Verwaltungsrecht

Baueinstellung

Aktenzeichen  9 ZB 14.653

Datum:
16.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2019, 53
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 55 Abs. 1, Art. 57 Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 11c, Nr. 11f, Abs. 6, Art. 75 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5, § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 5, § 138 Abs. 6

 

Leitsatz

1. Es ist grundsätzlich zulässig, die für die gerichtliche Überzeugung leitend gewesenen Gründe durch eine in den Entscheidungsgründen angesprochene Bezugnahme auf tatsächliche Feststellungen und rechtliche Erwägungen in einer genau bezeichneten anderen Entscheidung anzugeben, insbesondere bei einer Bezugnahme auf die Gründe eines im selben Rechtsstreit nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen Beschlusses. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Gesetzgeber geht aufgrund der Regelung in Art. 57 Abs. 1 Nr. 11c BayBO davon aus, dass bezogen auf eine Dachkonstruktion jede Änderung genehmigungspflichtig ist, es sei denn, sie ist nach Art. 57 BayBO genehmigungsfrei. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 K 13.415 2014-01-28 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen den Bescheid des Landratsamts Miltenberg vom 18. April 2013, mit dem unter Androhung von Zwangsgeld im Fall der Zuwiderhandlung Bauarbeiten am Dach eines Nebengebäudes auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung G* … eingestellt wurden. Ihr Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz blieb sowohl beim Verwaltungsgericht (Beschluss vom 24.6.2013 – W 4 S 13.417) als auch beim Verwaltungsgerichtshof (Beschluss vom 14.10.2013 – 9 CS 13.1407) erfolglos. Ihre Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 28. Januar 2014 abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Klägerin beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
a) Entgegen dem Zulassungsvorbringen hat das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Frage, ob es sich bei den Bauarbeiten am Dach eines Nebengebäudes der Klägerin um ein verfahrensfreies Vorhaben handelt, eine Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 1 Nr. 11 Buchst. f und Abs. 6 BayBO nicht „gänzlich unterlassen“. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht insoweit „zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen“ auf die ausführlichen Begründungen in seinem Beschluss vom 24. Juni 2013 (Az. W 4 S 13.417, BA S. 10 bis 15) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sowie im Beschluss des Senats vom 14. Oktober 2013 (Az. 9 CS 13.1407, BA S. 5 und 6) im Beschwerdeverfahren Bezug genommen. Dies unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Es ist grundsätzlich zulässig, die für die gerichtliche Überzeugung leitend gewesenen Gründe durch eine in den Entscheidungsgründen angesprochene Bezugnahme auf tatsächliche Feststellungen und rechtliche Erwägungen in einer genau bezeichneten anderen Entscheidung anzugeben, sofern die Beteiligten die in Bezug genommene Entscheidung kennen oder von ihr ohne Schwierigkeiten Kenntnis nehmen können und sofern sich für sie und das Rechtsmittelgericht aus einer Zusammenschau der Ausführungen in der Bezug nehmenden und der in Bezug genommenen Entscheidung die für die richterliche Überzeugung maßgeblichen Gründe mit hinreichender Klarheit ergeben (vgl. BVerwG, B.v. 3.1.2006 – 10 B 17.05 – juris Rn. 3 m.w.N.). Dies ist insbesondere bei einer Bezugnahme auf die Gründe eines anderen zwischen denselben Beteiligten ergangenen Urteils der Fall. Gleiches gilt, wenn ein Urteil auf die Gründe eines im selben Rechtsstreit nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen Beschlusses verweist, für den – wie hier – dieselben Fragen wie für das Urteil entscheidungserheblich waren (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.1981 – 4 CB 46.81 – juris Rn. 2).
b) Auch der Hinweis der Klägerin, mit der seit 1. Januar 2013 in Kraft getretenen Neuregelung des § 57 Abs. 1 Nr. 11 Buchst. f BayBO seien auch Bedachungen verfahrensfrei gestellt worden, wodurch nach Nr. 57.1.11.6 der Vollzugshinweise zur BayBO 2013 (IMS v. 1.7.2013 – II B 4 – 4101 – 033/11) auch die im Rahmen einer Sanierung oder nachträglichen Dämmung erforderlichen Maßnahmen an konstruktiven Teilen des Dachs (z.B. Aufdoppelung von Sparren) ermöglicht würden, ohne dass allein deshalb ein Antrag auf Baugenehmigung erforderlich würde, führt zu keinen ernstlichen Zweifeln am verwaltungsgerichtlichen Urteil. Das Verwaltungsgericht ist bei seiner Sachverhaltswürdigung davon ausgegangen, dass es sich hier bei den Bauarbeiten am Dach des Nebengebäudes der Klägerin nicht mehr um Instandhaltungsarbeiten nach Art. 57 Abs. 6 BayBO, sondern um nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtige Änderungen am Dach in konstruktiver wie auch gestalterischer Hinsicht handelt, weil ein wesentlicher Teil des Daches einschließlich der Dachkonstruktion (Sparren) neu aufgebracht und auch ein neues Dacheindeckungsmaterial verwendet wurde. Nach seinen Feststellungen wurden ausweislich der in den Behördenakte des Landratsamts enthaltenen Lichtbilder bei den aneinandergebauten Nebengebäuden im südlichen Grundstücksbereich ein Großteil der alten Dachkonstruktion und der Dacheindeckung entfernt und elf neue Dachsparren und damit eine neue Dachkonstruktion aufgebracht und nicht nur einzelne schadhafte Sparren ausgetauscht. Soweit die Klägerin im Zulassungsverfahren erstmals eine Bestätigung der Firma K. GmbH vom 10. Juni 2014 vorgelegt hat, wonach bei den Bauvorhaben der Klägerin eine Aufdoppelung auf die vorhandenen Sparren getätigt wurde, ist dies anhand der entgegenstehenden eindeutigen Lichtbilder in der Behördenakte nicht nachvollziehbar.
