Verwaltungsrecht

Betretungsverbot für das Oktoberfest

Aktenzeichen  M 22 K 18.4691

Datum:
22.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 25534
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
BayLStVG Art. 7 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Hat ein Verwaltungsakt außer seiner – erledigten – belastenden Wirkung zusätzlich einen diskriminierenden Inhalt, kann das Interesse der Rehabilitierung eine Fortsetzungsfeststellungsklage rechtfertigen.  (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kommt der Begründung eines Betretungsverbots wegen des Vorwurfs massiver Gewaltbereitschaft diskriminierende Wirkung zu, besteht dennoch kein Rehabilitationsinteresse, wenn Dritte hiervon keine Kenntnis erlangt haben.  (Rn. 26 und 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Fortsetzungsfeststellungsklage, mit der der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit des mit dem Bescheid vom 13. September 2018 verfügten Betretungsverbotes für das Oktoberfest 2018 begehrt, ist unzulässig und war daher abzuweisen, da der Kläger sich nicht auf ein Feststellungsinteresse berufen kann.
Hat sich der Verwaltungsakt, der Gegenstand einer Anfechtungsklage ist, vor der Entscheidung des Gerichts erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).
Hinsichtlich der in der Rechtsprechung anerkannten Fallgruppen eines Fortsetzungsfeststellunginteresses bedarf es hier allein einer Prüfung, ob der Kläger ein Rehabilitierungsinteresse geltend machen kann, nachdem die Beklagte klargestellt hat, dass sie nicht beabsichtigt, auf der Grundlage der im Verfahren getroffenen Feststellungen auch für die Folgejahre ein Betretungsverbot für das Oktoberfest gegenüber dem Kläger zu verfügen.
Hat ein Verwaltungsakt außer seiner – erledigten – belastenden Wirkung zusätzlich einen diskriminierenden, ehrenrührigen Inhalt, der geeignet ist, das Ansehen des Betroffenen in der Öffentlichkeit oder in seinem sozialen Umfeld herabzusetzen, so kann das Interesse an einer Rehabilitierung, also an einer Beseitigung dieser Rufminderung, eine Fortsetzungsfeststellungsklage rechtfertigen. Hierfür genügt allerdings nicht ein bloß ideelles Interesse an der endgültigen Klärung der Frage der Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsaktes ohne Rücksicht darauf, ob abträgliche Nachwirkungen fortbestehen. Auch der Wunsch nach Genugtuung reicht hierfür nicht aus. Vielmehr muss nach den Umständen des Falles feststehen, das dem Verwaltungsakt selbst, seiner Begründung oder den Umstände seines Zustandekommens eine stigmatisierende Wirkung zukommt, diese Außenwirkung erlangt hat, die in der Gegenwart noch anhält und den hierdurch bewirkten Beeinträchtigungen nur durch eine gerichtliche Sachentscheidung wirksam begegnet werden kann (vgl. BVerwG, B.v. 16.05.2013 – 8 C 14/12 – NVwZ 2013, 1481 Rn. 24 f.; BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 BV 17.2405 – BeckRS 2018, 2..1843 Rn. 38; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 119).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Zunächst ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass es für den Erlass eines sicherheitsrechtlichen Bescheides nach Art. 7 Abs. 2 LStVG nicht erforderlich ist, dass der Betroffene rechtskräftig wegen eines einschlägigen Delikts verurteilt worden ist (BayVGH, B.v. 18.2.1999 – 24 CS 98.3198 – juris Rn. 29). Die repressive Strafbarkeit eines Verhaltens bemisst sich nach anderen Kriterien als die Prüfung gefahrenabwehrender präventiver Maßnahmen der Sicherheitsbehörden. Bei Straftatbeständen kommt es für die Anwendung der sicherheitsrechtlichen Generalklausel darauf an, dass der objektive Tatbestand der Norm erfüllt ist. Ein Verschulden oder Strafausschließungsgründe sind nicht von Belang (vgl. Köehl in Bengl/Berner/ Emmerig, LStVG, Stand: Mai 2108, Art. 7 Rn. 48). Im Fall des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG ist auch die Rechtswidrigkeit der Tat keine Tatbestandsvoraussetzung. Es muss nur nachvollziehbar feststehen, dass und warum das Verhalten des Betroffenen eine konkrete Gefahrenlage begründet. Ein präventives Betretungsverbot, das an ein als objektiv strafbar bewertetes Vorverhalten des Betroffenen anknüpft, verstößt daher, wenn die sicherheitsrechtlichen Voraussetzungen für dessen Erlass vorliegen, auch nicht gegen die in Art. 6 Abs. 2 EMRK verbürgte Unschuldsvermutung. Die Berücksichtigung von Sachverhalten und Verdachtsgründen ist keine Schuldfeststellung oder -zuweisung, wenn und soweit sie bei Wiederholungsgefahr anderen Zwecken, insbesondere – wie auch hier – der vorbeugenden Straftatenbekämpfung, dient (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2010 – 6 C 5/09 – juris Rn. 26 unter Bezugnahme auf BVerfG, B.v. 16.05.2002 – 1 BvR 2257/01 – NJW 2002,3231).
