Verwaltungsrecht

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Aktenzeichen  RN 1 K 18.1391

Datum:
3.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2021, 136
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I.Der Widerspruchsbescheid des Bezirks N. vom 20.7.2018 wird aufgehoben.
II.Der Beklagte wird verurteilt, die dienstliche Beurteilung des Klägers, eröffnet am 28.5.2018, aufzuheben und den Kläger für den Zeitraum 1.1.2015 bis 31.12.2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut periodisch zu beurteilen.
III.Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV.Das Urteil ist in Ziffer III vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Die als allgemeine Leistungsklage (verbunden mit einem Aufhebungsantrag gegen den Widerspruchsbescheid vom 20.7.2018) zulässige Klage ist begründet. Denn die dem Kläger am 28.5.2018 eröffnete dienstliche Beurteilung ist rechtswidrig und verletzt diesen in seinen Rechten. Der Kläger kann verlangen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut beurteilt zu werden.
1. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der geltend gemachte Anspruch auf erneute dienstliche Beurteilung (Neubescheidung; Kathke in Dienstrecht in Bayern I, Stand: Januar 2014, Art. 54 LlbG Rn. 47).
2. Die dienstliche Beurteilung ist wesentliche Grundlage für die dienstliche Verwendung und das berufliche Fortkommen des Beamten. Sie dient daher nicht nur dem öffentlichen Interesse an einer sachkundigen, effektiven und sparsamen Verwaltung, sondern auch dem Interesse des Beamten an einer leistungsgerechten beruflichen Entwicklung. Deshalb hat der einzelne Beamte einen Anspruch auf eine gleichmäßige und gerechte Qualifikation. Dienstliche Beurteilungen sind wegen ihrer rechtlichen Ausgestaltung als persönlichkeitsbedingtes Werturteil von den Verwaltungsgerichten nur beschränkt überprüfbar (ständige Rechtsprechung, seit z.B. BVerwG, U.v. 13.5.1965 – II C 146.62 – juris). Nur der Dienstherr oder der für ihn handelnde jeweilige Vorgesetzte sollen nach dem erkennbaren Sinn der gesetzlichen Vorschriften über die dienstliche Beurteilung ein persönlichkeitsbedingtes Werturteil darüber abgeben, ob und inwieweit der Beamte den zahlreichen fachlichen und persönlichen Anforderungen des konkreten Amts und der Laufbahn entspricht, die der zuständige Vorgesetzte ebenfalls im Einzelnen festlegen darf. Bei einem derartigen Akt wertender Erkenntnis, der regelmäßig durch die strengere oder mildere Auffassung des zuständigen Vorgesetzten über die im „Durchschnitt“ zu stellenden Anforderungen und auch durch das Maß seiner eigenen Kenntnisse, Erfahrungen und Vergleichsmöglichkeiten beeinflusst wird, steht dem Dienstherrn eine der gesetzlichen Regelung immanente Beurteilungsermächtigung („Beurteilungsspielraum“) zu. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Beurteilungen beschränkt sich deshalb auf die Prüfung, ob und inwieweit der Beurteiler einen unrichtigen und unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, ob er den gesetzlichen Rahmen oder anzuwendende Begriffe verkannt hat, ob er allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat oder ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten ist (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 2.3.2017 – 2 C 21/16 – juris Rn. 15; BVerwG, U.v. 9.6.1994 – 2 A 1/93 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 28.7.2017 – 3 ZB 15.2274 – juris Rn. 5; B.v. 2.12.2015 – 3 CE 15.2122 – juris Rn. 25). Sie kann nicht dazu führen, dass das Gericht die fachliche und persönliche Beurteilung des Beamten in vollem Umfang nachvollzieht oder gar durch eine eigene Beurteilung ersetzt (vgl. BVerwG, U.v. 17.9.2015 – 2 C 27/14 – juris Rn. 9; BVerwG, U.v. 9.6.1994 – 2 A 1/93 – juris Rn. 13; BVerwG, U.v. 13.5.1965 – II C 146.62 – juris).
