Aktenzeichen 6 ZB 17.2184
Leitsatz
1 Voraussetzung für den Freizeitausgleich wegen Mehrarbeit ist, dass sie angeordnet worden ist; es kommt nicht darauf an, ob die Mehrarbeit auch angeordnet werden durfte. Die Anordnung von Mehrarbeit unterliegt keinem Schriftformerfordernis, sie muss sich aber auf konkrete und zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen. Nicht erforderlich ist, dass im Zeitpunkt der Anordnung die Anzahl der zu leistenden Mehrarbeitsstunden bekannt ist. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine angeordnete, aber wegen Krankheit nicht geleistete Mehrarbeit kann weder einen Anspruch auf Dienstbefreiung noch auf eine Zeitgutschrift begründen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
B 5 K 16.380 2017-08-08 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 8. August 2017 – B 5 K 16.380 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Der Kläger steht als Polizeioberkommissar bei der Bundespolizeiabteilung B. im Dienst der Beklagten. Vom 5. bis zum 12. August 2015 befand er sich im Einsatz „Massenaufgriff Migration“ zur Unterstützung der Bundespolizeiinspektion R. Nach dem Einsatzbefehl der Bundespolizeiabteilung B. vom 3. August 2015 wurde erforderliche Mehrarbeit, die lage- und einsatzbedingt zu leisten war, „hiermit angeordnet“ und sollte nach § 88 BBG „spitz“ abgerechnet werden. Vom 6. bis 9. August 2015 war der Kläger dienstunfähig erkrankt. Er erhielt von der Beklagten für den 6. und 7. August 2015 insgesamt 10,13 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben, was nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts dem zeitlichen Umfang des vom Kläger regulär in seiner Stammdienststelle in B. zu leistenden Dienstes entsprach.
Mit Schreiben vom 31. August 2015 beantragte der Kläger, ihm für die Zeit seiner Dienstunfähigkeit 33,62 Stunden gutzuschreiben. Die Bundespolizeiabteilung B. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28. Dezember 2015 ab. Den Widerspruch des Klägers wies die Direktion Bundesbereitschaftspolizei mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2016 zurück. Mit seiner Klage zum Verwaltungsgericht beantragte der Kläger zuletzt, die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids zu verurteilen, seinem Arbeitszeitkonto 31,875 Stunden gutzuschreiben.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angegriffenen Urteil als unbegründet erachtet und abgewiesen. Wegen Krankheit nicht abgeleistete Mehrarbeit könne einem Beamten – anders als die reguläre Dienstzeit – nicht gutgeschrieben werden. Die gegen das erstinstanzliche Urteil im Zulassungsantrag vorgebrachten Einwendungen bleiben ohne Erfolg und bedürfen keiner weiteren Prüfung oder Aufklärung in einem Berufungsverfahren.
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Dieser Zulassungsgrund wäre begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Ohne Erfolg bleibt die Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht sei im angegriffenen Urteil fälschlich von der Anordnung von Mehrarbeit ausgegangen.
Nach § 88 Satz 1 BBG sind Beamte verpflichtet, ohne Vergütung über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt. Werden sie durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, ist ihnen innerhalb eines Jahres für die Mehrarbeit, die sie über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus leisten, entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren (§ 88 Satz 2 BBG). Mehrarbeit im Sinn des § 88 Satz 2 BBG ist der Dienst, den der einer Arbeitszeitregelung unterliegende Beamte aufgrund dienstlicher Anordnung oder Genehmigung zur Wahrnehmung der Obliegenheiten des Hauptamts über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus – das heißt nicht im Rahmen des normalen Arbeitsumfangs – verrichtet (BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 23.15 – juris Rn. 13 m.w.N.). Voraussetzung für den Freizeitausgleich ist, dass Mehrarbeit angeordnet oder genehmigt worden ist; es kommt nicht darauf an, ob sie auch angeordnet oder genehmigt werden durfte (BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 23.15 – juris Rn. 12). Die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit unterliegt keinem Schriftformerfordernis, sie muss sich aber auf konkrete und zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen; nicht erforderlich ist, dass im Zeitpunkt der Anordnung oder Genehmigung die Anzahl der zu leistenden oder bereits geleisteten Mehrarbeitsstunden bekannt ist. Der Dienstherr entscheidet über die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit nach Ermessen. Dabei hat er insbesondere zu prüfen, ob nach dienstlichen Notwendigkeiten überhaupt Mehrarbeit erforderlich ist und welchem Beamten sie übertragen werden soll (BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 23.15 – juris Rn. 14 m.w.N.).
