Verwaltungsrecht

Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer behördlichen (Verdachts) Meldung als sog. „schwieriger Verfahrensbeteiligter“ bzw. sog. „Reichsbürger“, erforderlicher Verdachtsgrad für die behördliche Absetzung einer derartigen (Verdachts) Meldung, Einschätzungsspielraum der meldenden Behörde, zum Zeitpunkt der Verdachtsmeldung gegebenes Vorliegen von hinreichenden Anhaltspunkten für die Prüfung der Zugehörigkeit des Klägers zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ (hier bejaht)

Aktenzeichen  Au 1 K 20.1668

Datum:
8.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5083
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 43 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1
BayDSG 1993 Art. 17 Abs. 2 Nr. 9, 18 Abs. 1

 

Leitsatz

An die Meldung eines Verdachtsfalls „Reichsbürger“ an die Polizei können keine so hohen Anforderungen hinsichtlich der Gewissheit gestellt werden wie an die spätere Speicherung durch die Polizei. Der meldenden Behörde steht vielmehr ein gewisser Spielraum zu, soweit eine hinreichend konkrete Tatsachenbasis vorliegt.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Gegenstand der Klage ist die vom Kläger begehrte Feststellung, dass die vom Landesamt für Finanzen an das Polizeipräsidium … vorgenommene (Verdachts) Meldung seiner Person als sog. „schwieriger Verfahrensbeteiligter“ bzw. sog. „Reichsbürger“ rechtswidrig gewesen ist.
Kein Klagegegenstand in diesem Verfahren ist dagegen die (mittlerweile gelöschte) Eintragung des Klägers als „festgestellter Reichsbürger“ im Informationssystem Polizei (INPOL). Die Eintragung des Klägers in INPOL lag vielmehr ausschließlich dem Verfahren … sowie dem anschließenden Berufungsverfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Az. …) zugrunde.
II.
Die Klage hat, auch wenn man sie als zulässig betrachtet, jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.
1. Es bestehen bereits gewisse Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage, die jedoch im Ergebnis dahingestellt bleiben können.
Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses (…) begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.
Bei der Frage, ob das Landesamt für Finanzen berechtigt war, der Bayerischen Polizei mitzuteilen, dass der Kläger möglicherweise ein sog. „Reichsbürger“ bzw. „schwieriger Verfahrensbeteiligter“ sei, handelt es sich um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Hierunter versteht man die rechtlichen Beziehungen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von natürlichen oder juristischen Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft derer eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht (Gärditz, VwGO, 2. Aufl., 2018 Rn. 35 zu § 43 VwGO). Die Tatsache, dass die (Verdachts) Meldung bereits in der Vergangenheit erfolgt ist, steht dem nicht entgegen. Grundsätzlich kann auch ein vergangenes Rechtsverhältnis, also ein solches, das sich zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits erledigt hat, ein Gegenstand der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO sein (a.a.O., Rn. 62).
Aus Sicht des Gerichts spricht manches dafür, dass dem Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung zustehen könnte. Das nach § 43 Abs. 1 VwGO für eine zulässige Feststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse an der baldigen Feststellung schließt grundsätzlich jedes als schutzwürdig anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art ein (a.a.O. Rn. 77). Auch im Rahmen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO wird ein Feststellungsinteresse durch das Vorliegen von Wiederholungsgefahr, eines Rehabilitationsinteresses oder eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffes begründet (BVerwG, B.v. 20.12.2017 – 6 B 14/17 – NVwZ 2018, 739 (740) Rn. 13 f.); Gärditz, VwGO, 2. Aufl., 2018, Rn. 81 zu § 43 VwGO).
Insbesondere deutet manches darauf hin, dass vorliegend die Fallgruppe des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs einschlägig ist. In derartigen Fällen ist im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ein Feststellungsinteresse zu bejahen, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen solche Eingriffe zu erlangen wäre. Davon ist nur bei entsprechend gravierenden Maßnahmen auszugehen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Feststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten (BVerwG, U.v. 12.11.2020 – 2 C 5.19 – BeckRS 2020, 40414 Rn. 15 m.w.N. zu § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO; vgl. Wysk, VwGO, 3. Aufl., 2020, § 43 Rn. 56). Eine (fortwirkende) diskriminierende Wirkung der behördlichen Maßnahme ist nicht Voraussetzung, um ein Feststellungsinteresse aufgrund eines schwerwiegenden Grundrechtseingriffs anzunehmen. Mit der zuletzt genannten Gruppe tiefgreifender Grundrechtseingriffe, deren Beschwer sich typischerweise vor der Möglichkeit der Erlangung verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes erledigt, erscheint nach der Rechtsprechung eine (heimliche) Speicherung personenbezogener Daten in polizeilichen Datenbanken wertungsmäßig jedenfalls dann durchaus vergleichbar, wenn sich ausreichender Rechtsschutz nicht allein durch die Geltendmachung eines Löschungsanspruchs erreichen lässt (BVerwG, B.v. 20.12.2017 – 6 B 14/17 – NVwZ 2018, 739 (740) Rn. 13 f.). Hintergrund dessen ist die (erhebliche) Betroffenheit des grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), sofern eine Aufnahme von personenbezogenen Daten in eine Datenbank erfolgt, welche eine automatische Verarbeitung und Weiterverwendung ermöglicht. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt, wie das Bundesverwaltungsgericht in der vorgenannten Entscheidung unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, B.v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02 – NJW 2005, 1917 (1918)) zutreffend ausführt, unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Das grundrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Es dient auch dem Schutz vor einem Einschüchterungseffekt, der entstehen und zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung anderer Grundrechte führen kann, wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Hinzu kommt, dass es sich bei der Speicherung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten um Eingriffe handelt, die für die Betreffenden oftmals nicht unmittelbar wahrnehmbar sind und deren freiheitsgefährdende Bedeutung vielfach nur mittelbar oder erst später im Zusammenwirken mit weiteren Maßnahmen zum Tragen kommt (zum Vorgenannten: BVerwG, B.v. 20.12.2017 – 6 B 14/17 – NVwZ 2018, 739 (740) Rn. 13 f.) unter Verweis u.a. auf BVerfG, U. v. 24.4.2013 – 1 BvR 1215/07 – NJW 2013, 1499 (1515) Rn. 207).
