Verwaltungsrecht

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Aktenzeichen  Au 5 K 21.30130

Datum:
17.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49497
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (§ 4 Abs. 1 AsylG). Auch nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 4. Februar 2021 ist auch hinsichtlich der Ausreiseaufforderung, der Abschiebungsandrohung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 4 AsylG.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Dabei kann die Verfolgung i. S. des § 3 AsylG nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Hiervon ausgehend sind im Fall des Klägers die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 AsylG nicht gegeben. Er hat weder eine Vorverfolgung noch die Gefahr einer Verfolgung bei einer Rückkehr glaubhaft gemacht. Für den Kläger wurden keine eigenen Asylgründe vorgetragen. Nachdem der Kläger in Deutschland geboren wurde und noch nie im Irak war, ist eine Vorverfolgung ausgeschlossen. Es sind auch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr Verfolgung befürchten müsste. Insoweit wurde klägerseits nur auf die Asylgründe der Eltern des Klägers verwiesen. Diese hatten wiederum in ihren Asylverfahren vorgetragen, wegen der Probleme ihrer Mutter bzw. Schwiegermutter bei einer Rückkehr Verfolgung zu befürchten. Weitere Gründe wurden im gerichtlichen Verfahren nicht vorgetragen. Hinsichtlich der Mutter bzw. Schwiegermutter der Eltern des Klägers, also der Großmutter des Klägers, ist mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. Juni 2019 (Az. Au 5 K 18.30455) rechtskräftig festgestellt worden, dass sie die Gefahr einer Verfolgung bei einer Rückkehr nicht glaubhaft gemacht habe. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 23. Juli 2019 (Az. 5 ZB 19.32691) abgelehnt.
Vor diesem Hintergrund ist bereits nicht ersichtlich, weshalb die Eltern des Klägers bei einer Rückkehr eine Verfolgung zu befürchten hätten. Noch weniger ist nachvollziehbar, weshalb der erst im Jahr 2020 in Deutschland geborene Kläger – ein Kleinkind, das noch nie im Irak gewesen war – mehr als vier Jahre nach der Ausreise seiner Großmutter und Eltern aus dem Irak bei einer Rückkehr dorthin von Verfolgungshandlungen betroffen sein sollte. Zudem ist nach der Auskunftslage nicht davon auszugehen, dass Kleinstkinder Ziel von politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen gegenüber ihren Familienangehörigen sind. Auch im Hinblick auf die in der Bundesrepublik Deutschland vollzogene Taufe der Eltern des Klägers ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine flüchtlingsrelevante Verfolgung bei einer Rückkehr des Klägers nach Kurdistan-Irak, selbst wenn er der christlichen Religionsgemeinschaft zugerechnet würde. Nach Auffassung des Gerichts kann von einer Gruppenverfolgung der Christen in Kurdistan-Irak nicht ausgegangen werden. Eine Verfolgung durch staatliche Stellen ist im Irak nicht gegeben. Belastbare Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung der Christen durch nichtstaatliche Akteure liegen ebenfalls nicht vor. Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt (Auswärtigen Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 22.1.2021, im Folgenden: Lagebericht, S. 11). In der Region Kurdistan-Irak (RKI) hätten seit 2003 viele christliche Flüchtlinge aus anderen Landesteilen Zuflucht gefunden (Lagebericht, S. 18). Es seien weder staatliche noch gesellschaftliche Diskriminierungen von Christen in der RKI bekannt geworden.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG.
Der Kläger hat nicht glaubhaft machen können, dass ihm bei einer Rückkehr in den Irak ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG droht.
Wie bereits ausgeführt, hat der Kläger im Irak die Gefahr einer Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure nicht glaubhaft gemacht. Sonstige Anhaltspunkte, weshalb dem Kläger ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG drohen sollte, sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Damit hat der Kläger bei einer Rückkehr in den Irak keinen ernsthaften Schaden zu befürchten.