Verwaltungsrecht

Besetzung eines Ausschusses

Aktenzeichen  Au 7 E 20.1002

Datum:
17.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21300
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
BayLKrO Art. 27 Abs. 2 S. 2 , Art. 89 Abs. 2
GLKrWG Art. 35

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten um die Besetzung des Rechnungsprüfungsausschusses des Kreistags des Antragsgegners.
1. Die Antragstellerin ist die Fraktion der AfD im Kreistag des Antragsgegners. Bei der Kreistagswahl am 15. März 2020 ergab sich folgende Sitzverteilung für den insgesamt aus 60 Sitzen bestehenden Kreistag:
CSU 1.254.023 Stimmen 25 Sitze
GRÜNE 542.273 Stimmen 9 Sitze
Freie Wähler 404.818 Stimmen 7 Sitze
SPD 385.216 Stimmen 7 Sitze
AfD 287.621 Stimmen 5 Sitze
Unabhängige 183.695 Stimmen 3 Sitze
ÖDP 181.277 Stimmen 3 Sitze
FDP 85.424 Stimmen 1 Sitz
Mit Einladungsschreiben des Landrates vom 3. April 2020 für eine am 20. April 2020 geplante erste Besprechung der künftigen Fraktionsvorsitzenden und Sprecher der im Kreistag vertretenen Parteien bzw. Gruppierungen wurde insbesondere über die Ausschüsse und deren jeweilige Mitgliederzahl, die in der Amtsperiode 2014/2020 bestanden haben, informiert. In der Anlage zu diesem Schreiben wurde das Berechnungsverfahren Sainte-Laguë/Schepers erläutert und zum einen dargestellt, wie viele Sitze sich nach diesem Berechnungsverfahren für die in den Kreistag gewählten Parteien und Gruppierungen in Ausschüssen mit 12, 8, 7 und 5 Mitgliedern jeweils ergeben. Danach stünde der Antragstellerin in Ausschüssen mit 12, 8 und 7 Mitgliedern jeweils ein Sitz, in Ausschüssen mit 5 Mitgliedern kein Sitz zu. Der FDP stünde in keinem Ausschuss ein Sitz zu. Der ÖDP stünde nur in Ausschüssen mit 12 Mitgliedern ein Sitz zu, während sie in Ausschüssen mit 8, 7 und 5 Mitgliedern keinen Sitz hätte. Dasselbe gilt für die Gruppierung Unabhängige. Zum anderen wurde dargestellt, welche Ausschussgemeinschaften für die Ausschüsse mit 8, 7 und 5 Sitzen gebildet werden können und wie viele Sitze der jeweiligen Ausschussgemeinschaft und den übrigen Parteien dann in diesen Ausschüssen jeweils zustünden (vgl. Bl. 123 bis 127 der Behördenakte). In der Besprechung am 20. April 2020 wurde das Thema erneut kurz erläutert und festgestellt, dass zwischen den Beteiligten hinsichtlich der Ausschussgrößen (Beibehaltung der bisherigen Mitgliederzahl) Einverständnis bestehe; u.a. solle der Rechnungsprüfungsausschuss weiterhin aus 7 Mitgliedern bestehen (vgl. Protokoll vom 20.4.2020, Bl. 128 bis 134 der Behördenakte). Mit E-Mail vom 21. April 2020 wurde den Sprechern der Fraktionen und Gruppierung nochmals die Übersicht über die Sitzverteilung in den Ausschüssen und die Auswirkungen auf die jeweiligen Stärkeverhältnisse im Falle der Bildung von Ausschussgemeinschaften übermittelt (vgl. Bl. 135 bis 139 der Behördenakte). Mit E-Mail vom 23. April 2020 und 24. April 2020 teilten die Fraktionsvorsitzenden von ÖDP und Unabhängige mit, dass sie u.a. für den Jugendhilfeausschuss (8 Mitglieder) und den (streitgegenständlichen) Rechnungsprüfungsausschuss (7 