Verwaltungsrecht

Betreuung, Anordnungsgrund, Lehrkraft, Italien, Jugendhilfe, Lehrer, Ermessensentscheidung, Antragsteller, Anordnungsanspruch, Schulweg, Schuljahr, Verwaltungsakt, Beschulung, Schule, elterliche Sorge, einstweilige Anordnung, Anspruch auf Aufnahme

Aktenzeichen  Au 3 E 21.2013

Datum:
20.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41444
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt, den Antragsgegner im Wege einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihn in einer Klasse zu beschulen, in der der Unterricht in der Form des gebundenen Ganztagsangebots erteilt wird.
1. Der im Jahr 2011 geborene Antragsteller besucht seit Beginn des Schuljahres 2018/2019 die Grundschule, wobei er in den Schuljahren 2018/ 2019, 2019/2020 und 2020/2021 in der Klasse seiner Jahrgangsstufe unterrichtet wurde, die als gebundenes Ganztagsangebot geführt wird. Bereits seit Beginn der ersten Jahrgangsstufe informierte die Schule den Vater des Antragstellers wiederholt darüber, dass der Antragsteller große Schwierigkeiten habe, konzentriert zu arbeiten und dem Unterricht aufmerksam zu folgen. Viele Aufgabenstellungen könne er nur bedingt und mit Hilfestellungen lösen. Zum anderen wies die Schule darauf hin, dass der Antragsteller oftmals in Konflikte mit anderen Kindern verwickelt sei und ihm eine friedliche Beilegung von Streitigkeiten nicht gelinge. Es komme immer wieder zu Zwischenfällen, in denen der Antragsteller Konflikte nicht friedlich und mit Worten lösen könne, sondern stattdessen mit körperlichen Mitteln wie Handgreiflichkeiten und Fußtritten reagiere. Wiederholt hätten sich Eltern von Klassenkameradinnen und Klassenkameraden darüber beschwert, dass er diesen Kindern zum Teil sichtbare Verletzungen zugefügt habe. Manche Kinder seien dermaßen verängstigt, dass sie nicht mehr in die Schule kommen wollten. Auch in den Jahreszeugnissen der Jahrgangsstufen 1 und 2 wird ausgeführt, dass der Antragsteller sehr oft in verbale und teils auch handgreifliche Konflikte verwickelt gewesen sei. Sein Sozialverhalten sei nicht befriedigend gewesen. Im Hinblick auf sein Lern- und Arbeitsverhalten gelinge es ihm nur für kurze Zeit, dem Unterricht aufmerksam zu folgen. Für die Durchdringung der Unterrichtsthemen habe der Schüler schrittweise Anleitung benötigt und Arbeitsaufträge mit viel Unterstützung langsam umgesetzt. Erinnerungen an Weiterarbeit und Mitdenken seien in Arbeitsphasen unerlässlich. Hausaufgaben habe er nur mit intensiver Hilfestellung und in wechselnder Zuverlässigkeit erledigt.
