Verwaltungsrecht

Bürgerbegehren – Sicherung eines fairen Verfahrens durch ein konkurrierendes Ratsbegehren

Aktenzeichen  4 CE 18.495

Datum:
1.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DÖV – 2018, 533
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123, § 146 Abs. 4 S. 1 u. 6, § 152 Abs. 1, § 154 Abs. 2
GKG § 52 Abs. 2,§ 53 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

Die Vertreter eines Bürgerbegehrens haben zur Sicherung eines fairen Verfahrensablaufs auch das Recht, ein konkurrierendes Ratsbegehren abzuwehren, wenn dieses so formuliert ist, dass damit die Entscheidungsfreiheit der Bürger bei der Abstimmung beeinträchtigt wird und damit die Erfolgsaussichten des Bürgerbegehrens geschmälert werden. (Rn. 7)

Verfahrensgang

M 7 E 18.620 2018-02-27 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind Vertreter eines zum Bürgerentscheid zugelassenen Bürgerbegehrens. Sie wenden sich mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen eine vom Antragsgegner für den gleichen Tag anberaumte Abstimmung über ein konkurrierendes Ratsbegehren.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 27. Februar 2018 abgelehnt.
Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit der Beschwerde.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde der Antragsteller, die der Senat nur anhand der dargelegten Gründe prüft (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO), hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag zu Recht abgelehnt.
a) Das Eilrechtsschutzbegehren mit dem Ziel, die für den 4. März 2018 anberaumte Abstimmung über das Ratsbegehren abzusetzen, hilfsweise den Abstimmungstermin aufzuheben und (nur) den Bürgerentscheid der Antragsteller neu anzusetzen sowie den Antragsgegner zur Unterlassung aller dem Ziel dieses Bürgerbegehrens entgegenstehenden Maßnahmen und Entscheidungen zu verpflichten, dürfte nach vorläufiger Einschätzung zulässig sein. Die Vertreter eines Bürgerbegehrens können sich nicht nur gemäß Art. 18a Abs. 9 GO gegen beeinträchtigende Maßnahmen der Gemeinde im Vorfeld einer Abstimmung zur Wehr setzen, sondern müssen zur Sicherung eines fairen Verfahrensablaufs auch das Recht haben, ein konkurrierendes Ratsbegehren abzuwehren, wenn dieses so formuliert ist, dass damit die Entscheidungsfreiheit der Bürger bei der Abstimmung beeinträchtigt wird und damit auch die Erfolgsaussichten des Bürgerbegehrens geschmälert werden.
b) Ob diese subjektive Rechtsposition so weit reicht, dass die Vertreter eines Bürgerbegehrens auch ein lediglich in formeller Hinsicht rechtswidrig für den gleichen Abstimmungstag anberaumtes Ratsbegehren abwehren können, bedarf hier keiner Entscheidung. Der insoweit von den Antragstellern geltend gemachte Mangel, nämlich eine verspätete Beschlussfassung im Gemeinderat über den genauen Inhalt des Ratsbegehrens und eine daraus resultierende unzureichende Möglichkeit der Abstimmungsberechtigten zur Information, liegt nicht vor.
Wie sich aus der vorgelegten Verfahrensakte ergibt, wurde im Gemeinderat der Antragsgegnerin bereits am 7. Dezember 2017 beschlossen, dass dem Bürgerbegehren ein Ratsbegehren gegenübergestellt werden soll, welches das Dialogverfahren gemäß der gesetzlichen Vorgaben „als Alternative zur Bauleitplanung“ vorsehe. Danach war im Gemeinderat von Anfang an klar, dass das Dialogverfahren an die Stelle der von den Antragstellern propagierten Bauleitplanung zur Steuerung der Standortwahl für den Mobilfunk eingesetzt werden sollte. In der von der ersten Bürgermeisterin des Antragsgegners am 23. Januar 2018 unterzeichneten Abstimmungsbekanntmachung für die Bürgerentscheide am 4. März 2018 fand sich dementsprechend bereits derselbe Wortlaut des Ratsbegehrens, wie er nunmehr zur Abstimmung gestellt wird. Da diese Abstimmungsbekanntmachung am 27. Januar 2018 auch im Amtsblatt des Antragsgegners veröffentlicht wurde, hatten die zur Abstimmung aufgerufenen Bürger hinreichend Zeit und Gelegenheit, sich mit dem Gegenstand der beiden Entscheidungsvorschläge auseinanderzusetzen. Ob bei der offenbar über die öffentliche Bekanntmachung hinaus erfolgten Versendung individueller Abstimmungsbenachrichtigungen Mängel aufgetreten sind, wie dies die Antragsteller durch Vorlage eidesstattlicher Versicherungen über den Nichterhalt solcher Benachrichtigungen behaupten, kann hier dahinstehen, da eine individuelle Bekanntmachung über Ort und Gegenstand der Abstimmung rechtlich nicht geboten ist (BayVGH, B. v. 16.8.2004 – 4 CE 04.2253 – VGH n. F. 57, 217/221) und erst recht nicht von den Vertretern eines konkurrierenden Bürgerbegehrens eingefordert werden kann.
Soweit die Antragsteller geltend machen, das konkurrierende Ratsbegehren sei auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet, weil mit dem Vorschlag, „anstatt einer Bauleitplanung auch weiterhin das bisher mehrfach durchgeführte Dialogverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz und dem Mobilfunkpakt II“ anzuwenden, ein dauerhafter und flächendeckender Verzicht auf die Ausübung der Planungshoheit angestrebt werde, kann dem nicht gefolgt werden. Die Formulierung zielt ersichtlich auf einen Grundsatzbeschluss im Hinblick auf die Streitfrage, ob die Standortsteuerung für Mobilfunkanlagen – wie von den Antragstellern angestrebt – mit bauleitplanerischen Mitteln oder im Rahmen bzw. im Vorfeld eines immissionsschutzrechtlichen Einzelgenehmigungsverfahrens auf konsensualem Weg erfolgen soll. Dabei ergibt sich bereits aus der auf ein Jahr begrenzten Bindungswirkung eines Bürgerentscheids (Art. 18a Abs. 13 Satz 2 Halbs. 1 GO), dass es sich nur um eine zeitweilige Festlegung handelt, wobei selbst diese Bindung entfällt, wenn sich die zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage wesentlich geändert hat (Art. 18a Abs. 13 Satz 2 Halbs. 2 GO). Dass die von der Ratsmehrheit angestrebte Verfahrensweise zum gegenwärtigen Zeitpunkt rechtswidrig wäre, also einem aktuell im Gemeindegebiet bestehenden Planungserfordernis im Hinblick auf Mobilfunkanlagen zuwiderliefe, ist weder ersichtlich noch von den Antragstellern geltend gemacht worden.
c) Es sind auch keine durchgreifenden Bedenken gegen die Bestimmtheit des Ratsbegehrens oder gegen die darin verwendeten Formulierungen ersichtlich. Dass die genaue Rechtsgrundlage für das in der Fragestellung zitierte Dialogverfahren nicht angegeben ist, stellt für einen am Thema interessierten abstimmungswilligen Bürger kein unüberwindliches Hindernis dar. Auch die Antragsteller haben das von ihnen favorisierte Verfahren der Bauleitplanung in der Fragestellung nicht näher konkretisiert; wer sich über den Ablauf des Bauleitplanverfahrens oder des Dialogverfahrens informieren will, muss sich in jedem Fall um sachverständige Auskunft bemühen.
Im Ratsbegehren musste auch nicht näher erläutert werden, welche Erfahrungen mit dem mehrfach durchgeführten Dialogverfahren in der Vergangenheit gemacht worden sind. Nach der gesetzlichen Grundentscheidung des Art. 18a GO wird beim Bürgerentscheid nur die mit Ja oder Nein zu beantwortende Frage zur Abstimmung vorgelegt und nicht auch – wie bei einem Bürgerbegehren – eine entsprechende Begründung. Dementsprechend kann bei einem auf einem Gemeinderatsbeschluss beruhenden Ratsbegehren von vornherein keine amtliche Begründung verlangt werden.
Auch mit der Formulierung des Ratsbegehrens wird nicht in einer dem Sachlichkeitsgebot widersprechenden Weise auf die Abstimmungsfreiheit der Bürger eingewirkt. Die allgemeine Aussage, das Dialogverfahren solle zur „Sicherstellung“ einer emissionsoptimierten Mobilfunkversorgung dienen, bezeichnet lediglich die kommunalpolitische Absicht der Ratsmehrheit und kann nicht zur Irreführung über die tatsächliche Eignung des genannten Verfahrens führen. Auch aus der Angabe, dass das Dialogverfahren bereits „mehrfach“ durchgeführt worden sei, lässt sich nicht entnehmen, dass damit in der Vergangenheit ein ganz bestimmter Erfolg verbunden gewesen sei.
Da hiernach keine rechtliche Bedenken gegen das anberaumte Ratsbegehren bestehen, kann der Antrag auf Erlass einer einstweilen Anordnung weder im Haupt- noch im Hilfsantrag Erfolg haben.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert aus § 47 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 22.6 des Streitwertkatalogs 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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