Verwaltungsrecht

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Aktenzeichen  RO 1 K 17.33188

Datum:
2.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 47168
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist in Ziffer II vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige – insbesondere fristgemäß erhobene (§§ 74 Abs. 1 Hs. 2, 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG) – Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen.
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus noch auf die Feststellung des Bestehens eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Ägypten. Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Bundesamt hat in dem angegriffenen Beschied ausführlich dargestellt, warum es zu der Einschätzung gelangt ist, dass der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus bzw. die Feststellung des Bestehens eines Abschiebungsverbotes hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht daher zunächst vollumfänglich gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Darstellungen und die Begründung im angefochtenen Bescheid, denen es uneingeschränkt folgt.
In der Klagebegründung und im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen, die eine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage ermöglichen.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Nach dieser Vorschrift wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, es liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 AufenthG vor. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention vom 28. Juli 1951 [BGBl. 1953 II, S. 559, 560]), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG kann nach § 3c AsylG ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Die Frage, ob einem Schutzsuchenden eine in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannte Verfolgung droht, ist anhand einer Prognose zu beurteilen, die die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 30. November 2017 – 2 A 236/17 – juris, Entscheidungsabdruck S. 6). Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die in Rede stehende Verfolgung aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 19). Für die beachtliche Wahrscheinlichkeit kommt es darauf an, ob bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist dann anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. für alles Vorstehende OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris Rn. 34).
Der der Prognose zugrunde zu legende Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit bleibt auch dann unverändert, wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 – Rs. C-175/08 u.a. -, Abdulla, zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung, juris Rn. 84 ff.; BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 – juris Rn. 22; VG Berlin, Urteil vom 15. November 2017 – VG 9 K 655.16 A – juris). Allerdings ist nach Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU (Abl. Nr. L 337 S. 9 – Qualifikationsrichtlinie -) die Tatsache, dass der schutzsuchende Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 – a.a.O., Rn. 21; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. November 2017 – OVG 3 B 12.17 – juris Rn. 18). Die Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. für alles Vorstehende wiederum BVerwG, ebd.).
Aufgrund der ihnen obliegenden prozessualen Mitwirkungspflichten (vgl. § 25 Abs. 1 und 2 AsylG) sind Asylbewerber gehalten, von sich aus die in ihre eigene Sphäre fallenden tatsächlichen Umstände substantiiert und in sich stimmig zu schildern sowie eventuelle Widersprüche zu ihrem Vorbringen in ihren früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar aufzulösen. Ihr Vortrag muss danach insgesamt geeignet sein, den Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, Urteil vom 22. März 1983 – 9 C 68/81 – juris Rn. 5).
Nach den vorstehend dargestellten Maßstäben hat der Kläger nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass er Ägypten wegen erlittener oder drohender flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgung seitens des Staates oder privater Dritter verlassen hat oder dass eine derartige Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Ägypten beachtlich wahrscheinlich ist.
Die erkennende Einzelrichterin ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger in Ägypten seitens des ägyptischen Staates verfolgt oder bedroht wurde.
1.1. Der Vortrag des Klägers, die Polizei hätte vor seiner Ausreise nach ihm gesucht, weil sie ihm unterstelle, Mitglied bei der Muslimbruderschaft zu sein und sein Name deshalb auf eine bei den Sicherheitsbehörden geführte Liste gesetzt worden sei, ist nicht glaubhaft. Das Gericht konnte schon nicht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen (vgl. zur richterlichen Überzeugungsbildung BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1989 – 9 B 239/89 – juris). Sein Vortrag im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt und seine Einlassungen im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens sind in diesem Zusammenhang vage, oberflächlich und zum Teil nicht stimmig, sodass Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Schilderungen und damit an einer erlittenen individuellen Vorverfolgung bestehen.