Mitglieder) jeweils eine Ausschussgemeinschaft bilden wollen (Bl. 140 der Behördenakte). Mit E-Mail vom 28. April 2020 (Bl. 141 der Behördenakte) informierte der Antragsgegner die künftigen Fraktionsvorsitzenden und Sprecher über die geplanten Ausschussgemeinschaften und erläuterte für den Jugendhilfeausschuss und den Rechnungsprüfungsausschuss die neue Sitzverteilung unter Berücksichtigung der Ausschussgemeinschaft (ÖDP und Unabhängige). Zum Rechnungsprüfungsausschuss wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es zu einer Pattsituation zwischen der CSU-Fraktion und der AfD-Fraktion komme, während die Ausschussgemeinschaft einen Sitz erhalte. Nach § 33 Abs. 2 Satz 2 der Geschäftsordnung des Kreistages 2014/2020, die fortgelten solle, entscheide in diesem Fall die größere Zahl der bei der Wahl auf die betreffenden Parteien abgegebenen Stimmen, so dass der Sitz bei der Fraktion der CSU bleibe. Unter Berücksichtigung der Ausschussgemeinschaft ergebe sich für den Rechnungsprüfungsausschuss folgende neue Sitzverteilung:
CSU: 3 (bleibt unverändert)
Grüne: 1
Freie Wähler: 1
SPD: 1
AfD: 0 (alt 1)
Ausschussgemeinschaft: 1 (alt 0)
FDP: 0
2. In seiner ersten Sitzung am 6. Mai 2020 beschloss der Kreistag des Antragsgegners (zu Tagesordnungspunkt 10), dass die Geschäftsordnung 2014/2020 mit Ausnahme zweier Änderungen bis zum Erlass der neuen Geschäftsordnung fortgelten solle (vgl. Beschlussbuchauszug vom 6.5.2020, Beschlussnummern 5/1 und 5/2, Bl. 40/41 der Behördenakte). Ein Beschluss (Beschlussnummer: 5/1, Abstimmungsergebnis: Ja 40, Nein 21 Stimmen) wurde zur Änderung von § 10 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Kreistages … (nachfolgend: GeschO) getroffen (Bestimmungen zum Sitzungstag). Die weitere – einstimmig verabschiedete – Änderung betraf § 33 Abs. 2 Satz 1 und 2 der GeschO, der die Methode zur Berechnung von Ausschusssitzen regelt und nunmehr wie folgt lautet: „Die Mitglieder des Kreisausschusses werden vom Kreistag auf Grund der Vorschläge der Parteien und Wählergruppen nach dem Verfahren Sainte-Laguë/Schepers mit der Berechnungsmethode nach dem Höchstzahlverfahren ermittelt (vgl. Art. 35 GLKrWG). Bei gleicher Teilungszahl entscheidet die größere Zahl der bei der Wahl auf die betreffenden Parteien oder Wählergruppen abgegebenen Stimmen.“ (vgl. Beschlussnummer: 5/2, Ja 61, Nein 0 Stimmen).
Ebenfalls in der Sitzung am 6. Mai 2020 beschloss der Kreistag unter Tagesordnungspunkt 11 – einstimmig – zum einen die Einsetzung weiterer Fachausschüsse und zum anderen die jeweilige Mitgliederstärke der gesetzlichen und weiteren Ausschüsse. Unter anderem wurde beschlossen, dass der Rechnungsprüfungsausschuss aus 7 Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden besteht (vgl. Beschlussbuchauszug vom 6.5.2020, Beschlussnummer: 6, Abstimmungsergebnis: Ja 60, Nein 0 Stimmen, Bl. 44/45 der Behördenakte).
Laut Tagesordnungspunkt 12 (s. Einladung vom 23.4.2020 zur 1. Sitzung des Kreistags am 6.5.2020, Bl. 1 der Behördenakte) fand in dieser ersten Kreistagssitzung auch die Bekanntgabe der Ausschussgemeinschaften statt.
