Verwaltungsrecht

Diabetes-Erkrankung, Epilepsie-Erkrankung, Erkrankung am Schultergelenk, Folgeantrag, Medizinische Versorgungslage im Senegal

Aktenzeichen  M 10 E 21.30388

Datum:
1.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10513
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5
AsylG § 36 Abs. 4
AsylG § 71a Abs. 1
VwVfG § 51 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes werden abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die senegalesischen Antragsteller wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung ihrer Asylfolgeanträge als unzulässig.
Die Antragsteller hatten bereits bei der Antragsgegnerin Asylanträge gestellt, die durch Bescheide vom 14. Juli 2016 und 18. Oktober 2019 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurden. Hiergegen beim Verwaltungsgericht München erhobene Klagen wurden als offensichtlich unbegründet abgewiesen (VG München, U.v. 1.3.2017 – M 2 K 16.31840, M 2 K 16.31842) bzw. ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen Verfristung der Hauptsacheklage abgelehnt (VG München, B.v. 21.2.2020 – M 10 S 19.33939).
Am 19. Juni 2020 stellte der Antragsteller zu 1, am 22. Januar 2021 die Antragsteller zu 2 bis 6 wirksam schriftlich einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Mit diesem Antrag ist das Wiederaufgreifensverfahren zur Feststellung von Abschiebungsverboten verbunden. Dieser wurde mit Bescheid vom 12. Februar 2021, den Antragstellern zugestellt am 17. Februar 2021, als unzulässig abgelehnt (Nr. 1) und der Antrag auf Abänderung der Bescheide vom 14. Juli 2016 und 18. Oktober 2019 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) abgelehnt. Das Gericht sieht gem. § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts ab, da es den Feststellungen des angegriffenen Verwaltungsakts folgt.
Die Antragsteller haben am 23. Februar 2021 zur Niederschrift beim Verwaltungsgericht München gegen den Bescheid vom 12. Februar 2021 Klage erhoben (M 10 K 21.30387) und gleichzeitig beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von einer Mitteilung an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 AsylG abzusehen.
Zur Begründung wird vorgetragen, dass der Antragsteller zu 1 unter starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen leide. Hierfür wurden verschiedene Arztbriefe vorgelegt (Klinikum … vom 27.1.2020, …Praxis … vom 17.9.2020 und 17.12.2020). Zudem würden auch die Antragsteller zu 4 und 6 unter gesundheitlichen Einschränkungen leiden. Auch insoweit wurden ärztliche Unterlagen vorgelegt (Bericht Sozialpädiatrisches Zentrum … vom 21.4.2020, Arztbrief des integrierten Sozialpädiatrischen Zentrums im Dr. … … Kinderspital vom 26.1.2021).
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 1. März 2021,
den Antrag abzulehnen.
Zu Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Nach Auslegung des erkennbaren Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers (§ 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO) ist der gestellte Antrag dahingehend zu verstehen, dass der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen die ihm drohende Abschiebung nach Ablehnung seines Folgeantrags begehrt.
Dabei kann offenbleiben, welcher Rechtsbehelf im vorliegenden Fall, in dem nach § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG über einen Folgeantrag negativ ohne Erlass einer erneuten Abschiebungsandrohung entschieden worden ist, zur Erreichung des genannten Rechtsschutzziels statthaft ist.
Diese Frage wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet (zu diesem Meinungsstreit ausführlich: Dickten in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 32. Edition
Stand: 1.1.2022, § 71 AsylG Rn. 33 ff. m.w.N.): Teile der Rechtsprechung gehen infolge des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2016 (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 14 ff.), nach dem gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft ist, davon aus, dass im gerichtlichen Eilverfahren ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu stellen sei (so etwa VG München, B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375 – juris Rn. 11 ff.; VG Augsburg, B.v. 28.2.2018 – Au 6 E 18.30245 – juris Rn. 20 ff. m.w.N.). Dagegen ist die überwiegende Auffassung in der Rechtsprechung, dass in solchen Fällen ein Antrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO statthaft sei (vgl. im Ergebnis aus der obergerichtlichen Rspr. OVG RhPf, B.v. 14.1.2019 – 7 B 11544/18 – juris Rn. 4 f.; VGH BW, B.v. 29.11.2018 – 12 S 2504/18 – juris Rn. 15; weitere Nachweise bei Dickten, a.a.O., Rn. 37).