Es spricht manches dafür, dass diese Grundsätze auf den vorgenannten Sachverhalt zumindest entsprechend anwendbar sind. Zwar ist zunächst zu sehen, dass nicht die Rechtmäßigkeit der (mittlerweile beendeten) Speicherung der Bezeichnung des Klägers als „festgestellter Reichsbürger“ streitgegenständlich ist, sondern die Rechtmäßigkeit der gegenüber dem Polizeipräsidium … – Sachgebiet E3 – erfolgten Übermittlung des damaligen Verdachts, dass der Kläger aus Sicht des Landesamts für Finanzen zur Gruppe der sog. „schwierigen Verfahrensbeteiligten“ bzw. sog. „Reichsbürger“ zählen könnte. Dennoch darf nicht außer Betracht bleiben, dass auch bei einer Übermittlung von Daten – einem gegenüber der Speicherung von Daten zwar zeitlich vorgelagerten, aber als rechtlich selbstständig zu bewertenden Grundrechtseingriff – eine ähnlich erhebliche Betroffenheit des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) gegeben sein kann. Für das Vorliegen einer derartigen Situation bestehen hier nicht unerhebliche Anhaltspunkte. Schließlich erfolgen bereits die „Reichsbürger-Verdachtsmeldungen“ ohne vorherige Kenntnis des Betroffenen. Ferner kann – aus Sicht des Gerichts – bis zur Überprüfung und Bereinigung der übermittelten Verdachtsmeldungen durch das zuständige Polizeipräsidium eine nicht unerhebliche Zeitspanne vergehen, in welcher hinsichtlich des Betroffenen bei der Polizei der (noch nicht geprüfte) Verdacht vermerkt ist, der sog. „Reichsbürgerbewegung“ anzugehören. Ohne eine Kenntnis von der Verdachtsmeldung hat der Betroffene auch keine zeitnahe Rechtsschutzmöglichkeit dagegen, weder vor der Verdachtsmeldung noch unmittelbar danach.
Ob im Ergebnis ein rechtlich anzuerkennendes, weil schützenswertes Feststellungsinteresse vorliegt, hängt jedoch davon ab, welchen Umfang der Kreis derjenigen Polizeibeamten hat, die Zugriff auf die noch nicht bereinigten Verdachtsmeldungen haben. Je größer der potenziell Kenntnis erlangende Personenkreis an Polizeibeamten ist, desto mehr spricht für die Annahme eines schützenswerten Feststellungsinteresses aufgrund eines schwerwiegenden Grundrechtseingriffs. Insbesondere kommt es darauf an, ob Polizeibeamte außerhalb des die Meldung empfangenden Sachgebiets E3 des Polizeipräsidiums – beispielsweise Polizeivollzugsbeamte – zum Zugriff auf die noch ungeprüften Verdachtsmitteilungen befugt sind. In diesem Zusammenhang trägt die Beklagtenseite vor, dass auf die (noch ungeprüften) „Reichsbürger-Verdachtsmeldungen“ nicht jeder einzelne Polizeibeamte Zugriff habe, sondern nur bestimmte Dienstbereiche.
Aus Sicht des Gerichts bedarf die vorgenannte Frage jedoch keiner näheren Aufklärung, da die Klage – selbst bei Bejahung der Zulässigkeit – zumindest unbegründet ist.
2. Die Klage ist jedenfalls unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die vom Landesamt für Finanzen an das Polizeipräsidium … – Sachgebiet E3 – vorgenommene (Verdachts) Meldung seiner Person als sog. „schwieriger Verfahrensbeteiligter“ bzw. sog. „Reichsbürger“ rechtswidrig gewesen ist (§ 43 Abs. 1 VwGO).
Das Landesamt für Finanzen war bei Vornahme der (Verdachts) Meldung am 19. Dezember 2016 materiell-rechtlich berechtigt, diese an das Polizeipräsidium … – Sachgebiet E3 – vorzunehmen.
a) Da es sich um einen Sachverhalt vor Inkrafttreten der DSGVO handelt, ist ausschließlich das BayDSG in der damals geltenden Fassung (1993) anwendbar. Rechtsgrundlage für die Datenübermittlung ist Art. 18 Abs. 1 BayDSG 1993. Nach dieser Vorschrift war zum damaligen Zeitpunkt die Übermittlung personenbezogener Daten durch eine öffentliche Stelle an eine andere öffentliche Stelle zulässig, wenn sie zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der übermittelnden oder der empfangenden Stelle liegenden Aufgaben erforderlich war und für Zwecke erfolgte, für die eine Nutzung nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 bis 4 BayDSG 1993 zulässig gewesen wäre.