In der zweiten Sitzung am 13. Mai 2020 äußerte sich die stellvertretende Vorsitzende der Antragstellerin im Rahmen der Erörterung des Tagesordnungspunktes 5 (Besetzung des Rechnungsprüfungsausschusses und Bestimmung eines Ausschussmitglieds zum/zur Vorsitzenden) lediglich zum vom Landrat vorgeschlagenen Abstimmungsverfahren und trug vor, dass sie die Abstimmung in alphabetischer Reihenfolge ungerecht finde und aus Sicht ihrer Fraktion einzig die Abstimmung in ausgeloster Reihenfolge gerecht wäre. Weitere Redebeiträge von Mitgliedern der Antragstellerin erfolgten zu diesem Tagesordnungspunkt nicht (vgl. Auszug aus dem Sitzungsprotokoll, Beglaubigter Beschlussbuchauszug zu Tagesordnungspunkt 5 der öffentlichen Sitzung vom 13.5.2020, Bl. 32, 33 der Gerichtsakte). Sodann berief der Kreistag entsprechend den Vorschlägen der Fraktionen/Ausschussgemeinschaft sieben ordentliche und sieben stellvertretende Mitglieder in den Rechnungsprüfungsausschuss, nämlich drei Mitglieder und deren Stellvertreter von der CSU und jeweils ein ordentliches Mitglied und dessen Stellvertreter von den Parteien B90/Die Grünen, Freie Wähler SPD und der Ausschussgemeinschaft (Unabhängige/ÖDP). Dieser Kreistagsbeschluss erfolgte einstimmig (vgl. Beschlussbuchauszug vom 13.5.2020, Beschlussnummer: 17, Abstimmungsergebnis: Ja 60, Nein 0, Bl. 154/155 der Behördenakte). Die Berufung des Ausschussvorsitzenden sowie seines Stellvertreters erfolgte mit 48 Ja-Stimmen zu 12 Nein-Stimmen bzw. mit 55 Ja-Stimmen zu 5 Nein-Stimmen (vgl. Beschlussbuchauszug vom 13.5.2020, Beschlussnummern 17/1 und 17/2, Bl. 154/155 der Behördenakte).
3. Mit E-Mail vom 7. Juni 2020 teilte der Fraktionsvorsitzende der AfD dem Landrat erstmals mit, dass er die Bildung einer Ausschussgemeinschaft bei der Besetzung des Rechnungsprüfungsausschusses für rechtswidrig erachte. Dieser Ausschusssitz stehe der AfD-Fraktion zu. Es werde beantragt, den Fehler bei der nächsten Kreistagssitzung zu heilen. Als ordentliches Mitglied für den Rechnungsprüfungsausschuss benenne die AfD-Fraktion … und als Stellvertreter … Der Antragsgegner erläuterte mit E-Mail vom 8. Juni 2020, dass die Bildung einer Ausschussgemeinschaft zulässig gewesen und folglich keine Heilung eines Fehlers durch den Kreistag notwendig sei.
4. Am 17. Juni 2020 ließ die Antragstellerin den streitgegenständlichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO stellen und beantragen,
den Rechnungsprüfungsausschuss des Kreistags des Antragsgegners bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens in der Weise zu verteilen, dass die Antragstellerin einen Sitz erhält;
hilfsweise den Antrag in andere Weise umzudeuten.
