Verwaltungsrecht

Die allgemeine wirtschaftliche Lage in Kosovo stellt kein Abschiebungshindernis dar

Aktenzeichen  M 16 S 16.30457

Datum:
6.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 14a, § 30 Abs. 3 Nr. 7, § 36 Abs. 1, Abs. 4
AufenthG AufenthG § 60
GG GG Art. 16a
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen, was nach ständiger Rechtsprechung anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich die Abweisung der Klage bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung geradezu aufdrängt (ebenso BVerfG Beschl. v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92). (redaktioneller Leitsatz)
Im Kosovo begründen weder die allgemeine wirtschaftliche Lage noch die dortigen Lebensbedingungen ein Abschiebungsverbot; sowohl die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln als auch medizinische Behandlungsmöglichkeiten sind gegeben.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der am … 2015 im Bundesgebiet geborene Antragsteller ist kosovarischer Staatsangehöriger albanischer Volkszugehörigkeit. Der Asylantrag seiner Mutter wurde bereits am 13. Januar 2015 aufgrund fehlender Mitwirkung als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Ihr wurde die Abschiebung in die Republik Kosovo angedroht. Der hiergegen gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wurde mit Beschluss vom 4. Februar 2015 (M 17 S 15.30043) abgelehnt. Das Klageverfahren (M 17 K 15.30042) wurde aufgrund der Rücknahme der Klage mit Beschluss vom 11. August 2015 eingestellt.
Mit Bescheid vom 18. Februar 2016, zugestellt am 2. März 2016, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie den Antrag auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab (Nr. 1 und Nr. 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3) und verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Kosovo oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zur Rückübernahme verpflichteten Staat angedroht (Nr. 5). Außerdem wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tage der Ausreise befristet (Nr. 6) sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, für den Antragsteller gelte der Antrag gemäß § 14a Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) mit dem 23. Oktober 2015 als gestellt. Seine Mutter habe nicht gemäß § 14a Abs. 3 AsylG auf die Durchführung eines Asylverfahrens ihres Kindes verzichtet. Eigene individuelle Gründe habe der Antragsteller nicht geltend gemacht. Von einer Anhörung sei abgesehen worden, weil der Sachverhalt aufgrund der Verfahrensakte der Mutter ausreichend geklärt sei. Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling oder als Asylberechtigter lägen offensichtlich nicht vor. Der Antragsteller komme aus einem sicheren Herkunftsstaat. Es sei nichts dafür vorgetragen, dass entgegen der Einschätzung der allgemeinen Lage in seinem Herkunftsstaat die Voraussetzungen für die begründete Furcht vor Verfolgung gegeben seien. Ebenso wenig seien Anhaltspunkte für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ersichtlich. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Kosovo führten auch nicht zu der Annahme, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG vorlägen. Anhaltspunkte für die Annahme, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr in sein Heimatland eine individuelle Gefahr für Leib oder Leben drohen würde (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) bestünden ebenfalls nicht.
Gegen diesen Bescheid ließ die Mutter des Antragstellers am 4. März 2016 Klage (M 16 K 16.30455) erheben und beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Der Antrag wurde bislang nicht begründet.
Das Bundesamt legte die Behördenakten vor; ein Antrag wurde nicht gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte dieses und der Verfahren M 16 K 16.30455, M 17 K 15.30042 und M 17 S 15.30043 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Es ist gemäß § 88 VwGO davon auszugehen, dass sich der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nur gegen die im angefochtenen Bescheid enthaltende Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung (Nr. 5) richtet, da entsprechende Anträge gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG (Nr. 6) und gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (Nr. 7) unzulässig wären (vgl. VG Düsseldorf, B. v. 26.1.2016 – 20 L 4078/15.A – juris Rn. 21 und 32; VG Münster, B. v. 20.1.2016 – 4 L 39/16.A – juris Rn. 9 und 14).
Der so verstandene, fristgerecht erhobene (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG) Antrag ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
Gemäß Art. 16a Grundgesetz (GG), § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel i. S. d. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris).
Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz auch zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob diese Ablehnung weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B. v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris Rn. 40). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Dies ist nach ständiger Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich die Abweisung der Klage bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B. v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – juris Rn. 15).
Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen hier keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidung. Nach derzeitigem Sach- und Streitstand ist es vielmehr offensichtlich, dass dem Antragsteller die geltend gemachten Ansprüche auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht zustehen. Der Antragsteller hat kein Verfolgungsschicksal erlitten, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Asylberechtigter oder als Flüchtling rechtfertigen würde. Das Gericht folgt insoweit der zutreffenden Begründung des Bundesamts im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG). Nachdem das Asylverfahren der Mutter des Antragstellers bereits bestandskräftig abgeschlossen ist, dürften darüber hinaus beim Antragsteller auch die Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG vorliegen. Auch die Zuerkennung subsidiären Schutzes hat das Bundesamt zu Recht verneint. Das Gericht nimmt auch insoweit auf die Begründung des Bundesamts Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Es ist weder geltend gemacht noch ersichtlich, dass dem Antragsteller bei einer Ausreise in sein Heimatland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht.
Schließlich bestehen keine Anhaltspunkte für Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG. Es fehlt insbesondere an einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit i. S. d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die allgemeine wirtschaftliche Lage im Kosovo und die dortigen Lebensbedingungen begründen kein Abschiebungsverbot. Im Kosovo ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gewährleistet. Medizinische Behandlungsmöglichkeiten sind ebenfalls gegeben (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 9. Dezember 2015). Auf die Begründung des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V. mit § 59 AufenthG erlassenen Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Die gesetzte Ausreisefrist entspricht der Regelung in § 36 Abs. 1 AsylG. Dabei hat die zuständige Ausländerbehörde zu beachten, dass der minderjährige Antragsteller nicht getrennt von seiner Mutter abgeschoben wird.
Der Antrag waren daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben