Verwaltungsrecht

Bewertung einer Prüfungsleistung im Abitur wegen Unterschleifs mit null Punkten

Aktenzeichen  7 CE 21.1906

Datum:
26.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22562
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GSO § 57 Abs. 1 S. 2
VwGO § 123

 

Leitsatz

1. Von einem Teilnehmer einer Abiturprüfung ist zu erwarten, dass er darauf bedacht ist, unzulässige Hilfsmittel aus seinem unmittelbaren Umfeld zu entfernen. Angesichts der drastischen Konsequenzen eines versuchten Unterschleifs ist es fernliegend, dass ein Abiturient sich bei seinen diesbezüglichen Vorkehrungen darauf verlässt, in letzter Minute vor Prüfungsbeginn noch einmal an die Abgabe unzulässiger Hilfsmittel erinnert zu werden. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein außergewöhnlicher Geschehensablauf, der einen Unterschleif nach § 57 GSO ausschließt, folgt auch nicht daraus, dass ein Mobiltelefon als Gebrauchsgegenstand gewohnheitsmäßig und völlig unbemerkt in der Hosentasche getragen wird. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 3 E 21.3300 2021-06-29 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die auf die fristgerecht dargelegten Gründe beschränkte Prüfung (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergibt, dass das Rechtsmittel nicht begründet ist. Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag gemäß § 123 VwGO zu Recht abgelehnt. Die Bewertung der am 21. Mai 2021 durchgeführten Prüfung des Antragstellers im Abiturprüfungsfach 3 – Wirtschaft und Recht – mit 0 Punkten ist rechtlich nicht zu beanstanden. Damit fehlt es jedenfalls am erforderlichen Anordnungsanspruch des Antragstellers auf Teilnahme an einem Termin zur Nachholung der schriftlichen Abiturprüfung im Prüfungsfach 3 und Erteilung eines vorläufigen Abiturzeugnisses unter Berücksichtigung des Ergebnisses dieser Prüfung. Zur Begründung nimmt der Senat auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts Bezug und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ergibt sich Folgendes:
1. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller die Voraussetzungen für den Tatbestand des Unterschleifs nach § 57 Abs. 1 Satz 2 GSO erfüllt hat, indem er unstreitig nach Beginn der Prüfung im Abiturprüfungsfach 3 ein Mobiltelefon mit sich führte. Es hat zutreffend angenommen, dass nach dem Beweis des ersten Anscheins zumindest von einem bedingten Vorsatz des Antragstellers auszugehen war. Mit seinen Ausführungen zum Vorliegen eines atypischen Geschehensablaufs kann der Antragsteller die entsprechenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht entkräften. Es ist bereits zweifelhaft, ob sich der Antragsteller in einer den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden Art und Weise mit den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt, da er lediglich sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt. Jedenfalls kann er mit seiner Kritik an der Annahme des Verwaltungsgerichts, von einem atypischen Geschehensablauf sei im Fall des Antragstellers nicht auszugehen, nicht durchdringen.
a) Mit dem wesentlichen Vortrag, der atypische Geschehensablauf bestehe darin, dass der Antragsgegner nicht sichergestellt habe, dass der etablierte “Prüfungsablauf”, die Prüflinge vor Prüfungsbeginn zur Abgabe der Mobiltelefone aufzufordern, auch gegenüber einem Prüfling eingehalten werde, der – wie der Antragsteller – vor Prüfungsbeginn kurz abwesend gewesen sei, wiederholt er sinngemäß, er habe aufgrund seiner Abwesenheit vergessen, das Mobiltelefon abzugeben. Eine Auseinandersetzung mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, allein die Abwesenheit des Antragstellers bei dieser Aufforderung lasse ein bloßes