Zur Begründung des Eilantrags wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Zusammenschluss von Unabhängige und ödp nicht „ausschusswirksam“ gewesen sei und dieser Zusammenschluss für die Sitzverteilung im Rechnungsprüfungsausschuss daher nicht habe berücksichtigt werden dürfen. Zwar können sich gemäß Art. 27 Abs. 2 Satz 5 LKrO Kreisräte zur Entsendung gemeinsamer Vertreter in den Kreisausschuss zusammenschließen. Nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift sei aber nur der Zusammenschluss von Einzelgängern oder solchen Wählergruppen bzw. Fraktionen erlaubt, die ohne einen Zusammenschluss nach dem jeweiligen Berechnungsverfahren keinen Sitz im Kreisausschuss erhalten würden. Zielsetzung sei es, auch für kleine Gruppen bzw. Minderheiten eine Partizipation am Meinungsaustausch im Kreisausschuss zu ermöglichen. Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil sowohl ödp als auch Unabhängige in allen anderen Ausschüssen Sitze erhalten hätten und somit der Minderheitenschutz ausreichend befördert worden sei. Der Zusammenschluss sei nur zum Schein und zur Gesetzesumgehung eingegangen worden. Hierzu wurden als Anlage K5 die auf der Webseite des Landkreises veröffentlichen Listen über die Besetzung des Jugendhilfeausschusses sowie weiterer Ausschüsse, die jeweils 12 Mitglieder haben, vorgelegt. Zudem sei es mit Bundesrecht nicht vereinbar, dass bei der Besetzung von Ausschüssen mehrere Fraktionen einen gemeinsamen Wahlvorschlag einreichen mit der Folge, dass eine andere Fraktion in den Ausschüssen weniger Sitze erhält, als dies der Fall wäre, wenn jede Fraktion einen eigenen Vorschlag vorlegen würde. Kreisausschüsse müssten, ebenso wie Ausschüsse des Bundestags, ein verkleinertes Bild des Plenums sein und in ihrer Zusammensetzung die Zusammensetzung des Plenums widerspiegeln. Daher haben die einzelnen Fraktionen Anspruch auf Berücksichtigung bei der Ausschussbesetzung nach Maßgabe ihrer jeweiligen Mitgliederzahl.
Mit Schreiben vom 1. Juli 2020 beantragte der Antragsgegner,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Der Antrag sei bereits unzulässig, da es der Antragstellerin am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehle. Die Antragstellerin verstoße vorliegend gegen die Pflicht zum organtreuen Verhalten, da der Beschluss Nr. 17 vom 13. Mai 2020 mit ihren Stimmen zustande gekommen sei und sie zu keinem Zeitpunkt vor der Abstimmung habe erkennen lassen, dass sie mit der Besetzung des Rechnungsprüfungsausschusses nicht einverstanden sei. Darüber hinaus sei der Antrag gegen den falschen Antragsgegner gerichtet. Die Antragstellerin mache geltend, durch den Beschluss Nr. 17 des Kreistages … in ihren organschaftlichen Rechten verletzt worden zu sein. Richtiger Antragsgegner sei daher nicht die Gebietskörperschaft, sondern das Organ, das die behauptete Rechtsverletzung verursacht haben soll.
Der Antrag sei auch unbegründet, da es bereits am Anordnungsanspruch fehle. Der Beschluss Nr. 17 des Kreistags und das Verfahren zur Besetzung des Rechnungsprüfungsausschusses seien rechtmäßig gewesen. Die Berechnung der Sitzverteilung sei nach dem Verfahren Sainte-Laguë/Schepers gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 und 2 der GeschO erfolgt. Die Bildung einer Ausschussgemeinschaft zwischen den Fraktionen Unabhängige und ödp sei gemäß Art. 27 Abs. 2 Satz 5, Art. 29 Abs. 1 Satz 3 LKrO zulässig. Es sei unstreitig, dass Art. 27 Abs. 2 Satz 5 LKrO auch für den Rechnungsprüfungsausschuss gelte, obwohl in Art. 89 Abs. 2 LKrO ein Verweis auf diese Bestimmung nicht enthalten sei. Die Voraussetzungen zum Zusammenschluss zu einer Ausschussgemeinschaft zwischen ödp und Unabhängige hätten vorgelegen, da beide Fraktionen ohne diesen Zusammenschluss keinen Sitz im Rechnungsprüfungsausschuss erhalten hätten. Die Bildung einer Ausschussgemeinschaft werde auch nicht dadurch unzulässig, dass infolge des Zusammenschlusses eine an sich berechtigte Fraktion einen Ausschusssitz verliere.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 123 VwGO ist bereits unzulässig und hätte auch in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist unzulässig.