Dass das Strafverfahren gegen den Kläger nach § 47 JGG eingestellt wurde (woraus allerdings nicht gefolgert werden kann, wie die Klagepartei vorträgt, dass ein Schuldnachweis nicht zu führen gewesen sei), ist daher für die Frage, ob die Voraussetzungen für den Erlass der erledigten Verfügung gegeben waren, nicht von Belang, wenn die festgestellten Umstände gleichwohl die der Verfügung zugrunde liegende Gefahrenprognose gerechtfertigt haben.
Weiter folgt aus Vorstehendem in Bezug auf die hier interessierende Frage des Vorliegens eines Rehabilitationsinteresses, dass die gefahrenabwehrrechtliche Bewertung strafrechtlich relevanter Sachverhalte nicht ohne Weiteres dahin interpretiert werden kann, dass damit zugleich ein ethisches Unwerturteil wie im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung verbunden wäre. Die bloße Einschätzung eines für die Gefahrenprognose relevanten Verhaltens als objektiv strafbar hat daher – auch wenn diese in der Sache nicht zutreffen sollte – keinen diskriminierenden Charakter und kann deshalb noch kein Rehabilitationsinteresse auslösen. Diese Schwelle wird regelmäßig erst mit dem konkreten, personenbezogenen Vorwurf eines schuldhaft kriminellen Verhaltens überschritten (BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14/12 – NVwZ 2013, 1481; Rn. 24 f.).
Im vorliegenden Fall enthalten die Bescheidsgründe keine eindeutige Feststellung in diesem Sinne. Zur konkreten Strafbarkeit des Verhaltens des Klägers anlässlich der Auseinandersetzung mit dem Geschädigten T. am 16. September 2017 wird dort lediglich – etwas verkürzt, in der Sache aber zutreffend – festgestellt, das Verfahren sei gegen Zahlung einer Geldauflage und nicht aufgrund der Unschuld des Klägers eingestellt worden.
Allerdings gehen die Ausführungen in den Bescheidsgründen, was den Vorfall vom 16. September 2017 angeht, über die Feststellung des Vorliegens der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 224 StGB hinaus, da die Beklagte davon ausgeht, der Kläger habe vorsätzlich gehandelt (Bescheidsgründe unter 1.2 und 2.3), was die Klagepartei unter Hinweis auf einen fehlenden Nachweis und der Möglichkeit eines „versehentlichen Treffers“ bestreitet. Und des Weiteren wird in diesem Zusammenhang auch ausgeführt, das Verhalten des Klägers bei dem Vorfall spreche für eine „massiv vorhandene Gewaltbereitschaft“ und dieser habe schwerste Verletzungen seines Kontrahenten zumindest billigend in Kauf genommen (vgl. 2.3 der Bescheidsgründe).
Ungeachtet des Umstands, dass sich den Bescheidsgründen nicht eindeutig entnehmen lässt, dass die Beklagte dem Kläger konkret den Vorwurf schuldhaft kriminellen Verhaltens machen würde (wenngleich die Ausführungen dem doch sehr nahe kommen), kann nach Auffassung der Kammer den angeführten Feststellungen eine potentiell diskriminierende Wirkung nicht abgesprochen werden. Die Behauptung einer beim Kläger vorhandenen massiven Gewaltbereitschaft und die Feststellung, dass er auch schwerste Verletzungen seines Kontrahenten in Kauf genommen habe, stellt sich aus Sicht des Klägers nachvollziehbar als persönliche Abqualifizierung dar, die stigmatisierende Wirkung entfalten könnte, auch wenn die Beklagte mit den Ausführungen, die die Sachverhaltsfeststellungen und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen betreffen, eine solche zweifellos nicht beabsichtigt hat.