Die eingeschränkte gerichtliche Kontrolle dienstlicher Beurteilungen begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG, B. v. 29.5.2002 – 2 BvR 723/99 – DVBl. 2002, 1203). Die Entscheidung des Dienstherrn darüber, ob und in welchem Maß ein Beamter die für sein Amt und für seine weitere Laufbahn erforderliche Befähigung und fachliche Leistung aufweist, ist damit nicht mittels einfacher Subsumtion eines Tatbestandes unter eine gesetzliche Vorschrift zu treffen (so bereits: BVerwG, U.v. 13.5.1965 – II C 146.62 – juris). Auch können Befähigung und Leistung eines Beamten nicht allein an hergebrachten, allgemeinen und für das Berufsbeamtentum schlechthin geltenden Wertmaßstäben gemessen werden (BVerwG, U.v. 13.5.1965 a.a.O.). Das von der Rechtsordnung dem Dienstvorgesetzten anvertraute Urteil über die Bewährung des einzelnen Beamten hängt vielmehr auch von den zahlreichen fachlichen und persönlichen Anforderungen des konkreten Amtes und der Laufbahn ab. Diese Anforderungen im Einzelnen zu bestimmen, aus ihnen den „Durchschnitt“ der Beamten als Maßstab für eine durchschnittliche, überdurchschnittliche oder unterdurchschnittliche Beurteilung zu ermitteln (BVerwG, U.v. 13.5.1965 a.a.O. mit Verweis auf BVerwG, U.v. 24.4.1959 – VII C 104.58 – juris) und an ihnen zu ermessen, mit welchen Fähigkeiten und Leistungen der einzelne Beamte den „Durchschnitt“ der ihm ranggleichen Beamten erreicht, überschreitet oder unterschreitet, ist allein Sache des Dienstherrn (st. Rspr. BVerwG, U.v. 17.9.2015 a.a.O. m.w.N.; Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 69). Nur dieser oder der für ihn handelnde jeweilige Vorgesetzte soll nach dem erkennbaren Sinn der Regelung ein Werturteil darüber abgeben, ob und inwieweit der einzelne Beamte diesen Anforderungen entspricht. Dieses Werturteil ist daher – ähnlich wie eine Prüfungsentscheidung oder wie die pädagogisch-wissenschaftliche Würdigung einzelner Prüfungsleistungen in einer abschließenden Gesamtnote – ein dem Dienstherrn vorbehaltener Akt wertender Erkenntnis (Schwarz in: HK-VerwR, 4. Aufl. 2016, § 114 Rn. 63; Bodanowitz in Schnellenbach/Bodanowitz, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und Richter Bd. 2, Stand März 2017, Rn. 447). In diesem Sinne erweist sich die Beurteilung letztlich als unvertretbares Werturteil, die einer Rekonstruktion im Prozess entzogen ist (Rennert in Eyermann a.a.O.).
3. Rechtliche Grundlage für die dienstliche Beurteilung des Klägers sind hier die gem. Art. 1 Abs. 1 LlbG für die dienstliche Beurteilung von Beamten des Beklagten geltenden Bestimmungen des Art. 54 ff LlbG und des gem. Art. 58 Abs. 6 LlbG in Verbindung mit Art. 15 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) vom 29.07.2008 (GVBl S. 500, BayRs 2030-1-1-F), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.03.2018 (GVBl S. 118) erlassenen Abschnitts 3 (Dienstliche Beurteilung – materielle Beurteilungsrichtlinien) der Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht (VV-BeamtR) in der Fassung der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 13.07.2009 (Az. 21-P1003/1-023-19952/09; FMBl. S. 190, StAnz. 35) zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 15.11.2012 (FMBl S. 594, StAnz. 48).
Hinzu kommen die von der Personalverwaltung des Beklagten erlassenen Anweisungen für das streitgegenständliche Beurteilungsverfahren.