Der Kläger hat bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt lediglich angegeben, er habe vor der Ausreise mehrmals mit der Polizei Probleme gehabt, wenn er in die Moschee gehen wollte. Er sei vor der Ausreise mehrmals festgenommen worden und 2 bis 3 Tage festgehalten worden, außerdem sei er in der Haft geschlagen worden. Sein Vater habe in Kairo an einer Demonstration teilgenommen und sei dabei von Sicherheitskräften ins Bein geschossen worden.
Demgegenüber ließ er seine ursprüngliche Bevollmächtigte in der Klagebegründung vom 14. Juni 2017 vortragen, der Kläger sei zwei- bis dreimal täglich gefoltert worden. Dazu sei er kopfüber aufgehängt worden, habe Fußfesseln bekommen und sei im 10-Minutentakt mit Elektroschocks gefoltert worden. Auch nach dieser Inhaftierung sei er immer wieder willkürlich festgenommen und inhaftiert worden. Eines Tages sei der Bus angehalten worden, als er mit dem Bus unterwegs gewesen sei, und er sei als einziger Insasse verhaftet worden. Er stehe auf einer Fahndungsliste. Die Polizei habe den Kläger auch immer wieder zu Hause aufgesucht und habe dabei auch die Mutter des Klägers geschlagen. Als der Kläger ihr zur Hilfe habe eilen wollen, sei er von der Polizei geschlagen und zu Boden geworfen worden. Sein Vater habe gegen die Regierung demonstriert und sei dabei angeschossen worden.
In einer erst nach der Anhörung des Gerichts zum Erlass eines Gerichtsbescheids im August 2021 verfassten Erklärung des Klägers schilderte der Kläger demgegenüber im Detail, dass er mit seinem Vater gemeinsam und einem Freund in Kairo bei einer Demonstration gewesen sei, als er 13 Jahre alt gewesen sei. Sein Vater sei angeschossen worden und habe im Krankenhaus behandelt werden müssen. Am Abend der Demonstration sei die Polizei zu ihnen nach Hause gekommen. Am nächsten Tag sei die Polizei in die Moschee gekommen und habe angefangen, sie zu schlagen. Sie habe sie mit dem Auto mitgenommen. Einer der Polizisten habe ihm auf den Kopf gehauen und über seine Mutter geschimpft. Dann habe er eine Waffe gezogen und habe angedroht, zu schießen. Sie seien im Revier in eine Zelle gebracht worden. Dort habe ein Polizist angefangen, mit einem Stück Holz auf ihn einzuschlagen. Am nächsten Tag seien sie wieder festgenommen worden und er sei wieder mit einem Stück Holz geschlagen worden. Sie seien mehrere Tage festgehalten worden. Am zweiten Tag hätten sie nichts zu Essen und Trinken bekommen. Am dritten Tag seien sie von den Händen aufgehängt worden und mit Elektroschocks geschlagen und gequält worden.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung schilderte der Kläger, er sei insgesamt fünfmal von der Polizei verhaftet worden. Einmal einen Tag, beim zweiten Mal zwei Tage und beim dritten Mal zwei Tage. Das sei jeweils im Jahr 2011 nach der Demonstration gewesen. Die Demonstration habe am 25. Januar 2011 stattgefunden. Einmal sei er gerade auf dem Weg zur Moschee gewesen. Sein Vater sei im Jahr 2013 verstorben, seine Mutter ebenfalls. Einzelheiten zu diesen Vorfällen schilderte der Kläger jeweils nicht. Ausgereist sei er im März 2015.