Einschlägig ist vorliegend die Übermittlungsbefugnis des Landesamts für Finanzen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, welche durch Verhaltensweisen von Personen entstehen, bei denen sich ein Verdacht der Zugehörigkeit zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ stellt (Art. 18 Abs. 1 i.V.m. Art. 17 Abs. 2 Nr. 9 BayDSG 1993). Es ist allgemein anerkannt, dass von sog. „Reichsbürgern“ zahlreiche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Hierbei handelt es sich beispielsweise um massive Beeinträchtigungen des Arbeitsablaufs von Behörden und Gerichten. Sogenannte „Reichsbürger“ treten dort teilweise aggressiv auf. Im Übrigen überziehen sie regelmäßig Behörden und Gerichte mit umfangreichen Schreiben, in denen sie die Adressaten verunglimpfen und unter Anwendung pseudojuristischer Formulierungen belehren. Teilweise werden einzelne Behördenmitarbeiter und Staatsbedienstete auch durch sog. „Reichsbürger“ bedroht. Insgesamt ist die Reichsbürgerideologie dazu geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann die Grundlage für Radikalisierungsprozesse sog. „Reichsbürger“ sein (vgl. www.stmi.bayern.de/sus/verfassungsschutz/reichsbuerger_selbstverwalter/index.php, abgerufen am 8.2.2022).
Die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist gemäß Art. 2 Abs. 1 PAG Aufgabe der Polizei; die zu diesem Zweck seitens des Landesamts für Finanzen vorgenommene Datenübermittlung erweist sich im Ergebnis als gerechtfertigt.
b) Zunächst ist festzuhalten, dass für die Vornahme einer (Verdachts) Meldung nicht dieselben strengen rechtlichen Anforderungen gelten können wie für eine – in aller Regel längerfristige – in INPOL erfolgende Speicherung einer Person als sog. „festgestellter Reichsbürger“.
aa) Aus Sicht des Gerichts sind tatsachenbasierte Verdachtsmomente, welche (bei objektiver Betrachtung) für die meldende Behörde zumindest einen Anfangsverdacht für die Zugehörigkeit der betroffenen Person zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ zulassen, erforderlich, aber auch ausreichend für die Absetzung einer derartigen Verdachtsmitteilung. Insoweit kann die Definition des strafrechtlichen Anfangsverdachts des § 152 Abs. 2 StPO zumindest ansatzweise auf das präventiv wirkende Meldeverfahren hinsichtlich potenzieller sog. „Reichsbürger“ übertragen werden. Demnach bedarf es zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte, also konkreter Tatsachen, die dafür sprechen, dass gerade die Person, hinsichtlich derer eine behördliche „Reichsbürger-Verdachtsmeldung“ in Erwägung gezogen wird, der sog. „Reichsbürgerbewegung“ angehören könnte. Bloße, nicht durch konkrete Umstände belegte Vermutungen oder reine denktheoretische Möglichkeiten reichen nicht aus. Bei der Beantwortung der Frage, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, steht der meldenden Behörde ein (gewisser) Beurteilungsspielraum zu (vgl. zum strafrechtlichen Anfangsverdacht: Beuckelmann, in BeckOK StPO, 42. Edition, Stand 1.1.2022, Rn. 4-5 zu § 152 StPO m.w.N. unter Verweis auf BVerfG, B.v. 15.8.2014 – 2 BvR 969/14 – NJW 2014, 3085 (3087 Rn. 38).
Trotz der unterschiedlichen Zielsetzung der präventiv gefahrenabwehrrechtlichen „Reichsbürger-Verdachtsmeldungen“ einerseits und repressiv wirkender strafrechtlicher Ermittlungen andererseits bestehen für das Gericht keine Bedenken, die strafprozessualen Maßstäbe insoweit auf das Gefahrenabwehrrecht sinngemäß zu übertragen. Schließlich ist insoweit eine zumindest grundsätzlich vergleichbare Situation gegeben. Die vom Landesamt für Finanzen erfolgte Verdachtsmeldung hinsichtlich der Person des Klägers als sog. schwieriger Verfahrensbeteiligter bzw. sog. „Reichsbürger“ hatte allein den Zweck, im Wege einer weiteren Überprüfung aufzuklären, ob der Kläger der sog. „Reichsbürgerbewegung“ angehört oder nicht. Durch die Vornahme einer Meldung erfolgt gerade nicht zwingend die polizeiliche Einstufung einer Person als sog. „Reichsbürger“ einschließlich der nachfolgenden Eintragung in INPOL. Vielmehr wird durch die Meldung – gegebenenfalls in Verbindung mit weiteren bereits vorliegenden bzw. nachfolgenden Mitteilungen anderer Behörden – ein tatsachenbasiertes Überprüfungsverfahren in die Wege geleitet. Erst im Rahmen dieser Vorgehensweise – und noch nicht allein durch die Verdachtsmeldung als solche – soll eine mögliche Zugehörigkeit des Betroffenen zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ geklärt werden. Längerfristige Rechtsfolgen für den Betroffenen hat erst eine etwaige nachfolgende Eintragung seiner Person in INPOL, da sie beispielsweise mit der Versagung von Waffen- oder sonstigen sicherheitsrechtlichen Erlaubnissen, die eine Zuverlässigkeit des Erlaubnisinhabers voraussetzen, verbunden sind (vgl. Ziffer 4.5.4 des 28. Tätigkeitsberichts des Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz, veröffentlicht am 20.5.2019, www.datenschutz-bayern.de/tbs/tb28/tb28.pdf). Das Gericht verkennt dabei nicht, dass bereits die ungeprüfte Verdachtsmeldung für einen gewissen, gegebenenfalls nicht vollkommen unerheblichen Zeitraum in den polizeilichen Systemen gespeichert ist.
Auch eine Strafanzeige im Sinne der StPO wird nach ihrer Erstattung in den polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Systemen erfasst. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wird näher aufgeklärt, ob sich der strafrechtliche Anfangsverdacht zu einem hinreichenden Tatverdacht im Sinne des § 170 Abs. 1 StPO erhärtet oder nicht. Insoweit erfolgen auch nach einer Strafanzeige weitere tatsächliche und rechtliche Prüfungen des angezeigten Sachverhalts.