4. Gemessen an den rechtlichen Grundlagen sowie an den oben dargelegten Grundsätzen für die gerichtliche Überprüfbarkeit dienstlicher Beurteilungen verletzt die streitgegenständliche periodische Beurteilung den Kläger in dessen Rechten:
4.1. Nach Art. 58 Abs. 2 Satz 1 LlbG hat die Beurteilung die fachliche Leistung in Bezug auf die Funktion und im Vergleich zu den anderen Beamten und Beamtinnen derselben Besoldungsgruppe der Fachlaufbahn und, soweit gebildet, desselben fachlichen Schwerpunkts objektiv darzustellen und außerdem von Eignung und Befähigung ein zutreffendes Bild abzugeben. Der Leistungsvergleich nach Art. 58 Abs. 2 Satz 1 LlbG darf mithin nur zwischen Beamten „derselben Besoldungsgruppe“ stattfinden. Das LlbG stellt insoweit als Vergleichsmaßstab auf das Amt im statusrechtlichen Sinne der jeweiligen Fachlaufbahn ab. Bei dem an das Statusamt anknüpfenden Leistungsvergleich sollen die als gleich gedachten Leistungsanforderungen, die das identische Statusamt stellt, maßgebend sein. Mithin verbietet sich ein Leistungsvergleich zwischen Beamten unterschiedlicher Besoldungsgruppen, auch wenn diese derselben Funktionsebene angehören. Der Bayerische Landesgesetzgeber hat sich in Art. 58 Abs. 2 Satz 1 LlbG vielmehr für den Vergleichsmaßstab des Statusamtes entschieden (vgl. BVerwG, U.v. 17.9.2015 – 2 C 27.14 – juris Rn. 28; BayVGH, B.v. 3.2.2017 – 3 CE 16.2480 – juris Rn. 4, B.v. 14.2.2014 – 3 CE 13.2193 – juris Rn. 45).
4.2. Die Beklagtenseite hat (zuletzt in der mündlichen Verhandlung) eindeutig erklärt, die Vergleichsgruppe sei hier aus Beamten zweier Besoldungsgruppen (A 9 und A 10) gebildet worden. Dass es sich bei der Besoldungsgruppe A 9 und der Besoldungsgruppe A 10 um verschiedene Besoldungsgruppen im Sinne der genannten Vorschrift handelt, ergibt sich (auch) aus Anlage 1 zum Bayerischen Besoldungsgesetz. Damit wurden entgegen Art. 58 Abs. 2 Satz 1 LlbG Beamte/Beamtinnen in Statusämtern verschiedener Besoldungsgruppen miteinander verglichen. Dahin stehen kann, ob der Vergleichsgruppe ausschließlich Beamte/Beamtinnen aus der Sozialverwaltung des Beklagten angehörten. Dies bestreitet der Kläger (auch im Hinblick auf frühere Angaben des Beklagten).
4.3. Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern III, Art. 58 LlbG, Rn. 9., Stand August 2016 führt aus:
„… würden im Rahmen dienstlicher Beurteilung Beamte unterschiedlicher Besoldungsgruppen miteinander verglichen, wäre dies also ein Verstoß gegen allgemeine Wertmaßstäbe und müsste zur Aufhebung der Beurteilung im Rahmen der (nur eingeschränkt) möglichen gerichtlichen Kontrolle führen. Dies gilt auch dann, wenn Beamte unterschiedlicher Besoldungsgruppen auf einem Dienstposten Dienst leisten, der für mehrere Besoldungsgruppen gebündelt bewertet ist…“
Unabhängig davon, dass der Beklagte die Einrichtung gebündelter Dienstposten nicht vorgetragen hat, verletzt die streitgegenständliche dienstliche Beurteilung mithin aus den genannten Gründen den Kläger in dessen Rechten.
5. Anzumerken bleibt (ohne dass es noch darauf ankommt):
5.1. Hätte sich die Beklagte betreffend den Kläger auf die ersichtlich 19 Beamtinnen/Beamten der Besoldungsgruppe A 10, Fachlaufbahn Verwaltung und Finanzen, fachlicher Schwerpunkt nichttechnischer Verwaltungsdienst, Sachbearbeiter/innen in der Sozialverwaltung beschränkt, wäre ersichtlich eine Vergleichsgruppe gegeben gewesen, die eine geeignete Basis für einen Leistungsvergleich bildet, insbesondere die erforderliche Homogenität aufweist (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2005 – 2 C 34/04 – juris Rn. 15 ff).
5.2. Als Hilfsmittel für die Bildung eines einheitlichen Beurteilungsmaßstabs sind Richtwerte grundsätzlich zulässig (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 13; BayVGH, U.v.7.5.2014 – 3 BV 12.2504 – juris Rn. 47 ff.). In einem hinreichend großen und homogenen Verwaltungsbereich sind Richtwerte, die die Anzahl der Noten des Gesamturteils dienstlicher Beurteilungen festlegen, grundsätzlich mit Art. 33 Abs. 2 GG vereinbar (BVerwG, U.v. 24.11.2005 – 2 C 34/04 – juris; BayVGH, B.v. 30.10.2006 – 3 BV 03.2336 – juris Rn. 30). Vorgegebene Quoten sind – insbesondere bei größeren Personalkörpern mit (mehr oder weniger) vergleichbarer Aufgaben- und Personalstruktur – sinnvoll, um den Aussagegehalt der festgelegten Punktwerte zu verdeutlichen und zu konkretisieren und die Anwendung gleicher Beurteilungsmaßstäbe sicherzustellen, da nur so ein sachgerechter Leistungsvergleich möglich ist (BayVGH, B.v. 13.4.2010 – 3 ZB 08.1094 – juris Rn. 5). Die Festlegung von Quoten kann – zur Festlegung des zu fordernden Leistungsniveaus ein sowohl wirksames als auch praktikables Mittel sein (BayVerfGH, E. v. 4..7.2005 – Vf. 85-VI-02 – juris).