Nachdem die Schule diese Probleme des Antragstellers seinem Vater mit Schrei ben vom 1. Oktober 2018, 20. März 2019, 1. April 2019, 19. Oktober 2020, 18. Januar 2021 und 27. Januar 2021 mitgeteilt hatte, wurde der Vater mit Schreiben vom 24. Februar 2021 über ein Gespräch zwischen dem Schulleiter, dem Klassenlehrer, der Schulpsychologin und der Schulrätin informiert, an dem der Vater des Antragstellers trotz Einladung nicht teilgenommen hatte. Darin wurde ausgeführt, dass es aus pädagogischen Gründen sinnvoll sei, dass der Antragsteller fortan nur am Vormittagsprogramm des Unterrichts teilnehme. Er benötige unbedingt viel individuelle Betreuung und Unterstützung, um erfolgreich lernen zu können. Die 1:1 Situation an der Schule, die viel individuelle Unterstützung ermöglichen könnte und von einem Schulbegleiter zu leisten wäre, sei bislang elternseits abgelehnt worden. Daher erscheine es effektiver, wenn der Antragsteller vorübergehend nicht mehr am Nachmittagsangebot teilnehme und stattdessen im häuslichen Umfeld bei individueller Betreuung seine Hausaufgaben erledige. Am 23. Juli 2021 suchten verschiedene Eltern von Mitschülern des Antragstellers das Gespräch mit der Schule. Ausweislich einer Gesprächsnotiz hierzu berichteten die Eltern, dass der soziale Frieden in der Klasse massiv gestört sei und ein erfolgreiches Lernen für die Kinder nicht mehr möglich sei. Dies liege daran, dass der Antragsteller Mitschüler auf dem Schulweg, in der Pause und auch im Klassenzimmer bedränge und mit aggressiven Übergriffen belästige und verletze. So habe er am 14. Juli 2021 während der Spielezeit ein Mädchen an beiden Ohren vom Boden hochgehalten und dadurch verletzt. Das Mädchen sei bei einem anderen Angriff am Hals gepackt und stark gewürgt worden. Diese und ähnlich aggressive Verhaltensweisen hätten bereits zu größeren Verletzungen geführt. Einige Kinder der Klasse hätten mittlerweile Angst, in die Schule zu kommen, und zeigten körperliche Symptome der Angst.
Im Jahreszeugnis der Jahrgangsstufe 3 wird ausgeführt, dass der Antragsteller Schwierigkeiten gehabt habe, sich in den Schulalltag einzufügen und durch unruhiges Verhalten oder Streitigkeiten mit anderen gestört habe. Er habe zum Ausdruck gebracht, dass ihm die Gefühle anderer wenig bedeuteten. Konflikte habe er gewaltsam zu lösen versucht. Im Hinblick auf sein Lern- und Arbeitsverhalten wird ausgeführt, dass er häufig abgelenkt gewesen sei, wenig Interesse im Unterricht gezeigt habe und von sich aus nicht an neue Lernaufgaben herangegangen sei. Zur Durchdringung von Unterrichtsthemen habe der Antragsteller konsequenter Anleitung bedurft.
Mit Schreiben vom 10. September 2021 teilte die Leiterin der Grundschule … der Großmutter des Antragstellers, die der Vater des Antragstellers durch schulische Vollmacht zur Vertretung gegenüber der Schule bevollmächtigt hat, mit, dass es in der Vergangenheit nicht immer gelungen sei, für den Antragsteller ein optimales Lernumfeld in der Schule und seiner Ganztagsklasse zu finden. Der Antragsteller solle aus pädagogischen Gründen im kommenden Jahr nicht mehr die Ganztagsklasse besuchen. Die dort regelmäßig wechselnden Bezugspersonen – verschiedene Lehrer und externes Personal -, offene Lernformen, sowie lange Schulzeiten und die verhärteten eingefahrenen Strukturen innerhalb der Klassengemeinschaft böten wenig Raum, den Bedürfnissen des Antragstellers gerecht zu werden. Der Antragsteller werde daher ab dem kommenden Schuljahr die Regelklasse 4a besuchen. Dieser Klassenwechsel biete dem Antragsteller die Chance, sein letztes Grundschuljahr in einem neuen Umfeld, in einer neuen Klassengemeinschaft mit nur wenigen Schülern und mit einer neuen erfahrenen Lehrkraft unbefangen zu starten.
Mit Schreiben vom 16. September 2021 teilte die Bevollmächtigte des Vaters des Antragstellers der Grundschule … mit, dass seitens des Vaters des Antragstellers kein Einverständnis damit bestehe, dass der Antragsteller statt der Ganztagsklasse, die er seit seiner Einschulung besucht habe, die Regelklasse 4a besuchen solle.
2. Am 5. Oktober 2021 beantragte der Vater des Antragstellers als gesetzlicher Ver treter des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten,
den Antragsteller ab sofort in der Ganztagsklasse 4d zu beschulen.
