von sechs Jahren ab Verlassen des Bundesgebietes befristet wurde, ist ebenfalls rechtmäßig.
Nach den im vorgenannten Beschluss vom 30. September 2021 dargelegten Maßstäben ist die festgesetzte Frist derzeit nicht zu lang. Durchgreifende Ermessensfehler sind nicht ersichtlich und auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht geltend gemacht worden. Soweit der Kläger die Dauer angesichts der bevorstehenden Heirat nunmehr als unverhältnismäßig erachtet, ist festzuhalten, dass das Verlöbnis seitens der Beklagten bereits bei der Abwägung im Rahmen der Ausweisung, an die das Einreise- und Aufenthaltsverbot anknüpft, berücksichtigt wurde. Schließlich fehlt es für einen Vorwirkungsschutz gemäß Art. 6 GG an einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung.
Im Übrigen bleibt es dem Kläger unbenommen, nach tatsächlich erfolgter Eheschließung einen Antrag auf Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu stellen.
c) Die Beklagte hat zu Recht den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids abgelehnt; der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Aufenthaltserlaubnis. Die Passvorlageverpflichtung in Nr. 4 des Bescheids auf der Grundlage von §§ 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, 50 Abs. 5 AufenthG ist ebenfalls rechtmäßig.
Zuletzt wurde dem vollziehbar ausreisepflichtigen Kläger eine Duldung erteilt. Wie der Beklagte zutreffend ausgeführt hat, steht der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis bereits die Titelerteilungssperre des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG entgegen. Seit der Änderung des § 25 Abs. 5 AufenthG zum 1. August 2015 kann im Übrigen ein ausgewiesener Ausländer ohne Beseitigung der Sperrwirkung auch nach dieser Vorschrift keinen Aufenthaltstitel erhalten (vgl. Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2019, § 53 AufenthG Rn. 73). Überdies sind die seitens der Beklagten im Bescheid genannten allgemeinen (u.a. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG – Nichtbestehen eines Ausweisungsinteresses) und speziellen Erteilungsvoraussetzungen nicht gegeben.
Die Beklagte lehnte – unabhängig davon, dass der Kläger einen Aufenthaltstitel zum Zweck des Familiennachzugs mit Blick auf seine Tochter bzw. für eine Erwerbstätigkeit beantragte (BL. 454 ff. Behördenakte) – die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch mangels eines Anspruchs des Klägers nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zu Recht ab. Die Ausreise des Klägers ist nicht wegen Unvereinbarkeit mit der unter den Schutz des Art. 6 GG und des Art. 12 EMRK fallenden Eheschließungsfreiheit rechtlich unmöglich. Denn die Eheschließung steht nicht unmittelbar bevor; es wurde weder eine Anmeldung der Eheschließung (bzw. Positivmitteilung des Standesamtes) noch ein durch das zuständige Standesamt zeitnah bestimmter bzw. bestimmbarer Eheschließungstermin vorgelegt (vgl. zum Ganzen BayVGH, B. 5.5.2021 – 10 CE 21.1228 – juris; B.v. 28.11.2016 – 10 CE 16.2266 – juris Rn. 11 m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Dezember 2021, § 7 AufenthG Rn. 22).
3. Die Klage war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ZPO.


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