Vor dem Hintergrund, dass weder bei einer sog. „Reichsbürger-Verdachtsmitteilung“ zwingend eine anschließende Eintragung der betroffenen Person als sog. „festgestellter Reichsbürger“ erfolgt, noch im Falle der Erstattung einer Strafanzeige zwingend eine Anklageerhebung, sieht das Gericht eine ausreichende Vergleichbarkeit der beiden Situationen gegeben. Insoweit können die rechtlichen Anforderungen in Bezug auf den erforderlichen Verdachtsgrad sinngemäß übernommen werden.
Keinesfalls kann es für die Absetzung einer „Reichsbürger-Verdachtsmitteilung“ durch eine Behörde erforderlich sein, dass speziell vom Verhalten des Betroffenen (bereits) eine konkrete Gefahr für polizeiliche Schutzgüter (vgl. Art. 11 Abs. 1 PAG) ausgeht. Wenn man derart hohe Anforderungen an die Absetzung einer „Reichsbürger-Verdachtsmitteilung“ stellte, würde dies der präventiv-gefahrenabwehrrechtlichen Zielsetzung dieses Meldeverfahrens in erheblicher Weise zuwiderlaufen. Vielmehr muss das Meldeverfahren zur Abwehr allgemeiner Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Art. 2 Abs. 1 PAG) dienen, welche typischerweise von Personen ausgehen, die der sog. „Reichsbürgerbewegung“ angehören.
Wie vom Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz zumindest sinngemäß ausgeführt, bedarf es eines niedrigschwelligen Meldeverfahrens, um bereits im Vorfeld etwaige von sog. „Reichsbürgern“ ausgehende Gefahren zu unterbinden. Zu den rechtlichen Mitteln der Behörden zählt vor allem die Versagung von Erlaubnissen, die eine Zuverlässigkeit des Erlaubnisinhabers voraussetzen. Sofern man an die Verdachtsmeldung zu hohe Anforderungen stellt, bestünde – wie das Landesamt für Finanzen zutreffend gesehen hat – das Risiko, dass Behörden die Verdachtsmeldungen trotz Vorliegens einer Tatsachengrundlage scheuen würden.
Zusammenfassend folgt das Gericht daher den Ausführungen des Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz, wonach entsprechende Meldungen an die Polizei (nur) unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zulässig sind, ferner die Einstufung des Betroffenen als sog. „Reichsbürger“ bereits von der übermittelnden Stelle auf eine hinreichend konkrete Tatsachenbasis gestützt sein müsse. Die Anforderung einer hinreichend konkreten Tatsachenbasis kann aufgrund der vorgenannten präventiven Zielrichtung des Meldeverfahrens insbesondere nicht mit dem strafprozessualen Begriff des hinreichenden Tatverdachts (vgl. § 170 Abs. 1 StPO) gleichgesetzt werden.
In diesem Zusammenhang wird angemerkt, dass dem Landesamt für Finanzen als Finanzbehörde ein gewisser Einschätzungsspielraum zuzubilligen ist. Zum einen ist es – wie in der mündlichen Verhandlung seitens des Landesamts in nachvollziehbarer Weise näher dargelegt wurde – nur selten mit „Reichsbürger-Verdachtsfällen“ befasst, zum anderen ist die Abwehr der von sog. „Reichsbürgern“ ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eine spezifisch sicherheitsrechtliche oder polizeirechtliche Aufgabe, deren Wahrnehmung einer zentralen Stelle beim zuständigen Polizeipräsidium obliegt.
bb) Diese Anforderungen sind, wie im Folgenden näher dargelegt wird, vorliegend gewahrt.
(1) Der Kläger machte gegenüber dem Landesamt für Finanzen mehrfach Forderungen in zwei- und dreistelliger Millionenhöhe geltend, ohne dass nur ansatzweise Anhaltspunkte für das Bestehen einer derartigen Forderung – erst recht in dieser Höhe – erkennbar waren bzw. sind.
So beantragte er am 22. Dezember 2013 einen Mahnbescheid in Höhe von 360 Millionen Euro nebst Zinsen beim Amtsgericht …. Als Anspruchsgrund gab er „Schadensersatz aus …-Vertrag vom 10.05.2010 bis 28.10.2013“ an. Hierfür beantragte er Prozesskostenhilfe. Die Anträge sind dem Landesamt für Finanzen am 27. Januar 2014 zugegangen.
Am 28. April 2014 machte der Kläger bei der Staatsanwaltschaft … einen Strafentschädigungsanspruch nach dem StrEG geltend, welcher sich nach seinem Vorbringen einschließlich des Vermögensschadens gemäß § 252 BGB auf 360 Millionen Euro belaufe. Eine Faxkopie dieses Schreibens hat das Landesamt für Finanzen erhalten.
Hierbei handelt es sich wohl um den Versuch der Geltendmachung derselben vermeintlichen Forderung wie im vorgenannten Mahnverfahren. Der Kläger bezeichnete sein Schreiben als „Rechnung“. Auch das klägerische Telefax vom 28. Januar 2015 bezieht sich ersichtlich auf die Geltendmachung dieser (vermeintlichen) Forderung; der Kläger äußerte in dem Telefax unter anderem seinen Unmut darüber, dass an ihn bisher keine Zahlungen geleistet worden seien.
Zudem beantragte der Kläger mit Schreiben vom 28. Juli 2016 beim Amtsgericht … ein Mahnverfahren nebst Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Die gegenüber dem Freistaat Bayern geltend gemachte Forderung in Höhe von 40 Millionen Euro wurde als „Schadenersatz aus Unfall/Vorfall Rechnung vom 03.11.2019 bis 01.05.2016“ bezeichnet. Der diesbezügliche Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wurde durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10. August 2017 letztinstanzlich abgelehnt.