Trotz ordnungsgemäßer Versetzung in die vierte Klasse habe die Großmutter des Antragstellers, die sich zusammen mit seinem Vater um ihn kümmere, kurz vor Schulbeginn die Mitteilung der Grundschule erhalten, dass der Antragsteller nicht mehr die Ganztagsklasse 4d besuchen könne, sondern die Regelklasse 4a besuchen werde.
Als alleinerziehender Vater, der voll berufstätig sei, sei er auf die Ganztagsbetreuung dringend angewiesen. Aus diesem Grund sei der Antragsteller in diese Klasse eingeschult worden. Die in dem Schreiben vom 10. September 2021 genannten pädagogischen Gründe seien nicht nachvollziehbar, da für den Antragsteller Kontinuität und Betreuung am wichtigsten seien. Nur wenn dies gewährleistet sei, könne sich dies positiv auf seine Lernleistungen und seine Persönlichkeitsentwicklung auswirken. Dass sich die Großmutter des Antragstellers außerhalb der Ganztagsbetreuung um den Jungen gekümmert habe, ändere nichts am Bedarf der Ganztagsbetreuung. Die Großmutter sei krank und wegen vieler Arzttermine auf die Betreuung des Antragstellers angewiesen. Außerdem plane sie demnächst nach Italien zu ihrer eigenen pflegebedürftigen Mutter zurückzukehren. Unter dem Blickwinkel der Chancengerechtigkeit und zielgerichteten Förderung habe der Antragsteller einen Anspruch darauf, weiterhin die Ganztagsklasse zu besuchen.
Die Umsetzung des Antragstellers in die Regelklasse erweise sich mangels konkreter Begründung als willkürlich und beeinträchtige den Antragsteller in seinen Rechten. Die im Schreiben vom 10. September 2021 genannten „pädagogischen Gründe“ seien nicht näher erläutert worden. Die pädagogischen Aspekte der Kontinuität, des gewohnten Umfelds und der erforderlichen Ganztagsbetreuung hätten keine Berücksichtigung gefunden. Der Antragsteller habe ein verfassungsrechtliches Recht, eine seinen Fähigkeiten und seiner inneren Berufung entsprechende schulische Bildung und Förderung zu erhalten. Diesem Recht werde nur Rechnung getragen, wenn der Antragsteller die einzige Ganztagsklasse des Antragsgegners, die er bereits drei Jahre lang besucht habe, auch weiterhin besuchen könne. Er sei an die Struktur der Klasse, den zeitlichen Ablauf und das gezielte Betreuungs- und Bildungsangebot gewöhnt. Er könne nicht auf eine Mittagsbetreuungsgruppe verwiesen werden. Als alleinerziehender Elternteil sei der Vater des Antragstellers auf das Ganztagsangebot angewiesen. Der Antragsgegner fördere Ganztagsangebote auch zur Unterstützung Alleinerziehender.
Es bestehe auch ein Anordnungsgrund. Die Situation des Antragstellers lasse kein Zuwarten mehr zu. Seit er von der Nachricht konfrontiert worden sei, die Klasse zu wechseln, gehe es ihm schlecht. Seit Bekanntwerden der Nachricht klage er ständig über Übelkeit und Magenschmerzen und habe eine Schulangst entwickelt. Daher sei er seit Schulbeginn krankgemeldet, weil er extrem unter der gegenwärtigen Situation leide. Er empfinde die Umsetzung als eine unbegründete Strafe, könne sie weder nachvollziehen noch einordnen und leide darunter.
3. Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Versagung der Weiterbeschulung in einer Ganztagsklasse sei aus pädagogischen Gründen erfolgt. Trotz des immer wieder übergriffigen und nicht regelkonformen Verhaltens habe die Schule hier keine Ordnungsmaßnahme wegen schulischer Gefährdung getroffen, sondern im wohlverstandenen Interesse des Antragstellers als pädagogische Maßnahme die Verlängerung der Beschulung in der Ganztagsklasse nicht erneuert. Ein Rechtsanspruch auf den Besuch eines Ganztagsangebots bestehe nicht. Bei der Entscheidung der Schule über die Aufnahme eines Schülers in ein bestehendes Ganztagsangebot sei der Gleichbehandlungsgrundsatz zu berücksichtigen, dessen Anwendung sich zu einem sogenannten derivativen Leistungsanspruch auf Aufnahme verdichten könne. Die Aufnahme dürfe nur nach sachgerechten Kriterien und in nachprüfbaren Verfahren erfolgen. Seien sachgerechte Kriterien nicht erkennbar, bestehe im Rahmen der Kapazitäten ein Anspruch auf Aufnahme des das Ganztagsangebot wünschenden Schülers. Im Fall des Antragstellers sei die Aufnahme in die Ganztagsklasse in drei aufeinanderfolgenden Schuljahren bewilligt worden. Schüler und Schule hätten damit genügend Zeit gehabt, um den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule gegenüber dem Antragsteller in dieser Unterrichtsform zu testen. Dabei habe sich die Schule sehr um den Antragsteller gekümmert, ihn nach Kräften gefördert und versucht, ihm die Chancen zu ermöglichen, die ein Ganztagsangebot biete. Allerdings habe sich immer klarer herausgestellt, dass ein Verbleib des Antragstellers in der Ganztagsklasse nicht mehr einer optimalen Förderung entsprochen habe. Daher habe sich die Leitung der Schule mit Beginn des Schuljahres entschieden, den Besuch in einer neuen Klasse mit einem kompakt geführten Unterricht als bessere Option zu ermöglichen. Diese wohlüberlegte Entscheidung weise weder Willkür noch Ungleichbehandlung oder einen Ermessensfehlgebrauch auf. Die Entscheidung sei nach reiflicher Überlegung und im Hinblick auf die zahlreich dokumentierten Begebenheiten und Erkenntnisse über die Lern- und Verhaltensstärken und -schwächen des Schülers getroffen worden. Ein Anspruch des Antragstellers auf Aufnahme in die Ganztagsklasse auch im vierten Jahr bestehe daher nicht.
Der Antragsteller habe vom ersten Schultag an große Auffälligkeiten im Lern- und Arbeitsverhalten und im Sozialverhalten gezeigt. Um erfolgreich lernen zu können, brauche der Antragsteller eine feste Bezugsperson. Der erweiterte Personenkreis, der bei einer Beschulung bis 16:00 Uhr im Ganztag ein wichtiges Gestaltungsmerkmal sei, überfordere den Antragsteller. Seine Konzentrationsfähigkeit sei sehr gering. Kleine Lernfortschritte gelängen ihm nur bei einer 1:1 Betreuung. Es zeige sich, dass sein Durchhaltevermögen mittags aufgebraucht sei. Die Ausdehnung des Unterrichtsangebots auf den Nachmittag überfordere ihn. Studierzeiten, die der Übung dienten, seien für den Antragsteller nur dann zielführend, wenn Einzelförderung vorliege. Selbst Kleingruppenförderung gestalte sich schwierig. Die Zeit im Ganztag werde schwerpunktmäßig von unterschiedlichen externen Kräften betreut. Der Antragsteller schaffe es nicht, deren Anweisungen zu folgen. Das Einstellen auf verschiedene Ansprechpersonen und das Respektieren ihrer Weisungsbefugnis gelinge ihm nicht. Reglementierungen belasteten ihn und führten dann häufig zu respektlosem Verhalten den Betreuern gegenüber. Der Antragsteller habe in den vergangenen drei Schuljahren ganz oft eine Auszeit benötigt, um sich zu beruhigen und sein Verhalten zu reflektieren. Insgesamt überfordere das Setting im gebundenen Ganztag den Antragsteller. Das richtige Angebot zu einer Bildung und Förderung entsprechend seiner Fähigkeiten sei für den Antragsteller der L.ern weg der Regelklasse – ergänzt durch ein passgenaues Angebot am Nachmittag, zum Beispiel den Besuch einer heilpädagogischen Tagesstätte. Diese Unterstützung könne die Jugendhilfe leisten. Die Regelklasse 4a sei mit nur 17 Schülern kleiner als die bisherige Klasse und biete mit einer erfahrenen Lehrkraft eine überzeugende Lernumgebung für den Antragsteller. Sein vertrautes schulisches Umfeld sei nach wie vor gegeben. Schließlich lebe die Ganztagsklasse intensiver als die Regelklasse von einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen Schule und Elternhaus. Nur so könne erfolgreiches Lernen während der verlängerten gemeinsamen Zeit gelingen. Die Familie des Antragstellers vertrete jedoch die Auffassung, dass Erziehung Privatsache sei und die Schule nichts angehe. Daher sei die erforderliche Zusammenarbeit in Partnerschaft bislang nicht gelungen.