Die Angaben des Klägers sind damit sowohl im Hinblick auf die Anzahl der Vorfälle, deren Ablauf als auch den Zeitpunkt uneinheitlich. Insgesamt handelt es sich nach der Überzeugung des Gericht um gesteigertes Vorbringen des Klägers, das zur Unglaubwürdigkeit führt. Einzelheiten, wie sie typisch wären, wenn jemand über etwas tatsächlich Erlebtes berichtet oder Emotionen waren dennoch nicht erkennbar. Überdies sollen sich die von dem Kläger geschilderten Vorfälle im Jahr 2011 abgespielt haben und damit über vier Jahre vor der Ausreise des Klägers. Die Angaben des Klägers sind auch insoweit unglaubhaft, als der Kläger zum Zeitpunkt der Demonstration lediglich 13 Jahre alt war. Dass die Polizei den Kläger als ein Mitglied der Muslimbruderschaft gezielt gesucht hätte, erscheint dem Gericht nicht nachvollziehbar. Der Kläger konnte nicht einmal im Ansatz die Ziele der Muslimbruderschaft schildern oder angegeben, woher er gewusst haben will, dass die Polizei nach ihm suche.
Uneinheitlich sind auch die Angaben des Klägers dazu, was im Nachgang zu diesen Vorfällen passiert ist. Während seine ursprüngliche Klägervertreterin im Rahmen der Klagebegründung angab, der Kläger habe ursprünglich in Kairo gelebt und sei nach den Vorfällen nach Alexandria umgezogen, gab der Kläger im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt an, sie hätten schon immer in Alexandria gelebt. Er habe bis zu seiner Ausreise dort gelebt. Im Widerspruch dazu führte der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung aus, dass seine Schwester ursprünglich in Alexandria gelebt habe und dann nach Shubra umgezogen sei. Der Kläger habe sich (mehrere Jahre?!) bei einem Bekannten seines Vaters zwei Autostunden von Alexandria entfernt versteckt. Davon wiederum erzählte er im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt nichts, sondern gab an, bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit seiner Schwester in Alexandria gelebt zu haben.
Abgesehen von diesen Unstimmigkeiten im klägerischen Vortrag erfolgte dieser durchgehend vage und oberflächlich und weist damit kaum anschauliche Einzelheiten auf, die darauf schließen lassen könnten, dass der Kläger tatsächlich von selbst erlebten Ereignissen berichtet hat.
Des Weiteren hat der Kläger keinerlei Angaben dazu gemacht, woher er konkret gewusst haben will, dass sein Name auf einer Liste von Personen geführt wurde, die mit der Muslimbruderschaft zusammengearbeitet haben. Zwar kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass Listen oder Datenbanken zu Mitgliedern und Unterstützern der in Ägypten als Terrororganisation eingestuften Muslimbruderschaft bei den Sicherheitsbehörden geführt werden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt vom 2. Dezember 2019, Gz. 508-516.80/53326, S. 2). Der Kläger hat jedoch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die ägyptischen Sicherheitsbehörden ihn überhaupt als Mitglied oder Unterstützer der Muslimbruderschaft eingestuft haben. Denn es ist nicht ansatzweise erkennbar, dass und auf welchem Wege die vom Kläger beschriebene Teilnahme an vereinzelten Treffen der Muslimbruderschaft und die Teilnahme an einer Großdemo in Kairo den ägyptischen Sicherheitsbehörden zur Kenntnis gelangt sein sollten. Im Übrigen richtet sich das Augenmerk der ägyptischen Sicherheitsbehörden nach den Ausführungen des Auswärtigen Amts in seinem jüngsten Lagebericht vor allem auf den Führungskader der Muslimbruderschaft (vgl. insoweit Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten vom 13.6.2020, Seite). Dazu gehörte der Kläger jedoch sicherlich nicht, der nach seinem eigenen Vorbringen weder Mitglied der Muslimbruderschaft war noch sich politisch für deren Ziele eingesetzt hat und der zum damaligen Zeitpunkt lediglich 13 Jahre alt war. In einer anderen Erkenntnisquelle wird zwar darüber hinaus geschildert, dass neben Führungspersönlichkeiten und Mitgliedern der Muslimbruderschaft, denen bei politischen Aktivitäten innerhalb oder außerhalb der Parteistruktur Verhaftung und strafrechtliche Verfolgung drohe, auch bei gewöhnlichen inaktiven Mitgliedern, Parteianhängern und Personen mit familiären Verbindungen zu Mitgliedern – wenn auch weniger wahrscheinlich – ein Risiko verbleibe, verhaftet, strafrechtlich verfolgt oder aus dem Staatsdienst entlassen zu werden, wenn Verbindung zur Muslimbruderschaft den Behörden bekannt werde (vgl. Department of foreign affairs and trade des Australian Government [DFAT], „Country information report – Egypt“ vom 17. Juni 2019, S. 25). Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes wird die reine Zugehörigkeit zur Muslimbruderschaft nicht strafrechtlich verfolgt (Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 8.3.2017, Gz. 508-516.80/49147). Zum Führungskader der Muslimbruderschaft gehörte der Antragsteller jedoch selbst nach seinen eigenen Angaben nicht. Das Vorbringen des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung, auch seine Schwester habe deshalb vor einiger Zeit Schwierigkeiten gehabt und sei deshalb umgezogen, ist ebenfalls nicht hinreichend substantiiert, weil keine konkreten Einzelheiten zu dem angeblichen Vorfall und seinen Hintergründen erkennbar sind.