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, wonach ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt ist, wenn eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes droht. Die Sicherheitslage steht einer Rückkehr des Klägers nach, woher seine Eltern und Großmutter stammen, nicht entgegen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die derzeitige Situation im Irak sowie in Kurdistan-Irak die Annahme eines Bürgerkrieges und damit eines landesweit oder auch nur regional bestehenden bewaffneten Konfliktes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG rechtfertigt. Unabhängig davon begründet ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nur dann, wenn der Schutzsuchende von ihm ernsthaft individuell bedroht ist und kein interner Schutz besteht. Die Sicherheitslage ist in KurdistanIrak und damit auch der Herkunftsprovinz der Eltern des Klägers,, nicht dergestalt, dass eine Zivilperson bei ihrer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein (s. hierzu auch Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 22.1.2021, S. 5 ff.; BayVGH, B.v. 23.7.2019 – 5 ZB 19.32691 – Rn. 5, 6). Anhaltspunkte dafür, dass sich die allgemeine Gefahr willkürlicher Gewalt, die von einem bewaffneten Konflikt ausgeht, aufgrund von beim Kläger vorliegenden, individuellen Merkmale verdichtet und damit zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG führt, gibt es nicht. Die erforderliche Gefahrendichte im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist daher für den Kläger bei einer Rückkehr nach Kurdistan-Irak nicht gegeben.
3. Es liegen in der Person des Klägers keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
a) Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bei einer Abschiebung in die Region Kurdis tan-Irak befürchten müssten, auf derart schlechte humanitäre Bedingungen zu stoßen, dass die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK besteht, sind nicht gegeben. Obwohl die humanitären Verhältnisse in seinem Herkunftsland schlecht sind, geht das Gericht davon aus, dass der Lebensunterhalt des Klägers im Irak sichergestellt werden könnte. Der Kläger kann im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG nur gemeinsam mit seinen Eltern in den Irak abgeschoben werden. Diese konnten im Irak auch vor der Ausreise mit Hilfe der Großfamilie ihren Lebensunterhalt sicherstellen. Weshalb dies nach einer Rückkehr nicht mehr gelingen sollte, ist nicht ersichtlich. Sowohl von der Mutter des Klägers als auch von dessen Vater leben, wie sie bei ihren Anhörungen vor dem Bundesamt angegeben haben, noch zahlreiche Geschwister sowie die jeweiligen Großfamilien im Irak. Es ist dem Kläger und dessen Eltern zuzumuten, auf deren Unterstützung zurückzugreifen. Auch ist zu erwarten, dass im Falle einer Abschiebung auch die Großmutter, die nach unanfechtbar negativem Ausgang ihres Asylverfahrens ebenfalls ausreisepflichtig ist, mit in den Irak zurückkehren würde. Diese hat vor der Ausreise die Eltern des Klägers unterstützt und deren Lebensunterhalt wohl auch im Wesentlichen finanziert. Zudem werden freiwillige Rückkehrer durch REAG/GARP-Mittel und Mittel aus dem Starhilfe-Plus-Programm unterstützt. Sie werden auch durch die von der GIZ betriebenen Beratungszentren in Erbil und Bagdad zur sozialen und wirtschaftlichen Wiedereingliederung unterstützt (Lagebericht, S. 24). Es ist deshalb davon auszugehen, dass das Existenzminimum des Klägers bei einer Rückkehr gesichert ist.
b) Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Derartige Gefahren sind weder vom Kläger vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere wurden für den Kläger keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen geltend gemacht.
Bei den durch die Corona-Pandemie drohenden Gefahren handelt es sich um allgemeine Gefahren, denen die Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist (§ 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG). Derartige Gefahren sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Es ist nicht ersichtlich, dass beim Kläger besondere Umstände vorliegen, die befürchten ließen, dass er im Irak wegen der Corona-Pandemie alsbald existenziellen Gefahren ausgesetzt sein werde. Auch wenn die Pandemie-Lage im Irak angespannt ist, zählt der Kläger nicht zu einem Personenkreis, bei dem zu erwarten wäre, dass er, für den Fall einer Ansteckung, mit lebensbedrohlichen Folgen zu rechnen hätte. Zudem ist dem Kläger bzw. dessen Eltern zuzumuten, durch geeignete Hygiene- und Schutzmaßnahmen selbst das Risiko einer Ansteckung möglichst gering zu halten.
Damit liegen weder die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG noch für die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
4. Die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung beruhen auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist rechtmäßig. Die hierzu angestellten Ermessenserwägungen sind nicht zu beanstanden.
5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO.
Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).


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