Der Sache nach begehrt die Antragstellerin die Kassation des Kreistagsbeschlusses Nr. 17 vom 13. Mai 2020 (Benennung der Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Rechnungsprüfungsausschusses) und ihre Berücksichtigung bei der Besetzung des Rechnungsprüfungsausschusses durch den Kreistag anstelle der Berücksichtigung der Ausschussgemeinschaft. Statthafte Klageart in einem – bisher noch nicht vorliegenden – Hauptsacheverfahren wäre daher eine allgemeine Leistungsklage. In solchen Fällen kann das Gericht gemäß § 123 VwGO auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn dies zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erforderlich ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Eine – wie hier gewünschte – Vorwegnahme der Hauptsache kommt aber nur in Betracht, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass eine in der Hauptsache erhobene bzw. noch zu erhebende Klage erfolgreich ist.
Diese Voraussetzungen liegen hier aber bereits deswegen nicht vor, da der Antragstellerin das Rechtsschutzinteresse – eine allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzung für alle Verfahrensarten – für den vorliegenden Kommunalverfassungsstreit fehlt. Der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung steht der Grundsatz der Organtreue entgegen.
Im Verhältnis der kommunalen Organe und Organteile zueinander gilt der Grundsatz der Organtreue. Dieser begründet namentlich die Obliegenheit von Ratsmitgliedern, rechtliche Bedenken gegen (anstehende) Beschlussfassungen in der verfahrensrechtlich gebotenen Form rechtzeitig geltend zu machen. Der Grundsatz der Organtreue verlangt insbesondere die rechtzeitige Rüge der beanstandeten Maßnahme gegenüber dem Organ selbst. Unterbleibt diese rechtzeitige Rüge, kann die vermeintliche Rechtswidrigkeit der fraglichen Verfahrensweise später nicht mehr im Rahmen einer einstweiligen Anordnung oder Klage mit Erfolg geltend gemacht werden. Denn durch die unterlassene Rüge ist dem Organ die Möglichkeit genommen worden, die Einwände zu prüfen und ggf. für Abhilfe Sorge zu tragen (vgl. zuletzt OVG NW, B.v. 2.4.2020 – 15 A 1831/19 – juris Rn. 16 f. m.w.N.).
Ob es für die geforderte Rechtzeitigkeit der Rüge notwendig ist, diese im Vorfeld der beanstandeten Maßnahme zu erheben oder ob es ausreicht, sie zeitnah im Nachhinein vorzubringen, hängt von der Art des Streitgegenstands und den insoweit bestehenden tatsächlichen Möglichkeiten des Betroffenen ab. Besteht im Vorfeld keine Gelegenheit zur Rüge, so ist diese zeitnah im Anschluss zu erheben, um die Möglichkeit zur Selbstkorrektur einzuräumen (vgl. OVG NW, B.v. 2.4.2020 – 15 A 1831/19 – juris Rn. 20 f. m.w.N.).
Gemessen daran hat die Antragstellerin dem Grundsatz der Organtreue nicht genügt. Dem Fraktionsvorsitzenden der Antragstellerin (*) war bereits am 28. April 2020 per E-Mail des Antragsgegners mitgeteilt worden, dass die im Kreistag vertretenen Mitglieder der Partei ÖDP und der Gruppierung Unabhängige im Hinblick auf die Besetzung des Rechnungsprüfungsausschusses eine Ausschussgemeinschaft bilden mit der Folge, dass der Antragstellerin in diesem Ausschuss kein Sitz und der Ausschussgemeinschaft ein Sitz zusteht (s. Bl. 141 der Behördenakte). Bereits zuvor war der Fraktionsvorsitzende der Antragstellerin mit dem Einladungsschreiben des Landrates vom 3. April 2020 über die Berechnung der Ausschussbesetzung und den Auswirkungen im Falle der Bildung von