In Anwendung dieses rechtlichen Maßstabs hat der Dienstherr im vorliegenden Fall Mehrarbeit im Sinn des § 88 BBG angeordnet. Mit Einsatzbefehl Nr. 121/15 vom 3. August 2015 hat die Bundespolizeiabteilung B. u.a. mitgeteilt, dass die Bundespolizeidirektion M.-Bundespolizeiinspektion R. durch die Bundespolizeiabteilung B. vom 5. bis 12. August 2015 bei der Bekämpfung der international organisierten Schleusungskriminalität an der Binnengrenze Deutschland-Österreich durch Einrichtung einer Bearbeitungs Straße für die Abarbeitung von Massenaufgriffen verstärkt werden solle. Nach Nr. 6.4 des Einsatzbefehls wurde erforderliche Mehrarbeit, die lage- und einsatzbedingt zu leisten war, „hiermit angeordnet“. Sie sollte innerhalb von 12 Monaten durch Dienstbefreiung abgegolten werden. Da ein fester Schichtplan vorlag, war dieser Einsatz grundsätzlich planbar und somit nach § 88 BBG „spitz“ abzurechnen. Daher sollten der Volldienst mit 100%, die Bereitschaft mit 50% und die Ruhezeit im Einsatzraum aus Fürsorgegründen mit 20% angerechnet werden. Aus diesem Einsatzbefehl ergibt sich eindeutig, dass der Dienstherr für den begrenzten Zeitraum vom 5. bis zum 12. August 2015 und für einen konkreten Mehrarbeitstatbestand wirksam Mehrarbeit im Sinn des § 88 BBG angeordnet hat, und zwar nicht nur „vorsorglich“, wie der Kläger meint (vgl. auch OVG NW, B.v. 28.12.2010 – 1 A 367.09 – juris Rn. 8 ff.). Rechtlich unerheblich ist es, ob die Mehrarbeit auch angeordnet werden durfte, was der Kläger in Zweifel zieht, oder ob die Voraussetzungen der Mehrarbeit dokumentiert wurden (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 23.15 – juris Rn. 12).
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch darauf hat, dass die wegen Krankheit nicht abgeleistete Mehrarbeitszeit (anders als die reguläre Dienstzeit) seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben wird. Dem steht bereits der Wortlaut des § 88 Satz 2 BBG entgegen. Danach ist Beamten innerhalb eines Jahres für die Mehrarbeit, die sie über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus leisten, entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren, wenn sie durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht werden. Danach wird eine Dienstbefreiung nur für tatsächlich geleistete Mehrarbeit gewährt. Würde die bloße Anordnung oder Genehmigung der Mehrarbeit für den Anspruch auf Dienstbefreiung ausreichen, hätte es des Zusatzes „Mehrarbeit leisten“ nicht bedurft. Dass ein Beamter allein durch die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit nicht „beansprucht“ ist, also auch diese Formulierung auf die tatsächliche Mehrarbeitsleistung abstellt, drängt sich ebenfalls auf (OVG NW, U.v. 29.7.1998 – 12 A 2686.96 juris Rn. 2; vgl. auch B.v. 28.12.2010 – 1 A 367.09 – juris Rn. 8; SächsOVG, B.v. 22.3.2016 – 2 A 374.14 – juris Rn. 33; VG Berlin, U.v. 20.6.2007 – 7 A 50.07 – juris Rn. 14). Eine angeordnete, aber wegen Krankheit nicht geleistete Mehrarbeit zählt somit nicht und kann weder einen Anspruch auf Dienstbefreiung noch auf eine Zeitgutschrift (über die reguläre Dienstzeit hinaus) begründen (vgl. Plog/Wiedow, BBG, § 88 Rn. 21).
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. April 2004 – 2 C 14.03 –, auf die sich der Kläger beruft, ist nicht einschlägig. Sie betraf nicht – wie hier – eine angeordnete Mehrarbeit im Sinn des § 88 BBG, sondern die Arbeitszeit eines im Wechseldienst tätigen Beamten, die sich um die auf einen Wochenfeiertag entfallende Arbeitszeit ohne Rücksicht darauf verkürzt, ob der Beamte an dem Wochenfeiertag Dienst zu leisten hat (vgl. § 3 Abs. 3 AZV).
2. Die Rechtssache weist aus den unter 1. genannten Gründen keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Soweit der Kläger allgemein bemängelt, dass Mehrarbeit im Regelfall „vorsorglich“ ungeachtet der tatsächlichen Voraussetzungen angeordnet werde, betrifft dies nicht den streitgegenständlichen Fall.
3. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat der Kläger nicht dargelegt. Die Frage, „ob eine Anordnung der Mehrarbeit abstrakt auch in der Form möglich ist, dass diese wiederum im Einzelfall „möglicherweise“ angeordnet werde“, ist schon deshalb nicht entscheidungserheblich, weil Mehrarbeit nach dem Einsatzbefehl vom 3. August 2015 konkret („hiermit“) und nicht nur abstrakt angeordnet worden ist. Mit der Frage, „ob die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. April 2004 – 2 C 14.03 – auch auf die hiesige Konstellation anwendbar ist, da dort eine Differenzierung ausdrücklich nicht erfolgte“, wirft der Kläger schon keine konkrete Rechtsfrage im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf. Abgesehen davon ist die Frage nicht entscheidungserheblich, weil hier eine andere Fallkonstellation vorliegt. Soweit der Kläger vorträgt, es sei nicht ersichtlich, dass eine „Klärung der Problematik faktische Erfüllung des Arbeitszeitsolls durch erhebliche Einsätze außerhalb der Sollarbeitszeiten an der Dienststelle und Deklarierung als Mehrarbeit höchstrichterlich erfolgte“, legt er ebenfalls keine konkrete entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage dar.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).