Vergessen der Abgabe nicht ernsthaft möglich erscheinen, ist darin nicht zu sehen. Das Verwaltungsgericht ist in diesem Zusammenhang zutreffend davon ausgegangen, dass grundsätzlich von einem Teilnehmer einer Abiturprüfung zu erwarten ist, dass er darauf bedacht ist, unzulässige Hilfsmittel aus seinem unmittelbaren Umfeld zu entfernen und es angesichts der drastischen Konsequenzen eines versuchten Unterschleifs wenig überzeugt, dass ein Abiturient sich bei seinen diesbezüglichen Vorkehrungen darauf verlässt, in letzter Minute vor Prüfungsbeginn noch einmal an die Abgabe unzulässiger Hilfsmittel erinnert zu werden. Soweit sich der Antragsteller darauf beruft, auch andere Mitschüler hätten sich vollständig auf die übliche “Prüfungspraxis” verlassen, entlastet ihn dies nicht. Zudem wird hierdurch gerade kein atypischer Geschehensablauf aufgezeigt, da sich der Antragsteller auf eine nach seiner Ansicht typische Nachlässigkeit von Abiturienten beruft. Unabhängig davon ist den mit Schreiben vom 19. Juli 2021 nachgereichten eidesstaatlichen Versicherungen lediglich zu entnehmen, “Bei den schriftlichen Abiturprüfungen am Gymnasium K. wurden nach jeweiliger Aufforderung durch die Aufsicht vor Beginn der Prüfungen durch die Schüler jeweils diverse (ca. …) Handys in die Sammelkisten abgegeben”. Dies ist jedoch völlig unstreitig.
b) Auch sein Vorbringen, die Prüfung habe kurz nach Rückkehr von der Toilette begonnen, er habe sich “bei seinem ersten Toilettengang mit der Rektorin” unterhalten, seine Tasche im hinteren Bereich abgestellt sowie seine Sachen zu seinem Arbeitsplatz gebracht, so dass das Verwaltungsgericht unzutreffend davon ausgegangen sei, dass er nicht durch besondere Umstände von der Abgabe seines Handys abgelenkt worden wäre, “vielmehr war dies durch das nicht erfolgte Einsammeln des Handys und den sofortigen Beginn der Prüfung ganz offensichtlich der Fall”, überzeugt nicht. Ungeachtet dessen, dass die Schule des Antragstellers ausweislich der vorgelegten Präsentation während der Vollversammlung genaue Handlungsanweisungen und -empfehlungen zum Verhalten der Abiturienten kurz vor der jeweiligen schriftlichen Prüfung gegeben hat, werden durch diese Einlassung keine außergewöhnlichen Umstände aufgezeigt, auf die sich ein Abiturient nicht hätte einstellen müssen. Zudem liegt es in der Sphäre des Antragstellers, dass er noch unmittelbar vor Prüfungsbeginn einen Toilettengang vorgenommen hat. Dass dies durch besondere, außergewöhnliche Umstände erforderlich geworden wäre, auf die sich auch ein ausreichend selbstorganisierter Abiturient im Vorhinein nicht einzustellen brauchte, hat der Antragsteller nicht dargelegt.
c) Ein außergewöhnlicher Geschehensablauf ergibt sich auch nicht aus den Ausführungen des Antragstellers, das Mobiltelefon werde als Gebrauchsgegenstand gewohnheitsmäßig und völlig unbemerkt in der Hosentasche getragen. Diese Argumentation mag im Normalfall durchgreifen; vorliegend ist sie jedoch ebenso wenig geeignet, den Anscheinsbeweis zu entkräften, wie sein völlig unsubstantiierter Hinweis, er habe das Handy nicht zu verheimlichen versucht, sondern es “ganz offensichtlich (in) der Hosentasche getragen”. Aufgrund der vielfältigen Belehrungen und Hinweise der Schule zum Thema Unterschleif – u.a. “Keine Handys/Smartuhren im Prüfungsraum!” “Kontrolle der Hilfsmittel vor und während der Prüfung!” – und dem Umstand, dass er das Prozedere des “Handyeinsammelns” bereits bei den zwei zeitlich vorausgegangenen schriftlichen Abiturprüfungen erlebt hatte, hätte der Antragsteller besonders sensibilisiert und achtsam sein müssen. Hinzu kommt, dass die Abiturienten insbesondere im Rahmen der Vollversammlung auf die besonderen Konsequenzen, die bereits ein unerlaubtes Mitführen eines ausgeschalteten Mobiltelefons mit sich bringen würde, ausdrücklich und mehrfach in optisch besonders auffälliger Form hingewiesen wurden. Gerade seine erstinstanzlich geäußerten ambitionierten beruflichen Pläne und die Tatsache, dass er nun Nachteile für seinen weiteren Lebensweg befürchtet, hätten ein besonders sorgsames Verhalten des Antragstellers geboten. Dass er dies unterlassen hat, hat er sich ausschließlich selbst zuzuschreiben. Soweit der Antragsteller vorträgt, dass “der Antragsgegner nur (unzutreffend) davon ausging, dass lediglich bei Erfüllung des objektiven Tatbestands bereits die Rechtsfolge des § 57 Abs. 1 Satz 1 GSO zwingend eintrete”, ist dieser Einwand im Hinblick auf die ausdrücklichen Belehrungen im Vorfeld der Abiturprüfungen – u.a. “Bedient sich der Schüler unerlaubter Hilfe oder macht er den Versuch dazu (Unterschleif), so wird die Arbeit mit 0 Punkten bewertet.” – nicht nachvollziehbar.
2. Auch die Kritik des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, es bestünden im Hinblick auf den Grundsatz der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keine Bedenken an der Entscheidung des Antragsgegners, ist nicht durchgreifend.
Der Antragsgegner hat seiner Fürsorgepflicht mehr als ausreichend Genüge getan, indem er die Abiturienten unstreitig auch im 3. Prüfungstermin zur Abgabe der Mobiltelefone aufgefordert hat. Die Schule war nicht verpflichtet, den Antragsteller nach dessen Rückkehr in den Prüfungsraum eigens aufzufordern, ein gegebenenfalls mitgeführtes Mobiltelefon abzugeben. Dass es an der Schule des Antragstellers ansonsten eine diesbezügliche Praxis gab und er deshalb eine Gleichbehandlung mit den anderen Abiturienten verlangen kann, hat der Antragsteller weder vorgetragen noch ist dies erkennbar. Insbesondere im Hinblick auf die wiederholten und umfangreichen Vorabinformationen und Warnungen der Schule vor einem Handybesitz nach Prüfungsbeginn war dies auch unter Berücksichtigung der gravierenden Folgen des unerlaubten Handybesitzes nicht erforderlich. Sein Hinweis, es hätte auffallen müssen, dass sein Platz in der ersten Reihe während des “Einsammelns” leer war, deshalb hätte es sich der Prüfungsaufsicht aufdrängen müssen, “das eingeführte übliche Verfahren aus Fürsorgegründen mit dem zurückkehrenden Antragsteller nachzuholen und ihn damit im Verhältnis zu seinen Mitschülern gleich zu behandeln”, geht daher ins Leere. Auf ein diesbezügliches schutzwürdiges Vertrauen kann sich der Antragsteller eben nicht berufen. Nichts anderes folgt aus der zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 29. Juni 2011 – 7 K 3433/10 – (juris Rn. 25). Denn im Gegensatz zum Antragsteller war die Klägerin im dortigen Verfahren vor der (mündlichen) Prüfung gerade nicht in klarer und unmissverständlicher Weise auf das Verbot des Mitführens eines Handys hingewiesen worden.
Aus den gleichen Gründen überzeugen auch die Ausführungen des Antragstellers zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht. Auch im Beschwerdeverfahren hat er keine durchgreifenden Gründe aufgezeigt, warum in seinem Fall ein Abweichen von der in § 57 Abs. 1 Satz 2 und 1 GSO vorgesehenen Rechtsfolge der Bewertung der Prüfungsaufgabe 3 mit 0 Punkten zwingend erforderlich war. Auch in diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller – ebenso wie die anderen Abiturienten – eindringlich und unmissverständlich auf die Folgen des Mitführens eines Mobiltelefons nach Prüfungsbeginn hingewiesen worden war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung von Nr. 38.6 und 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019).


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