Da die zur Entscheidung berufene Einzelrichterin auch den Vortrag des Klägers, die Sicherheitsbehörden hätten bei ihm zu Hause nach ihm gesucht und seine Mutter bzw. Schwester bedroht, nicht für glaubhaft hält, kann aus diesen Angaben ebenfalls nicht der Schluss gezogen werden, dass der Name des Klägers bei den Sicherheitsbehörden wegen der ihm zugeschriebenen Zugehörigkeit zur Muslimbruderschaft registriert wurde. Es ist schon nicht erkennbar, wann genau und wie oft wie viele Personen bei ihm zu Hause erschienen sind und wie diese jeweils im Einzelnen vorgegangen sind. Während der Kläger vor dem Bundesamt dazu nichts vorgebracht hat, schilderte er davon erstmals im Rahmen der schriftlichen Stellungnahme vom August 2021 und im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Auch diesbezüglich stuft die zur Entscheidung berufene Einzelrichterin den Vortrag als gesteigertes Vorbringen des Klägers ein, das zu dessen Unglaubwürdigkeit führt.
Die Verpflichtung der Gerichte zur Sachverhaltsaufklärung endet dort, wo das Klagevorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 1989 – 9 B 405/89 – juris Rn. 8; Bayerischer VGH, Beschluss vom 14. Juli 2011 – 14 ZB 11.30229 – juris Rn. 11). Ein solcher tatsächlicher Anlass besteht im asylrechtlichen Klageverfahren dann nicht, wenn der Kläger unter Verletzung der ihn treffenden Mitwirkungspflicht seine guten Gründe für eine ihm drohende Verfolgung nicht in schlüssiger Form vorträgt, d. h., nicht unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildert, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass er bei verständiger Würdigung (politische) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat (vgl. BVerwG, ebd.). Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, ebd.).