Der Kläger hat sich im Übrigen auch gegenüber der Presse der vermeintlichen Forderungen in Höhe von 400 Millionen Euro berühmt. Insoweit wird auf den Bericht der … Zeitung vom 14. November 2016 Bezug genommen.
Die Geltendmachung zweier (vermeintlicher) Forderungen in der vorgenannten Höhe gab für das Landesamt für Finanzen durchaus Anlass dafür, die mögliche Zugehörigkeit des Klägers zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ prüfen zu lassen.
Schließlich gehört es zu den typischen Merkmalen von sog. „Reichsbürgern“, dass diese im Rahmen von fingierten Geld- und Schadenersatzforderungen versuchen, Staatsbedienstete unter Druck zu setzen. Hierbei werden Betroffene mitunter auch mit Mahn- und Vollstreckungsverfahren aus dem Ausland konfrontiert, in denen gegen sie horrende, wenngleich rechtlich haltlose Geldforderungen geltend gemacht würden (vgl. www.stmi.bayern.de/sus/verfassungsschutz/reichsbuerger_selbstverwalter/index.php, abgerufen am 8.2.2022).
Im Einzelnen ist – trotz des fehlenden Auslandsbezugs bei der Geltendmachung der (vermeintlichen) Forderungen – zu bedenken, dass es sich gleich um zwei (vermeintliche) Forderungen in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe handelte. Die Forderungshöhe, hinsichtlich derer sich der Kläger berühmt hat, überstieg beide Male bei weitem eine Summe, in welcher sich (behauptete) Schadensersatzansprüche üblicherweise bewegen.
Hinzu kommt die im konkreten Fall äußerst ungewöhnliche Art und Weise der Geltendmachung der immens hohen (aus Klägersicht bestehenden) Forderungen. Diese wurden vom Kläger, einem ehemaligen Geschäftsmann, nicht im Wege eines gewöhnlichen Klageverfahrens vor dem zuständigen Landgericht durch einen Anwalt (§ 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO) geltend gemacht. Vielmehr erfolgte dies, was bei Forderungen in dieser Größenordnung untypisch erscheint, im Wege eines Mahnverfahrens beim Amtsgericht …-Mahngericht. Dies hatte zur Folge, dass trotz der geltend gemachten Forderungshöhe keine näheren tatsächlichen bzw. rechtlichen Ausführungen zum Hintergrund der (vermeintlichen) Forderungen vorgenommen wurden.
Zudem sprach der Kläger (unter anderem) in seinem Schreiben vom 28. April 2014 von einer „Rechnungstellung“; es ist vollkommen untypisch, dass Schadensersatzforderungen – erst recht in dieser Höhe – von geschäftserfahrenen Personen im Rahmen einer derartigen Vorgehensweise begehrt werden.
Des Weiteren wurden – gegebenenfalls zumindest teilweise aufgrund der eingeschränkten Auflistung möglicher Anspruchsgründe im Rahmen des Mahnverfahrens – beim vorgetragenen Anspruchsgrund problematische Begrifflichkeiten verwendet. So gebrauchte der Kläger bei den Anträgen auf Erlass der Mahnbescheide jeweils Formulierungen, aus welchen sich nicht das – vorliegend hoheitliche – Handeln des Staates erkennen lässt bzw. mit welchen dies der Kläger scheinbar in Abrede gestellt hat.
Konkret befand sich der Kläger von 2009 bis 2013 in Untersuchungs- und Strafhaft, welche er jeweils als ungerechtfertigt empfand (bzw. weiterhin empfindet). In diesem Zusammenhang erscheint es fragwürdig und bei objektiver Betrachtung möglicherweise auf eine Zugehörigkeit zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ hindeutend, wenn der Kläger von „Schadensersatz aus …-Vertrag vom 10.05.2010 bis 28.10.2013“ sowie von „Schadenersatz aus Unfall/Vorfall Rechnung vom 03.11.2019 bis 01.05.2016“ spricht. Hierbei handelt es sich um vorgebrachte Anspruchsgründe, welche nicht ansatzweise einen Bezug zur Vollstreckung von Untersuchungs- bzw. Strafhaft zum Ausdruck bringen. Dies gilt ganz besonders im Hinblick auf die Verwendung des Wortes „Vertrag“, welches ersichtlich in keinem Zusammenhang zu staatlicher Haftvollstreckung steht. Auffällig ist des Weiteren, dass der Kläger in seinem Antrag auf Erlass des Mahnbescheids vom 22. Dezember 2013 als „Vertragsart“ das Wort „SCHULD“ angegeben hat.