Derartige Beurteilungsvorgaben sind mithin insbesondere ein Hilfsmittel, um eine „Inflation an Spitzenprädikaten“ zu vermeiden, die eine gerechte Leistungsauswahl erschwert und ggf. ausschließt (Konrad in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern III § 58 LlbG, Rn. 13, Stand August 2016). Allerdings stellt sich die Frage, ob es sich bei den Schreiben der Personalverwaltung des Beklagten vom 27.10.2017 und der Frau B. vom 10.11.2017 noch um Richtwertvorgaben in dem genannten Sinne handelt. Denn vorgegebene Quoten bzw. Orientierungswerte dürfen nur als Richtwerte dienen und müssen geringfügige Abweichungen nach oben und nach unten zulassen (BayVGH, B.v. 30.10.2006 – 3 BV 03.2366 – juris Rn. 30, B.v. 27.7.2012 – 3 ZB 10.2053 – juris Rn. 4, U.v. 7.5.2014 – 3 BV 12.2594 – juris Rn. 49; vgl. auch BayVerfGH, a.a.O.: es muss bei der Bindung der Beurteiler an den Richtwert „Zurückhaltung geübt“ werden). Daran mangelt es ersichtlich den strikt formulierten genannten Schreiben. Es bleibt offen, ob die Stellungnahme der Frau K., Frau B., Frau G. und Frau K.-W. vom 14.4.2020, nach der die Quotenvorgaben im Schreiben der Personalabteilung vom 27.10.2017 im Rahmen des Beurteilungsverfahrens keine Rolle gespielt haben soll, dazu führen könnte, hier eine etwaige Rechtsverletzung des Klägers deshalb zu verneinen, weil weder strikte Quotenvorgaben noch „weiche“ Richtwerte zur Anwendung kamen. Dahinstehen kann auch, dass die genannte Stellungnahme vom 14.4.2020, die auch Frau B. mitgetragen hat, im Widerspruch zu deren Schreiben vom 10.11.2017 steht.
5.3. Gemäß Art. 59 Abs. 1 Satz 5 LlbG sind verbale Hinweise oder Erläuterungen bei denjenigen Einzelmerkmalen vorzunehmen, deren Bewertung sich gegenüber der letzten periodischen Beurteilung wesentlich verschlechtert hat oder bei denen sich die Bewertung auf bestimmte Vorkommnisse gründet.
Ziff. 6.2.3 Satz 5 VV-BeamtR führt aus, unter einer wesentlichen Verschlechterung sei bei Anwendung der …-Punkte-Skala (wie hier) regelmäßig eine Verschlechterung um mindestens … Punkte zu verstehen. Davon ausgehend hat sich der Kläger bei den Einzelmerkmalen Serviceorientierung, Einsatzbereitschaft und zielorientiertes Verhandlungsgeschick jeweils um 3 Punkte gegenüber der vorhergehenden Beurteilung des Bezirks O … verschlechtert. Unabhängig davon, inwieweit hier der Umstand, dass die vorhergehende Beurteilung von einem anderen Dienstherrn stammt, Auswirkungen haben könnte, erscheint es ersichtlich grundsätzlich nachvollziehbar, wenn der Beklagte darauf hinweist, eine wesentliche Verschlechterung im Sinne des Art. 59 Abs. 1 Satz 5 LlbG liege nicht vor, weil sich die Verschlechterung durch Anlegung eines anderen Bewertungsmaßstabs ergebe (vgl. Ziff. 6.2.3 Satz 6 VV-BeamtR). Dafür sprechen grundsätzlich – ohne dass es einer abschließenden Entscheidung bedürfte – die Ausführungen und Erläuterungen des Beklagten, nach denen der Bezirk O … in der vorhergehenden Beurteilung des Klägers für eine durchschnittliche Leistung des Klägers überdurchschnittliche Bewertungen vergab. Dahinstehen kann auch, dass das Verwaltungsgericht Würzburg die Frage, wann eine wesentliche Verschlechterung im Sinn des Art. 59 Abs. 1 Satz 5 LlbG vorliegt, danach beantwortet, ob die Punktezahl um wenigstens eine Punktegruppe unter der Bewertung in der letzten periodischen Beurteilung liegt und ihr damit eine andere verbale Bedeutung zukommt (U.v. 15.3.2016 – W 1 K 16.238 – juris Rn. 17). Auch davon ausgehend ergäbe sich hier gem. Ziff. 3.2.2 der VV-BeamtR eine wesentliche Verschlechterung im Sinne der genannten gesetzlichen Vorschrift.