II.
Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO bleibt ohne Erfolg. Er ist unzulässig und überdies unbegründet.
1. Streitgegenstand des Antrags ist das Bestehen eines Anspruchs des Antragstel lers, einer Klasse seiner Jahrgangsstufe und Schule zugewiesen zu werden, in der die Beschulung in Form des gebundenen Ganztagsangebots erfolgt. Vom Vorliegen einer Ordnungsmaßnahme nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 3 BayEUG gehen weder der Antragsteller selbst noch der Antragsgegner aus.
2. Der Antrag ist bereits unzulässig. Der Antragsteller ist nicht ordnungsgemäß ver treten, da er im Verfahren allein durch seinen Vater vertreten wird, der die Prozessbevollmächtigte allein mandatiert hat.
a) Der minderjährige Antragsteller ist beschränkt geschäftsfähig im Sinne von§ 106 BGB. Für ihn wäre die Fähigkeit zur Vornahme von Verfahrenshandlungen gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zu bejahen, soweit er durch Vorschriften des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts für den Gegenstand des Verfahrens als geschäftsfähig anerkannt ist. Daran fehlt es hier. Zu den Fallgruppen, in denen diese Voraussetzung bejaht worden ist (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 62 Rn. 5 f.), zählt der vorliegende Streitstoff, nämlich die Aufnahme in eine Klasse des gebundenen Ganztagsangebots im Sinne des Art. 6 Abs. 4 Satz 1 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG), nicht.
Ob das öffentliche Recht einem beschränkt Geschäftsfähigen für einen bestimmten Bereich Handlungsfähigkeit und damit gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Prozessfähigkeit zuerkennt, ist im Zweifel durch Auslegung der in Frage stehenden Vorschriften zu ermitteln. Der Wille des Gesetzgebers, abweichend vom allgemeinen Recht die Verfahrenshandlungsfähigkeit beschränkt Geschäftsfähiger zu begründen, muss jedenfalls im Gesetz hinreichenden Ausdruck finden (VG Schleswig, B.v. 14.10.2002 – 9 B 99/02 – juris Rn. 5). Ein dahingehender Wille des Gesetzgebers zur Begründung der Prozessfähigkeit beschränkt Geschäftsfähiger für den hier maßgeblichen Bereich ist im Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen nicht erkennbar.
b) Damit ist in Streitigkeiten der vorliegenden Art ein Handeln für prozessunfähige natürliche Personen durch den oder die gesetzlichen Vertreter erforderlich. Hieran fehlt es vorliegend, weil die Eltern des Antragstellers die elterliche Sorge gemeinsam ausüben, der Antrag, über den zu entscheiden ist, aber allein durch den Vater des Antragstellers bzw. durch die allein von ihm mandatierte Prozessbevollmächtigte eingereicht wurde.
aa) Wie sich aus dem Beschluss des Amtsgerichts … – Familiengericht – vom 4. Dezember 2015 im Verfahren … ergibt, üben die Eltern des Antragstellers die elterliche Sorge für ihn gemeinsam aus, mit Ausnahme des Aufenthaltsbestimmungsrechts, das auf den Vater des Antragstellers allein übertragen wurde. Dass inzwischen eine anderweitige familiengerichtliche Bestimmung der elterlichen Sorge getroffen worden wäre, ist weder dargetan noch ersichtlich.