Schließlich ist es gerade ein weiteres typisches Merkmal von sog. „Reichsbürgern“, dass diese aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen (vgl. www.stmi.bayern.de/sus/verfassungsschutz/reichsbuerger_selbstverwalter/index.php, abgerufen am 8.2.2022). Der Umstand, dass der Kläger bei der Geltendmachung eines aus seiner Sicht bestehenden Schadensersatzanspruchs wegen eines klar erkennbaren hoheitlichen Handelns (Vollstreckung von Untersuchungs- bzw. Strafhaft) allein privatrechtliche Begriffe (z.B. Schadensersatz aus Vertrag) gebraucht, könnte – im Rahmen einer ex-ante-Betrachtung – durchaus einen gewissen Hinweis auf eine derartige Einstellung geben. Dies gilt umso mehr, als der Kläger bei der Beantragung des Mahnbescheids vom 22. Dezember 2013 ein Begleitschreiben beigefügt hatte, wonach sich die aus seiner Sicht bestehende Forderung auf einen Betrag in Höhe von 360 Millionen Euro belaufe. Bereits in diesem Schreiben – und nicht erst andeutungsweise in späterer Korrespondenz mit dem Landesamt für Finanzen – hätte der Kläger darauf hinweisen können, dass er den Schadensersatzanspruch aufgrund der nach seinem Dafürhalten zu Unrecht vollstreckten Haftzeit geltend macht. Derartige Ausführungen hätten den aus der Verwendung privatrechtlicher Begriffe resultierenden Verdacht, der Kläger könnte der sog. „Reichsbürger-Bewegung“ angehören, möglicherweise etwas relativiert. Da diese nicht zu dieser Zeit erfolgten, konnte das Landesamt für Finanzen (schon vor diesem Hintergrund) berechtigtermaßen die Zugehörigkeit des Klägers zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ in Erwägung ziehen. Schließlich war auch für das Landesamt für Finanzen keinerlei (öffentlich-rechtlicher) Vertrag zwischen dem Kläger und dem Freistaat Bayern bzw. einer seiner Behörden erkennbar.
Im Übrigen konnte nicht einmal die in den klägerischen Schreiben vom 28. April 2014 und vom 28. Januar 2015 sowie bei seinen persönlichen Vorsprachen erfolgte (spätere) Berufung auf einen (vermeintlichen) Entschädigungsanspruch nach dem StrEG das insoweit entstandene Verdachtsmoment sicher entfallen lassen. Insoweit ist zu bedenken, dass der Kläger weiterhin eine enorm hohe (vermeintliche) Forderung geltend gemacht hat, ohne deren Zusammensetzung nur ansatzweise näher zu begründen bzw. aufzuschlüsseln.
Damit ließen sich bereits aus dem vorgenannten Verhalten – aus einer ex-ante-Perspektive – Anhaltspunkte für eine (damalige) Zugehörigkeit des Klägers zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ erkennen. Dies gilt ungeachtet dessen, dass später durch das Verwaltungsgericht … und den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof festgestellt wurde, dass gerade keine tatsächliche Zugehörigkeit des Klägers zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ gegeben ist.
Unerheblich für das zum damaligen Zeitpunkt berechtigte Entstehen des Verdachts in Bezug auf eine Zugehörigkeit des Klägers zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ ist, dass bestimmte Einzelheiten der vom Kläger an den Tag gelegten Verhaltensweisen – ex post betrachtet – auch anderweitig erklärbar sind.
So könnten die in den Mahnverfahren zumindest missverständlich benannten Anspruchsgründe durchaus der im Rahmen dieser Verfahren eingeschränkten Anzahl möglicher benennbarer Anspruchsgründe geschuldet sein (s.o.).
Ebenso kann die Geltendmachung eines derart hohen (vermeintlichen) Schadensersatzanspruchs im Wege des Mahnverfahrens – anstatt im Wege eines zeitnah eingeleiteten Klageverfahrens vor dem Landgericht – auch darauf zurückzuführen sein, dass dem Kläger zum damaligen Zeitpunkt möglicherweise nur eingeschränkte finanzielle Mittel zur Verfügung gestanden haben und er daher auf diesem Wege (kostengünstig) den Eintritt der Verjährung habe hemmen wollen. Schließlich führte der Kläger in der mündlichen Verhandlung aus, nach seiner Haftentlassung ohne finanzielle Mittel gewesen zu sein.
Des Weiteren könnte die immense Höhe der geltend gemachten vermeintlichen Forderung – ex post betrachtet – auch dem Umstand geschuldet sein, dass der Kläger als früherer Geschäftsmann tatsächlich – wenn auch wohl fälschlicherweise – in dem Glauben war, ihm könnte aufgrund des Umfangs seiner bisherigen Geschäftstätigkeiten im Bau- bzw. Immobiliengewerbe ein Schaden in dieser Größenordnung entstanden sein. Schließlich trug der Kläger in der mündlichen Verhandlung sinngemäß vor, zum Zeitpunkt seiner Inhaftierung 120 offene Bauvorhaben gehabt zu haben.
Die Prüfung, ob derartige Erklärungsmöglichkeiten ausreichend sind, einen sog. „Reichsbürgerverdacht“ zu entkräften, obliegt aber gerade dem zuständigen Sachgebiet des Polizeipräsidiums … als Empfänger der Verdachtsmeldung. Das bloße Bestehen derartiger theoretischer Erklärungsansätze führt als solches nicht zur Annahme der Rechtswidrigkeit der von Seiten des Landesamts für Finanzen erfolgten Verdachtsmitteilung.
Wenn der Kläger die aus seiner Sicht bestehenden Millionenforderungen mittels eines Rechtsanwalts beim zuständigen Landgericht geltend gemacht hätte, wäre aller Voraussicht nach jedenfalls allein aufgrund der (vermeintlichen) Forderungshöhe keine „Reichsbürger-Verdachtsmeldung“ erfolgt. Schließlich hätte der Rechtsanwalt sicherlich zeitnah den öffentlich-rechtlichen Charakter der (vermeintlichen) Forderung vorgetragen, ebenso deren Zusammensetzung näher aufgeschlüsselt. Damit hätte das Landgericht die Klage zwar (jedenfalls möglicherweise) als unbegründet abgewiesen, allerdings wäre der Eindruck der Geltendmachung einer „bloßen Fantasieforderung“ jedenfalls nicht in dem Ausmaß entstanden.
Das Gericht weist ergänzend darauf hin, dass ihm die vom Kläger erfolgte Berechnung des etwaigen ihm entstandenen Schadens nur schwer nachvollziehbar erscheint, auch unter Berücksichtigung seines Vorbringens, dass sich der an vielen Bauvorhaben beteiligte Kläger über vier Jahre in Haft befunden hat. Dies entspricht selbst der Ansicht des Klägerbevollmächtigten, welcher die vom Kläger erfolgte Berechnung der (vermeintlichen) Schadensersatzhöhe für „nicht so konsensfähig“ hält.