[6] 2. Dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Ägypten seitens des ägyptischen Staats verfolgt wurde oder ihm deshalb unmittelbar Verfolgung drohte, weil er dort keinen Wehrdienst geleistet hat, hat er ebenfalls nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Während der Kläger im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt zu dem drohenden Wehrdienst keinerlei Ausführungen machte, schilderte er diese Befürchtung erstmals im Rahmen schriftlichen Stellungnahme im August 2021. Auch hier blieb die Schilderung allerdings vage und oberflächlich. Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich mit Ausnahme seines Alters keine greifbaren Anhaltspunkte, die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auf seine Heranziehung zum Wehrdienst schließen lassen. Zudem stellt die möglicherweise noch bevorstehende zwangsweise Heranziehung zum Wehrdienst des zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung 23 Jahre alten und damit im wehrpflichtigen Alter befindlichen Klägers für sich genommen keine Verfolgungsmaßnahme dar. Denn sie entspringt dem legitimen Recht eines jeden Staates, eine Streitkraft zu unterhalten und seine Staatsangehörigen zum Wehrdienst in dieser Streitkraft heranzuziehen (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 – juris Rn. 50; BayVGH, Urteil vom 24. März 2000 – 9 B 96.35177 – juris Rn. 39). Die Heranziehung zum Wehrdienst stellt nur dann eine Verfolgungshandlung dar, wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt wird, die dadurch gerade wegen ihrer Religion, ihrer politischen Überzeugung oder eines sonstigen flüchtlingsrechtlich relevanten persönlichen Merkmals getroffen werden sollen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. September 1999 – 9 B 7/99 – juris Rn.3; VG Berlin, Urteil vom 31. Oktober 2019 – VG 39 K 61.19 A – juris Rn. 21). Es gibt aber keine belastbaren Erkenntnisse dazu, dass sich die Heranziehung zum Militärdienst als solches in Ägypten an gruppenbezogenen Merkmalen orientiert ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten, ebd.; Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Ägypten, vom 24. Juli 2019, S. 18).
1.3. Es ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger für den Fall seiner Rückkehr nach Ägypten eine Verfolgung oder Bedrohung in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale zu erwarten hat.
Da bereits nicht glaubhaft ist, dass der Kläger in Ägypten in den Fokus der Sicherheitsbehörden geraten ist, weil er vor seiner Ausreise bei einigen Treffen der Muslimbruderschaft anwesend war, ist es auch für den Fall der Rückkehr des Klägers in sein Heimatland nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er dort aus diesem Grund künftig verfolgt oder bedroht werden wird. Sein Vorbringen vor dem Bundesamt, sein Name stehe auf einer Liste, stellt eine bloße Vermutung dar, die durch keinerlei Einzelheiten untermauert wurde.
1.4. Zudem müsste der Kläger nicht an seinen Herkunftsort zurückkehren, sondern könnte in eine andere größere Stadt Ägyptens zurückkehren, sodass auch eine sogenannte inländische Fluchtalternative besteht. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft auch dann nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG hat (Nummer 1) und er sicher und legal in diesen Landesteilen reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nummer 2). Es ist davon auszugehen, dass es dem Kläger in einer großen Stadt wie Kairo gelingen wird, den Lebensunterhalt zu erwirtschaften (vergleiche dazu die Ausführungen unter 2. und 3.1.).
Der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft war daher abzulehnen.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Die Gefahr eines ernsthaften Schadens kann nach den §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3c AsylG ausgehen von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die soeben genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (vgl. dazu § 3d AsylG), und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist.
Dass dem Kläger in Ägypten die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch staatliche Stellen droht, ist nicht ersichtlich. Auch die Zufügung eines ernsthaften Schadens durch nichtstaatliche Akteure hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht und eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist in Ägypten nach der sich aus den Erkenntnismitteln ergebenden Lage ebenfalls nicht ersichtlich.
Soweit der Kläger im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt vorgetragen hat, er habe wegen der Erbstreitigkeiten mit seinem Onkel Angst vor einer Rückkehr in sein Heimatland, bestehen auch diesbezüglich ernsthafte Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Vortrags. Dem Kläger ist es im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt nicht gelungen, diese Angst plausibel darzustellen. Weder wurde deutlich, vor wem genau der Kläger Angst hat noch warum und um welche Besitztümer es im Einzelnen gegangen sein soll. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zu diesen Erbstreitigkeiten keinerlei Ausführungen gemacht.
Die Glaubwürdigkeit kann allerdings letztendlich dahingestellt bleiben, denn etwaige durch den Stiefonkel des Klägers oder dessen Familie drohende Verletzungshandlungen wären einem nichtstaatlichen Akteur im Sinne des § 3 c Nr. 3 AsylG zuzurechnen. Dem Gericht liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass der Staat nicht ausreichend Schutz vor einer derartigen Handlung gewähren würde. Es wäre dem Kläger daher zumutbar, sich im Falle einer Verfolgung hilfesuchend an den Staat bzw. die Polizei zu wenden.
Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass der Kläger selbst bei Wahrunterstellung der von ihm geschilderten Geschehnisse und bei Annahme einer asylrechtlich relevanten Motivation der Verfolgung auf internen Schutz zu verweisen wäre. Nach §§ 4 Abs. 3, 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).
Nach den dem Gericht vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnissen ist dies dann der Fall, wenn sich der Kläger nicht in seiner Herkunftsregion niederlässt. Insbesondere in größeren Städten wie etwa Kairo ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger dort von nichtstaatlichen Akteuren aufgespürt werden könnte. Eine konkrete Bedrohung des Klägers durch nichtstaatliche Akteure ist deshalb nicht beachtlich wahrscheinlich. Das Gericht ist nach alledem davon überzeugt, dass eine Rückkehr des Klägers nach Ägypten nicht einmal bemerkt würde.
Ferner wäre es dem Kläger auch zuzumuten, in einen anderen Landesteil zu gehen. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage muss davon ausgegangen werden, dass es ihm möglich ist, sich in Ägypten seine Existenz durch Gelegenheitsarbeiten sicherzustellen (vgl. dazu unten 3.1.).
Schließlich ist auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht gegeben.
Die geforderte „individuelle“ Bedrohung muss dabei nicht notwendig auf die spezifische persönliche Situation des schutzsuchenden Ausländers zurückzuführen sein. Der betreffende subsidiäre Schutzanspruch besteht vielmehr auch dann, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson werde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 Elgafaji – juris = Slg. 2009, I-921).
Davon ist nach den vorliegenden Erkenntnissen hinsichtlich Ägypten jedoch nicht auszugehen. Zwar kommt es im Norden des Sinais zu bewaffneten Auseinandersetzungen der ägyptischen Streitkräfte mit terroristischen Gruppierungen (vgl. Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts vom 26. Januar 2018 und 30. Juli 2019). Diese Auseinandersetzungen sind jedoch regional begrenzt, sodass der Kläger als Zivilperson bei der Rückkehr in eine Gegend außerhalb des Sinai davon nicht betroffen sein wird.
Die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus schied daher aus.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung des Bestehens eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich Ägypten.
3.1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris), wonach niemand unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verweist, ist eine unmenschliche Behandlung und damit eine Verletzung des Art. 3 EMRK allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen möglich (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C.15.12 – juris = BVerwGE 146, 12; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – juris = BVerwGE 147, 8 = NVwZ 2013, 1489; EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681; U.v. 13.10.2011 – Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 – NJOZ 2012, 952). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681, Rn. 278, 282 f.) verletzen humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK zum einen in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Rückführung in den Herkunftsstaat „zwingend“ seien. Solche humanitären Gründe können auch in einer völlig unzureichenden Versorgungslage begründet sein (so auch BayVGH, U.v. 19.7.2018 – 20 B 18.30800- juris, Rn. 54).
