Aktenzeichen 20 ZB 18.30312
VwGO § 138 Nr. 3
Leitsatz
1 Wird lediglich die unrichtige Anwendung der Kriterien des BVerwG zur Bestimmung des Herkunftsortes auf den Einzelfall des Klägers und keine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit einer formulierten Frage geltend gemacht, führt dies nicht zur Zulassung der Berufung. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung ist im Asylprozess nicht anwendbar. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3 Hat das Gericht sein Urteil hinsichtlich der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, muss auch der Zulassungsantrag, um dem Darlegungserfordernis zu genügen, zu jedem dieser Begründungsstränge einen Zulassungsgrund darlegen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 11 K 17.30516 2017-10-27 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist bereits unzulässig, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in einer § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt wurden.
1. Der Kläger macht einerseits die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) geltend. Die Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). „Darlegen“ bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis. „Etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90/91; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Der Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss (BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – NVwZ 2006, 683). Diesen Anforderungen entspricht die Begründung des Zulassungsantrags nicht.
Soweit der Kläger für grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet,
nach welchen Kriterien die Herkunftsregion eines Ausländers im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu bestimmen ist,
fehlt es an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der Frage. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 31. Januar 2013 (10 C 15/12 – juris Rn. 14) ausgeführt, dass bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zukomme. Ein Abweichen von der Herkunftsregion könne nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren habe, etwa weil Familienangehörige getötet worden seien oder diese Gebiete ebenfalls verlassen hätten. Auch soweit die nachlassende subjektive Verbindung zur Herkunftsregion durch Umstände begründet worden sei, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts seien und es mangels Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive eine nachvollziehbare Haltung sei, nicht in die Herkunftsregion zurückkehren zu wollen, behalte diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz. Allerdings sei jedenfalls dann nicht mehr auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einen anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen habe, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliere die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheide damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus.
Dass über diese Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts hinaus ein Klärungsbedarf besteht, wird in der Begründung des Zulassungsantrags nicht dargelegt. Vielmehr beschränken sich die dortigen Ausführungen darauf, dass beanstandet wird, dass der Kläger den früheren Wohnort Afgoye nicht freiwillig, sondern wegen Problemen mit der Al-Shabaab verlassen habe und von dort nach Puntland gegangen sei. Damit wird im Ergebnis aber keine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der formulierten Frage, sondern vielmehr die unrichtige Anwendung der Kriterien des Bundesverwaltungsgerichts auf den Einzelfall des Klägers geltend gemacht und zwar, dass nicht von Puntland, sondern von Afgoye als für § 4 AsylG maßgeblichem Ort auszugehen sei. Da der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Asylprozess aber nicht anwendbar ist, kann dies nicht zur Zulassung der Berufung führen.
Soweit der Kläger daneben auch für grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet,
ob diese Kriterien auch zur Bestimmung des vom Gerichtshof der Europäischen Union verwandten Begriffs des tatsächlichen Zielorts der Rückkehr (U.v. 17.2.2009 – C-465/07, Rn. 40) herangezogen werden können,
fehlt es an Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit in dieser Frage.
2. Daneben macht der Kläger einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO) dadurch geltend, dass das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt habe, dass der Kläger TV-Reporter gewesen sei und in Somalia Probleme gehabt habe. Vorgebracht wird dieser Einwand gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass für den Kläger eine innerstaatliche Schutzalternative in Somaliland bestünde, weil er sich dort vor seiner Ausreise längere Zeit aufgehalten habe. Sachlich betrifft dieser Aspekt die Frage, ob dem Kläger Flüchtlingsstatus nach § 3 AsylG zu gewähren ist.
Diese Frage hat das Verwaltungsgericht jedoch zuvorderst deswegen abgelehnt, weil die Angaben des Klägers zu seinen Ausreisegründen und Problemen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Journalist als unglaubhaft eingeschätzt wurden. Insoweit hat das Urteil auf verschiedene Unstimmigkeiten im Vortrag des Klägers verwiesen. Nur daneben, „lediglich ergänzend“ (UA S. 9) hat das Verwaltungsgericht zur innerstaatlichen Fluchtalternative in Somaliland ausgeführt. Das Verwaltungsgericht hat damit sein Urteil hinsichtlich der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt. Daraus folgt, dass auch der Zulassungsantrag, um dem Darlegungserfordernis zu genügen, zu jedem dieser Begründungsstränge einen Zulassungsgrund darlegen muss (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 61; Berlit in GK-AsylG, 105. EL April 2016, Rn. 581, 582). Nachdem aber die Begründung des Verwaltungsgerichts zur fehlenden Glaubhaftmachung nicht mit einem Zulassungsgrund angegriffen ist, ist das Darlegungserfordernis nicht erfüllt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der vorliegenden Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.