Zwar sollen nach der Gesetzesbegründung mit der Verfahrensfreistellung von Bedachungen immer wieder bei der Auswechslung der Dacheindeckung einschließlich dadurch gegebenenfalls bedingter konstruktiver Eingriffe auftretende Zweifelsfragen zugunsten der Verfahrensfreiheit geklärt werden. Demgegenüber sollen unter diese Regelung aber nicht konstruktiv/gestalterische Änderungen der Dachkonstruktion fallen (vgl. LT-Drs. 16/13683, S. 14). Wie sich auch aus Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 Buchst. c BayBO entnehmen lässt, geht der Gesetzgeber damit davon aus, dass bezogen auf die Dachkonstruktion jede Änderung genehmigungspflichtig ist, es sei denn, die Änderung ist nach Art. 57 BayBO genehmigungsfrei (vgl. Lechner/Busse in Simon/Busse, BayBO, Stand: Dezember 2017, Art. 57 Rn. 289). Eine Erneuerung der Dachkonstruktion durch das Auflegen von elf neuen Dachsparren betrifft einen tragenden oder aussteifenden Bauteil und ist damit auch nicht nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 Buchst. a BayBO verfahrensfrei (vgl. Lechner/Busse, a.a.O. Art. 57 Rn. 278).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Abweichung von der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 14. August 2012 (Az. 1 CS 12.1489) zuzulassen.
Abgesehen davon, dass im Zulassungsantrag im Ergebnis lediglich eine fehlerhafte Anwendung eines in dieser Entscheidung aufgestellten Rechtssatzes geltend gemacht wird, unterscheidet sich der der genannten Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt von dem hier vorliegenden Fall. Während jener Entscheidung lediglich der Austausch der Dacheindeckung zugrunde lag, betrifft die Entscheidung des Verwaltungsgerichts hier die Erneuerung der Dachkonstruktion in wesentlichen Teilen.
3. Es liegt auch kein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
Den in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht von den früheren Bevollmächtigten der Klägerin gestellten bedingten Beweisantrag, zum Beweis der Tatsache, dass das Nebengebäude bereits vor Erlass des Bebauungsplans errichtet worden war, Zeugen zu vernehmen, hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil abgelehnt, weil es die zu beweisende Tatsache als wahr unterstellt hat. Dies ist nicht zu beanstanden. Das Absehen von einer Beweiserhebung wegen „Wahrunterstellung“ (i.S.v. dahinstehen lassen von behaupteten Tatsachen) ist im Verwaltungsprozess dort zulässig, wo der Sache nach ein Verzicht auf die Beweiserhebung wegen Unerheblichkeit der vorgetragenen Tatsachen vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2016 – 9 ZB 16.30468 – juris Rn. 28 m.w.N.). So liegt es hier. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass von einem bestandgeschützten Gebäude selbst dann nicht gesprochen werden könne, wenn man von der Errichtung eines Nebengebäudes auf dem streitgegenständlichen Grundstück vor Erlass des Bebauungsplans ausgehen würde.
Soweit die Klägerin eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) rügt, weil das Verwaltungsgericht nicht ermittelt habe, ob die Voraussetzungen für ein verfahrensfreies Vorhaben nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO vorliegen würden, kann dies bereits deswegen nicht geltend gemacht werden, weil die Klägerin es als anwaltlich vertretene Beteiligte in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht unterlassen hat, einen diesbezüglichen Beweisantrag zu stellen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 7.6.2017 – 9 ZB 15.255 – juris Rn. 10 m.w.N.). Dem Verwaltungsgericht musste sich insoweit auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsermittlung nicht aufdrängen. Wie dem angefochtenen Urteil entnommen werden kann, das zur Begründung auch insoweit auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 24. Juni 2013 (Az. W 4 S 13.417) Bezug genommen hat, ist das Verwaltungsgericht auf der Grundlage des vorgelegten Lageplans und der Luftbilder davon ausgegangen, dass das Nebengebäude einen größeren Rauminhalt als 75 m³ aufweist. Es hat zudem darauf hingewiesen, dass sich die Klägerin einer Feststellung des genauen Ausmaßes dieses Gebäudes auf ihrem Grundstück durch das Landratsamt verweigert und auch gegenüber dem Verwaltungsgericht keine diesbezüglichen Angaben gemacht hat.
Schließlich geht auch die weitere Rüge der Klägerin, das angefochtene Urteil sei hinsichtlich der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a, Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 Buchst. f und Abs. 6 BayBO nicht mit Gründen versehen (§ 138 Nr. 6 VwGO), fehl. Ein Urteil ist nur dann nicht mit Gründen versehen, wenn die Darlegungen des Gerichts gänzlich unverständlich, verworren oder widersprüchlich sind und damit nicht erkennen lassen, welche Erwägungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2017 – 2 C 25.16 – juris Rn. 25). Das ist hier nicht der Fall. Wie sich bereits obigen Ausführungen entnehmen lässt, hat das Verwaltungsgericht vielmehr zu diesen von der Klägerin bezeichneten Voraussetzungen ausdrücklich in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf die Gründe seines Beschlusses vom 24. Juni 2013 (Az. W 4 S 13.417) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sowie auf die Gründe des Beschlusses des Senats vom 14. Oktober (Az. 9 CS 13.1407) im Beschwerdeverfahren zwischen denselben Beteiligten Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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