Verwaltungsrecht

Beschäftigungserlaubnis für Berufsausbildung im laufenden Asylverfahren eines afghanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  W 1 E 17.33120

Datum:
22.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 61 Abs. 2 S. 1
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4

 

Leitsatz

1 Für Asylbewerber mit einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylG ist § 61 Abs. 2 S. 1 AsylG maßgebliche Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Ermessensentscheidung im Rahmen des § 61 Abs. 2 S. 1 AsylG dürfen einwanderungspolitische Ziele, insbesondere auch Aspekte einer mangelnden Bleibeperspektive, berücksichtigt werden. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3 Bei der Ermessensentscheidung im Rahmen des § 61 Abs. 2 S. 1 AsylG darf der Belang der nicht abschließend festgestellten Identität berücksichtigt werden; einer durch die Aufnahme einer Ausbildung entstehenden Verfestigung des Aufenthalts soll entgegengewirkt werden, weil bei diesem Personenkreis keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie nach rechtskräftiger Ablehnung ihres Asylantrags unverzüglich bei der Beschaffung von Identitätspapieren mitwirken. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der am … 1995 geborene Antragsteller begehrt eine vorläufige Erlaubnis für eine Berufsausbildung zum Koch.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 20. Juli 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 15. Februar 2016 einen Asylantrag. Er ist im Besitz einer Aufenthaltsgestattung. Sein Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 3. März 2017 abgelehnt. Über die hiergegen erhobene Klage (W1K 17.31283) wurde noch nicht entschieden.
Am 21. April 2017 stellte der Antragsteller bei der Regierung von … (Zentrale Ausländerbehörde …) einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis für eine Berufsausbildung als Koch im Hotel-Restaurant S. Nach Anhörung des Antragstellers mit Schreiben vom 27. April 2017 lehnte der Antragsgegner den Antrag mit Bescheid vom 28. Juli 2017 ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Erteilung der begehrten Erlaubnis gemäß § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG im Ermessen der Ausländerbehörde stehe. In die Ermessensentscheidung sei als wesentlicher Gesichtspunkt die mangelnde Bleibeperspektive zulasten des Antragstellers eingeflossen, welche auf dem ablehnenden Bundesamtsbescheid vom 3. März 2017 basiere. Darüber hinaus sei zulasten des Antragstellers zu berücksichtigen, dass dessen Identität nicht abschließend geklärt sei, da keinerlei Dokumente über seine Identität vorlägen. Die Versagung einer Erlaubnis zur Aufnahme einer Ausbildung könne ermessensfehlerfrei sowohl auf die ungeklärte Identität als auch auf migrationspolitische Erwägungen gestützt werden, um Fehlanreize zu vermeiden. Demgegenüber lägen keine überwiegenden privaten Interessen des Antragstellers vor, so dass die Abwägung zulasten des Antragstellers ausfalle.
Unter dem 11. August 2017 ließ der Antragsteller Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben mit dem Ziel, den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller die Erlaubnis für eine Berufsausbildung als Koch unter Abänderung des Bescheides vom 28. Juli 2017 zu erteilen (W 1 K 17.33119). Gleichzeitig ließ der Antragsteller im vorliegenden Verfahren beantragen,
den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren die Erlaubnis für eine Berufsausbildung als Koch im Hotel-Restaurant S. zu erteilen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Dringlichkeit aus dem bevorstehenden Ausbildungsbeginn am 1. September 2017 ergebe. Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache stehe einer einstweiligen Anordnung nicht entgegen, da der Antragsgegner nur dazu verpflichtet werde, die Ausbildungserlaubnis einstweilen zu erteilen. Eine solche sei notwendig, um irreparable Nachteile zu vermeiden. Die nach § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG zu treffende Ermessensentscheidung sei in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Voraussetzungen eines Rechtsanspruchs auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG gegeben seien, durch ein Regelermessen zugunsten des Ausländers gebunden, um den Anspruch des Ausländers auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nicht leerlaufen zu lassen. Die von der Antragsgegnerin angewendeten Ermessenskriterien einer geringen Bleibeperspektive und eines fehlenden abschließenden Identitätsnachweis seien nicht geeignet, vom Regelermessen abzuweichen. Denn die Ausbildungsduldung setze gerade keine Bleibeperspektive voraus. § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG sei jedenfalls analog im noch laufenden Asylverfahren anzuwenden, um den Anspruch auf Duldungserteilung nicht generell leerlaufen zu lassen. Das am 6. August 2016 in Kraft getretene Integrationsgesetz stehe im Zusammenhang mit dem am 6. November 2014 in Kraft getretenen Gesetz zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer. Asylsuchenden und Geduldeten habe hierdurch gleichermaßen eine gesellschaftliche Teilhabe durch Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht werden sollen, was nunmehr durch das Integrationsgesetz auch den Anspruch auf Ausbildungsduldung für diesen Personenkreis umfasse. Durch das IMS vom 27. Januar 2017 und den Beschluss des Bayerischen Kabinetts vom 23. Mai 2017 habe die Bayerische Staatsregierung klargestellt, dass das Integrationsgesetz bereits während des laufenden Asylverfahrens anzuwenden sei. Der Gesichtspunkt einer geringen Bleibeperspektive sei zumindest für diejenigen afghanischen Staatsangehörigen entfallen, die nicht als Straftäter, Gefährder oder Identitätstäuscher anzusehen seien, da aufgrund des Zwischenberichts zur Sicherheitslage in Afghanistan vom 9. August 2017 nur noch dieser Personenkreis abgeschoben werde, zu dem der Kläger jedoch nicht gehöre. Schließlich sei die vom Antragsteller im Original vorgelegte Tazkira geeignet, seine Identität nachzuweisen, solange keine konkreten Fälschungsmerkmale festzustellen seien.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten einschließlich der Akten im Verfahren W 1 K 17.33119 und W 1 K 17.31283 und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Das Gericht der Hauptsache kann nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Der Antrag ist dann begründet, wenn er sich gegen den richtigen Antragsgegner richtet sowie das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht sind (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Zur Begründung wird zunächst auf die Begründung des Bescheides des Antragsgegners vom 28. Juli 2017 verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG analog. Darüber hinaus ist ergänzend Folgendes auszuführen:
Zwar ist vorliegend ein Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit der Entscheidung gegeben, nachdem die inmitten stehende Berufsausbildung bereits zum 1. September 2017 beginnen soll. Jedoch scheitert der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung am Fehlen eines Anordnungsanspruchs.
Der Antragteller hat nach der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung im Eilverfahren keinen Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dürfen Ausländer eine Erwerbstätigkeit (§ 2 Abs. 2 AufenthG) nur ausüben, wenn der Aufenthaltstitel (§ 4 Abs. 1 AufenthG) dazu berechtigt. Dies gilt nach § 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nur dann nicht, wenn dem Ausländer aufgrund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung, eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung die Erwerbstätigkeit gestattet ist, ohne dass er hierzu durch einen Aufenthaltstitel berechtigt sein muss. Derartige Ausnahmeregelungen bestehen für Personen mit Duldung (§ 60a AufenthG) in § 32 BeschV und für Inhaber einer Aufenthaltsgestattung (§ 55 AsylG) in § 61 AsylG.