Im Falle einer Rückführung des Klägers in sein Heimatland kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht angenommen werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger in Ägypten ein Existenzminimum erarbeiten kann. Der Kläger ist jung, gesund und arbeitsfähig. Er hat elf Jahre lang die Schule besucht und vor seiner Ausreise bereits verschiedene Aushilfstätigkeiten beispielsweise auf dem Bau oder als Träger oder als Maler übernommen. Es ist nicht ersichtlich, warum der Kläger im Falle seiner Rückkehr nicht in der Lage sein sollte, sich den Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften. Er unterscheidet sich in keiner Weise von einer Vielzahl anderer junger Erwachsener, die nach einem mehrjährigen Aufenthalt im Ausland in ihr Heimatland zurückkehren müssen und dort wieder selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen. Es wurde nichts dazu vorgetragen, dass der Kläger aktuell an Erkrankungen leiden würde, die ihn in seiner Arbeitsfähigkeit einschränken. Zudem existiert in Ägypten ein zwar in seiner Leistungsfähigkeit beschränktes, aber funktionierendes Sozialversicherungssystem, welches Arbeitslosen-, Kranken-, Rentenund Unfallversicherungselemente enthält und von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam bezahlt wird. Eine minimale kostenlose medizinische Grundversorgung ist gegeben. Die Versorgung mit Medikamenten im örtlichen Markt ist ausreichend. IOM betreibt schon seit 1991 ein Regionalbüro in Kairo und führt eine Vielzahl von Unterstützungsprojekten für Migranten und Rückkehrer durch (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten vom 13.6.2020, Seite 19 ff.). Im Rahmen von zwei Sozialhilfeprogrammen KARAMA und TAKAFUL werden verstärkte Schritte für eine gezielte Unterstützung der Ärmsten vorgenommen. Das Karama-Projekt sieht monatliche Geldleistungen im Umfang von 40 bis 80 USD an besonders Bedürftige sowie an ältere Menschen und Behinderte vor (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Ägypten, Gesamtaktualisierung 1.2.2021, Seite 34).
3.2. Auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebeschutz nach dieser Bestimmung setzt grundsätzlich das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt.
Bestehen für bestimmte Personengruppen allgemeine Gefahren, die nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG im Rahmen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG grundsätzlich keine Berücksichtigung finden können, so kann in Einzelfällen gleichwohl Abschiebeschutz gewährt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nämlich im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG gebieten danach die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn einer extremen Lebensgefahr oder einer extremen Gefahr der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit entgegen gewirkt werden muss, was dann der Fall ist, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt sein würde (BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9.95 – juris, Rn. 14 = BVerwGE 99, 324, U.v. 19.11.1996 – 1 C 6.95 – juris, Rn. 34 = BVerwGE 102, 249 sowie U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris, Rn. 16 = BVerwGE 115, 1). Eine derartige Gefahrensituation kann sich grundsätzlich auch aus den harten Existenzbedingungen und der Versorgungslage im Herkunftsstaat ergeben.
Eine derartige Gefahr besteht jedoch für den Kläger nicht, was bereits oben dargestellt wurde.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist, dass sich eine vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – juris). Diese Voraussetzungen können grundsätzlich auch bei psychischen Erkrankungen gegeben sein. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG).
Der Kläger hat aber nicht substantiiert vorgetragen und durch entsprechende aktuelle ärztliche Atteste nachgewiesen, aktuell an einer Erkrankung zu leiden, die ihn in eine derartige Gefahr bringen könnte. Soweit der Kläger ursprünglich das Vorliegen einer psychischen Krankheit geltend gemacht hatte und diesbezüglich ein ärztliches Attest vorgelegt hat, hat er auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts bereits im Jahr 2018 bestätigt, dass keine Behandlung mehr erforderlich ist und dies im Jahr 2021 nochmals bekräftigt. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Erkrankung nicht mehr besteht. Nachdem ansonsten keine aktuellen ärztlichen Atteste vorgelegt wurden, wird gemäß § 60 a Abs. 2c AufenthG vermutet, dass einer Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen.
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Behandlung psychischer Erkrankungen in Ägypten möglich und in staatlichen Einrichtungen und Krankenhäusern sogar kostenfrei ist. Auch alle gängigen Medikamente sind erhältlich (Auskunft der Botschaft in Kairo vom 17.2.2017 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Az. 6981960-287; EGY-648).
3.3. Darüber hinaus führt auch die derzeitige weltweite COVID-19-Pandemie, ausgelöst durch das SARS-CoV-2-Virus, nicht zur Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes.
