Verwaltungsrecht

Ausweisung wegen Straffälligkeit (BtM-Delikte)

Aktenzeichen  M 25 K 19.54

Datum:
22.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21952
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53, § 54, § 55 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 5
GG Art. 6
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

1. Bei Straftaten, die auf der Suchterkrankungen eines Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat.  (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein längerer Auslandsaufenthalt des Ausländers im Anschluss an die Haft muss für dessen minderjährigen Sohn keine Umwälzung der bisherigen Lebensverhältnissen darstellen, wenn der Sohn während der Haft geboren wurde und keine gelebte Vater-Kind-Beziehung besteht. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Das fünf bzw. siebenjährige Einreise- und Aufenthaltsverbot ist ebenfalls rechtmäßig ergangen (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
I.
Die Ausweisung des Klägers erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12) als rechtmäßig.
1. Rechtsgrundlage für die Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG, wonach ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen wird, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen der Ausreise mit den Interessen am weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Der weitere Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet stellt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG dar, da mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Kläger erneut erheblich straffällig wird (vgl. zum Prognosemaßstab BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris). Beim Kläger handelt es sich um einen Wiederholungstäter, der nach eigenen Angaben im Alter von 14 Jahren mit dem Konsum von Marihuana (bis zu seiner ersten Festnahme im Jahre 2015 in der Regel 5-6 Joints am Tag, danach bis zu seiner zweiten Festnahme im Jahre 2017 regelmäßiger Konsum ein bis zwei Mal wöchentlich) und im Alter von 16 Jahren mit dem Dealen der Droge begonnen hat. Vereinzelt hat der Kläger auch Kokain konsumiert. Etwa 3 Monate vor seiner Inhaftierung hat er angefangen, mit Kokain zu handeln. Vor seiner Verurteilung im Jahre 2018 wurde der Kläger bereits im Oktober 2016 durch das AG … ebenfalls wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Der Kläger hat sich trotz entsprechender Vorverurteilungen – Jugendarrest und richterlicher Weisungen nach dem Jugendstrafrecht – nicht davon abhalten lassen, erneut in erheblichem Umfang und innerhalb relativ kurzer Zeit nach den zuvor erfolgten Vorahndungen straffällig zu werden. Zwar stellt der Führungsbericht der JVA … vom 3. April 2019 den Kläger als höflichen, ruhigen, gewissenhaften und sehr zuverlässigen Gefangenen dar. Allerdings ist davon auszugehen, dass der Kläger sich unter dem Eindruck der Haft entsprechend verhält. Bis zu seiner Inhaftierung ist der Kläger nicht durch ein diszipliniertes und geordnetes Lebens aufgefallen. Unabhängig von seiner wiederholten Straffälligkeit hat der Kläger zudem seine Ausbildung kurz vor deren Abschluss beendet, weil er die mündliche Prüfung nicht bestanden hat und offenbar keine Motivation aufgebracht, diese zu wiederholen. Nach seiner Haftentlassung wird der Kläger in ein familiäres und persönliches Umfeld zurückkehren, das bereits vor seiner Inhaftierung nicht stabil genug war, um ihn von schweren Straftaten abzuhalten und ihm das nötige Durchhaltevermögen zu vermitteln. Der Kläger hat sich im Rahmen des Strafverfahrens im Übrigen dahingehend eingelassen, dass er selbst erstaunt gewesen sei, wie er vom anfänglichen Eigenkonsum über gelegentliche Verkäufe zu einem Drogendealer dieses Kalibers geworden sei. Es habe sich eine Eigendynamik entwickelt, da ihm immer größere Mengen zu immer günstigeren Einkaufspreisen angeboten worden seien, die es ihm ermöglicht hätten, immer größere Gewinne zu machen. Dieser Verlockung des einfachen, schnellen Geldes habe er nicht widerstehen können und es auch genossen, wenn sich Leute, die Marihuana kaufen wollten, an ihn wandten, weil sie ihm vertrauten oder seinen Rat suchten. Der Kläger wird nach der Haft in das gleiche Umfeld zurückkehren. In diesem Zusammenhang ist außerdem zu berücksichtigen, dass auch die Brüder des Klägers und offenbar auch der Cousin in der Betäubungsmittelszene aktiv sind. Der Kläger verfügt über keine abgeschlossene Ausbildung. Es besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass er mangels Stabilität und Orientierung erneut versuchen wird und verlockt ist, „einfaches und schnelles Geld“ zu machen. Daran ändert auch nichts, dass der Kläger angab, nach der Haft bei seinem Vater oder seiner Cousine arbeiten zu wollen. Bereits vor seiner Haft hat der Kläger bei seinem Vater gearbeitet und konnte sich dennoch kein selbständiges Leben jenseits der Kriminalität aufbauen.