Für Asylbewerber mit einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylG ist § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis. Danach ist die Erteilung der Beschäftigungserlaubnis jedoch keine gebundene Entscheidung, sondern steht im Ermessen der Behörde. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist vorliegend nicht ersichtlich. Dies gilt auch im Hinblick auf die Neuregelungen des am 6. August 2016 in Kraft getretenen Integrationsgesetzes, die an der Rechtsstellung von Asylbewerbern, die sich noch im Asylverfahren befinden, in Bezug auf die Beschäftigungserlaubnis nichts geändert haben. Die vom Bevollmächtigten des Antragstellers angeführte Norm des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist vorliegend nicht einschlägig, da sie nur Fälle von bereits bestandskräftig abgelehnten Asylbewerbern erfasst und darüber hinaus nicht die Beschäftigungserlaubnis, sondern die Duldung regelt. Im Falle des Antragstellers liegen jedoch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Duldung nicht vor, da er bereits aufgrund der sich aus § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG ergebenden Aufenthaltsgestattung nicht abgeschoben werden kann. Aus § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ergibt sich kein gebundener Rechtsanspruch auf eine qualifizierte Berufsausbildung bereits während eines Asylverfahrens (vgl. VG München, B.v. 26.10.2016 – M 4 E 16.4408, bestätigt durch BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 10 CE 16.2342 – jeweils in juris). Vor diesem Hintergrund besteht auch kein Anhalt für die Annahme eines vom Antragstellerbevollmächtigten ins Feld geführten Regelermessens zugunsten der Erteilung einer Erlaubnis. Der Anspruch auf eine Ausbildungsduldung besteht vielmehr nicht für Personen, welche sich wie der Antragsteller im laufenden Asylverfahren befinden, sondern (unter bestimmten Voraussetzungen) für solche Personen, die bereits vollziehbar ausreisepflichtig sind, sodass der Anspruch auf Duldungserteilung auch nicht generell leerläuft, wie der Antragsteller behauptet. Auch findet sich in der gesetzlichen Formulierung des § 61 Abs. 2 AsylG kein Hinweis auf das behauptete Regelermessen; es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber – wenn er ein solches gewollt hätte – neben der Änderung des § 60a AufenthG auch eine Änderung des § 61 AsylG vorgenommen hätte. Ebenso ist darüber hinaus für den Zeitraum des noch nicht abgeschlossenen Asylverfahrens nichts für eine analoge Anwendung des § 60 Abs. 2 Satz 4 AsylG ersichtlich. Es fehlt nach Überzeugung des Gerichts bereits an der Voraussetzung einer planwidrigen Regelungslücke; denn dem Gesetzgeber sind die verschiedenen Verfahrensstadien, die ein Ausländer bei Stellung eines Asylantrages durchläuft, selbstverständlich bekannt und es ist zudem nach dem Inkrafttreten des Integrationsgesetzes nichts dahingehend bekannt geworden, was darauf hindeuten würde, dass der Gesetzgeber weitere gesetzliche Änderungen im Zusammenhang mit der Ausbildungsduldung, namentlich im Zusammenhang mit § 61 Abs. 2 AsylG, versehentlich unterlassen hätte. Es ist daher bei der alleinigen Änderung des § 60a AufenthG von einer bewussten – und daher inhaltlich begrenzten – Entscheidung des Gesetzgebers auszugehen.
