Verwaltungsrecht

Coronavirus, SARS-CoV-2, Beschwerde, Krankenversicherung, Verwaltungsrechtsweg, Antragstellung, Rechtsweg, Antragsteller, Frist, Anordnung, Anspruch, Auskunftsanspruch, Verfahren, Streitwertfestsetzung, Abrechnung, Sonderzuweisung, einstweiligen Anordnung, entsprechende Anwendung, gesetzlichen Krankenversicherung

Aktenzeichen  7 C 21.2253

Datum:
16.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30983
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 10 E 21.3206 2021-08-04 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Der Antragsteller macht gegenüber der Antragsgegnerin im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einen presserechtlichen Auskunftsanspruch geltend.
Der Antragsteller ist Reporter der Bildzeitung. Die Antragsgegnerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ihr wurde durch die „Verordnung zum Anspruch auf Testung in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Testverordnung – TestV)“ vom 8. März 2021 die Abrechnung der von den Leistungserbringern durchgeführten Tests einschließlich der Sachkosten übertragen.
Mit E-Mail vom 8. Juni 2021 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin Auskunft zu mehreren Fragen hinsichtlich der Abrechnung mit einem Betreiber von Corona-Testzentren. Mit E-Mail vom 10. Juni 2021 beantwortete die Antragsgegnerin einen Teil der Fragen und lehnte die Auskunftserteilung im Übrigen unter Hinweis auf laufende Ermittlungsverfahren ab.
Mit Schriftsatz vom 17. Juni 2021 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, die noch offenen Fragen zu beantworten. Gestützt wurde der Antrag auf Art. 4 Abs. 1 BayPrG und Art. 39 BayDSG. Mit Schriftsatz vom 29. Juni 2021 rügte die Antragsgegnerin die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs und beantragte nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG,
die Nichteröffnung des Rechtswegs zu den Verwaltungsgerichten festzustellen.
Mit Beschluss vom 4. August 2021 hat das Verwaltungsgericht München gemäß § 173 Satz 1 VwGO, § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG entschieden, dass für die Streitsache der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin. Sie ist der Meinung, der Verwaltungsrechtsweg sei nicht eröffnet. Im Wesentlichen trägt sie hierzu vor, es fehle schon die Grundlage für die Entscheidung über den Rechtsweg, da das Verfahren ohne Bekanntgabe der Wohnanschrift des Antragstellers und damit nicht ordnungsgemäß eingeleitet worden sei. Dazu habe sich das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung nicht verhalten, obwohl es diese Frage selbst thematisiert habe. Abgesehen davon bestehe eine abdrängende Sonderzuweisung gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SGG.
Der Antragsteller und die Landesanwaltschaft Bayern halten die Beschwerde für unbegründet.
II.
Die Beschwerde ist nach § 17a Abs. 4 Satz 1 GVG, § 146 VwGO zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass es sich bei dem vorliegenden Verfahren um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt, für die nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Eine nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SGG abdrängende Sonderzuweisung zu den Sozialgerichten liegt nicht vor. Der Senat folgt den Gründen des streitgegenständlichen Beschlusses des Verwaltungsgerichts und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist zu bemerken:
1. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sind etwaige Mängel der Antragsschrift nach § 82 VwGO in der Regel nicht im Rahmen eines Verfahrens zur Bestimmung des Rechtswegs zu prüfen. Da die Antragsgegnerin die Zulässigkeit des Rechtswegs ausdrücklich bestritten hat, konnte das Verwaltungsgericht hierüber gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG vorab entscheiden. Die Anwendbarkeit der genannten Vorschrift auf Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist zwar nicht unstreitig (vgl. hierzu Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 41/§§ 17-17b GVG). Entschließt sich das Verwaltungsgericht aber dazu, in einem Verfahren des Eilrechtsschutzes eine Vorabentscheidung über den zulässigen Rechtsweg zu treffen, ist es nicht veranlasst, weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags zu prüfen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 17a Abs. 2 GVG, der keinen Anhalt dafür bietet, dass das angerufene Gericht über die Entscheidung über den Rechtsweg hinaus eine Prüfungskompetenz hätte (vgl. BVerwG, B.v. 5.2.2001 – 6 B 8.01 – juris Rn. 6). Die Entscheidung, ob der Antrag aus anderen Gründen unzulässig ist, gebührt grundsätzlich dem gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).
Soweit sich der Antragsteller zur Begründung seiner Auffassung, die allererste Entscheidungsvoraussetzung sei eine ordnungsgemäße Antragstellung, auf die Kommentierung in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Auflage 2021, Vor § 40 Rn. 17 beruft, übersieht er schon, dass die Reihenfolge der Prüfung der Sachentscheidungsvoraussetzungen „umstritten, aber keinesfalls rechtlich zwingend“ ist (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O. vor § 40 Rn. 18). Dementsprechend könnten §§ 81 und 82 VwGO vor der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs angewandt werden (vgl. Ehlers in Schoch/Schneider a.a.O. Vor § 40 Rn. 11 Fußnote 25). §§ 81 und 82 VwGO finden zwar entsprechende Anwendung auf Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Inwieweit § 81 VwGO vor einer Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs anzuwenden ist, kann offenbleiben. Für § 82 VwGO gilt dies grundsätzlich nicht, wenn – wie hier – auf Rüge der Antragsgegnerin durch das Gericht vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs entschieden wird. Selbst wenn der Antrag des Antragstellers den in § 82 Abs. 1 VwGO genannten Anforderungen nicht entsprechen sollte, führt dies nicht ohne weiteres zur Unzulässigkeit des Eilantrags. Nach § 82 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO hätte der Vorsitzende oder der Berichterstatter den Antragsteller zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern. Dies ist bisher nicht so geschehen, dass die Rechtsfolge des § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO hätte eintreten können.