Ausschussgemeinschaften informiert worden (s. Bl. 123 bis 127 der Behördenakte). Er nahm auch an der Besprechung am 20. April 2020 teil (vgl. Protokoll vom 20.4.2020, Bl. 128 bis 134 der Behördenakte) und wurde anschließend per E-Mail vom 21. April 2020 nochmals über die Sitzverteilung in den Ausschüssen und die Auswirkungen auf die jeweiligen Stärkeverhältnisse im Falle der Bildung von Ausschussgemeinschaften informiert (s. Bl. 135 bis 139 der Behördenakte). Damit war der Antragstellerin bereits geraume Zeit vor den konstituierenden Kreistagssitzungen vom 6. Mai 2020 und 13. Mai 2020 bekannt, dass sie aufgrund der Bildung der Ausschussgemeinschaft aus ÖDP und Unabhängige keinen Sitz im Rechnungsprüfungsausschuss erhalten wird. Der Antragstellerin wäre es daher möglich gewesen, rechtliche Bedenken bereits in der Kreistagssitzung vom 6. Mai 2020 z.B. zu Tagesordnungspunkt 12, Bekanntgabe von Ausschussgemeinschaften, insbesondere aber in der Sitzung vom 13. Mai 2020 im Rahmen der Erörterung des Tagesordnungspunktes 5 (Besetzung des Rechnungsprüfungsausschusses und Bestimmung eines Ausschussmitglieds zum/zur Vorsitzenden) geltend zu machen und den Nichterlass des streitgegenständlichen Beschlusses zu verlangen bzw. den (trotzdem) getroffenen Beschluss als rechtswidrig zu beanstanden und dessen Korrektur zu fordern. Laut dem Sitzungsprotokoll vom 13. Mai 2020 äußerte sich die stellvertretende Vorsitzende der Antragstellerin im Rahmen der Erörterung des Tagesordnungspunktes 5 aber lediglich zu dem vom Landrat vorgeschlagenen Abstimmungsverfahren (alphabetische Reihenfolge), erhob jedoch keinen (rechtlichen) Einwand hinsichtlich des Beschlusses bzw. Beschlussvorschlags zur Besetzung des Rechnungsprüfungsausschusses (vgl. Auszug aus dem Sitzungsprotokoll, Beglaubigter Beschlussbuchauszug zu Tagesordnungspunkt 5 der öffentlichen Sitzung vom 13.5.2020, Bl. 32, 33 der Gerichtsakte). Insbesondere haben aber alle fünf Mitglieder der Antragstellerin der Besetzung des Rechnungsprüfungsausschusses mit drei Kreisräten der CSU und jeweils einem Kreisrat von B90/Die Grünen, Freie Wähler, SPD und der Ausschussgemeinschaft zugestimmt. Denn dieser Beschluss wurde mit den Stimmen aller 60 Kreisräte einstimmig gefasst (vgl. Beschlussbuchauszug vom 13.5.2020, Beschlussnummern 17, Abstimmungsergebnis: Ja 60, Nein 0, Bl. 154 der Behördenakte). Niemand hat aber ein anerkennenswertes Interesse daran, gegen sich selbst und seine rechtswirksam vorgenommenen Rechtshandlungen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. VG Köln, U.v. 10.6.2015 – 4 K 5473/14 – juris Rn.45 m.w.N.). Unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) ist daher kein Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin ersichtlich, gegen die mit ihren eigenen Stimmen zustande gekommene Berufung der Mitglieder des Rechnungsprüfungsausschusses gerichtlich vorzugehen.
2. Der Antrag erweist sich aber auch als unbegründet.
Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch auf erneute Entscheidung des Kreistags über die Sitzverteilung im Rechnungsprüfungsausschuss und auf Zuteilung eines Sitzes in diesem Ausschuss nicht glaubhaft gemacht.
a) Die Ausschussgemeinschaft zwischen den drei Kreisräten der Partei ödp und den drei Kreisräten der Gruppierung Unabhängige wurde wirksam gebildet und war bei der Sitzverteilung vor der Antragstellerin, die mit fünf Kreisräten im Kreistag vertreten ist, vorrangig zu berücksichtigen.
Art. 27 Abs. 2 Satz 2 der Landkreisordnung für den Freistaat Bayern (LKrO) bestimmt, dass der Kreistag bei der Bestellung der Mitglieder des Kreisausschusses dem Stärkeverhältnis der in ihm vertretenen Parteien und Wählergruppen Rechnung zu tragen hat. Diese Vorschrift besagt, dass jeder Ausschuss in seiner Zusammensetzung soweit als möglich ein verkleinertes Abbild des Kreistags darstellen muss (Gebot der Spiegelbildlichkeit). Nach Art. 27 Abs. 2 Satz 5 LKrO können sich Kreisräte zur Entsendung gemeinsamer Vertreter in den Kreisausschuss zusammenschließen. Diese Bestimmung ist einschränkend zu verstehen und lässt nur den Zusammenschluss von sog. Einzelgängern oder solchen Fraktionen oder Gruppen zu, die ohne einen Zusammenschluss keinen Sitz im Ausschuss erhalten würden. Es dürfen sich also nur „Kleine mit Kleinen”, nicht aber „Kleine mit Großen” oder gar „Große mit Großen” verbinden. Diese Beschränkung beruht auf dem Gedanken, dass anderenfalls das Leitbild vom Ausschuss als dem verkleinerten Abbild des Plenums entscheidend in Frage gestellt und das verfassungsrechtliche Demokratieprinzip missachtet wäre, denn das Gesetz will lediglich die Mitarbeit sonst nicht vertretener kleiner Gruppierungen in den Ausschüssen ermöglichen, nicht aber die Basis ohnehin vertretener Parteien oder Wählergruppen verstärken. Dabei ist diese Beschränkung für jeden Ausschuss gesondert zu prüfen (vgl. BayVGH, U.v.17.3.2004 – 4 BV 03.117 – BayVBl 2004, 432-435, juris Rn. 39, 43 f. m.w.N.).
Die Grundsätze des Art. 27 Abs. 2 Satz 2 und 5 LKrO gelten gemäß Art. 29 Abs. 1 Satz 3 LKrO entsprechend für die weiteren Ausschüsse, die der Kreistag im Rahmen seiner Organisationsgewalt bilden kann, und ebenso für die spezialgesetzlich vorgeschriebenen Ausschüsse, soweit es um deren Besetzung mit Mitgliedern des Kreistags geht. Sie gelten demnach auch für den hier streitgegenständlichen Rechnungsprüfungsausschuss, der gemäß Art. 89 Abs. 2 LKrO, § 35 Satz 1 der GeschO aus der Mitte des Kreistags mit 7 Kreisräten/innen zu bilden ist.
Demnach ist der Zusammenschluss der Kreisräte von ödp und Unabhängige zur Entsendung eines gemeinsamen Vertreters in den mit 7 Kreistagsmitgliedern zu besetzenden Rechnungsprüfungsausschuss nicht zu beanstanden, denn sowohl ödp als auch Unabhängige wären ohne den Zusammenschluss bei der Sitzverteilung leer ausgegangen. Der Zusammenschluss wird auch nicht dadurch unzulässig, dass infolge seiner Berücksichtigung bei der Sitzverteilung die „an sich” im Rechnungsprüfungsausschuss vertretene Antragstellerin ihren einzigen Sitz verliert und dort nicht repräsentiert ist. Eine solche Folge ist nämlich in Art. 27 Abs. 2 Satz 5 LKrO zwangsläufig angelegt. Die ohne ihren Zusammenschluss im Ausschuss nicht vertretenen Einzelgänger und kleinen Parteien/Gruppierungen können nur zu Lasten einer ursprünglich vertretenen (größeren) Gruppe berücksichtigt werden, die einen Sitz abgeben muss, mag sie nun rechnerisch mehrere Sitze oder nur diesen einen haben. Insofern enthält Art. 27 Abs. 2 Satz 5 LKrO eine Abweichung vom Leitbild der Spiegelbildlichkeit. Diese vom Gesetzgeber ausdrücklich in Kauf genommene „Unvollkommenheit” (vgl, BayVGH vom 26.11.1954 VGH n.F. 8, 5/10) ist im Interesse des Minderheitenschutzes gerechtfertigt. Auch sind Art. 27 Abs. 2 Sätze 2 und 5 LKrO in ihrer Zusammenschau so zu verstehen, dass die im Ausschuss zu vergebenden Sitze „den Parteien, Wählergruppen und Ausschussgemeinschaften nach dem Verhältnis zuzuteilen sind, in welchem die auf sie entfallenden Kreistagssitze zueinander stehen” (so ausdrücklich BayVGH vom 5.3.1986 VGH n.F. 39, 22/23). Die Ausschussgemeinschaft steht bei Verteilung der Ausschusssitze mit anderen Worten einer originär zu berücksichtigenden Gruppe gleich und geht deshalb bei der Sitzverteilung mit Blick auf die Anzahl ihrer 6 Sitze im Kreistag der Antragstellerin, die 5 Sitze hat, vor. Ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip oder die verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätze ist darin nicht zu erblicken.