Der vom Antragsteller weiterhin ins Feld geführte zwingende innere Zusammenhang zwischen dem am 6. August 2016 in Kraft getretenen Integrationsgesetzes und dem seit dem 6. November 2014 geltenden Gesetz zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer erscheint konstruiert; denn die Entscheidung, Asylbewerbern (nach Ermessen der Ausländerbehörde) einen früheren Zugang zum Arbeitsmarkt als solchem zu ermöglichen, schließt gerade nicht zwingend deren Einbeziehung in einen gebundenen Anspruch auf Ausbildungsduldung, welcher in einem späteren Gesetzgebungsverfahren verwirklicht wurde, mit ein. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich jedenfalls kein Anhalt für diese Argumentation. Schließlich kann der Antragsteller auch aus dem Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 27. Januar 2017 sowie dem Beschluss des Bayerischen Kabinetts vom 23. Mai 2017 nichts für sich herleiten. Im Schreiben vom 27. Januar 2017 (Az. IA2-2081-1-8-19) werden vielmehr das Integrationsgesetzes und § 60a AufenthG gar nicht angesprochen. Darüber hinaus geht es in diesem Schreiben um die Berücksichtigungsfähigkeit einer Anerkennungswahrscheinlichkeit aufgrund aktueller Gesamtanerkennungsquoten des BAMF. Vorliegend jedoch hat der Antragsgegner eine bereits erfolgte individuelle Ablehnung des Asylantrages des Antragstellers zum Gegenstand seiner Ermessensentscheidung gemacht, was mit dem dort angesprochenen Sachverhalt insoweit nicht vergleichbar ist. Was die Entscheidung des Bayerischen Kabinetts vom 23. Mai 2017 angeht, so lässt sich aus einer solchen politischen Entscheidung bereits generell und so auch vorliegend keine konkrete Anweisung an die Verwaltung ableiten. Entsprechende Weisungen und ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften bedürfen vielmehr zunächst der Umsetzung durch die zuständige oberste Landesbehörde. Darüber hinaus ist der entsprechenden Pressemitteilung zentral zu entnehmen, dass diejenigen Ausländer schnell und gut in die Gesellschaft zu integrieren seien, die ein Bleiberecht oder eine Bleibeperspektive hätten. Dies entspricht ausweislich der Pressemitteilung der bisherigen Handhabung.
Darüber hinaus besteht nach summarischer Prüfung auch kein Anspruch des Antragstellers auf eine erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung über den von ihm bei der Behörde gestellten Antrag auf Erlaubniserteilung nach § 61 Abs. 2 AsylG entsprechend dem Hilfsantrag des Antragstellers im Hauptsacheverfahren (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Die vom Antragsgegner im streitgegenständlichen Bescheid getroffene Ermessensentscheidung ist nach summarischer Prüfung vielmehr nicht zu beanstanden (§ 114 VwGO). Die Ermessensentscheidung hat rechtsfehlerfrei die privaten Belange des Antragstellers an einer Aufnahme der Ausbildung und die öffentlichen Interessen an einer Versagung der Beschäftigungserlaubnis abgewogen. Der Antragsgegner hat den Antragsteller zu den für ihn sprechenden Belangen auch zuvor angehört. Insbesondere beruht die Versagung der Erlaubnis nicht auf sachfremden, sondern auf aufenthalts- und asylrechtlichen Erwägungen (vgl. Grünewald in: Vormeier, GK-AsylVfG, § 61, Stand 2015, Rn. 24; BeckOK AuslR/ Neundorf, AsylG § 61 Rn. 17; Hailbronner, Ausländerrecht, 90. Lfg. Mai 2015, § 61 AsylVfG Rn. 17). Einwanderungspolitische Ziele dürfen zulässigerweise bei der Ermessensentscheidung im Rahmen des § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG berücksichtigt werden (BeckOK AuslR/ Neundorf, AsylG § 61 Rn. 17; Grünewald in: Vormeier, GK-AsylVfG, § 61, Stand 1.2005, Rn. 25 m.w.N. aus der Rspr.).