Darüber hinaus ist im Hinblick auf die Frage der Wiederholungsgefahr und die in diesem Zusammenhang zu fällende Prognoseentscheidung entscheidungserheblich, dass bei dem Kläger eine bisher nicht therapierte Suchtproblematik besteht. Nach eigenen Angaben hat der Kläger im Alter von 14 Jahren mit dem Konsum von Marihuana begonnen und war in der Folge stets im Drogenmilieu verhaftet. Zwar gab der Kläger an, dass er seit seiner Inhaftierung den Drogenkonsum eingestellt habe. Darüber hinaus führten der Kläger sowie sein Bevollmächtigter im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft aus, dass der Kläger eine Drogentherapie machen wolle. Er hoffe auch, sich nach der Therapie aus dem kriminellen Milieu lösen zu können; er wolle ein Vorbild für seinen Sohn sein und hoffe, dass seine Verlobte ihn motiviere. Ausweislich der Akten läuft ein Verfahren nach § 35 BtMG. Der Zustimmungsbeschluss des Landgerichts München I ist am 1. April 2019 bereits erfolgt. Die Kostenübernahmeerklärung der Rentenversicherung steht im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nach Angaben des Klägers noch aus.
Gerade bei Straftaten, die auf der Suchterkrankungen eines Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr jedoch nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (BayVGH, B.v. 9.5.2019 – 10 ZB 19.317 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 7.11.2016 – 10 ZB 16.1437 juris – Rn. 7; BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 B 14.1613 – juris Rn. 32).
Unabhängig davon gefährdet der Aufenthalt des Klägers auch im Hinblick auf generalpräventive Erwägungen die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Auch allein generalpräventive Gründe können ein Ausweisungsinteresse begründen (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn. 16). Andere Ausländer sollen davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen.
Der Kläger hat einen schwunghaften Drogenhandel betrieben. Die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit der Bürger nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein „großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit“ (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 – Rs. C – 145/09, Tsakouridis – NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Der Drogenhandel stellt eine schwere Beeinträchtigung grundlegender gesellschaftlicher Interessen dar (BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 13/12 – juris Rn. 12).
2. Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der gegenläufigen Interessen ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt und die Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist, § 53 Abs. 1 AufenthG.
a. Aufgrund der Verurteilung des Klägers vom 7. August 2018 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor.
Dem steht auf Seiten des Klägers ein Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber, da der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besitzt, in der Bundesrepublik geboren ist und sich seither stets in Deutschland aufgehalten hat. Ein Bleibeinteresse des Klägers gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 bzw. Abs. 2 Nr. 3 AufenthG besteht nicht. Der Kläger hat zwar die Vaterschaft für den gemeinsamen Sohn anerkannt und eine Sorgeerklärung abgegeben. Das Kind wurde jedoch während der Untersuchungshaft geboren. Der Kläger lebte zu keinem Zeitpunkt mit dem Kind in familiärer Lebensgemeinschaft. Der Kläger übt nach Auffassung des Gerichts weder das Personensorgerecht noch ein Umgangsrecht aus. Zwar besucht die Verlobte des Klägers diesen mit dem gemeinsamen Sohn sehr regelmäßig in der Haft. Jedoch führte die Verlobte des Klägers lediglich aus, dass der Kläger dann mit seinem Sohn in der Besucherecke spiele. Weitere Ausführungen zu dem Verhältnis des Klägers zu seinem Sohn und das gelebte „Elternsein“ wurden nicht gemacht.