Diese Frage kann jedoch im vorliegenden Fall offenbleiben. Der explizit gestellte Antrag gemäß § 123 VwGO könnte entsprechend dem erkennbaren Begehren des Antragstellers auch in einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO umgedeutet werden. Gemäß § 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO kommt es auf die Fassung des gestellten Antrags nicht an (vgl. zur Umdeutung: Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 21, § 123 Rn. 4). Darüber hinaus ist es von Verfassungs wegen letztlich unerheblich, auf welchem Weg Eilrechtsschutz gewährt wird (BVerfG, B.v. 8.11.2017 – 2 BvR 809/17 – juris Rn. 13). Wesentliche Vor- oder Nachteile sind weder mit einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO noch mit einem Verfahren nach § 123 VwGO verbunden. Insbesondere unterliegt auch das Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO nicht der kurzen Wochenfrist des § 71 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 VwGO, weil sich der Antrag in dieser Konstellation gerade nicht gegen eine Abschiebungsandrohung richtet (Dickten, a.a.O., Rn. 38). Zudem ist der Prüfungsmaßstab in Fällen wie dem vorliegenden identisch (hierzu sogleich).
2. Der so verstandene Antrag der Antragsteller ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Prüfungsmaßstab ist hierbei, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Gemäß § 71 Abs. 4 Halbs. 1 AsylG sind die §§ 34, 35 und 36 AsylG entsprechend anzuwenden, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) nicht vorliegen. §§ 34, 35 und 36 AsylG befassen sich zwar unmittelbar nur mit Fällen der Abschiebungsandrohung, die im streitgegenständlichen Bescheid im Hinblick auf § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG gerade nicht ausgesprochen worden ist. Die entsprechende Anwendung von §§ 34 ff. AsylG in Fällen wie dem Vorliegenden ist aber gleichwohl insoweit von Bedeutung, als der Gesetzgeber in § 36 Abs. 4 AsylG den Maßstab der gerichtlichen Prüfung in einem auf Verhinderung der Abschiebung gerichteten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes spezialgesetzlich geregelt hat. Dieser Maßstab ist daher sowohl im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO als auch im Rahmen eines Verfahrens nach § 123 VwGO entsprechend anzulegen (vgl. BVerfG, B.v. 16.3.1999 – 2 BvR 2131.95 – juris Rn. 22; Dickten in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 31. Edition, Stand: 1.10.2021, § 71 AsylG Rn. 38 m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund darf das Gericht nach § 71 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 i.V.m. § 36 Abs. 4 AsylG im Falle der Ablehnung eines Asylfolgeantrags als unzulässig im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 AsylG einstweiligen Rechtsschutz gegen eine drohende Abschiebung nur gewähren, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99).
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) begegnet der angegriffene Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. Februar 2021 keinen ernsthaften rechtlichen Bedenken. Er ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Antragsteller haben nach vorläufiger Prüfung auch keinen Anspruch auf die darüber hinaus beantragte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG. Insoweit wird auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen und von einer Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG), zumal die Antragsteller auch im gerichtlichen Verfahren nichts vorgetragen haben, was eine andere Entscheidung rechtfertigen würde.
Lediglich ergänzend wird ausgeführt:
Die Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig ist nach summarischer Prüfung rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein weiteres Asylverfahren im Falle eines Folgeantrags nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen. Ist ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen, ist der weitere Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig. Dies ist vorliegend der Fall.