Aus dem ihm allein übertragenen Aufenthaltsbestimmungsrecht leitet sich keine alleinige Vertretungsbefugnis des Vaters des Antragstellers zur Erhebung von gerichtlichen Rechtsbehelfen in schulischen Angelegenheiten ab. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht umfasst das Recht, den dauernden oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes zu bestimmen (Fuchs in BeckOGK BGB, Stand: 1.8.2021, § 1671 Rn. 27). Das Aufenthaltsbestimmungsrecht stellt jedoch nur einen von verschiedenen Teilbereichen der elterlichen Sorge dar und umfasst nicht auch die Gesundheitssorge oder die vorliegend entscheidende Sorge für die schulischen Angelegenheiten (vgl. Hennemann in MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, BGB § 1671 Rn. 21; Veit in BeckOK BGB, 59. Ed. 1.8.2021, BGB § 1671 Rn. 23.1). Hieran ändert nichts, dass sich durch die Sprengelpflicht des Art. 42 BayEUG als Nebenfolge aus dem Aufenthaltsbestimmungsrecht der Ort der Beschulung ergibt, soweit die Sprengelpflicht reicht.
bb) Eine alleinige Vertretungsbefugnis des Vaters des Antragstellers zur Erhebung von gerichtlichen Rechtsbehelfen in schulischen Angelegenheiten ergibt sich auch nicht aus § 1687 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB. Denn hierbei handelt es sich nicht um Angelegenheiten des täglichen Lebens, für die der Elternteil, bei dem sich das Kind auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, die Befugnis zur alleinigen Entscheidung hat. Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Die Entscheidung über den Besuch des gebundenen Ganztagsangebots gehört hierzu nicht. Da die Entscheidung hierfür nach der Verwaltungspraxis des Antragsgegners nur zu Beginn des Schuljahres mit verpflichtender Bindung für das ganze Schuljahr erfolgen kann (vgl. Nr. 2.5.4 der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 10. Februar 2020 über Gebundene Ganztagsangebote, Az. IV.8- BO4207.1-6a.10 155, BayMBl 2020 Nr. 86, geändert durch Bekanntmachung vom 31. Mai 2021, BayMBl 2020 Nr. 413), handelt es sich weder um eine häufig zu treffende Entscheidung noch um eine Entscheidung ohne schwer abzuändernde Auswirkung auf die Entwicklung des Kindes. Vielmehr ist in Fragen der Ausbildung eines Kindes das gegenseitige Einvernehmen beider sorgeberechtigter Elternteile erforderlich (VG Schleswig, B.v. 14.10.2002 – 9 B 99/02 – juris Rn. 5). Dies gilt umso mehr, soweit es um die Einleitung diesbezüglicher Gerichtsverfahren im Namen des Kindes geht. Bei etwaigen Meinungsverschiedenheiten der gemeinsam sorgeberechtigten Eltern wäre nach einem Einigungsversuch gegebenenfalls eine Entscheidung des Familiengerichts herbeizuführen.
cc) Eine alleinige Entscheidungsbefugnis des Vaters ergibt sich auch nicht aus § 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB. Dass Gefahr im Verzug im Sinne dieser Vorschrift vorliegt und die Zustimmung der Mutter zur Antragstellung beim Verwaltungsgericht seit dem 10. September 2021 nicht eingeholt werden konnte, ist weder dargetan noch ersichtlich.
dd) Schließlich sind den vorgelegten Verwaltungsakten keine Hinweise zu entnehmen, dass die Mutter des Antragstellers seinen Vater rechtsgeschäftlich bevollmächtigt hätte, wesentliche schulische Entscheidungen für den Antragsteller zu treffen.
3. Der Antrag ist auch unbegründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern.
Erforderlich ist, dass der Antragsteller die Eilbedürftigkeit (den Anordnungsgrund) und sein subjektivöffentliches Recht (den Anordnungsanspruch) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Der Antragsteller hat das Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Nach der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist ein Anordnungsanspruch nicht gegeben, da der Antragsteller keinen Anspruch hat, in einer Klasse des gebundenen Ganztagsangebots beschult zu werden. Ein solcher Anspruch ergibt sich aus dem Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) nicht.
a) Rechtsgrundlage für die Zuweisung eines Schülers in eine Klasse, in der die Beschulung in Form des gebundenen Ganztags stattfindet, ist Art. 49 Abs. 1 Satz 1 BayEUG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 4 BayEUG.
Die Zuweisung eines Schülers in eine bestimmte Klasse nach Art. 49 Abs. 1 BayEUG ist eine Ermessensentscheidung des Schulleiters, die sich nach pädagogischen, personellen, organisatorischen und räumlichen Gegebenheiten richtet (Pangerl, Schulordnung der Grundschule, AL 144, Erl. 6 zu § 7 GrSO). Es handelt sich um eine schulorganisatorische Maßnahme, die mangels Außenwirkung keinen Verwaltungsakt darstellt (BayVGH, B.v. 10.9.2013 – 7 CS 13.1880 – Rn. 17 f.). Für die Beschulung in Form des Ganztagsangebots ist zusätzlich Art. 6 Abs. 4 BayEUG in den Blick zu nehmen, der sowohl das sog. offene Ganztagsangebot als auch das vom Antragsteller gewünschte sog. gebundene Ganztagsangebot betrifft. Dabei stellt Art. 6 Abs. 4 Satz 5 Halbs. 2 BayEUG nach seinem ausdrücklichen Wortlaut klar, dass ein Rechtsanspruch auf den Besuch eines Ganztagsangebots nicht besteht. Dies entspricht der Ansicht, dass allgemein mit der Zuweisung in eine Klasse eine Rechtsposition nicht geschaffen werden soll und die Zuweisung in eine Klasse die subjektivöffentlichen Rechte der Betroffenen nicht berührt (hierzu BayVGH, B.v. 10.9.2013 – 7 CS 13.1880 – Rn. 18).
Nach der Verwaltungspraxis des Antragsgegners, wie sie in der Bekanntmachung über Gebundene Ganztagsangebote zum Ausdruck kommt, werden die Schüler von ihren Erziehungsberechtigten vor Beginn des jeweiligen Schuljahres zur verpflichtenden Teilnahme in einer gebundenen Ganztagsklasse grundsätzlich jeweils für ein Schuljahr angemeldet (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 10. Februar 2020 über Gebundene Ganztagsangebote, Az. IV.8-BO4207.1-6a.10 155, BayMBl 2020 Nr. 86, geändert durch Bekanntmachung vom 31. Mai 2021, BayMBl 2020 Nr. 413, Nr. 2.5.2 Satz 1). Die Entscheidung über die Aufnahme trifft die Schulleitung nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung pädagogischer, familiärer und sozialer Aspekte (a.a.O. Nr. 2.5.3 Satz 3).
b) Nach dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 4 Satz 5 Halbs. 2 BayEUG ist damit nicht nur ein Anspruch auf Schaffung oder Erweiterung eines Ganztagsangebots, sondern auch jeglicher Anspruch auf den Besuch eines Ganztagsangebots ausgeschlossen. Indes ist dort, wo ein Ganztagsangebot besteht, bei der Entscheidung über die Aufnahme im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 GG und Art. 118 Abs. 1 BV zu berücksichtigen. Danach darf die Entscheidung über die Aufnahme nicht willkürlich, sondern muss nach sachgerechten Kriterien erfolgen (Lindner/Stahl, Schulrecht in Bayern, AL 234, Erl. 7 zu Art. 6 BayEUG). Als sachgerecht sind die in Nr. 2.5.3 Satz 3 der o.g. Bekanntmachung genannten pädagogischen, familiären und sozialen Aspekte anzusehen.
c) Im Lichte dieser Maßstäbe ist ein Anspruch des Antragstellers auf Zuweisung zu der Klasse seiner Schule und Jahrgangsstufe, die in der Form des gebundenen Ganztagsangebots beschult wird, nicht erkennbar. Er folgt auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz.
aa) Ein Anspruch ergibt sich zunächst nicht daraus, dass der Antragsteller in den Jahrgangsstufen 1 bis 3 in der Form des gebundenen Ganztagsangebots beschult wurde. Vielmehr erfolgt nach der Verwaltungspraxis des Antragsgegners die Anmeldung zu einer Klasse, die in dieser Form beschult wird, und damit auch die Zuweisung zu der entsprechenden Klasse immer nur für ein Schuljahr. Ein Vertrauensschutz auf Fortsetzung der bisherigen Praxis, den Antragsteller in einer Klasse des offenen Ganztagsangebots zu beschulen, besteht daher nicht. Die Verwaltungspraxis des Antragsgegners entspricht im Übrigen dem allgemeinen Grundsatz, dass eine Änderung der Klassenzugehörigkeit beim Schuljahreswechsel – und außerhalb der Ganztagsangebote nach Art. 6 Abs. 4 BayEUG auch während des Schuljahres – zulässig ist (Pangerl, Schulordnung der Grundschule, AL 144, Erl. 6 zu § 7 GrSO).
bb) Ein Aufnahmeanspruch des Antragstellers besteht auch sonst nicht, weil nicht glaubhaft gemacht ist, dass die Schulleiterin bei der Ablehnung, den Antragsteller in die Klasse seiner Schule und Jahrgangsstufe aufzunehmen, die in Form des gebundenen Ganztagsangebots beschult wird, den ihr insoweit zustehenden pädagogischen Beurteilungsspielraum überschritten hat.
Seitens der Schule wurde im Schreiben vom 10. September 2021 und in der ergänzenden Begründung in der Antragserwiderung nachvollziehbar darauf abgestellt, dass aus den Erfahrungen der vergangenen Schuljahre deutlich geworden ist, dass der Unterricht in der Form des gebundenen Ganztagsangebots, das durch lange Schulzeiten, offene Lernformen und wechselnde Bezugspersonen geprägt ist, den pädagogischen Bedürfnissen des Antragstellers nicht entspricht, weil sein Durchhaltevermögen bis mittags aufgebraucht ist, die Arbeit selbst in Kleingruppen sich für ihn als schwierig gestaltet und es ihm nicht gelingt, sich auf verschiedene Ansprechpersonen und ihre Weisungsbefugnis einzustellen. Nachvollziehbar wurde auch maßgeblich berücksichtigt, dass ein Wechsel der Klasse dem Antragsteller die Möglichkeit bietet, die verhärteten eingefahrenen Strukturen der bisherigen Klassengemeinschaft, in der es immer wieder zu auch handgreiflichen Konflikten mit Mitschülerinnen und Mitschülern gekommen ist, zu verlassen und sein letztes Grundschuljahr in einem neuen Umfeld zu erleben. Schließlich wurde seitens der Schule auch die soziale und familiäre Situation des Antragstellers und seines alleinerziehenden, berufstätigen Vaters nicht verkannt, da darauf hingewiesen wurde, dass der vormittägliche Besuch der Regelklasse am Nachmittag durch ein passgenaues pädagogisches Angebot aus dem Bereich der Jugendhilfe, wie etwa den Besuch einer heilpädagogischen Tagesstätte, ergänzt werden sollte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Da der Antragsteller die Vorwegnahme der Hauptsache begehrt, war keine Halbierung des Streitwerts gemäß Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs vorzunehmen und der Streitwert gemäß Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs auf 5.000 EUR festzusetzen.


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