Gleichwohl liegt ein Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG vor, da die Belange und das Wohl des Kindes zu berücksichtigen sind.
b. Unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten persönlichen Belange des Klägers und der Positionen aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK überwiegt jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers. Die Entscheidung wahrt im Übrigen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Zwar berührt die Ausweisung des Klägers seine familiären Beziehungen zu seinen Eltern, Geschwistern, seiner Verlobten und den in der Bundesrepublik lebenden Verwandten, Art. 6 Abs. 1 GG. Der Kläger hat auch bis zu seinem Haftantritt bei den Eltern gemeinsam mit seiner Verlobten und den Brüdern gewohnt. Diese verwandtschaftlichen Beziehungen des Klägers sind zwar grundsätzlich geschützt. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich hieraus kein unmittelbarer Anspruch auf Aufenthalt ergibt, sondern dass er die Behörden verpflichtet, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen den Bindungen des ausgewiesenen Ausländers zu Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindung Rechnung zu tragen. Eine Ausweisung greift in diese familiären Beziehungen ein. Den Bindungen zu erwachsenen Familienangehörigen darf in der grundrechtlich gebotenen Abwägung jedoch regelmäßig ein geringeres Gewicht beigemessen werden als im Verhältnis von Eltern zu minderjährigen Kindern. In Bezug auf Bindungen zu volljährigen Familienangehörigen gebieten es die Schutzwirkungen regelmäßig nicht, einwanderungspolitische Gründe oder sonstige öffentliche Belange, die gegen einen angestrebten Daueraufenthalt sprechen, zurückzustellen. Ausweislich seiner wiederholten Straffälligkeit und der abgebrochenen Ausbildung hat sich der Kläger einer Beeinflussung durch seine Familie bzw. seine Eltern bereits über einen längeren Zeitraum entzogen. Die Familie des Klägers ist nicht auf seine Unterstützung angewiesen. Den Kontakt zu seiner Familie kann der Kläger auch über die neuen elektronischen Medien aufrechterhalten.
Die Ausweisung ist auch unter Berücksichtigung des minderjährigen Sohnes des Klägers mit Art. 6 GG vereinbar. Zwar ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass, betreffen aufenthaltsrechtliche Entscheidungen den Umgang mit einem Kind, maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen ist. Hohes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das die Trennung vom Vater nicht richtig begreifen kann (BayVGH, B.v. 2.11.16 – 10 ZB 15.2656 – Rn. 13 – juris). Im vorliegenden Fall ist die Ausweisung des Klägers trotz des minderjährigen Sohnes jedoch gleichwohl mit Art. 6 GG vereinbar, da zwischen dem Kläger und seinem Sohn keine gelebte VaterKind-Beziehung besteht bzw. jemals bestanden hat. Der Sohn des Klägers wurde während dessen Haft geboren. Auch wenn die Verlobte des Klägers in der mündlichen Verhandlung ausführte, dass ihr Sohn im Rahmen der zahlreichen Besuche des Klägers in der JVA mit seinem Vater in der Besucherecke spiele, so reicht dies für die Annahme einer gelebten Vater-Kind-Beziehung nicht aus. Die Trennung von seinem Vater bzw. dessen Abwesenheit in täglichen Abläufen ist für den Sohn des Klägers Normalität. Dass die Verlobte des Klägers Problemstellungen im Alltag als alleiniger Elternteil bewältigt, ist für den Sohn gelebte Realität. Ein längerer Auslandsaufenthalt des Klägers im Anschluss an die Haft wird für den Sohn keine Umwälzung in seinen bisherigen Lebensverhältnissen darstellen.
Auch unter Berücksichtigung des Rechts auf Achtung des Privatlebens i.S.d. Art. 8 Abs. 1 EMRK ist die Ausweisungsentscheidung nicht unverhältnismäßig. Das von Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistet Recht auf Achtung des Privatlebens ist als Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu verstehen, die für das Leben eines Menschen in der Gesellschaft konstitutiv sind und denen – angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit des Menschen – bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (BVerwG, U.v. 22.5.2012 – 1 C 6/11 – juris).
