Verwaltungsrecht

Diabeteserkrankungen sind in Bangladesch grundsätzlich behandelbar

Aktenzeichen  AN 9 K 15.30166

Datum:
13.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 1, Abs. 3
EMRK EMRK Art. 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7
AsylG AsylG § 71 Abs. 1

 

Leitsatz

Sowohl Diabetes mellitus Typ 1 als auch Diabetes mellitus Typ 2 sind in Bangladesch nach wie vor behandelbar; die entsprechenden oral einzunehmenden Antidiabetika bzw. das zu injizierende Insulin sind dort erhältlich und bei durchschnittlichem Insulinverbrauch auch finanzierbar. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

Das Gericht konnte aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Gegenstand des Verfahrens ist der im Wege des Wiederaufgreifens des abgeschlossenen Asylverfahrens geltend gemachte Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Das Klageverfahren ist nämlich nicht auf die verfahrensrechtliche Vorfrage nach § 71 AsylG in Verbindung mit § 51 VwVfG beschränkt, weil das Gericht die Streitsache nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch im asylrechtlichen Folgeantragsverfahren spruchreif zu machen hat, soweit die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen gegeben sind (vgl. BVerwG, U.v. 10.2.1998 – 9 C 28.97).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2014, Az.: 5778175-460, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht schon kein Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu (hierzu 1.), und daneben liegen auch keine Abschiebungshindernisse vor (hierzu 2.).
1. Der Kläger kann die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht beanspruchen. Wurde ein vorangegangener Asylantrag unanfechtbar abgelehnt, so ist gemäß § 71 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG vorliegen. Danach hat die Behörde neu zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zu Grunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG verweist daneben auf § 51 Abs. 3 VwVfG, wonach der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden muss. Diese Frist beginnt mit dem Tag an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erlangt hat.
Die geforderten Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
1.1 Zum einen wurde der Asylfolgeantrag nicht innerhalb der Dreimonatsfrist gestellt. Ausweislich des im streitgegenständlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Attests des Facharztes für Allgemeinmedizin … vom 27. März 2014 befindet sich der Kläger seit Mai 2013 wegen seines insulinpflichtigen Diabetes mellitus in kontinuierlicher hausärztlicher Behandlung – und hat dementsprechend spätestens seit diesem Zeitpunkt positive Kenntnis von seiner Diabeteserkrankung. Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellen würde, dass die Krankheit erst nach Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens im Januar 2013 ausgebrochen ist, so hat es der Kläger jedenfalls unterlassen, den hier streitgegenständlichen Asylfolgeantrag innerhalb der Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG in Verbindung mit § 71 Abs. 1 AsylG zu stellen. Auch andere – erst später eingetretene – Wiederaufgreifensgründe, die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. AsylG Berücksichtigung finden müssten, wurden nicht vorgebracht.
1.2 Zum anderen liegt auch keine Änderung der Sachlage gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt VwVfG in Hinblick auf die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Das Gericht verkennt nicht die mitunter schlechten Lebensbedingungen weiter Teile der Bevölkerung in Bangladesch (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch, Januar 2016). Fast 26,5% der Bevölkerung (ca. 44 Millionen) leben unterhalb der Armutsgrenze von 1,25 US-Dollar pro Tag (Österreichisches Rotes Kreuz, Länderkurzübersicht Bangladesch, Juni 2016; nach anderen Quellen leben sogar 40% der gesamten Bevölkerung in absoluter Armut, vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, Glossar Islamische Länder, Bd. 4 Bangladesch, Dezember 2009, S. 34). Diese Situation hat sich indes nicht „nachträglich“ im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG geändert, sodass hieraus kein Wiederaufgreifensgrund folgen kann. Zum anderen könnte der Kläger aus einer Lage, der weite Teile der Bevölkerung ausgesetzt sind, keinen individuellen Schutzanspruch für sich ableiten (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG). Eine konkrete individuelle Gefährdung, die sich aus speziell in der Person des Klägers liegenden Umständen ergibt und eine Verletzung des absoluten Schutzanspruchs des Art. 3 EMRK befürchten lässt, ist ebenfalls nicht zu erwarten.
Auch was seine Diabeteserkrankung anbelangt, so haben sich hinsichtlich der Behandelbarkeit dieser Krankheit in Bangladesch keine neuen Erkenntnisse ergeben, die ein Wiederaufgreifen des Verfahrens rechtfertigen würden. Neueste Erkenntnismittel (vgl. etwa Auskunftsschreiben der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Dhaka an das Bundesamt vom 23. August 2017 und vom 10. September 2017) bestätigen vielmehr die auch bereits im angegriffenen Bescheid des Bundesamtes vom 8. Dezember 2014 geschilderte Situation, dass sowohl Diabetes mellitus Typ 1 als auch Diabetes mellitus Typ 2 in Bangladesch nach wie vor behandelbar, und die entsprechenden oral einzunehmenden Antidiabetika bzw. das zu injizierende Insulin dort erhältlich und bei durchschnittlichem Insulinverbrauch auch finanzierbar sind. Davon abweichende individuelle Umstände, die es dem Kläger unmöglich machen würden, diese Medikamente zu erreichen, wurden nicht substantiiert vorgetragen. Auch führt die Krankheit bzw. ihre Therapie nicht schlechthin zur Arbeitsunfähigkeit des Klägers, sodass es ihm zuzumuten ist, für die Finanzierung der Behandlung auch seine eigene Arbeitskraft einzusetzen. Daher ist bei der Rückkehr des Klägers nach Bangladesch nicht mit einer alsbaldigen wesentlichen Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustandes zu rechnen, und die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebehindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht gegeben. Im Übrigen wird zur Vermeidung weiterer Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug genommen.
2. Da es nicht nur an Wiederaufgreifensgründen mangelt, sondern auch zu keinem Zeitpunkt die inhaltlichen Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots vorlagen bzw. vorliegen (siehe oben 1.2), war das Bundesamt auch nicht gehalten, eine Entscheidung nach § 51 Abs. 5 VwVfG zu treffen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gerichtsverfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.


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