Anders als der Antragsteller meint, kann die ablehnende Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde auch auf die Ermessenserwägung einer mangelnden Bleibeperspektive, einem insoweit gesetzeskonformen aufenthalts- und asylrechtlichen Belang, gestützt werden, um Fehlanreize zu vermeiden. Dem steht auch hier nicht die Vorschrift des § 60a AufenthG entgegen, da diese – wie bereits ausgeführt – im vorliegend zu beurteilenden Verfahrensstadium eines laufenden Asylverfahrens nicht zu berücksichtigen ist (so auch VG München, B.v. 26.10.2016 – M 4 E 16.4408; bestätigt durch BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 10 CE 16.2342; beide juris). Zwar liegt der Einschätzung einer mangelnden Bleibeperspektive vorliegend eine individuelle Betrachtung der Situation des Antragstellers zu Grunde, nachdem das Bundesamt das Asylbegehren des Antragstellers mit Bescheid vom 3. März 2017 bereits negativ verbeschieden hat und sich der Antragsgegner auf diese Entscheidung stützt. Allerdings kann diese Einschätzung im gerichtlichen Verfahren letztlich wohl nicht alleine auf diese behördliche Entscheidung gestützt werden angesichts der gerichtsbekannten mindestens in Einzelfällen anzutreffenden mangelnden Qualität der Bundesamtsentscheidungen für afghanische Asylbewerber. Im vorliegenden Verfahren jedoch erscheint die negative asylrechtliche Entscheidung nach überschlägiger Prüfung unter Berücksichtigung des derzeitigen Sachstandes im Ergebnis rechtmäßig. Auf die Ausführungen im Bescheid vom 3. März 2017 wird insoweit Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der klägerische Vortrag vor dem Bundesamt zu seinen Fluchtgründen sehr oberflächlich und detailarm ist und die vorgelegten Drohbriefe sowie eine angebliche Bestätigung der Bedrohung zahlreiche Ungereimtheiten und auch Widersprüche zum mündlichen Vortrag vor dem Bundesamt aufweisen. Vor diesem Hintergrund ist der Antragsteller nach summarischer Prüfung nicht vorverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist und hat auch bei einer Rückkehr dorthin nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung nach §§ 3, 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 AsylG zu befürchten. Zudem wäre wohl die Möglichkeit internen Schutzes für den Antragsteller gegeben, § 3e, § 4 Abs. 3 AsylG. Dem Antragsteller droht darüber hinaus aufgrund der jüngsten Berichte über zivile Opfer (vgl. etwa UNAMA Midyear Report 2017, Juli 2017) in seiner Heimatprovinz Kundus, die zur Nordostregion gehört, sowie in der Stadt Kabul, die zur Zentralregion gehört, als Ort eines möglichen internen Schutzes keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Individuelle gefahrerhöhende Umstände in seiner Person sind nicht ersichtlich. Schließlich unterliegen nach aktueller Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie des erkennenden Einzelrichters alleinstehende junge arbeitsfähige Männer aus Afghanistan derzeit grundsätzlich auch keinem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris). Auch die vom Kläger angegebene Lungen-/ Lebererkrankung führt voraussichtlich nicht zu einem Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen. Der Kläger wurde diesbezüglich offensichtlich zu Beginn des Jahres 2016 erfolgreich operiert. Seiner Arbeitsfähigkeit steht angesichts des vorliegenden Streitgegenstandes offensichtlich nichts entgegen.
Zudem erscheint eine Abschiebung des Antragstellers aus Deutschland nach summarischer Prüfung auch nicht auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen. Soweit der Antragsteller demgegenüber vortragen lässt, dass der Gesichtspunkt einer geringen Bleibeperspektive zumindest für diejenigen afghanischen Staatsangehörigen entfallen sei, die – wie er selbst – nicht als Straftäter, Gefährder oder Identitätstäuscher anzusehen seien, da aufgrund des Zwischenberichts zur Sicherheitslage in Afghanistan vom 9. August 2017 nur noch dieser Personenkreis abgeschoben werde, so fehlt es der genannten Regelung – zumindest nach derzeitigem Stand – an einer hinreichenden Dauerhaftigkeit, welche erforderlich wäre, um die Bleibeperspektive abweichend von der (negativen) asylrechtlichen Entscheidung beurteilen zu können. Im Hinblick auf eine solche