Zwar ist der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK aufgrund der Geburt des Klägers im Bundesgebiet und des durchgehenden Aufenthalts eröffnet. Der durch die Ausweisung erfolgende Eingriff ist aber verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK. Danach darf eine Behörde in die Ausübung des in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechts eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale und öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten notwendig ist.
Unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Boultif-Üner-Kriterien (EGMR, U.v. 2.8.2001 – 54273-00, Boultif; U.v.v 5.7.2005 – 46410/99; U. Große Kammer v. 18.10.2006 – 46410/99, Üner) erweist sich die Ausweisung des Klägers als verhältnismäßig.
Der Kläger ist im Bundesgebiet geboren. Er spricht zwar perfekt Deutsch und hat die Hauptschule mit dem qualifizierenden Hauptschulabschluss verlassen. Vor seiner Inhaftierung hat der Kläger bei seinen Eltern mit seinen Geschwistern und seiner Verlobten gewohnt. In der Zeit vom 1. September 2013 bis 22. Februar 2017 hat sich der Kläger ausweislich des Rentenversicherungsverlaufs in Ausbildung befunden und im Anschluss bis zu seiner Inhaftierung in dem Trockenbautreib seines Vaters gearbeitet. Jedoch hat der Kläger seine Ausbildung kurz vor deren Abschluss abgebrochen und die ausstehende Prüfung nicht mehr wiederholt. Insofern kann nur von einer bedingten beruflichen Integration ausgegangen werden, zumal der Kläger jedenfalls während der Zeit, in der er im Betrieb seines Vaters gearbeitet hat, über seinen Lohn nicht selbstständig verfügen konnte (die Bankkarte für sein Konto hatten seine Eltern, die mit dem überwiegenden Teil des Geldes die Familie im Kosovo unterstützten). Erschwerend kommt hinzu, dass der Kläger bereits im Jugendalter wiederholt straffällig geworden ist (Betäubungsmitteldelikte). Trotz entsprechender Verurteilungen – Jugendarrest und richterliche Weisung nach dem Jugendstrafrecht – hat sich der Kläger nicht davon abhalten lassen, erneut, in erheblicherem Umfang und innerhalb relativ kurzer Zeit nach den zuvor erfolgten Vorahndungen straffällig zu werden. Auch die zuletzt abgeurteilten Straftaten – den schwunghaften Drogenhandel – beging der Kläger als junger Erwachsener mit 19 bzw. 20 Jahren. Von einer typischen Jugenddelinquenz kann angesichts der mehrmaligen Verurteilungen, der Schwere und des Umfangs der Straftaten jedoch nicht ausgegangen werden. Im Übrigen besteht, dies bestätigt auch der Haftführungsbericht der JVA vom 3. April 2019, bei dem Kläger eine behandlungsbedürftige Suchtmittelproblematik.
Der Kläger hat sich darüber hinaus einer Beeinflussung durch seine Familie, seine Eltern, ausweislich seiner wiederholten Straffälligkeit und der abgebrochenen Ausbildung bereits über einen längeren Zeitraum entzogen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die Beziehungen zwischen Erwachsenen nicht notwendigerweise dem Schutz des Art. 8 EMRK unterliegen, wenn nicht besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen, als normale affektive Beziehungen (vgl. EGMR, U.v. 17.4.2003 – 52853/99 Yilmaz/Deutschland – juris Rn. 44). Die Familie des Klägers ist nicht auf seine Unterstützung angewiesen. Anhaltspunkte, die ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis des Klägers zu seiner Familie begründen würden, sind für das Gericht nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden. Den Kontakt zu seiner Familie kann der Kläger auch über die neuen elektronischen Medien aufrechterhalten. Sollte die Verlobte des Klägers dem Kläger gemeinsam mit dem Sohn in den Kosovo folgen, so ist dies unter Berücksichtigung aller Umstände möglich und zumutbar. Die Verlobte des Klägers ist im Besitz eines kosovarischen Nationalpasses. Ausweislich der Protokolle über die Telefonüberwachung ist sie der albanischen Sprache mächtig. Auch wenn ein Leben im Kosovo eine gewisse soziale Härte bedeuten würde, sieht das Gericht keine unüberwindbaren Hindernisse, die gegen ein Leben der Verlobten mit dem gemeinsamen Kind im Kosovo sprechen würden.
