Verwaltungsrecht

Berufung, Asyl, Zulassungsgrund, Heimatland, Zulassung, Zulassungsvorbringen, Darlegungsanforderungen, Ablehnung, Auskunftslage, Verfolgung, Form, Eltern, Darlegung, Bedeutung, Bedeutung der Rechtssache, Zulassung der Berufung, Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  23 ZB 21.30740

Datum:
11.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24972
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 7 K 20.31211 2021-05-03 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren unter Beiordnung der Klägerbevollmächtigten wird abgelehnt.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ist nicht im Sinne von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt und liegt auch nicht vor.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer erstens eine konkrete und gleichzeitig verallgemeinerungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, zweitens ausführt, aus welchen Gründen diese klärungsfähig ist, also für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich war, und drittens erläutert, aus welchen Gründen sie klärungsbedürftig ist, mithin aus welchen Gründen die ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3; B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 17.30487 – juris Rn. 2; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 36. EL, Februar 2019, § 124a Rn. 102 ff.). Die Grundsatzfrage muss zudem anhand des verwaltungsgerichtlichen Urteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig, dass der Rechtsmittelführer die Materie durchdringt und sich mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3; B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer zudem Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/ 17.A – juris Rn. 5).
Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
1.1. Die von der Klägerseite aufgeworfene Frage,
“ob einem äthiopischen Mädchen im Falle einer Rückkehr in das Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine geschlechtsspezifische Verfolgung in Form der Beschneidung (FGM) droht”,
weist keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Nach der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung entzieht sie sich einer generellen, fallübergreifenden Klärung, weil sie nicht in verallgemeinerungsfähiger Form, sondern nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 22.7.2019 – 8 ZB 19.31614 – Rn. 6; B.v. 22.8.2019 – 8 ZB 19.32055 – Rn. 6 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht hat unter Einbeziehung der Auskunftslage, insbesondere auf der Grundlage der Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 4. April 2019 und 24. April 2020, angenommen, dass aufgrund der in der mündlichen Verhandlung zutage getretenen Ablehnung der Eltern nicht die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit bestehe, dass der Klägerin in Äthiopien eine Beschneidung drohe, zumal insgesamt ein Rückgang der Beschneidung in Äthiopien zu verzeichnen sei und nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts die äthiopische Regierung es sich zum Ziel gesetzt habe, die Genitalverstümmelung durch Aufklärungs- und Überzeugungskampagnen abzuschaffen (vgl. UA S. 10 ff). Zwar sei die Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen in Äthiopien nach wie vor mit großen regionalen Unterschieden weit verbreitet. Die Zahl der Neuverstümmelungen habe sich inzwischen jedoch auf zwischen 25 und 40% der Mädchen verringert. Soweit in manchen Quellen höhere Prozentangaben für den Anteil beschnittener Frauen angegeben werden, seien diese für eine hier notwendige prognostische Betrachtung nicht brauchbar, da darin auch ältere Frauen einbezogen würden, bei denen die Beschneidung bereits viele Jahre zurückliege. Solche Zahlenangaben berücksichtigten namentlich nicht den in Äthiopien eingeleiteten und weiter fortschreitenden Einstellungswandel in nicht unbeträchtlichen Kreisen der Bevölkerung. Insbesondere in urbanen Regionen, wo die klägerische Familie sich niederlassen könne, sei nach der Auskunftslage davon auszugehen, dass der Druck aus dem verwandtschaftlichen und sonstigen Umfeld in Richtung der Durchführung einer weiblichen Genitalbeschneidung deutlich weniger stark ausgeprägt sei. Nach den Angaben der Eltern sollen in Äthiopien ohnehin keine Verwandten mehr vorhanden sein bzw. es sei kein Kontakt (mehr) gegeben.
Ob einem Mädchen wie der Klägerin in Äthiopien tatsächlich die Gefahr der Beschneidung droht, lässt sich demnach nicht generell und allgemeingültig beantworten, sondern richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere auch danach, ob sich die Eltern des betroffenen Kindes dem gesellschaftlichen Druck widersetzen (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2017 – 9 ZB 17.30027 – juris Rn. 6; B.v. 21.11.2018 – 8 ZB 18.32980 – juris; B.v. 27.3.2019 – 8 ZB 19.30972; OVG NW, B.v. 6.12.2006 – 19 A 2171/06.A – juris).
1.2. Abgesehen davon fehlt es auch an der gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG erforderlichen hinreichenden Darlegung der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Frage (zu den Darlegungsanforderungen vgl. BayVGH, B.v. 18.1.2018 – 8 ZB 17.31372 – juris Rn. 5; OVG NW, B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 4 f., jeweils m.w.N.) und einer rechtlichen Aufarbeitung der aufgeworfenen Frage anhand des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Denn eine auf tatsächliche Verhältnisse gestützte Grundsatzrüge erfordert grundsätzlich die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind (BayVGH, B.v. 25.1.2019 – 13a ZB 19.30064 – juris Rn. 5; OVG NW, B.v. 26.4.2018 – 4 A 869/16.A – juris Rn. 6). Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 13a ZB 18.30490 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Der Zulassungsantrag zeigt nicht auf, dass die Situation in Äthiopien in Bezug auf die geltend gemachte Gefahr der Beschneidung für Mädchen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anders als in dem angefochtenen Verwaltungsgerichtsurteil zu beurteilen wäre. Es ist weder dargelegt noch sonst erkennbar, dass Mütter bzw. Eltern betroffener Mädchen generell nicht in der Lage wären, ihr Kind vor einer Beschneidung zu schützen, zumal es das erklärte Ziel der äthiopischen Regierung ist, die mit großen regionalen Unterschieden nach wie vor weit verbreitete Genitalverstümmelung durch Aufklärungs- und Überzeugungskampagnen abzuschaffen (vgl. BayVGH, B.v. 1.4.2019 – 8 ZB 19.31232 – juris; B.v. 21.11.2018 – 8 ZB 18.32980 – juris Rn. 14 m.w.N.; B.v. 27.3.2019 – 8 ZB 19.30972 – a.a.O.).
Soweit die Klägerseite bezüglich der Verbreitung der weiblichen Genitalverstümmelung in Äthiopien unter Verweis auf einen Bericht des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 8. Januar 2019 geltend macht, dass aktuell etwa drei Viertel aller Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten seien, setzt sie sich in keiner Weise mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts eine Beschneidung inzwischen bei der überwiegenden Anzahl der Mädchen nicht mehr erfolge, sich die Zahl der Neuverstümmelungen auf zwischen 25 und 40% der Mädchen verringert habe und – soweit in manchen Quellen höhere Prozentangaben für den Anteil beschnittener Frauen angegeben würden – diese für eine hier notwendige prognostische Betrachtung nicht brauchbar seien, soweit darin auch ältere Frauen in die Betrachtung einbezogen werden, bei denen die Beschneidung bereits viele Jahre zurückliegt (UA S. 10 f). Soweit die Klagepartei ausführt, das persönliche (familiäre) Umfeld der Klägerin werde trotz der entgegenstehenden gesetzlichen Bestimmungen die Eltern zur Beschneidung der Klägerin verpflichten, bleibt diese Behauptung unsubstantiiert. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes ist auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer gegenwärtigen Verfolgung abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 18.10.1983 – 9 C 158.80 – BVerwGE 68, 106 – juris Rn. 14 m.w.N.; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 – juris Rn. 19; B.v. 11.7.2017 – 1 B 116.17 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 24.8.2017 – 11 B 17.30392 – juris Rn. 16 ff), wovon auszugehen ist, wenn aufgrund einer sorgfältigen Würdigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles bei einer auf absehbare Zeit ausgerichteten Zukunftsprognose mehr für als gegen die Annahme spricht, der Antragsteller werde bei seiner Rückkehr verfolgt werden oder einen ernsthaften Schaden erleiden. Vor dem Hintergrund der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Annahme des Verwaltungsgerichts, dass in Äthiopien ohnehin keine Verwandten der Klägerin mehr vorhanden seien bzw. kein Kontakt (mehr) bestehe, hätte die klägerische Behauptung einer näheren Darlegung bedurft.
1.3. Soweit die Klägerin vorbringt, es bestünden prinzipielle Bedenken gegen den Standpunkt des Verwaltungsgerichts, da ihre Eltern nach wie vor nicht in der Lage seien, ihre Beschneidung zu verhindern, weil sie dem gesellschaftlichen Druck nicht entgehen und sich nicht in einem urbanen Umfeld niederlassen könnten, zeigt sie keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf, sondern wendet sich in der Sache gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Damit wird, wie vorstehend bereits ausgeführt, kein Berufungszulassungsgrund im Sinn von § 78 Abs. 3 AsylG benannt (vgl. BayVGH, B.v. 25.7.2018 – 8 ZB 18.31802 – juris Rn. 7; B.v. 31.10.2018 – 8 ZB 17.30339 – juris Rn. 9 ff.). Durch Mängel der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann allenfalls der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt sein, allerdings nur dann, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, insbesondere wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 – 9 B 11.17 – juris; B.v. 12.3.2014 – 5 B 48.13 – NVwZ-RR 2014, 660 = juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 21 ZB 18.30867 – juris Rn. 4). Dass ein solcher Mangel hier vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf. Mit ihrem Vorbringen macht die Klägerseite allenfalls ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung geltend, die gemäß § 78 Abs. 3 AsylG keinen Zulassungsgrund darstellen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
3. Aus den genannten Gründen ist mangels hinreichender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Klägerbevollmächtigten gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 114 ff. ZPO abzulehnen.
4. Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts nach § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG rechtskräftig.


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