(2) Ferner ist es zu bedenken, dass die auf ungewöhnliche Art und Weise erfolgte Geltendmachung mehrerer (vermeintlicher) Millionenforderungen nicht den einzigen tatsächlichen Anknüpfungspunkt für eine denkbare Zugehörigkeit des Klägers zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ dargestellt hat.
So hat der Kläger auch durch sein sonstiges Verhalten für einen objektiven Betrachter zumindest in einem gewissen Umfang den Eindruck vermittelt, möglicherweise der sog. „Reichsbürgerbewegung“ anzugehören.
In seinem Schreiben vom 16. Juli 2016 bezichtigte der Kläger ohne jede nur ansatzweise nachvollziehbare Tatsachengrundlage Beamte des Betrugs und der vorsätzlichen Untätigkeit, Richter des Verfassungsverstoßes sowie die Staatsanwaltschaft der Rechtsbeugung. Anlass für diese vom Kläger ausgehenden Anschuldigungen ist einzig und allein, dass der Kläger seinen Untersuchungs- bzw. Strafhaftaufenthalt als ungerechtfertigt empfunden hat.
Dies stellt – jedenfalls im Rahmen einer ex-ante-Betrachtung – durchaus auch eine für sog. „Reichsbürger“ typische Verhaltensweise dar.
Schließlich überziehen sog. „Reichsbürger“ regelmäßig Behörden und Gerichte mit umfangreichen Schreiben, in denen sie die Adressaten verunglimpfen und unter Anwendung pseudojuristischer Formulierungen belehren (s.o.).
Ferner kann die vom Kläger mehrmals wiederholt vorgenommene Bezugnahme auf § 839 (Abs. 3) BGB durchaus als pseudojuristische Ausführung angesehen werden. Diese erfolgte im Übrigen nicht nur im klägerischen Schreiben vom 16. Juli 2016, sondern (unter anderem) auch bereits in seinen Schreiben vom 28. Januar 2014 und vom 28. Januar 2015.
Des Weiteren ist der Kläger nach Angaben des Landesamts für Finanzen bei seinen persönlichen Vorsprachen im Dienstgebäude – sowohl am 11. Dezember 2015 als auch am 26. September 2016 – renitent aufgetreten. Dies gilt insbesondere für die Vorsprache des Klägers am 26. September 2016. Bei diesem Termin wurde der Kläger sehr aufdringlich und kam einer Beschäftigten des Landesamts, welche er immer wieder der Lüge bezichtigte, körperlich sehr nahe. Ebenso versuchte er an diesem Tag, mit seinem Handy Lichtbilder (jedenfalls) von den Türschildern der beteiligten Beamten bzw. Referenten zu machen. An den tatsächlichen Ausführungen des Landesamts für Finanzen bestehen keine Zweifel, sie wurden im Übrigen in der mündlichen Verhandlung nochmals bestätigt.
Ein derartiges Verhalten stellt ein weiteres Indiz für die Zugehörigkeit einer Person zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ dar. Schließlich ist es ebenfalls für Teile der sog. „Reichsbürgerbewegung“ typisch, dass von diesen ein aggressives Verhalten gegenüber den Gerichten und Behörden der Bundesrepublik Deutschland an den Tag gelegt wird. Ebenso kommt es vor, dass einzelne Behördenmitarbeiter und Staatsbedienstete von Angehörigen der sog. „Reichsbürgerbewegung“ auch bedroht (bzw. eingeschüchtert) werden (vgl. auch www.stmi.bayern.de/sus/verfassungsschutz/reichsbuerger_selbstverwalter/index.php, abgerufen am 8.2.2022). Hierunter lässt sich ohne Weiteres ein Verhalten fassen, bei welchem der Betroffene einer bei einer Behörde beschäftigten Person ohne jeden Grund körperlich sehr nahe kommt und sie fortwährend der Lüge bezichtigt. Zudem kann (das vom Kläger versuchte) Anfertigen von Lichtbildern in der vorgenannten Situation – jedenfalls aus der ex-ante-Perspektive – nicht anders gedeutet werden, als dass der Betroffene damit vollkommen grundlos Druck auf die konkret mit seiner Angelegenheit befassten Staatsbediensteten ausüben möchte. In einer derartigen Situation ist – zumindest ex-ante betrachtet – nicht ausgeschlossen, dass die Bilder durch eine etwaige der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörige Person beispielsweise im Internet veröffentlicht werden. Auch andere Angehörige der sog. „Reichsbürgerbewegung“ könnten die Namensschilder (im Falle der Veröffentlichung der Bilder) zum Anlass für zukünftige weitere Einschüchterungen gerade der betroffenen Amtsträger nehmen. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass die Namensschilder vorliegend nicht nur mit dem Nachnamen und dem Dienstgrad der Behördenbediensteten versehen waren. Vielmehr war darauf auch jeweils der Vorname des Behördenbediensteten angegeben, was mit einer verstärkten Identifizierbarkeit der Amtsträger durch Angehörige der sog. „Reichsbürgerbewegung“ einhergehen könnte.
(3) Insgesamt konnte das Landesamt für Finanzen (bereits) auf Grundlage der vorgenannten Indizien zum maßgeblichen Zeitpunkt der Absetzung der Verdachtsmeldung in vertretbarer Weise annehmen, dass es sich beim Kläger möglicherweise um einen sog. „Reichsbürger“ handeln könnte.