Am Rande sei bemerkt, dass die von der Klagepartei weiter beanstandete Formulierung, wonach der Besuch des Oktoberfestes durch den Kläger der Begehung von Straftaten gedient habe, für diese Bewertung ohne Belang ist. Die Formulierung erscheint zwar befremdlich. Mit ihr sollte aber wohl nur erneut zum Ausdruck gebracht werden, dass der Kläger sich beim Besuch des Oktoberfestes in eine tätliche Auseinandersetzung hat verwickeln lassen.
Auch wenn mithin davon auszugehen ist, dass die Bescheidsgründe Formulierungen enthalten, die als potentiell diskriminierend zu werten sind, so kann ein Feststellungsinteresse hier aber gleichwohl nicht angenommen werden, weil der Kläger nicht substantiiert dargetan hat und auch sonst nicht ersichtlich ist, dass diese in relevanter Weise Außenwirkung erlangt hätten und noch bis in die Gegenwart fortwirken würden.
Allein der Umstand, dass der Kläger aufgrund der Verfügung gehindert war, im Jahr 2018 das Oktoberfest zu besuchen, reicht hierfür nicht aus, auch wenn Freunde oder Bekannte davon erfahren haben sollten, dass gegen den Kläger ein Betretungsverbot erlassen wurde. Der Erlass einer ordnungsbehördlichen Verfügung und deren Befolgung muss von Dritten nicht notwendig dahin verstanden werden, dem Betroffenen werde eine Straftat vorgeworfen oder habe seine Ursache sonst in Umständen, die geeignet sind, das Ansehen des Betroffenen erheblich zu schmälern (vgl. BVerwG, U.v. 16.05.2013 – 8 C 14/12 – NVwZ 2013, 1481 Rn. 27).
Wie bereits ausgeführt, hat der Erlass eines Betretungsverbotes auch nicht zur Voraussetzung, dass sich der Betroffene, soweit die Würdigung eines Vorverhaltens im Hinblick auf die Beurteilung einer Wiederholungsgefahr im Raume steht, einer Straftat schuldig gemacht hat.
Weiter sei hier im Hinblick auf die Wertung des Vorfalls vom 16. September 2017 darauf hingewiesen, dass auch bei Zugrundelegung eines Geschehensablaufs entsprechend den Angaben des Klägers bei seiner Anhörung in der strafrechtlichen Hauptverhandlung – wonach der angetrunkene Kläger sich nach dem Wegschubsen durch den Kontrahenten durch entsprechende Armbewegungen wehren oder schützen wollte, dabei aber nicht bedacht habe, dass er einen Maßkrug in Händen hält – einiges dafür spricht, dass eine hierauf beruhende Gefahrenprognose zu demselben Ergebnis geführt hätte (der Annahme einer beachtlichen Wiederholungsgefahr) und der Erlass ein Betretungsverbot wohl auch bei Annahme nur fahrlässigen Handelns in Betracht gekommen wäre.
Dazu, dass Personen aus dem Umfeld des Klägers vom Inhalt des Bescheides und insbesondere den hier interessierenden Ausführungen in den Bescheidsgründen Kenntnis erlangt hätten, was nur durch Vermittlung des Kläger selbst möglich gewesen wäre, und der Kläger deshalb habe befürchten müssen, er werde hierdurch in der Achtung durch die Betroffenen herabgesetzt, hat er nichts vorgetragen. Dass es hierzu gekommen sein könnte, erscheint im Übrigen auch wenig wahrscheinlich.
Schließlich ist festzustellen, dass auch nichts dafür ersichtlich ist, dass etwaige nachteilige Wirkungen noch bis in die Gegenwart anhalten könnten, zumal das Betretungsverbot das Oktoberfest 2018 betraf und für das Oktoberfest 2019 eine entsprechende Verfügung nicht erlassen wurde. Auch hierzu – dass die vermeintliche Stigmatisierung weiter andauert – hat der Kläger nichts vorgetragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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