Das Gericht teilt die Auffassung der Antragsgegnerin, dass eine maßgebliche Änderung der Sache i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zugunsten der Antragsteller nicht gegeben ist. Soweit der Antragsteller zu 1 in seinem Folgeantrag vom 18. Juni 2020 angibt, nach Deutschland gekommen zu sein, um für sich und seine Familie eine bessere Zukunft zu finden, ist dieser Vortrag nahezu deckungsgleich mit dem im Asyl-Erstverfahren bzw. im Gerichtsverfahren M 2 K 16.31842.
Soweit der Antragsteller zu 1 in seinem Folgeantrag auf den langjährigen Aufenthalt der Familie im Bundesgebiet verweist, ist anzumerken, dass dies asylrechtlich ohne Bedeutung ist und allenfalls ausländerrechtlich von der Ausländerbehörde (und nicht vom Bundesamt) gewürdigt werden kann.
b) Auch die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG liegen nach den zutreffend dargestellten Gründen im Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylG) nicht vor. Ergänzend wird ausgeführt:
Bezüglich der vom Antragsteller zu 1 vorgelegten ärztlichen Attesten vom 27. Januar 2020, 17. September 2020 und 17. Dezember 2020 geht schon nicht hervor, dass der Antragsteller zu 1 an einer lebensbedrohlichen oder anderen schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Das Attest vom 17. Dezember 2020 führt sogar aus, dass der Antragsteller zu 1 in gutem Allgemeinzustand entlassen und der cardiale Status unauffällig sei. In den vorgelegten Attesten wird an keiner Stelle näher ausgeführt, dass der Antragsteller zu 1 an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leide, die sich bei einer Abschiebung in den Senegal wesentlich verschlechtern würde. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass das vorgelegte Attest diesbezüglich auch die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG („qualifiziertes ärztliches Attest“) nicht erfüllt, da, wie gesehen, schon Angaben etwa zum Schweregrad der Erkrankung fehlen.
Bezüglich der im Asylfolgeantrag geltend gemachten Diabetes-Erkrankung der Antragstellerin zu 2 wurden im gerichtlichen Verfahren gar keine (aktuellen) ärztlichen Atteste vorgelegt, die Informationen über den Verlauf, die Schwere des Krankheitsbildes usw. geben würden. Insoweit wurde diesbezüglich das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG mittels eines qualifizierten ärztlichen Attests (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG) nicht glaubhaft gemacht.
Soweit bezüglich der Antragstellerin zu 4 auf den Bericht des sozialpädiatrischen Zentrums … Bezug genommen wird, führt die Antragsgegnerin zurecht aus, dass nicht ersichtlich ist, inwiefern es bei einer Rückkehr in den Senegal zu einer lebensbedrohlichen oder wesentlichen Verschlechterung der diagnostizierten Krankheiten (unterdurchschnittliche Intelligenz, Sprachentwicklungsstörung, Epilepsie) kommt. Das Gericht hat diesbezüglich bereits in den Eilbeschlüssen vom 1. März 2017 ausgeführt, dass die medizinische Versorgungslage im Senegal zwar nicht mit der im Bundesgebiet gleichwertig sei (vgl. dazu aber auch § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG), insbesondere, dass der Antragsteller zu 1 bzw. die Antragstellerin zu 2 benötigte Medikamente über eigene Erwerbstätigkeit finanzieren müssten, wozu sie aber auch im Hinblick auf ihre Berufsausbildungen in der Lage seien.
Bezüglich des Antragstellers zu 6 wurde mit dem Arztbrief des integrierten Sozialpädiatrischen Zentrums im Dr. … … Kinderspital vom 26. Januar 2021 ebenfalls keine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung glaubhaft gemacht, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. In dem Arztbrief wird vielmehr dargelegt, dass die Operation des Antragstellers zu 6 erfolgreich verlaufen sei und dieser in gutem klinischem Allgemeinzustand entlassen werden konnte.
c) Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben