Verwaltungsrecht

Boko Haram-Konflikt – Interne Schutzmöglichkeit

Aktenzeichen  M 21 K 17.41757

Datum:
28.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3144
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 59, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG § 3, § 4, § 30, § 38 Abs. 1, § 78 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Selbst wenn man annähme, dass von Boko Haram im Bundesstaat Borno in Nigeria willkürliche Gewalt iSd § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes ausgeht, bietet die derzeitige Auskunftslage jedenfalls keine tragfähige Basis für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson, wenn diese keine individuellen, gefahrerhöhenden Umstände für sich geltend gemacht hat. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da sich der Boko Haram-Konflikt auf den Nordosten Nigerias konzentriert, besteht grundsätzlich in den meisten Fällen die Möglichkeit, durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zwar zulässig, aber insgesamt offensichtlich unbegründet.
Das Gericht folgt zunächst der Begründung des angefochtenen Bundesamtsbescheids vom 17. Mai 2017 und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
Bei der Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet, welche die Unanfechtbarkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zur Folge hat (§ 78 Abs. 1 AsylG), sind nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts besondere Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung und an die Urteilsbegründung zu stellen. Es muss sich die auf der Hand liegende Aussichtslosigkeit der Klage zumindest eindeutig aus der Entscheidung selbst ergeben (vgl. nur BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3). Das Bundesverfassungsgericht hat zudem den unbestimmten Rechtsbegriff der Offensichtlichkeit in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin ausgelegt, dass Offensichtlichkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 AsylG dann vorliegt, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (hier: § 77 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt. Dieselben Anforderungen sind auch an eine gerichtliche Entscheidung über das offensichtliche Nichtvorliegen eines Anspruchs auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG und an die Abweisung der Klage auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG als offensichtlich unbegründet zu stellen (vgl. zu all dem nur BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3 m.w.N.; BVerfG, B.v. 27.9.2007 – 2 BvR 1613/07 – juris Rn. 18 m.w.N.). Die Darlegung, worauf das Offensichtlichkeitsurteil im Einzelnen gestützt wird, erfordert vor allem dann besondere Sorgfalt, wenn das Bundesamt den Antrag lediglich als (schlicht) unbegründet abgelehnt hat (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2006 – 2 BvR 2063/06 – juris Rn. 10 m.w.N.). Steht, wie im Fall der Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet (§ 78 Abs. 1 AsylG), nur eine Instanz zur Verfügung, so verstärkt dies die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Verfahrens im Hinblick auf die Wahrheitserforschung (vgl. nur BVerfG, B.v. 7.11.2008 – 2 BvR 629/06 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Klage insgesamt als offensichtlich unbegründet abzuweisen.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes liegen offensichtlich nicht vor (§ 30 Abs. 1 AsylG). Abgesehen von der Frage der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers ist es jedenfalls schon nicht asylrelevant.
Im Kern hat er eine allgemeine terroristische Gefahr durch Boko Haram geltend gemacht, die nach dem Vorbringen des Klägers keinen Bezug zu einem asylerheblichen Merkmal seinerseits hat.
Da dem Kläger infolge der geltend gemachten Gefahr durch Boko Haram hinreichend gesichert schon kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht und er sich zudem jedenfalls hinreichend gesichert auf internen Schutz in Nigeria verweisen lassen muss (vgl. nur VG München, B.v. 13.2.2018 – M 21 S 17.42430 – m.w.N.), wäre es somit bereits Sache des Bundesamts gewesen, den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Im Einzelnen:
Auch nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts zur Bundesrepublik Nigeria (Stand: September 2017) (kurz: Lagebericht 2017) gibt es dort keine klassischen Bürgerkriegsgebiete und Bürgerkriegsparteien (Lagebericht 2017, S. 19). Der Boko Haram-Konflikt konzentriert sich auf den Nordosten Nigerias. Dort und im Zentrum hat sich die Sicherheitslage insgesamt verbessert. Die nigerianischen Streitkräfte haben den Großteil der von Boko Haram eingenommenen Territorien wieder zurückerobern können. Allerdings gelingt es ihnen kaum, diese Gebiete zu sichern. In den ländlichen Teilen des Bundesstaats Borno kommt es weiterhin zu tödlichen Anschlägen der Islamisten. Nur die Distriktzentren gelten dort als sicher. Auch Maiduguri, die Hauptstadt von Borno, ist wiederholt von Bombenanschlägen und erstmalig seit letzter Zeit auch wieder von einem bewaffneten Angriff erschüttert worden (vgl. zu all dem Lagebericht 2017, S.10).
Selbst wenn man annähme, dass von Boko Haram im Bundesstaat Borno willkürliche Gewalt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgeht, bietet die dargelegte Auskunftslage jedenfalls keine tragfähige Basis für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson wie den Kläger, der keine individuellen, gefahrerhöhenden Umstände (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 18) für sich geltend gemacht hat. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 19 m.w.N.).
Daher kann eine erhebliche individuelle Gefahr für eine Zivilperson wie den Kläger grundsätzlich nur dann angenommen werden, wenn die in Nigeria drohenden allgemeinen Gefahren eine derart hohe Dichte bzw. einen derart hohen Grad aufweisen, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist. Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt muss sich dabei zwar nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der erforderlichen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Asylbewerbers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. zu all dem nur BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – juris Rn. 17 m.w.N; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Daran gemessen ist auf Basis der aktuellen Auskunftslage zur Bundesrepublik Nigeria und angesichts der Anforderungen der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. nur BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 22 ff.) jedoch selbst für den Bundesstaat Borno – für das übrige Staatsgebiet Nigerias kommt eine solche Annahme nach der Auskunftslage von vorneherein nicht in Betracht – eine für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichende Gefahrendichte zu verneinen. Der aktuelle Lagebericht bietet insbesondere nicht einmal tragfähige Anhaltspunkte für ein dortiges Verletzungs- oder Tötungsrisiko für Zivilpersonen in der maßgeblichen Größenordnung.
Zudem muss sich der Kläger jedenfalls hinreichend gesichert auf internen Schutz in Nigeria verweisen lassen (§§ 3e, 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
Es ist bereits dargelegt worden, dass ich der Boko Haram-Konflikt auf den Nordosten Nigerias konzentriert. Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, insbesondere Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Dies kann allerdings ausnahmsweise mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, in dem keine Mitglieder ihrer Familie bzw. erweiterten Verwandtschaft oder der Dorfgemeinschaft leben (vgl. zu all dem Lagebericht 2017, S. 18).
Einen solchen, engen Ausnahmefall kann der Kläger offensichtlich nicht für sich in Anspruch nehmen. Er hat als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann nicht zuletzt durch seine Reise nach Europa bewiesen, dass er sich in einer für ihn unbekannten Umgebung behaupten kann. Somit ist er jedenfalls auf einen anderen Landesteil als den Bundesstaat Borno, etwa auch auf Yobe, zu verweisen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.
Das Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG).


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