Auch unter Berücksichtigung des minderjährigen Sohnes des Klägers ist seine Ausweisung mit Art. 8 EMRK vereinbar. Angesichts der Wiederholungsgefahr und der Schwere der Straftat ist der Eingriff in Art. 8 EMRK gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale und öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten notwendig. Eine gelebte Vater-Kind-Beziehung existiert zwischen dem Kläger und seinem Sohn nicht. Die Trennung von seinem Vater ist für den während der Haft geborenen Sohn gelebte Realität. Insoweit kann im Übrigen auf die Ausführungen zur Vereinbarkeit der Ausweisung mit Art. 6 GG verwiesen werden (s.o.). Sollte sich die Verlobte des Klägers dazu entscheiden, mit dem Kläger in den Kosovo zu gehen, ist auch dies im Hinblick auf den gemeinsamen Sohn zumutbar. Der Sohn des Klägers ist erst Ende 2017 geboren und befindet sich somit noch in einem anpassungsfähigen Alter (vgl. EGMR, U.v. 5.7.2005 – 46410/99; U. Große Kammer v. 18.10.2006 – 46410/99, Üner).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger die Straftaten, die zur Ausweisung führten, als junger Erwachsener beging. Die Ausweisung ist auch im Hinblick darauf nicht unverhältnismäßig (vgl. EGMR, Große Kammer, U.v. 23.6.2008 – 1638/03 – Maslov II). In diesem Zusammenhang ist insbesondere von Bedeutung, dass sich die durch den Kläger begangenen Taten nach ihrer Art und ihrer Durchführung nicht als jugendtypische Verfehlungen darstellen.
Dem Kläger ist die Rückkehr in den Kosovo auch ansonsten möglich und zumutbar. Zwar ist der Kläger in der Bundesrepublik geboren und aufgewachsen. Gleichwohl verfügt der Kläger über Beziehungen in den Kosovo. Dort leben noch zahlreiche Verwandten des Klägers (Onkel mit Familie und Großmutter). Die Eltern des Klägers pflegen einen intensiven Kontakt zu den im Heimatland verbliebenen Verwandte und auch der Kläger bestätigte in der mündlichen Verhandlung, dass er diese bis vor drei Jahren jedes Jahr gemeinsam mit seinen Eltern im Kosovo besucht habe. Ausweislich der Telefonüberwachung im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen ist der Kläger in der Lage, sich in der Muttersprache zu unterhalten. Auch wenn der Kläger nicht über eine abgeschlossene Ausbildung verfügt ist davon auszugehen, dass er im Kosovo Arbeit finden und seinen Lebensunterhalt sichern können wird. Sein Onkel betreibt im Kosovo eine Landwirtschaft. Er wird bei diesem gegebenenfalls wohnen und arbeiten können. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Familie des Klägers den Onkel stets finanziell von Deutschland aus unterstützt hat und insoweit eine gewisse Dankbarkeit gegenüber dem Kläger und seiner Familie existieren dürfte. Darüber hinaus können die im Bundesgebiet lebenden Eltern den Kläger gegebenenfalls in der Anfangszeit von Deutschland aus im Kosovo finanziell unterstützen, so wie sie es bisher auch mit den übrigen Verwandten im Kosovo getan haben.