5.4. Im Hinblick auf die Problematik eines abweichenden Beurteilungsmaßstabes beim Beklagten im Vergleich zum Bezirk O … ist grundsätzlich festzuhalten, dass der Beklagte als Dienstherr seinen eigenen Maßstab zu bilden hat (vgl. VG Würzburg, U.v. 25.11.2014 – W 1 K 13.605 – juris). Im Übrigen erscheint es grundsätzlich nachvollziehbar, wenn der Beklagte „durchschnittliche Leistungen“ mit einem anderen Punkteniveau bewertet als der Bezirk O … (vgl. E-Mail der Frau G. – Bezirk O …- vom 12.6.2018 an Frau H.). Allerdings ist/wäre insoweit in den Blick zu nehmen, dass der Kläger einen wesentlichen Teil des Beurteilungszeitraums (17 Monate) beim Bezirk O … tätig war (dazu sogleich).
5.5. Eine dienstliche Beurteilung muss den Beurteilungszeitraum vollständig erfassen („Lückenlosigkeit des Beurteilungszeitraums“, vgl. z.B. Lorse, Die dienstliche Beurteilung, 7. Auflage 2020 X Rn. 9 ff. – über juris abrufbar). Durch die Ausführungen des Beklagten im Widerspruchsbescheid sowie im gerichtlichen Verfahren ist (noch) hinreichend deutlich geworden, dass der Beklagte als Tatsachengrundlage zur Erfassung des Beurteilungszeitraums vom 1.1.2015 bis 31.5.2016 (Dienstherr des Klägers Bezirk O …) zum Einen die dienstliche Beurteilung des Bezirks O … (Ende des Beurteilungszeitraums 30.6.2015) heranzog und sodann diese dienstliche Beurteilung bis zum Ausscheiden des Klägers beim Bezirk O … (31.5.2016) weiter heranzog, da es (ersichtlich zurecht) einer Zwischenbeurteilung gem. Art. 57 LlBG nicht bedurfte, weil zwischen dem Beurteilungszeitraumsende 30.6.2015 und dem Wechsel zum Bezirk N … (1.6.2016) weniger als ein Jahr vergangen war (vgl. auch Ziff. 10.3.2 Satz 2 VV-BeamtR).
5.6. Offen bleibt, wie der Beklagte sodann die 17 Monate des vom Kläger beim Bezirk O … geleisteten Dienstes (1.1.2015 bis 31.5.2016) und die 19 Monate des beim Beklagten geleisteten Dienstes (1.6.2016 bis 31.12.2017) zusammenführte, mithin eine schlüssige Gesamturteilungsbildung entwickelte (vgl. Lorse a.a.O. Rn. 177a ff).
5.7. Im Übrigen vermag grundsätzlich die Verschlechterung im Vergleich zu der vorausgehenden dienstlichen Beurteilung einen Mangel der streitgegenständlichen dienstlichen Beurteilung nicht zu begründen. Denn die vorliegende dienstliche Beurteilung ist auf einen späteren Zeitraum bezogen und stellt nicht die Fortschreibung früherer Beurteilungen dar. Maßgehend sind allein die Leistungen im Beurteilungszeitraum (BayVGH B.v. 11.3.2013 – 3 ZB 10.602 – juris Rn. 9).
5.8. Art. 59 Abs. 2 Sätze 1 und 2 LlbG bestimmen, dass bei der Bildung des Gesamturteils die bei den Einzelmerkmalen vergebenen Wertungen unter Berücksichtigung ihrer an den Erfordernissen des Amtes und der Funktion zum messenden Bedeutung in einer Gesamtschau zu bewerten und zu gewichten sind. Die für die Bildung des Gesamturteils wesentlichen Gründe sind in den ergänzenden Bemerkungen darzulegen. Eine diesen Vorgaben nicht genügende Begründung des Gesamturteils einer dienstlichen Beurteilung kann nicht nachgeholt werden (BVerwG, U.v. 2.3.2017 – 2 C 51/16 – juris; BayVGH, U.v. 27.5.2019 – 3 B 17.69 – juris). Insbesondere ist insoweit eine „Fehlerheilung“ auch nicht in einem Widerspruchsbescheid möglich (BVerwG, U.v. 1.3.2018 – 2 A 10/17 Rn. 48). Davon ausgehend stellen sich zwei Fragen:
a. Die knappen Formulierungen in den „Ergänzenden Bemerkungen“ der dienstlichen Beurteilung äußern sich nicht dazu, ob bzw. inwieweit die Beurteilung des Bezirks O … bis einschließlich 31.5.2016 Berücksichtigung fand und wie die jeweiligen Beurteilungszeiträume (Bezirk O …, Beklagter) zusammengeführt/angepasst wurden. Es bleibt offen, ob der Beklagte insoweit gegen die Anforderungen verstoßen hat, die an die Begründung des Gesamturteils zu stellen sind (vgl. dazu grundsätzlich ausführlich Lorse, a.a.O. Rn. 179a ff.).
b. Es stellt sich weiter die Frage, ob durch die Formulierung in den „Ergänzenden Bemerkungen“ der Beurteiler in der dienstlichen Beurteilung in einer noch vertretbaren Art und Weise den Inhalt der jeweiligen Einzelmerkmale (knapp) zusammengefasst und gewichtet hat. Ohne dies abschließend zu entscheiden, erscheint insoweit eine Schlüssigkeit zwischen den Einzelbewertungen und dem Gesamturteil erkennbar. Einiges könnte dafür sprechen, dass insoweit die Anforderungen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner jüngeren Rechtsprechung an den Grad der Plausibilisierung und Individualisierung stellt, noch gewahrt sind (vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 1.3.2018 – 2 A 10/17 – juris – Verbot des arithmetischen Mittels, Verbot von Stereotypen; vgl. auch Lorse, a.a.O.). Es kann auch offen bleiben, ob sich hier – mit der Folge eines zulässigen Begründungsentfalls – das Gesamturteil von 10 Punkten – vergleichbar einer Ermessungsreduzierung auf Null – bezogen auf die vergebenen Einzelmerkmale aufgrund eines einheitlichen Leistungsbildes des Klägers geradezu aufdrängt (vgl. BVerwG, U.v. 1.3.2018, a.a.O.; BayVGH, U.v. 27.5.2019 – 3 B 17.69 – juris Rn. 14). Dafür spricht eher wenig, da der Kläger bei den Einzelmerkmalen 6 mal 10 Punkte, 6 mal 11 Punkte und einmal 9 Punkte erreicht hat.
5.9. Soweit der Kläger auf fehlende Mitarbeitergespräche hinweist, lässt sich daraus eine Rechtsverletzung durch die dienstliche Beurteilung ersichtlich nicht ableiten. Zwar bestimmt Ziff. 2.5 (insbesondere Sätze 4 bis 9) VV-BeamtR, dass es zu den ständigen Aufgaben der Vorgesetzten gehört, mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Arbeitsziele sowie Probleme der Zusammenarbeit und der Leistung zu erörtern. Dies könne sowohl in regelmäßigen Gesprächen mit den Beamtinnen und Beamten als auch aus konkretem, aktuellem Anlass heraus erfolgen. Zwar ist grundsätzlich die Einhaltung von Richtlinien im hiesigen gerichtlichen Verfahren zu überprüfen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 11.2.2008 – 2 A 7.07 – juris, BayVGH, B.v. 3.6.2015 – 6 ZB 14.312 – juris). Allerdings liegt es eher ferne, dass in Anbetracht des Vortrags des Beklagten, insbesondere der dargelegten engen Zusammenarbeit verschiedener Vorgesetzter mit dem Kläger in einem überschaubaren Mitarbeiterkreis, insoweit gegen die VV-BeamtR und gegen den Grundsatz der vollständigen Erfassung des Beurteilungszeitraums verstoßen worden wäre.
Nach alledem war die Klage erfolgreich.
Der Beklagte hat gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Verfahrenskosten zu tragen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff ZPO.


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