Der sinngemäße Vortrag der Antragstellerin im Antragsschriftsatz vom 12. Juni 2020, die Bildung der Ausschussgemeinschaft für den Rechnungsprüfungsausschuss widerspreche deswegen dem in Art. 27 Abs. 2 Satz 5 LKrO beabsichtigten Ziel des Minderheitenschutzes, da sowohl ödp als auch Unabhängige in allen anderen Ausschüssen Sitze erhalten haben, der Minderheitenschutz somit ausreichend befördert und der Zusammenschluss nur zum Schein und zur Gesetzesumgehung eingegangen worden sei, greift nicht durch. Denn Art. 27 Abs. 2 Satz 5 LKrO ist für jeden Ausschuss gesondert zu prüfen (vgl. BayVGH, U.v.17.3.2004 – 4 BV 03.117 – BayVBl 2004, 432-435, juris Rn. 43). Zudem ist kein Anhaltspunkt ersichtlich und von der Antragstellerin auch nicht substantiiert dargelegt worden, dass die Ausschussgemeinschaft allein oder ganz überwiegend nur zu dem Zweck gegründet worden wäre, um die Antragstellerin aus dem Rechnungsprüfungsausschuss zu „verdrängen“. Dass ödp und Unabhängige – ohne Bildung einer Ausschussgemeinschaft – in Ausschüssen mit 12 Mitgliedern jeweils einen Sitz, ebenso wie die Antragstellerin, haben (siehe Anlage K5 zum Antragsschriftsatz vom 12.6.2020) beruht auf dem in § 33 Abs. 2 Satz 1 und 2 der GeschO festgelegten Berechnungsverfahren (Verfahren Sainte-Laguë/Schepers mit der Berechnungsmethode nach dem sog. Höchstzahlverfahren). Daher wäre es ödp und Unabhängige auch verwehrt, für die Ausschüsse mit 12 Mitgliedern eine Ausschussgemeinschaft zu bilden.
Nach allem ist die Ausschussgemeinschaft (ödp und Unabhängige) für den Rechnungsprüfungsausschuss wirksam gebildet worden und wurde angesichts des Stärkeverhältnisses im Kreistag zu Recht vorrangig vor der Antragstellerin berücksichtigt worden.
b) Das Verwaltungsgericht geht, was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist, davon aus, dass die Berechnung der Ausschusssitze nach dem in § 33 Abs. 2 Satz 1 und 2 der GeschO festgelegten Berechnungsverfahren (Verfahren Sainte-Laguë/ Schepers mit der Berechnungsmethode nach dem sog. Höchstzahlverfahren) rechnerisch richtig erfolgt ist und gegen die Anwendung dieses Verfahrens auch keine rechtlichen Bedenken bestehen, zumal dieses Verfahren tendenziell eher die Minderheiten begünstigt.
Nach allem war der Antrag abzulehnen.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung für die kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5 Satz 2 und Nr. 22.7 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedr. In Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, Anh. § 164). Der Streitwert war im Eilverfahren nicht zu reduzieren, da von der Antragstellerin Vorwegnahme der Hauptsache begehrt wurde (vgl. VG Ansbach, B.v. 5.6.2020 – AN 4 E 20.973 – juris Rn. 75).


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