Das Gericht verkennt dabei nicht, dass einige der typischen Merkmale der sog. „Reichsbürgerbewegung“ auf den Kläger nicht bzw. nicht vollständig zugetroffen haben. So bestanden – soweit für das Gericht ersichtlich – zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger gerade unter Berufung auf das historische Deutsche Reich bzw. auf verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht die Existenz der Bundesrepublik Deutschland abgelehnt hätte. Ebenso waren beispielsweise keine Hinweise dafür erkennbar, dass sich der Kläger in Gänze außerhalb der Rechtsordnung definiert hat (vgl. zu den vorgenannten Kriterien: www.stmi.bayern.de/sus/verfassungsschutz/reichsbuerger_selbstverwalter/index.php, abgerufen am 8.2.2022). Ferner ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger zu irgendeinem Zeitpunkt im Besitz eines Staatsangehörigkeitsausweises ohne Vorliegen eines berechtigten Interesses war bzw. dass er sich mit Fantasiedokumenten ausgewiesen oder Fantasiestaaten „gegründet“ hat. Ebenso bestehen keine Hinweise für eine in der Vergangenheit erfolgte Namensführung, welche Hinweise auf eine Zugehörigkeit des Klägers zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ gegeben hat.
Die demgegenüber beim Kläger vorhanden gewesenen anderen Indizien für seine mögliche Zugehörigkeit zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ stellen aus Sicht des Gerichts jedoch eine für die Verdachtsmeldung ausreichende Tatsachengrundlage dar. Keinesfalls ist für die Absetzung einer Meldung erforderlich, dass die meldende Behörde die volle Überzeugung hat, bei dem Betroffenen handle es sich um einen schwierigen Verfahrensbeteiligten in Form des sog. „Reichsbürgers“. Auch muss vor der Meldung keine überwiegende Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass der Betroffene der sog. „Reichsbürgerbewegung“ angehöre (s.o.). Insoweit genügt ein geringerer (aber dennoch tatsachenbasierter) Verdachtsgrad, der noch einer weiteren Überprüfung bedarf.
Hinzu kommt, dass es sich bei den sog. „Reichsbürgern“ um sehr heterogene Gruppierungen bzw. Einzelpersonen handelt, welche niemals bzw. jedenfalls nur selten alle als „reichsbürgertypisch“ anzusehenden Verhaltensweisen gleichermaßen an den Tag legen. Konkret reicht das Spektrum der Reichsbürger (und Selbstverwalter) von Querulanten, Staatsverdrossenen oder Verschwörungstheoretikern bis hin zu Geschäftemachern, psychisch Kranken und Personen mit geschlossenem rechtsextremistischem Weltbild. Darunter finden sich Personen aller gesellschaftlichen Schichten (vgl. www.stmi.bayern.de/sus/verfassungsschutz/reichsbuerger_selbstverwalter/index.php, abgerufen am 8.2.2022).
Aufgrund des präventiven Charakters des niederschwelligen Meldeverfahrens (s.o.) bedurfte es auch keiner weiteren Recherchen des Landesamts für Finanzen in Bezug auf eine etwaige Zugehörigkeit des Klägers zur sog. „Reichsbürgerbewegung“. Insoweit kann der gegenteiligen Ansicht des Klägerbevollmächtigten nicht gefolgt werden. Das tatsachenbasierte Meldeverfahren soll gerade dazu dienen, die tatsachenbasierten Verdachtsmomente hinsichtlich der Zugehörigkeit einer Person zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ zu bestätigen oder zu entkräften. Hierzu müssen die Informationen des Landesamts für Finanzen bzw. anderer meldender Behörden zeitnah beim Polizeipräsidium … – Sachgebiet E3 zusammenlaufen. Vorherige aufwendige Ermittlungen seitens der meldenden Behörde stünden bereits aufgrund der damit verbundenen zeitlichen Verzögerungen der sicherheitsrechtlichen Zielsetzung des (datenschutzkonformen) Meldeverfahrens entgegen. Dasselbe gilt für eine (näher) sachverhaltsaufklärende Einschaltung weiterer Behörden vor Absetzung der Verdachtsmeldung. Wegen des präventiven Charakters des Meldeverfahrens ist es von besonderer Relevanz, wenn jedem derartigen tatsachenbasierten Hinweis (möglichst zeitnah) einzelfallbezogen nachgegangen wird. Im Übrigen bedeutet die Absetzung einer behördlichen Verdachtsmeldung gerade nicht stets die Eintragung der betroffenen Person als sog. „festgestellter Reichsbürger“ in INPOL.
Zusammenfassend bestand zum damaligen Zeitpunkt ein ausreichender Anlass für eine Verdachtsmeldung, damit das Polizeipräsidium … Sachgebiet E3 – gegebenenfalls in Zusammenschau mit weiteren behördlichen Meldungen – eine Einschätzung treffen konnte, ob der Kläger zur sog. „Reichsbürgerbewegung zu rechnen ist oder nicht. Zur Wahrung der Effektivität des Meldeverfahrens bedurfte es auch nicht (ausnahmsweise) einer vorherigen Befragung des Klägers hinsichtlich seiner Einstellung zum Gedankengut der sog. „Reichsbürgerbewegung“. Insgesamt war die hinsichtlich des Klägers erfolgte Verdachtsmeldung auch verhältnismäßig im engeren Sinne (angemessen).
Dass sich die nachfolgende polizeiliche Eintragung des Klägers als sog. „festgestellter Reichsbürger“ in INPOL im Verfahren … als rechtswidrig erwiesen hat, ändert ebenfalls nichts an Rechtmäßigkeit der (durch das Landesamt für Finanzen zeitlich vorher vorgenommenen) Verdachtsmeldung.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Kläger hat als unterlegener Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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