2. Nicht durchdringen kann die Antragsgegnerin mit dem Vortrag, es bestehe nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG eine abdrängende Sonderzuweisung zu den Sozialgerichten und deshalb sei der Verwaltungsrechtsweg entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht eröffnet.
Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat, ist die Streitigkeit öffentlich-rechtlich, weil der vom Antragsteller als Vertreter der Presse gegen die Antragsgegnerin gerichtete Auskunftsanspruch auf Normen des öffentlichen Rechts, nämlich Art. 4 BayPrG und Art. 39 BayDSG, beruht und keine abdrängende Sonderzuweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SGG vorliegt.
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetzbuch), auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Die Zuweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG erfasst alle Rechtsstreitigkeiten, bei denen die vom Kläger hergeleitete Rechtsfolge ihre Grundlage im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung haben kann (vgl. BSG, B.v. 5.5.2021 – B 6 SF 4/20 R). Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung sind Streitigkeiten, die entweder die versicherungs- oder leistungsrechtlichen Beziehungen der Krankenkassen zu ihren Mitgliedern und zu den Leistungserbringern auf der Grundlage des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) oder auch die Beziehungen der Leistungserbringer untereinander betreffen (vgl. BSG, B.v. 5.5.2021 – B 6 SF 5/20 R – juris Rn. 31 m.w.N.). Von § 51 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SGG erfasst wird damit das gesamte Vertragsarztrecht sowie auch die Rechtsbeziehungen der Kassenärztlichen Vereinigung zu ihren Mitgliedern sowie zu sonstigen Leistungserbringern, die innerhalb des vertragsärztlichen Systems Leistungen erbringen und über die Kassenärztliche Vereinigung abrechnen. Hieran gemessen liegt keine Streitigkeit in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung vor, da durch den Gegenstand des Streits keine Maßnahmen betroffen sind, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen (vgl. BGH, B.v. 30.1.2008 – I ZB 8/07 – GRUR 2008, 447). Von diesen Maßstäben ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Es hat zutreffend ausgeführt, dass die Antragsgegnerin mit der Prüfung und ggf. Beantwortung des Auskunftsbegehrens des Antragstellers aufgrund ihrer Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts eine Pflicht erfüllt, die ihr – wie anderen Behörden auch – aufgrund von Art. 4 BayPrG und Art. 39 BayDSG obliegt.
Nicht durchdringen kann die Antragsgegnerin mit ihrem durch den Hinweis auf zahlreiche Entscheidungen des Bundessozialgerichts vermeintlich untermauerten Vortrag, die „zwei Normen (die der Antragsteller erwähnt) verlangen damit die Anwendung des SGB als Kodex“ und damit „untersteht die Angelegenheit insgesamt dem anderen Rechtsweg, hier Sozialgerichtsbarkeit“. Alleine die Tatsache, dass die begehrte presserechtliche Auskunft thematisch im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung angesiedelt ist, macht sie nicht zu einer Angelegenheit, die ihre materiell-rechtliche Grundlage im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung hat. Maßgeblicher Bezugspunkt der Prüfung, welcher Rechtsweg gegeben ist, ist der übergeordnete Gesichtspunkt der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der streitgegenständliche Anspruch hergeleitet wird (vgl. BVerwG, B.v. 7.5.2020 – 3 B 2.20 – juris Rn. 6 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG). Da es sich bei dem presserechtlichen Auskunftsanspruch gegenüber Behörden nach Art. 4 Abs. 1 BayPrG und Art. 39 BayDSG um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch handelt, der gegenüber allen bayerischen Behörden – unabhängig von deren sachlicher Zuständigkeit – besteht, verbleibt es bei der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dies folgt auch aus den Geboten der Zweckmäßigkeit und Rechtswegeeinheitlichkeit. Das Interesse an der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung gebietet es auch, Fälle der vorliegenden Art einheitlich im Verwaltungsrechtsweg zu klären. Dadurch soll eine divergierende Rechtsprechung, ein „Durcheinander oder Gegeneinander“ in verschiedenen Gerichtsverfahren verhindert werden (vgl. BGH, B.v. 27.7.2017 – 2 ARs 188/15 – juris Rn. 21 ff. zur Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs für die Überprüfung von Presseäußerungen der Staatsanwaltschaft).
Das Argument der Antragsgegnerin, fachgesetzliche Vorgaben wie § 67 SGB X stünden der Anwendung des Bundesdatenschutzgesetzes und des Bayerischen Datenschutzgesetzes entgegen, betrifft die Begründetheit des vom Antragsteller geltend gemachten Auskunftsanspruchs nach Art. 4 Abs. 1 BayPrG und ist ohne Bedeutung für die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs. Das angegangene Gericht des zulässigen Rechtswegs entscheidet den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG), auch wenn für diese Fragen – für sich betrachtet – eigentlich ein anderer Rechtsweg eröffnet wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 GKG) eine Festgebühr anfällt.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 und 5 GVG liegen nicht vor.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG; vgl. BVerwG‚ B.v. 16.3.1994 – 4 B 223.93 – NVwZ 1994‚ 782).


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