Dem Kläger kommt auch nicht der Status eines „faktischen Inländers“ zugute. Dieser Status kommt grundsätzlich für solche Ausländer in Betracht, die auf Grund des Einwachsens in die hiesigen Verhältnisse (Verwurzelung) bei gleichzeitiger Entfremdung von ihrem „Heimatland“ so eng mit der Bundesrepublik verbunden sind, dass sie gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichzusetzen sind, während sie mit ihrem „Heimatland“ im Wesentlichen nur noch das Band der Staatsangehörigkeit verbindet (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2017, Az.: 10 B 17.818). Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei zumindest ein mehrjähriger durchgehender Aufenthalt in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa durch einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz, einen festen Wohnsitz, ausreichende Mittel, um den Lebensunterhalt einschließlich Krankenversicherungsschutz ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten zu können, und fehlende Straffälligkeit zum Ausdruck kommt.
Diese Voraussetzungen liegen aufgrund der erheblichen Straffälligkeit des Klägers und der nicht abgeschlossenen Ausbildung des Klägers nicht vor. Im Übrigen verfügt der Kläger noch über Bindungen zu seinem Herkunftsland, so dass eine völlige Entwurzelung nicht vorliegt. Aber selbst bei Annahme der Stellung eines faktischen Inländers würde dies nicht zur Unzulässigkeit der Ausweisung führen. Denn auch unter Berücksichtigung dieser Rechtsposition ist die Ausweisung angesichts der abgeurteilten Straftaten und bestehenden Wiederholungsgefahr (s.o.) nicht unangemessen.
Unter Berücksichtigung sämtlicher beim Kläger zu beachtender Belange ist die verfügte Ausweisung im Hinblick auf die vom Kläger weiterhin ausgehende Gefahr der Begehung weiterer Straftaten nicht unverhältnismäßig. Dies gilt auch unter Berücksichtigung generalpräventiver Erwägungen.
II.
Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 5 Jahre bei nachgewiesener Straffreiheit bzw. auf 7 Jahre im Falle der Nichterfüllung ab Ausreise ist nicht zu beanstanden. Hinsichtlich der Dauer der Sperrfrist gemäß § 11 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG bedarf es der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen – das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt – das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Bei einer (auch) aus generalspräventiven Zwecken verfügten Ausweisung kommt es darauf an, wie lange von dieser Ausweisung eine abschreckende Wirkung auf andere Ausländer ausgeht (BayVGH, B.v. 14.3.2017 – 10 C 17.260 – Rn. 4). In diesem Rahmen sind auch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie die Vorgaben aus Art. 7 Grundrechtscharta, Art. 8 EMRK zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris).
Ausgehend von der bestehenden Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten durch den Kläger (s.o.) erscheint auch unter Berücksichtigung der persönlichen und familiären Bindungen des Klägers zum Bundesgebiet eine Frist von 5 Jahren angemessen, aber auch erforderlich, um einer schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Begehung weiterer Straftaten zu begegnen. Auch hierbei ist das besondere Gewicht der Straftat, der schwunghafte Drogenhandel des Klägers zu sehen und das erhebliche Interesse daran zu berücksichtigen, Ausländern vor Augen zu führen, dass eine solche Tat neben den strafrechtlichen Sanktionen auch erhebliche aufenthaltsrechtliche Konsequenzen hat.
III.
Keinen Bedenken begegnet die Abschiebungsandrohung nach §§ 59, 58 AufenthG. Soweit die Abschiebung aus der Haft angekündigt wird (Ziff. 3 des Bescheides), erfüllt dies die Voraussetzungen von §§ 58 Abs. 3, 59 Abs. 5 AufenthG.
Die für den Fall der Abschiebung nach Haftentlassung festgesetzte Ausreisefrist von vier Wochen ist angemessen. § 59 Abs. 1 S. 1 AufenthG sieht als Mindestfrist sieben Tage vor. Angesichts des Umstandes, dass der Kläger keinen Haushalt auflösen muss (er bewohnte zuletzt ein Zimmer im Haushalt seiner Eltern), er auch sonst keinen größeren organisatorischen Aufwand zur Abwicklung seiner hiesigen Lebensverhältnisse ergreifen muss, erscheinen vier Wochen als ausreichend.
IV.
Die Klage war somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
V. der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben