Verwaltungsrecht

Berufung, Iran, Zulassung, Berufungszulassung, Zulassungsantrag, Verfolgungsgefahr, Frist, Kenntnis, Verfolgung, Tatsachenfrage, Bedeutung, Gefahr, Entscheidungserheblichkeit, Verfahrensfehler, Zulassung der Berufung, Antrag auf Zulassung der Berufung, Art und Weise

Aktenzeichen  14 ZB 21.30040

Datum:
3.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 45963
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RO 4 K 19.30081 2020-09-29 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Soweit Zulassungsgründe i.S.v. § 78 Abs. 3 AsylG ausdrücklich oder sinngemäß geltend gemacht werden, sind sie nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt.
1. Soweit die Antragsbegründung vorträgt, das Verwaltungsgericht sei nicht auf die eigene politische Aktivität des Klägers in Deutschland eingegangen, und dies als eine Gehörsrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zu verstehen sein sollte, ist den Darlegungsanforderungen nicht genügt.
Zwar kann das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt sein, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass entscheidungserheblicher Vortrag von einem Gericht nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen worden ist (BVerfG, B.v. 1.2.1978 – 1 BvR 426/77 – BVerfGE 47, 182/187 m.w.N.; B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133/145). Allerdings sind die Gerichte nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfG, B.v. 1.2.1978 a.a.O. S. 188; B.v. 12.10.1988 – 1 BvR 818/88 – BVerfGE 79, 51/61 m.w.N.), wovon auszugehen ist, wenn Tatsachen oder Tatsachenkomplexe übergangen werden, deren Entscheidungserheblichkeit sich aufdrängt (BVerwG, U.v. 25.6.1992 – 3 C 16.90 – juris Rn. 37; B.v. 1.10.1993 – 6 P 7.91 – NVwZ-RR 1994, 298 m.w.N.). Wird auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage von für das Verfahren zentraler Bedeutung nicht eingegangen, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung dieses Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert ist (BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 188/09 – NVwZ 2009, 580 Rn. 9 m.w.N.; B.v. 17.4.2020 – 1 BvR 2326/19 – juris Rn. 11 m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund geht die Antragsbegründung schon nicht genau genug darauf ein, welchen klägerischen Vortrag zu eigenen politischen Aktivitäten in Deutschland in erster Instanz genau das Verwaltungsgericht übergangen haben sollte.
Unabhängig davon setzt sie sich nicht genau genug damit auseinander, dass das Verwaltungsgericht es für erforderlich hält, dass die betreffende Person erkennbar und identifizierbar öffentlich aktiv geworden ist und deshalb Gefahr läuft, als kurdischer Oppositioneller eingeordnet und vom iranischen Staat als potenzieller Gegner identifiziert zu werden (UA S. 7 zweiter Absatz Zeilen 8 bis 11), und sodann festhält, unter Zugrundelegung dieses Maßstabs sehe das Gericht für den Kläger keine Gefahr einer Verfolgung. Gründe dafür, weshalb diese allgemeine Aussage nicht auch etwaige exilpolitische Aktivitäten des Klägers einschließen sollte, werden nicht dargestellt.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zuzulassen im Hinblick auf die klägerseits aufgeworfene Frage, „ob politische Aktivitäten und Mitgliedschaft in kurdischen Parteien von der iranischen Regime beobachtet werden und der Mitglieder der Partei und ihren engsten Familienmitglieder, bei einer Rückkehr in den Iran, Gefahren drohen und ob dieser zudem eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben der Rückkehrer begründet.“
2.1. Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt voraus, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage im konkreten Rechtsstreit klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich ist, dass diese Frage sich als klärungsbedürftig, insbesondere nicht schon höchst- oder obergerichtlich geklärt und nicht direkt aus dem Gesetz zu beantworten erweist und dass ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B.v. 28.7.2010 – 14 ZB 09.422 – juris Rn. 8 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG im Hinblick auf § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren sowie deren (2.) Klärungsfähigkeit, (3.) Klärungsbedürftigkeit und (4.) allgemeine Bedeutung darlegen (BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 23.1.2019 – 14 ZB 17.31930 – juris Rn. 2).
2.2. Die klägerseits aufgeworfene Frage führt nicht zur Berufungszulassung im Hinblick auf eigene politische Aktivitäten des Klägers.
2.2.1. Wollte man die aufgeworfene Frage auf eigene politische Aktivitäten im Iran und daran anknüpfende Gefahren beziehen, wäre nicht dargelegt, dass diese Frage im Fall des Klägers klärungsfähig wäre. Die Antragsbegründung weist zwar darauf hin, der Kläger habe sich, nachdem er von den Aktivitäten seines zwischenzeitlich als Flüchtling anerkannten Vaters erfahren und die Schwierigkeiten, die er dadurch im Iran bekommen habe, miterlebt habe, mit der Demokratischen Partei Kurdistans, ihren Zielen und ihren Vorgehensweisen beschäftigt und sei in Deutschland aktives Mitglied geworden, worauf das Verwaltungsgericht nicht eingegangen sei. Jedoch wird damit das verwaltungsgerichtliche Argument, der Kläger habe selbst mitgeteilt, im Iran nicht politisch aktiv gewesen zu sein, weder als unrichtig bezeichnet noch wird insoweit ein zur Berufungszulassung führender Verfahrensfehler vorgetragen.
2.2.2. Soweit sich die Fragestellung auf exilpolitische Aktivitäten bzw. Parteimitgliedschaften in Deutschland beziehen lässt, ist die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt, weil sich die Antragsbegründung nicht mit der Rechtsprechung des Senats zu den Anforderungen an eine exilpolitische Betätigung für kurdische Oppositionsparteien auseinandersetzt. In der Rechtsprechung des Senats ist zum einen geklärt, dass eine Gefahr politischer Verfolgung im Iran wegen exilpolitischer Aktivitäten nur dann anzunehmen ist, wenn der iranische Bürger bei seinen Aktivitäten besonders hervorgetreten ist und sein Gesamtverhalten ihn den iranischen Stellen als ernsthaften, auf die Verhältnisse im Iran einwirkenden Regimegegner erscheinen lässt (BayVGH, B.v. 9.8.2012 – 14 ZB 12.30263 – juris Rn. 3 m.w.N.). Außerdem ist geklärt, dass die Exilszene in Deutschland zwar vom iranischen Geheimdienst überwacht wird, es angesichts der Vielzahl von Iranern, die sich im Bundesgebiet aufhalten, jedoch ausgeschlossen erscheint, dass jeder Iraner hier beobachtet bzw. insbesondere, dass er auch identifiziert wird (BayVGH, B.v. 9.8.2012 a.a.O. Rn. 5 m.w.N.). Hinzu kommt, dass die vom Verwaltungsgericht (UA S. 7 zweiter Absatz OVG SH, U.v. 24.3.2020 – 2 LB 18/19 – juris Rn. 39) zitierte Rechtsprechung unter anderem gerade auch diese Rechtsprechung des Senats zitiert (OVG SH, U.v. 24.3.2020 a.a.O. Rn. 39), womit sich wiederum die Antragsbegründung nicht befasst. Die Darlegungsanforderungen werden auch nicht dadurch gewahrt, dass die Antragsbegründung dem angegriffenen Urteil das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 16. Oktober 2017 – W 8 K 17.31567 – (juris) entgegenhält. Denn unabhängig davon, dass das nichts an der fehlenden Auseinandersetzung mit der besagten Senatsrechtsprechung ändert, befasst sie sich auch insoweit nicht mit der von ihr selbst zitierten Aussage dieses Urteils, dass einfache Anhänger oder Sympathisanten sich aus der Masse der mit dem Regime in Teheran Unzufriedenen hervorheben müssten (VG Würzburg, U.v. 16.10.2017 – W 8 K 17.31567 – juris Rn. 36 mit Hinweis auf BayVGH, B.v. 9.8.2012 – 14 ZB 12.30263 – juris), und legt nicht dar, inwieweit sich der Kläger derart durch eigene Aktivitäten – unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Aktivitäten seines Vaters – aus der Masse der Unzufriedenen hervorheben sollte.
Unabhängig davon befasst sich die Antragsbegründung auch nicht näher mit der verwaltungsgerichtlichen These, die betreffende Person müsse erkennbar und identifizierbar öffentlich aktiv geworden sein, wobei das oberverwaltungsgerichtliche Urteil, dem das Verwaltungsgericht beigetreten ist, unter anderem meint, lediglich im Falle hervorgehobener Funktionäre dürfte regelhaft von einer belastbaren Verfolgungsgefahr auszugehen sein (OVG SH, U.v. 24.3.2020 – 2 LB 18/19 – juris Rn. 39 a.E. m.w.N.).
2.3. Die klägerseits aufgeworfene Frage führt auch nicht zur Berufungszulassung im Hinblick darauf, ob auch für Familienmitglieder die politischen Aktivitäten oder Parteimitgliedschaften ihrer Angehörigen – seien sie im Iran oder im Exil erfolgt – mit asylrelevanten Gefahren im Iran verbunden sind. Insoweit setzt sich die Antragsbegründung nicht genau genug mit der Argumentationsweise des Verwaltungsgerichts auseinander.
Das Verwaltungsgericht führt unter anderem aus (UA S. 7 zweiter Absatz ab Zeile 2), zwar könne ein Engagement in kurdischen Parteien unter bestimmten Voraussetzungen die begründete Gefahr von Verfolgung durch iranische Behörden nach sich ziehen. Ob eine solche auch beachtlich wahrscheinlich sei, müsse aber im Einzelfall beurteilt werden. Das Gericht trete der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein (U.v. 24.3.2020 – 2 LB 18/19 – juris Rn. 39) bei, dass eine bloß passive Mitgliedschaft oder eine vereinzelte Teilnahme an Demonstrationen für eine begründete Furcht vor Verfolgung nicht ausreiche. Erforderlich sei vielmehr, dass die betreffende Person erkennbar und identifizierbar öffentlich aktiv geworden sei und deshalb Gefahr laufe, als kurdischer Oppositioneller eingeordnet und vom iranischen Staat als potenzieller Gegner identifiziert zu werden. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs sehe das Gericht für den Kläger keine Gefahr einer Verfolgung (UA S. 7 dritter Absatz). Er selbst habe bereits beim Bundesamt angegeben, nicht politisch aktiv gewesen zu sein. Das Gericht könne auch nicht erkennen, dass dem Kläger wegen des Engagements seines Vaters Verfolgung drohen könnte. Dass allein der familiäre Zusammenhang für die iranischen Behörden keinen Grund zur Verfolgung darstelle, zeige sich im Übrigen daran, dass der Kläger und seine Eltern trotz der vorgetragenen erheblichen Aktivität seines Onkels als Peschmerga jahrelang keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen seien.
Mit letzterer Erwägung des Verwaltungsgerichts setzt sich die Antragsbegründung nicht näher auseinander.
3. Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger, der dieses Rechtsmittel vorliegend ohne Erfolg eingelegt hat (§ 154 Abs. 2 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die angegriffene Entscheidung rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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