hinreichende Dauerhaftigkeit ist nach summarischer Einschätzung des Gerichts auch die Dauer des sich im Erfolgsfalle ergebenden Duldungsanspruchs – nämlich zumindest für den Zeitraum der Ausbildung sowie eine darüberhinausgehende zweijährige Berufstätigkeit (sog. 3 + 2 Regelung, vgl. §§ 60a Abs. 2 Satz 4, 18a Abs. 1a AufenthG) – in den Blick zu nehmen. Bei der oben skizzierten gemeinsamen Entscheidung des Bundes und der Bundesländer handelt es sich jedoch lediglich um eine vorläufige Regelung, welche vorerst nur bis zu einer Neubewertung der Sicherheitslage gelten soll, welche turnusmäßig voraussichtlich im Oktober 2017 erfolgen soll (http://www.auswaertiges-amt.de/DE/_ElementeStart/ Sprecher_node.html); die o.g. Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes vom 28. Juli 2017 stellt einstweilen nur einen Zwischenbericht dar. Der Bund und (zumindest einzelne) Länder (darunter auch der Freistaat Bayern) gehen auch in Ansehung des nunmehr vorliegenden Zwischenberichts weiter davon aus, dass Abschiebungen nach Afghanistan grundsätzlich weiterhin möglich sind, wie auch die Entscheidung zur Abschiebung hinsichtlich der drei genannten Personengruppen eindeutig zeigt. Es wurde demgegenüber gerade kein Abschiebestopp nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erlassen. Die Entscheidung, Abschiebungen für ganz bestimmte Personengruppen weiterhin durchführen zu können und zu wollen, zeugt nach Einschätzung des Gerichts vielmehr von einer politischen Motivation, welche bekanntlich nicht selten auch kurzfristigen Veränderungen unterliegt, wie etwa die abweichende Praxis der noch im ersten Halbjahr 2017 durchgeführten Sammelabschiebungen (ohne Begrenzung auf bestimmte Personengruppen) zeigt. Zusätzlich scheint die genannte Entscheidung auch der Tatsache geschuldet zu sein, dass die deutsche Botschaft in Kabul aufgrund ihrer weitgehenden Zerstörung am 31. Mai 2017 massiv und anhaltend in ihrer Funktionsfähigkeit eingeschränkt ist, so dass Abschiebungen von dort derzeit nicht unterstützt werden können. Schließlich ist eine Bleibeperspektive aufgrund eines individuellen asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Anspruchs nicht mit der aktuell vorliegenden und hinsichtlich ihrer Dauerhaftigkeit sehr fragilen politischen Entscheidung zu vergleichen, sodass die negative asylrechtliche Bleibeperspektive – zumindest bei aktueller Sachlage – nicht überwunden werden kann.
Soweit der Antragsgegner darüber hinaus zulasten des Antragstellers auf den Belang der nicht abschließend festgestellten Identität verwiesen hat, so erscheint dieser ebenfalls grundsätzlich im Rahmen der hiesigen Entscheidung berücksichtigungsfähig, da es sich hierbei um eine zulässige aufenthalts- bzw. asylrechtliche Erwägung handelt. Hierdurch soll einer zusätzlichen durch die Aufnahme einer Ausbildung entstehenden Verfestigung des Aufenthalts bei denjenigen Asylbewerbern entgegengewirkt werden, die über keine gesicherten Identitätsnachweise und Reisedokumente verfügen und bei denen auch keine Anhaltspunkte vorliegen, dass sie nach rechtskräftiger Ablehnung ihres Asylantrages unverzüglich bei der Beschaffung von Identitätspapieren mitwirken. Entgegen der Ausführungen des Antragstellerbevollmächtigten hat der Kläger ausweislich der vorliegenden Akten seine Tazkira weder Original noch in Kopie vorgelegt, sondern vielmehr im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 29. November 2016 erklärt, dass sich seine Tazkira in Afghanistan befinde und er diese nicht mitgenommen habe. Auch im Nachgang ist diese offensichtlich weder vorgelegt worden noch sind entsprechende Bemühungen hierzu ersichtlich geworden.
Die Frage, ob dem Erlass einer einstweiligen Anordnung im vom Antragsteller beantragten Sinne zusätzlich auch noch das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegensteht, bedarf angesichts vorstehender Ausführungen keiner Klärung im hiesigen Verfahren mehr.
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, da es sich um eine asylrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 83b AsylG handelt (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2015 – 10 CE 15.2038 – juris).


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