Diese Pandemie stellt allenfalls eine allgemeine Gefahr dar, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen kann. Mangels einer derartigen Anordnung kann diese Sperrwirkung nur im Wege einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht. Die Voraussetzungen für die Durchbrechung der Sperrwirkung liegen indessen nicht vor, da die hierfür geforderte extreme Gefahrenlage – die Abschiebung würde den Betroffenen „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern“ (BVerwG, U.v.12.7.2001 – 1 C 2/01 – juris Rn. 9) – in Ägypten zumindest derzeit nicht besteht.
Bei dem Kläger handelt es sich nach den Erkenntnissen des Gerichts um einen 23-jährigen Mann ohne relevante Vorerkrankungen, sodass selbst im Falle der Erkrankung keine hohe Wahrscheinlichkeit für einen schweren oder tödlichen Verlauf der Erkrankung besteht. Zudem hat es der Kläger selbst in der Hand, durch die notwendigen Schutzmaßnahmen (Impfung, Einhaltung der Abstands- und Hygieneregelungen) die Gefahr einer Erkrankung zu reduzieren. Überdies breitet sich die Pandemie länder-und kontinentübergreifend aus, sodass ein auf Ägypten bezogenes Abschiebungsverbot keinen Schutz vor einer Infektion böte, da das Infektionsrisiko weltweit und damit auch in Deutschland besteht (so auch VG Berlin, U.v. 8.6.2020 – 32 K 112.17 A – juris Rn. 107).
Außerdem fehlen belastbare Anhaltspunkte dafür, dass sich die Wirtschafts- und Versorgungslage der Bevölkerung im Zuge der Pandemie in Ägypten derart verschlechtert, dass der Kläger nicht mehr in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Das Gericht verkennt – auch unter Berücksichtigung der COVID- 19 – Pandemie nicht die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse in Ägypten. Diese betreffen jedoch ägyptische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage in gleicher Weise.
Nach alledem vermag das Gericht eine extreme Gefahrensituation für den Kläger nicht zu erkennen, aufgrund derer eine Rücküberstellung nach Ägypten ausscheiden müsste. Die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG schied daher aus.
4. Die in Ziffer 6 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate ist im Ergebnis ebenfalls rechtmäßig.
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG – in der zum hier maßgeblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) geltenden Fassung – ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Ermessen entschieden. Nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG darf sie außer in den Fällen der Abs. 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten. Die getroffene Ermessensentscheidung erweist sich als rechtmäßig. Hier wurde die maximale Frist zur Hälfte ausgeschöpft, was nicht zu beanstanden ist. Besondere Umstände, die eine kürzere Frist gebieten würden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Dem steht auch nicht entgegen, dass das Bundesamt nach dem Wortlaut der Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheids das Einreise- und Aufenthaltsverbot nur „befristet“ und nicht auch „angeordnet“ hat. § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 3 AufenthG in der seit 21.8.2019 geltenden Fassung regeln, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht mehr von Gesetzes wegen eintritt, sondern von der zuständige Behörde in Form eines Verwaltungsaktes zu erlassen ist. Bei dem Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots und dessen Befristung handelt es sich um einen einheitlichen Verwaltungsakt, der nicht zwischen der Anordnung des Verbots und dessen Befristung aufgespalten werden kann (BeckOK MigR/Katzer AufenthG, 5. Ed. 1.7.2020, § 11 Rn. ff.). Dementsprechend hat auch das Bundesverwaltungsgericht die in einem Bescheid des Bundesamtes ausgesprochene Befristung des „gesetzlichen“ (§ 11 Abs. 1 AufenthG a.F.) Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 75 Nr. 12 AsylG unionsrechtskonform als behördliche Anordnung eines befristeten Einreiseund Aufenthaltsverbots ausgelegt (BVerwG, U.v. 25.7.2017 – 1 C 13.17 – juris, Rn. 23; vgl. auch VG Minden, U.v. 17.8.2020 – 1 K 10682/17.A – juris, Rn. 147). Folglich liegt in der in Ziffer 6 des Bescheids erlassenen Befristung zugleich auch die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Nach alledem war die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.


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